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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Aus Reichsrat und Delegationen

Auge ist, hat nichts deutlicher gezeigt, als die in ihrer Art bcwundrungs-
würdige Rede des österreichischen Delegierten Grafen Schönborn, worin er
anerkannte, daß der Dreibund die Ursache einer so langen Erhaltung des
europäischen Friedens sei, und erklärte, daß das Schwergewicht der poli¬
tischen Lage nicht in der Allianz mit Italien, sondern in der mit Deutschland
liege, aber nicht zugeben wollte, daß ebenso wie sich die Deutsch-Österreicher
aus nationalen Gründen freuten, mit dem Deutschen Reiche alliiert zu sein,
dies die Slawen aus denselben nationalen Gründen ebenso freuen solle. Vom
Österreicher welchen Stammes immer könne und müsse man begehren, daß er
sich den Exigentien des Großstaatö füge und unter Wahrung seiner Nationalität
dem anbequeme, was zur Erhaltung der Monarchie und des Friedens förderlich
sei. Man dürfe aber die Sympathien der einen nicht den andern künstlich
aufnötigen wollen. Neben dieser Rechtfertigung der tschechischen Antipathie
gegen den Dreibund, der in feinen Wendungen als nationales Joch hingestellt
wurde, stellte der feudale Redner als Grundbedingung politischer Freundschaft
die gegenseitige Achtung auf und ließ durchblicken, daß das Bündnis mit dein
Deutschen Reiche weder die Selbstachtung noch die Selbständigkeit der Monarchie
verletzen dürfe. Trotz der Berufung ans das Wort des Grafen Goluchowski,
daß dein Bündnis die volle Gleichberechtigung zu Grunde liege, und auf die
allerdings auf Rußland gemünzte, aber auch für Österreich giltige Äußerung
des Grafen Bülow, daß die Basis einer Verständigung immer nur die volle
Reziprozität und volle Unabhängigkeit des eignen Landes sein könne, hat eben
Graf Schönborn alle nationalen und staatlichen Empfindlichkeiten zu wecken
gesucht, uni es zu keiner Festigung des innern Friedens kommen zu lassen,
dessen Bestand die Feudalen verhindert, im Trüben zu fischen und wie schon
oft die Macht im Staate -- erfahrungsgemäß nicht zu seinem Wohle -- an
sich zu reißen.

Doch ist jetzt wohl die Hoffnung berechtigt, daß das wirtschaftliche Zu¬
sammenarbeiten fast aller Reichsratspartcien feste Fäden zu einer Annäherung
auch in nationalen Fragen, insbesondre zwischen Deutschen und Tschechen,
gesponnen hat. Die Reise des Kaisers in Böhmen, die zwar bei wiederholten
Gelegenheiten in den die beiden Völker trennenden tiefen Abgrund hat sehen
lassen, wird sich ohne Zweifel als nicht ganz erfolglose Friedensmission er¬
weisen. So darf die parlamentarische, politische und dynastische Arbeit der
letzten Monate als Anfang einer günstigern Gestaltung der innern Verhält¬
nisse Österreichs und damit der ganzen Monarchie angesehen werden.




Grenzboten 111 19013
Aus Reichsrat und Delegationen

Auge ist, hat nichts deutlicher gezeigt, als die in ihrer Art bcwundrungs-
würdige Rede des österreichischen Delegierten Grafen Schönborn, worin er
anerkannte, daß der Dreibund die Ursache einer so langen Erhaltung des
europäischen Friedens sei, und erklärte, daß das Schwergewicht der poli¬
tischen Lage nicht in der Allianz mit Italien, sondern in der mit Deutschland
liege, aber nicht zugeben wollte, daß ebenso wie sich die Deutsch-Österreicher
aus nationalen Gründen freuten, mit dem Deutschen Reiche alliiert zu sein,
dies die Slawen aus denselben nationalen Gründen ebenso freuen solle. Vom
Österreicher welchen Stammes immer könne und müsse man begehren, daß er
sich den Exigentien des Großstaatö füge und unter Wahrung seiner Nationalität
dem anbequeme, was zur Erhaltung der Monarchie und des Friedens förderlich
sei. Man dürfe aber die Sympathien der einen nicht den andern künstlich
aufnötigen wollen. Neben dieser Rechtfertigung der tschechischen Antipathie
gegen den Dreibund, der in feinen Wendungen als nationales Joch hingestellt
wurde, stellte der feudale Redner als Grundbedingung politischer Freundschaft
die gegenseitige Achtung auf und ließ durchblicken, daß das Bündnis mit dein
Deutschen Reiche weder die Selbstachtung noch die Selbständigkeit der Monarchie
verletzen dürfe. Trotz der Berufung ans das Wort des Grafen Goluchowski,
daß dein Bündnis die volle Gleichberechtigung zu Grunde liege, und auf die
allerdings auf Rußland gemünzte, aber auch für Österreich giltige Äußerung
des Grafen Bülow, daß die Basis einer Verständigung immer nur die volle
Reziprozität und volle Unabhängigkeit des eignen Landes sein könne, hat eben
Graf Schönborn alle nationalen und staatlichen Empfindlichkeiten zu wecken
gesucht, uni es zu keiner Festigung des innern Friedens kommen zu lassen,
dessen Bestand die Feudalen verhindert, im Trüben zu fischen und wie schon
oft die Macht im Staate — erfahrungsgemäß nicht zu seinem Wohle — an
sich zu reißen.

