Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Italien und die albanesische Frage

auf ein paar Hauptpunkte beschränkt, und es darf nur in türkischer Sprache,
die der ungeheuern Mehrheit der Bevölkerung unverständlich ist, telegraphiert
werden; die wenigen Postanstalten für den ausländischen Verkehr sind öster¬
reichisch, für Schulen geschieht von der Regierung aus gar nichts, und
albnnesische Schulen duldet sie überhaupt uicht. Die Rechtspflege ist parteiisch
und kostspielig, also für die Mehrheit der Bevölkerung gar uicht vorhanden,
die Polizei geradezu eine Gefahr für die persönliche Sicherheit, da die Gen¬
darmen mitunter ganz willkürlich, unter irgend einem politischen Vorwande,
Verhaftungen vornehmen, um Geld zu erpresse", oder unter einer Decke mit
den zahlreichen Brigcmten stecken, die, wenn ihnen regelmüßige Schätzungen
geleistet werden, für die Zahlenden die Sicherheit besser verbürgen als die
hohe Polizei. Reisen ins Innere sind darum nur unter bewaffneter Bedeckung
möglich. Die schwere" nud mannigfaltigen Steuern: der Zehnte vou deu
Feldfrüchten, die Taxe von den Schafherden, die Wehrstcuer für die von der
Wehrpflicht befreiten Christen, die Kopfsteuer für das Straßeuwesen, die
Grundsteuer, die Regalien und Monopole (Zölle, Tabak, Salz) lasten so
schwer ans der armen Bevölkerung, daß die Einwohner des Vilajets Jannina,
etwa eine halbe Million Menschen ans 22000 Quadratkilometer, jährlich etwa
10 Millionen Franken aufzubringen haben, also im Durchschnitt 20 Franken
auf den Kopf, und doch werden diese Summen nur zum allerkleinsten Teile
für die Bedürfnisse des Landes verwandt, vielmehr meist für den Hof in Kon-
stantinopel, die hohen Gehalte und andre, illegitime Bedürfnisse der obersten
Beamten, die Besoldung der untern Beamten, der Gendarmerie und des
Militärs, mit der die Regierung doch immer im Rückstände bleibt. Allerdings
sind die Zustände nicht überall gleich. Die Bergstämme des Innern, namentlich
des Nordens, stehn nur unter einer Art von Oberhoheit des Sultans, zahlen
lediglich eine Art von Rekognitionszins, stellen nur für den Kriegsfall ihre
Kontingente und leben im übrigen nach ihrem einheimischen Gewohnheitsrecht
unter dem Regiment ihrer fast erblichen Stammeshäupter und des Rats der
Alten; die Verbindung des Stamms mit dem Vali von Skutari stellt ein dort
wohnender Vertrauensmann, der Bülul'baschi her, und seit einigen Jahren be¬
steht dort auch eine Art von Schiedsgericht für die Streitigkeiten zwischen den
Stämmen, doch ist die Blutrache, die Veudctta, nicht auszurotten. Auch Skutari
hat besondre Borrechte: Befreiung vom Zehnten, von der Straßentaxe und
von der Aushebung auch für die Mohammedaner; aber um so schwerer drücken
die Lasten auf die Teile des Landes, die unmittelbar unter türkischer Herr¬
schaft stehn, am schwersten natürlich auf die grundherrlichen Bauern, die Unter¬
thanen des überall vorwiegenden Großgrnndbesitzes (Tschiflik), die außer den
Leistungen an die Regierung auch einen mehr oder weniger hohen Anteil von
ihren Erzeugnissen an den ihnen oft nach Lebensgewohnheiten, Rasse und
Religion ganz fremden Grundherrn abgeben müssen und dazu auch noch von
den Steuerpächtern in der willkürlichsten Weise übervorteilt werden. Weit
besser ist die Lage der freien Dörfer, deren Bauern Eigentümer ihres Grund


Italien und die albanesische Frage

auf ein paar Hauptpunkte beschränkt, und es darf nur in türkischer Sprache,
die der ungeheuern Mehrheit der Bevölkerung unverständlich ist, telegraphiert
werden; die wenigen Postanstalten für den ausländischen Verkehr sind öster¬
reichisch, für Schulen geschieht von der Regierung aus gar nichts, und
albnnesische Schulen duldet sie überhaupt uicht. Die Rechtspflege ist parteiisch
und kostspielig, also für die Mehrheit der Bevölkerung gar uicht vorhanden,
die Polizei geradezu eine Gefahr für die persönliche Sicherheit, da die Gen¬
darmen mitunter ganz willkürlich, unter irgend einem politischen Vorwande,
Verhaftungen vornehmen, um Geld zu erpresse», oder unter einer Decke mit
den zahlreichen Brigcmten stecken, die, wenn ihnen regelmüßige Schätzungen
geleistet werden, für die Zahlenden die Sicherheit besser verbürgen als die
hohe Polizei. Reisen ins Innere sind darum nur unter bewaffneter Bedeckung
