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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Ungarn tiefe Wurzel gefaßt habe. Denn im Grunde genommen stehn
Tschechen und Magyaren dem deutscheu Einfluß ganz gleich feindlich gegen¬
über. Nur wissen die Magyaren die ihren Verschmelzungsbestrebuugeu so
Mistige Rückendeckung durch den mitteleuropäischen Friedcnsbund klüger aus¬
zunützen und ihn offiziell rückhaltloser zu loben als die Tschechen, die schlie߬
lich doch von einem noch viel fanatischer" Deutschenhasse beseelt sind. Daß
sich aber, abgesehen von der korrekte" bundesgenossenschaftlichcn Haltung der
deutschen Reichsregierung und des Quirinals, das Magyarentum in den Volks¬
kreisen sowohl Deutschlands wie Italiens nicht mehr der frühern Beliebtheit
erfreut, gab Graf Szapäry durch die Äußerung des Wunsches zu, daß die
Völker des Deutschen Reichs und Italiens dieselben Sympathien für "uns"
bekunden möchten, die "wir" für sie hegten. Nach dem ganzen Ideenkreise,
worin sich die Wirksamkeit der Delegation bewegt, bezeichnet das persönliche
Fürwort in diesem Falle nicht etwa die Gesamtheit der Bewohner der Mon¬
archie, sondern mir die Magyaren. Und bezüglich ihrer Sympathien für den
Dreibund hat Graf Szapäry vom Luclapssti Hirlap, das sich vortrefflich auf
die Regungen der magyarischen Volksseele versteht, eine scharfe Lektion dafür
bekommen, daß er zu erklären gewagt hat, die öffentliche Meinung ganz
Ungarns billige die im Expose des Grafen Goluchowski dargelegte äußere
Politik. Kupp und klar wird dort ausgesprochen, daß dies ganz und gar nicht
der Fall sei, daß ihr vielmehr sehr ernstliche, wirtschaftliche wie politische Be¬
denken entgegenstünden. Der Abgeordnete Gabriel Ugron, der sich zum Haupt-
dvlmctsch dieser Bedenken gemacht hat, ist von seiner Fraktion laut gefeiert
worden, und der gut regierungsfreundliche vaclaveM Hirliix spendet ihm eben¬
falls alles Lob für die scharfe Kontrolle, die er als Führer der Opposition
an dem Gebaren der gemeinsamen Minister geübt hat. Sehr abfällig wird
auch über den sonst hochbelobten Referenten des Ausschusses für auswärtige
Angelegenheiten, Dr. Max Falk, geurteilt, und dasselbe Schicksal widerfährt
sogar Koloman Tisza, obwohl er sich dem Vertrauens antrage, dessen Graf
Goluchowski allerdings weit mehr bedürftig ist, als er ihn'verdient, nicht
anschloß.

Sind schließlich auch alle Ausschußanträge sowohl in der ungarischen wie
u> der österreichischen Delegation angenommen worden, so ist dieses Ergebnis
doch keineswegs ausschlaggebend für die Beurteiln"", der Stimmung, die über
ne Rolle der Monarchie im Dreibünde und über die Stellung ihrer einzelnen
Völker insbesondre zur Allianz mit dem Deutschen Reiche laut geworden ist.
Der Auffassung, die im Namen der Altdeutschen Hermann Wolff ausgedrückt
hat, ist begreiflicherweise vom Jungtschecheu Kaftan sofort widersprochen worden.
>Mmerhin muß man es als Fortschritt bezeichnen, wenn Kaftan in Abrede
stellt, daß seine Volksgenossen grundsätzliche Gegner des Dreibunds seien.
Wesentliche Vorteile wollen sie aber nicht in ihm finden, wenn sich nicht durch
das politische Verhältnis das wirtschaftliche Einvernehmen inniger gestalten
läßt. "Ein leoninischer Vertrag, der die Ausfuhr österreichischer Bodenprodukte


Ungarn tiefe Wurzel gefaßt habe. Denn im Grunde genommen stehn
Tschechen und Magyaren dem deutscheu Einfluß ganz gleich feindlich gegen¬
über. Nur wissen die Magyaren die ihren Verschmelzungsbestrebuugeu so
Mistige Rückendeckung durch den mitteleuropäischen Friedcnsbund klüger aus¬
zunützen und ihn offiziell rückhaltloser zu loben als die Tschechen, die schlie߬
lich doch von einem noch viel fanatischer» Deutschenhasse beseelt sind. Daß
sich aber, abgesehen von der korrekte« bundesgenossenschaftlichcn Haltung der
deutschen Reichsregierung und des Quirinals, das Magyarentum in den Volks¬
kreisen sowohl Deutschlands wie Italiens nicht mehr der frühern Beliebtheit
erfreut, gab Graf Szapäry durch die Äußerung des Wunsches zu, daß die
Völker des Deutschen Reichs und Italiens dieselben Sympathien für „uns"
bekunden möchten, die „wir" für sie hegten. Nach dem ganzen Ideenkreise,
worin sich die Wirksamkeit der Delegation bewegt, bezeichnet das persönliche
Fürwort in diesem Falle nicht etwa die Gesamtheit der Bewohner der Mon¬
archie, sondern mir die Magyaren. Und bezüglich ihrer Sympathien für den
Dreibund hat Graf Szapäry vom Luclapssti Hirlap, das sich vortrefflich auf
die Regungen der magyarischen Volksseele versteht, eine scharfe Lektion dafür
bekommen, daß er zu erklären gewagt hat, die öffentliche Meinung ganz
Ungarns billige die im Expose des Grafen Goluchowski dargelegte äußere
Politik. Kupp und klar wird dort ausgesprochen, daß dies ganz und gar nicht
der Fall sei, daß ihr vielmehr sehr ernstliche, wirtschaftliche wie politische Be¬
denken entgegenstünden. Der Abgeordnete Gabriel Ugron, der sich zum Haupt-
dvlmctsch dieser Bedenken gemacht hat, ist von seiner Fraktion laut gefeiert
worden, und der gut regierungsfreundliche vaclaveM Hirliix spendet ihm eben¬
falls alles Lob für die scharfe Kontrolle, die er als Führer der Opposition
an dem Gebaren der gemeinsamen Minister geübt hat. Sehr abfällig wird
auch über den sonst hochbelobten Referenten des Ausschusses für auswärtige
Angelegenheiten, Dr. Max Falk, geurteilt, und dasselbe Schicksal widerfährt
sogar Koloman Tisza, obwohl er sich dem Vertrauens antrage, dessen Graf
Goluchowski allerdings weit mehr bedürftig ist, als er ihn'verdient, nicht
anschloß.