Doch ist jetzt wohl die Hoffnung berechtigt, daß das wirtschaftliche Zu¬
sammenarbeiten fast aller Reichsratspartcien feste Fäden zu einer Annäherung
auch in nationalen Fragen, insbesondre zwischen Deutschen und Tschechen,
gesponnen hat. Die Reise des Kaisers in Böhmen, die zwar bei wiederholten
Gelegenheiten in den die beiden Völker trennenden tiefen Abgrund hat sehen
lassen, wird sich ohne Zweifel als nicht ganz erfolglose Friedensmission er¬
weisen. So darf die parlamentarische, politische und dynastische Arbeit der
letzten Monate als Anfang einer günstigern Gestaltung der innern Verhält¬
nisse Österreichs und damit der ganzen Monarchie angesehen werden.




Grenzboten 111 19013
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[0025] Aus Reichsrat und Delegationen Auge ist, hat nichts deutlicher gezeigt, als die in ihrer Art bcwundrungs- würdige Rede des österreichischen Delegierten Grafen Schönborn, worin er anerkannte, daß der Dreibund die Ursache einer so langen Erhaltung des europäischen Friedens sei, und erklärte, daß das Schwergewicht der poli¬ tischen Lage nicht in der Allianz mit Italien, sondern in der mit Deutschland liege, aber nicht zugeben wollte, daß ebenso wie sich die Deutsch-Österreicher aus nationalen Gründen freuten, mit dem Deutschen Reiche alliiert zu sein, dies die Slawen aus denselben nationalen Gründen ebenso freuen solle. Vom Österreicher welchen Stammes immer könne und müsse man begehren, daß er sich den Exigentien des Großstaatö füge und unter Wahrung seiner Nationalität dem anbequeme, was zur Erhaltung der Monarchie und des Friedens förderlich sei. Man dürfe aber die Sympathien der einen nicht den andern künstlich aufnötigen wollen. Neben dieser Rechtfertigung der tschechischen Antipathie gegen den Dreibund, der in feinen Wendungen als nationales Joch hingestellt wurde, stellte der feudale Redner als Grundbedingung politischer Freundschaft die gegenseitige Achtung auf und ließ durchblicken, daß das Bündnis mit dein Deutschen Reiche weder die Selbstachtung noch die Selbständigkeit der Monarchie verletzen dürfe. Trotz der Berufung ans das Wort des Grafen Goluchowski, daß dein Bündnis die volle Gleichberechtigung zu Grunde liege, und auf die allerdings auf Rußland gemünzte, aber auch für Österreich giltige Äußerung des Grafen Bülow, daß die Basis einer Verständigung immer nur die volle Reziprozität und volle Unabhängigkeit des eignen Landes sein könne, hat eben Graf Schönborn alle nationalen und staatlichen Empfindlichkeiten zu wecken gesucht, uni es zu keiner Festigung des innern Friedens kommen zu lassen, dessen Bestand die Feudalen verhindert, im Trüben zu fischen und wie schon oft die Macht im Staate — erfahrungsgemäß nicht zu seinem Wohle — an sich zu reißen. Doch ist jetzt wohl die Hoffnung berechtigt, daß das wirtschaftliche Zu¬ sammenarbeiten fast aller Reichsratspartcien feste Fäden zu einer Annäherung auch in nationalen Fragen, insbesondre zwischen Deutschen und Tschechen, gesponnen hat. Die Reise des Kaisers in Böhmen, die zwar bei wiederholten Gelegenheiten in den die beiden Völker trennenden tiefen Abgrund hat sehen lassen, wird sich ohne Zweifel als nicht ganz erfolglose Friedensmission er¬ weisen. So darf die parlamentarische, politische und dynastische Arbeit der letzten Monate als Anfang einer günstigern Gestaltung der innern Verhält¬ nisse Österreichs und damit der ganzen Monarchie angesehen werden. Grenzboten 111 19013

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/25>, abgerufen am 13.05.2024.