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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Eine Denkschrift des Ministers Witte

"Während die Regierung das Streben der Landschaften, im Lande Wurzel
zu schlagen, in eine engere Verbindung mit der bäuerlichen Selbstverwaltung
zu treten, nicht erlaubte, verhielt sie sich mit womöglich noch größeren Mi߬
trauen gegen die Einigung der landschaftlichen Thätigkeit zur Herstellung einer
Verbindung unter den einzelnen Landschaften." "Ganz zu Anfang ihres Be¬
stehens hatten die landschaftlichen Ämter das Recht, unter ihrer Verantwortung
und ohne Präventivzensur ihre Berichte, Nnterlcgungen und Journale zu drucken.
Damals überboten sich die Zeitungen in dein Eifer, über die Thätigkeit der
landschaftlichen Versammlungen zu berichten; die öffentliche Meinung inter¬
essierte sich lebhaft für diese Thätigkeit, und es begann eine Gemeinschaft
zwischen landschaftlichen Kreis- und Gubernialämtern aufzutauchen. Aber schou
am 13. Juni 1867 erschien ein Allerhöchst bestätigtes Gutachten des Reichs¬
rath, das verbot, ohne vorgängige Erlaubnis der örtlichen Gnbernialobrigleit
die in den landschaftlichen, städtischen und ständischen gesellschaftlichen Ver¬
sammlungen gefaßten Beschlüsse, Sitzungsberichte usw. und ebenso die vorher-
gegangnen Debatten und Reden z" drücke". Trotz dieser ersten verbietenden
Maßregel, deren Wirkung, uach den Worten Koschelews, sehr scharf war,
fahren die Landschaften fort, mit allen Kräften nach einer Einigung ihrer
Thätigkeit zu ringen. Sie setzten einen gegenseitigen Austausch der Berichte
fest und bemühten sich, dem Punkt. . . des Gesetzes über die Landschnfts-
institutionen eine weite Anwendung zu geben, durch den ihnen erlaubt war,
Beschlüsse zu fassen über Beziehungen oder Vereinbarungen mit andern Ver¬
sammlungen in Sachen, die allgemeine Verordnungen der Regierung und
Fragen uach den gesetzlichen Grenzen der Kompetenz der Versammlungen be¬
trafen. Zugleich begannen die Landschaften Gesuche anzuregen um Gestaltung
allgemeiner Versammlungen zur Beratung von Fragen, die mehrere Land¬
schaften betrafen, und um Genehmigung der Herausgabe eines gesamtlandschaft¬
lichen gedruckten Organs."

"Man muß, so scheint es, anerkennen, daß alle diese Bestrebungen und
Gesuche der Landschaften mit dem Grundgedanken des Gesetzes von 1864
übereinstimmten, dessen Ziel eS war, die Landschaften zu einigen, in ihnen
eine selbständige und regelrechte öffentliche Meinung heranzubilden." Man
muß ebenso zugeben, daß das Streben nach Einigung der landschaftlichen
Thätigkeit auch eine tiefe praktische Begründung hatte. Die Zerrissenheit der
Landschaften und die Unmöglichkeit geschäftlichen Verkehrs unter ihnen mußten
äußerst schädlich auf deu Gang der landschaftlichen Sache wirken: in ihm
konnte keine Einheitlichkeit sein, auch in den Zweigen der Wirtschaft, in denen
eine solche Einheitlichkeit wesentlich notwendig war, nicht bloß im Interesse
der einzelnen Landschaften, sondern auch im Interesse des Reichs---- Weiter
kann man die unzweifelhafte Thatsache nicht leugnen, daß die benachbarten
Landschaften immer die engsten und unzerreißbar miteinander verbundnen
Interessen haben werden und haben müssen---- Der Kampf mit Epidemien,
mit schädlichen Tieren und Insekten kann von einer einzelnen Landschaft nicht


Eine Denkschrift des Ministers Witte

„Während die Regierung das Streben der Landschaften, im Lande Wurzel
zu schlagen, in eine engere Verbindung mit der bäuerlichen Selbstverwaltung
zu treten, nicht erlaubte, verhielt sie sich mit womöglich noch größeren Mi߬
trauen gegen die Einigung der landschaftlichen Thätigkeit zur Herstellung einer
Verbindung unter den einzelnen Landschaften." „Ganz zu Anfang ihres Be¬
stehens hatten die landschaftlichen Ämter das Recht, unter ihrer Verantwortung
und ohne Präventivzensur ihre Berichte, Nnterlcgungen und Journale zu drucken.
Damals überboten sich die Zeitungen in dein Eifer, über die Thätigkeit der
landschaftlichen Versammlungen zu berichten; die öffentliche Meinung inter¬
essierte sich lebhaft für diese Thätigkeit, und es begann eine Gemeinschaft
zwischen landschaftlichen Kreis- und Gubernialämtern aufzutauchen. Aber schou
am 13. Juni 1867 erschien ein Allerhöchst bestätigtes Gutachten des Reichs¬
rath, das verbot, ohne vorgängige Erlaubnis der örtlichen Gnbernialobrigleit
die in den landschaftlichen, städtischen und ständischen gesellschaftlichen Ver¬
sammlungen gefaßten Beschlüsse, Sitzungsberichte usw. und ebenso die vorher-
gegangnen Debatten und Reden z» drücke». Trotz dieser ersten verbietenden
Maßregel, deren Wirkung, uach den Worten Koschelews, sehr scharf war,
fahren die Landschaften fort, mit allen Kräften nach einer Einigung ihrer
Thätigkeit zu ringen. Sie setzten einen gegenseitigen Austausch der Berichte
fest und bemühten sich, dem Punkt. . . des Gesetzes über die Landschnfts-
institutionen eine weite Anwendung zu geben, durch den ihnen erlaubt war,
Beschlüsse zu fassen über Beziehungen oder Vereinbarungen mit andern Ver¬
sammlungen in Sachen, die allgemeine Verordnungen der Regierung und
Fragen uach den gesetzlichen Grenzen der Kompetenz der Versammlungen be¬
trafen. Zugleich begannen die Landschaften Gesuche anzuregen um Gestaltung
allgemeiner Versammlungen zur Beratung von Fragen, die mehrere Land¬
schaften betrafen, und um Genehmigung der Herausgabe eines gesamtlandschaft¬
lichen gedruckten Organs."