möglich. Die schwere» nud mannigfaltigen Steuern: der Zehnte vou deu
Feldfrüchten, die Taxe von den Schafherden, die Wehrstcuer für die von der
Wehrpflicht befreiten Christen, die Kopfsteuer für das Straßeuwesen, die
Grundsteuer, die Regalien und Monopole (Zölle, Tabak, Salz) lasten so
schwer ans der armen Bevölkerung, daß die Einwohner des Vilajets Jannina,
etwa eine halbe Million Menschen ans 22000 Quadratkilometer, jährlich etwa
10 Millionen Franken aufzubringen haben, also im Durchschnitt 20 Franken
auf den Kopf, und doch werden diese Summen nur zum allerkleinsten Teile
für die Bedürfnisse des Landes verwandt, vielmehr meist für den Hof in Kon-
stantinopel, die hohen Gehalte und andre, illegitime Bedürfnisse der obersten
Beamten, die Besoldung der untern Beamten, der Gendarmerie und des
Militärs, mit der die Regierung doch immer im Rückstände bleibt. Allerdings
sind die Zustände nicht überall gleich. Die Bergstämme des Innern, namentlich
des Nordens, stehn nur unter einer Art von Oberhoheit des Sultans, zahlen
lediglich eine Art von Rekognitionszins, stellen nur für den Kriegsfall ihre
Kontingente und leben im übrigen nach ihrem einheimischen Gewohnheitsrecht
unter dem Regiment ihrer fast erblichen Stammeshäupter und des Rats der
Alten; die Verbindung des Stamms mit dem Vali von Skutari stellt ein dort
wohnender Vertrauensmann, der Bülul'baschi her, und seit einigen Jahren be¬
steht dort auch eine Art von Schiedsgericht für die Streitigkeiten zwischen den
Stämmen, doch ist die Blutrache, die Veudctta, nicht auszurotten. Auch Skutari
hat besondre Borrechte: Befreiung vom Zehnten, von der Straßentaxe und
von der Aushebung auch für die Mohammedaner; aber um so schwerer drücken
die Lasten auf die Teile des Landes, die unmittelbar unter türkischer Herr¬
schaft stehn, am schwersten natürlich auf die grundherrlichen Bauern, die Unter¬
thanen des überall vorwiegenden Großgrnndbesitzes (Tschiflik), die außer den
Leistungen an die Regierung auch einen mehr oder weniger hohen Anteil von
ihren Erzeugnissen an den ihnen oft nach Lebensgewohnheiten, Rasse und
Religion ganz fremden Grundherrn abgeben müssen und dazu auch noch von
den Steuerpächtern in der willkürlichsten Weise übervorteilt werden. Weit
besser ist die Lage der freien Dörfer, deren Bauern Eigentümer ihres Grund


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0298" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/235470"/>
          <fw type="header" place="top"> Italien und die albanesische Frage</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1455" prev="#ID_1454" next="#ID_1456"> auf ein paar Hauptpunkte beschränkt, und es darf nur in türkischer Sprache,<lb/>
die der ungeheuern Mehrheit der Bevölkerung unverständlich ist, telegraphiert<lb/>
werden; die wenigen Postanstalten für den ausländischen Verkehr sind öster¬<lb/>
reichisch, für Schulen geschieht von der Regierung aus gar nichts, und<lb/>
albnnesische Schulen duldet sie überhaupt uicht. Die Rechtspflege ist parteiisch<lb/>
und kostspielig, also für die Mehrheit der Bevölkerung gar uicht vorhanden,<lb/>
die Polizei geradezu eine Gefahr für die persönliche Sicherheit, da die Gen¬<lb/>
darmen mitunter ganz willkürlich, unter irgend einem politischen Vorwande,<lb/>
Verhaftungen vornehmen, um Geld zu erpresse», oder unter einer Decke mit<lb/>
den zahlreichen Brigcmten stecken, die, wenn ihnen regelmüßige Schätzungen<lb/>
geleistet werden, für die Zahlenden die Sicherheit besser verbürgen als die<lb/>
hohe Polizei. Reisen ins Innere sind darum nur unter bewaffneter Bedeckung<lb/>
möglich. Die schwere» nud mannigfaltigen Steuern: der Zehnte vou deu<lb/>
Feldfrüchten, die Taxe von den Schafherden, die Wehrstcuer für die von der<lb/>
Wehrpflicht befreiten Christen, die Kopfsteuer für das Straßeuwesen, die<lb/>
Grundsteuer, die Regalien und Monopole (Zölle, Tabak, Salz) lasten so<lb/>
schwer ans der armen Bevölkerung, daß die Einwohner des Vilajets Jannina,<lb/>
etwa eine halbe Million Menschen ans 22000 Quadratkilometer, jährlich etwa<lb/>
10 Millionen Franken aufzubringen haben, also im Durchschnitt 20 Franken<lb/>
auf den Kopf, und doch werden diese Summen nur zum allerkleinsten Teile<lb/>