Sind schließlich auch alle Ausschußanträge sowohl in der ungarischen wie
u> der österreichischen Delegation angenommen worden, so ist dieses Ergebnis
doch keineswegs ausschlaggebend für die Beurteiln»«, der Stimmung, die über
ne Rolle der Monarchie im Dreibünde und über die Stellung ihrer einzelnen
Völker insbesondre zur Allianz mit dem Deutschen Reiche laut geworden ist.
Der Auffassung, die im Namen der Altdeutschen Hermann Wolff ausgedrückt
hat, ist begreiflicherweise vom Jungtschecheu Kaftan sofort widersprochen worden.
>Mmerhin muß man es als Fortschritt bezeichnen, wenn Kaftan in Abrede
stellt, daß seine Volksgenossen grundsätzliche Gegner des Dreibunds seien.
Wesentliche Vorteile wollen sie aber nicht in ihm finden, wenn sich nicht durch
das politische Verhältnis das wirtschaftliche Einvernehmen inniger gestalten
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[0023] Ungarn tiefe Wurzel gefaßt habe. Denn im Grunde genommen stehn Tschechen und Magyaren dem deutscheu Einfluß ganz gleich feindlich gegen¬ über. Nur wissen die Magyaren die ihren Verschmelzungsbestrebuugeu so Mistige Rückendeckung durch den mitteleuropäischen Friedcnsbund klüger aus¬ zunützen und ihn offiziell rückhaltloser zu loben als die Tschechen, die schlie߬ lich doch von einem noch viel fanatischer» Deutschenhasse beseelt sind. Daß sich aber, abgesehen von der korrekte« bundesgenossenschaftlichcn Haltung der deutschen Reichsregierung und des Quirinals, das Magyarentum in den Volks¬ kreisen sowohl Deutschlands wie Italiens nicht mehr der frühern Beliebtheit erfreut, gab Graf Szapäry durch die Äußerung des Wunsches zu, daß die Völker des Deutschen Reichs und Italiens dieselben Sympathien für „uns" bekunden möchten, die „wir" für sie hegten. Nach dem ganzen Ideenkreise, worin sich die Wirksamkeit der Delegation bewegt, bezeichnet das persönliche Fürwort in diesem Falle nicht etwa die Gesamtheit der Bewohner der Mon¬ archie, sondern mir die Magyaren. Und bezüglich ihrer Sympathien für den Dreibund hat Graf Szapäry vom Luclapssti Hirlap, das sich vortrefflich auf die Regungen der magyarischen Volksseele versteht, eine scharfe Lektion dafür bekommen, daß er zu erklären gewagt hat, die öffentliche Meinung ganz Ungarns billige die im Expose des Grafen Goluchowski dargelegte äußere Politik. Kupp und klar wird dort ausgesprochen, daß dies ganz und gar nicht der Fall sei, daß ihr vielmehr sehr ernstliche, wirtschaftliche wie politische Be¬ denken entgegenstünden. Der Abgeordnete Gabriel Ugron, der sich zum Haupt- dvlmctsch dieser Bedenken gemacht hat, ist von seiner Fraktion laut gefeiert worden, und der gut regierungsfreundliche vaclaveM Hirliix spendet ihm eben¬ falls alles Lob für die scharfe Kontrolle, die er als Führer der Opposition an dem Gebaren der gemeinsamen Minister geübt hat. Sehr abfällig wird auch über den sonst hochbelobten Referenten des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Dr. Max Falk, geurteilt, und dasselbe Schicksal widerfährt sogar Koloman Tisza, obwohl er sich dem Vertrauens antrage, dessen Graf Goluchowski allerdings weit mehr bedürftig ist, als er ihn'verdient, nicht anschloß. Sind schließlich auch alle Ausschußanträge sowohl in der ungarischen wie u> der österreichischen Delegation angenommen worden, so ist dieses Ergebnis doch keineswegs ausschlaggebend für die Beurteiln»«, der Stimmung, die über ne Rolle der Monarchie im Dreibünde und über die Stellung ihrer einzelnen Völker insbesondre zur Allianz mit dem Deutschen Reiche laut geworden ist. Der Auffassung, die im Namen der Altdeutschen Hermann Wolff ausgedrückt hat, ist begreiflicherweise vom Jungtschecheu Kaftan sofort widersprochen worden. >Mmerhin muß man es als Fortschritt bezeichnen, wenn Kaftan in Abrede stellt, daß seine Volksgenossen grundsätzliche Gegner des Dreibunds seien. Wesentliche Vorteile wollen sie aber nicht in ihm finden, wenn sich nicht durch das politische Verhältnis das wirtschaftliche Einvernehmen inniger gestalten läßt. „Ein leoninischer Vertrag, der die Ausfuhr österreichischer Bodenprodukte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/23>, abgerufen am 12.05.2024.