„Man muß, so scheint es, anerkennen, daß alle diese Bestrebungen und
Gesuche der Landschaften mit dem Grundgedanken des Gesetzes von 1864
übereinstimmten, dessen Ziel eS war, die Landschaften zu einigen, in ihnen
eine selbständige und regelrechte öffentliche Meinung heranzubilden." Man
muß ebenso zugeben, daß das Streben nach Einigung der landschaftlichen
Thätigkeit auch eine tiefe praktische Begründung hatte. Die Zerrissenheit der
Landschaften und die Unmöglichkeit geschäftlichen Verkehrs unter ihnen mußten
äußerst schädlich auf deu Gang der landschaftlichen Sache wirken: in ihm
konnte keine Einheitlichkeit sein, auch in den Zweigen der Wirtschaft, in denen
eine solche Einheitlichkeit wesentlich notwendig war, nicht bloß im Interesse
der einzelnen Landschaften, sondern auch im Interesse des Reichs---- Weiter
kann man die unzweifelhafte Thatsache nicht leugnen, daß die benachbarten
Landschaften immer die engsten und unzerreißbar miteinander verbundnen
Interessen haben werden und haben müssen---- Der Kampf mit Epidemien,
mit schädlichen Tieren und Insekten kann von einer einzelnen Landschaft nicht


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[0259] Eine Denkschrift des Ministers Witte „Während die Regierung das Streben der Landschaften, im Lande Wurzel zu schlagen, in eine engere Verbindung mit der bäuerlichen Selbstverwaltung zu treten, nicht erlaubte, verhielt sie sich mit womöglich noch größeren Mi߬ trauen gegen die Einigung der landschaftlichen Thätigkeit zur Herstellung einer Verbindung unter den einzelnen Landschaften." „Ganz zu Anfang ihres Be¬ stehens hatten die landschaftlichen Ämter das Recht, unter ihrer Verantwortung und ohne Präventivzensur ihre Berichte, Nnterlcgungen und Journale zu drucken. Damals überboten sich die Zeitungen in dein Eifer, über die Thätigkeit der landschaftlichen Versammlungen zu berichten; die öffentliche Meinung inter¬ essierte sich lebhaft für diese Thätigkeit, und es begann eine Gemeinschaft zwischen landschaftlichen Kreis- und Gubernialämtern aufzutauchen. Aber schou am 13. Juni 1867 erschien ein Allerhöchst bestätigtes Gutachten des Reichs¬ rath, das verbot, ohne vorgängige Erlaubnis der örtlichen Gnbernialobrigleit die in den landschaftlichen, städtischen und ständischen gesellschaftlichen Ver¬ sammlungen gefaßten Beschlüsse, Sitzungsberichte usw. und ebenso die vorher- gegangnen Debatten und Reden z» drücke». Trotz dieser ersten verbietenden Maßregel, deren Wirkung, uach den Worten Koschelews, sehr scharf war, fahren die Landschaften fort, mit allen Kräften nach einer Einigung ihrer Thätigkeit zu ringen. Sie setzten einen gegenseitigen Austausch der Berichte fest und bemühten sich, dem Punkt. . . des Gesetzes über die Landschnfts- institutionen eine weite Anwendung zu geben, durch den ihnen erlaubt war, Beschlüsse zu fassen über Beziehungen oder Vereinbarungen mit andern Ver¬ sammlungen in Sachen, die allgemeine Verordnungen der Regierung und Fragen uach den gesetzlichen Grenzen der Kompetenz der Versammlungen be¬ trafen. Zugleich begannen die Landschaften Gesuche anzuregen um Gestaltung allgemeiner Versammlungen zur Beratung von Fragen, die mehrere Land¬ schaften betrafen, und um Genehmigung der Herausgabe eines gesamtlandschaft¬ lichen gedruckten Organs." „Man muß, so scheint es, anerkennen, daß alle diese Bestrebungen und Gesuche der Landschaften mit dem Grundgedanken des Gesetzes von 1864 übereinstimmten, dessen Ziel eS war, die Landschaften zu einigen, in ihnen eine selbständige und regelrechte öffentliche Meinung heranzubilden." Man muß ebenso zugeben, daß das Streben nach Einigung der landschaftlichen Thätigkeit auch eine tiefe praktische Begründung hatte. Die Zerrissenheit der Landschaften und die Unmöglichkeit geschäftlichen Verkehrs unter ihnen mußten äußerst schädlich auf deu Gang der landschaftlichen Sache wirken: in ihm konnte keine Einheitlichkeit sein, auch in den Zweigen der Wirtschaft, in denen eine solche Einheitlichkeit wesentlich notwendig war, nicht bloß im Interesse der einzelnen Landschaften, sondern auch im Interesse des Reichs---- Weiter kann man die unzweifelhafte Thatsache nicht leugnen, daß die benachbarten Landschaften immer die engsten und unzerreißbar miteinander verbundnen Interessen haben werden und haben müssen---- Der Kampf mit Epidemien, mit schädlichen Tieren und Insekten kann von einer einzelnen Landschaft nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/259>, abgerufen am 18.05.2024.