für die Bedürfnisse des Landes verwandt, vielmehr meist für den Hof in Kon-<lb/>
stantinopel, die hohen Gehalte und andre, illegitime Bedürfnisse der obersten<lb/>
Beamten, die Besoldung der untern Beamten, der Gendarmerie und des<lb/>
Militärs, mit der die Regierung doch immer im Rückstände bleibt. Allerdings<lb/>
sind die Zustände nicht überall gleich. Die Bergstämme des Innern, namentlich<lb/>
des Nordens, stehn nur unter einer Art von Oberhoheit des Sultans, zahlen<lb/>
lediglich eine Art von Rekognitionszins, stellen nur für den Kriegsfall ihre<lb/>
Kontingente und leben im übrigen nach ihrem einheimischen Gewohnheitsrecht<lb/>
unter dem Regiment ihrer fast erblichen Stammeshäupter und des Rats der<lb/>
Alten; die Verbindung des Stamms mit dem Vali von Skutari stellt ein dort<lb/>
wohnender Vertrauensmann, der Bülul'baschi her, und seit einigen Jahren be¬<lb/>
steht dort auch eine Art von Schiedsgericht für die Streitigkeiten zwischen den<lb/>
Stämmen, doch ist die Blutrache, die Veudctta, nicht auszurotten. Auch Skutari<lb/>
hat besondre Borrechte: Befreiung vom Zehnten, von der Straßentaxe und<lb/>
von der Aushebung auch für die Mohammedaner; aber um so schwerer drücken<lb/>
die Lasten auf die Teile des Landes, die unmittelbar unter türkischer Herr¬<lb/>
schaft stehn, am schwersten natürlich auf die grundherrlichen Bauern, die Unter¬<lb/>
thanen des überall vorwiegenden Großgrnndbesitzes (Tschiflik), die außer den<lb/>
Leistungen an die Regierung auch einen mehr oder weniger hohen Anteil von<lb/>
ihren Erzeugnissen an den ihnen oft nach Lebensgewohnheiten, Rasse und<lb/>
Religion ganz fremden Grundherrn abgeben müssen und dazu auch noch von<lb/>
den Steuerpächtern in der willkürlichsten Weise übervorteilt werden. Weit<lb/>
besser ist die Lage der freien Dörfer, deren Bauern Eigentümer ihres Grund</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0298] Italien und die albanesische Frage auf ein paar Hauptpunkte beschränkt, und es darf nur in türkischer Sprache, die der ungeheuern Mehrheit der Bevölkerung unverständlich ist, telegraphiert werden; die wenigen Postanstalten für den ausländischen Verkehr sind öster¬ reichisch, für Schulen geschieht von der Regierung aus gar nichts, und albnnesische Schulen duldet sie überhaupt uicht. Die Rechtspflege ist parteiisch und kostspielig, also für die Mehrheit der Bevölkerung gar uicht vorhanden, die Polizei geradezu eine Gefahr für die persönliche Sicherheit, da die Gen¬ darmen mitunter ganz willkürlich, unter irgend einem politischen Vorwande, Verhaftungen vornehmen, um Geld zu erpresse», oder unter einer Decke mit den zahlreichen Brigcmten stecken, die, wenn ihnen regelmüßige Schätzungen geleistet werden, für die Zahlenden die Sicherheit besser verbürgen als die hohe Polizei. Reisen ins Innere sind darum nur unter bewaffneter Bedeckung möglich. Die schwere» nud mannigfaltigen Steuern: der Zehnte vou deu Feldfrüchten, die Taxe von den Schafherden, die Wehrstcuer für die von der Wehrpflicht befreiten Christen, die Kopfsteuer für das Straßeuwesen, die Grundsteuer, die Regalien und Monopole (Zölle, Tabak, Salz) lasten so schwer ans der armen Bevölkerung, daß die Einwohner des Vilajets Jannina, etwa eine halbe Million Menschen ans 22000 Quadratkilometer, jährlich etwa 10 Millionen Franken aufzubringen haben, also im Durchschnitt 20 Franken auf den Kopf, und doch werden diese Summen nur zum allerkleinsten Teile für die Bedürfnisse des Landes verwandt, vielmehr meist für den Hof in Kon- stantinopel, die hohen Gehalte und andre, illegitime Bedürfnisse der obersten Beamten, die Besoldung der untern Beamten, der Gendarmerie und des Militärs, mit der die Regierung doch immer im Rückstände bleibt. Allerdings sind die Zustände nicht überall gleich. Die Bergstämme des Innern, namentlich des Nordens, stehn nur unter einer Art von Oberhoheit des Sultans, zahlen lediglich eine Art von Rekognitionszins, stellen nur für den Kriegsfall ihre Kontingente und leben im übrigen nach ihrem einheimischen Gewohnheitsrecht unter dem Regiment ihrer fast erblichen Stammeshäupter und des Rats der Alten; die Verbindung des Stamms mit dem Vali von Skutari stellt ein dort wohnender Vertrauensmann, der Bülul'baschi her, und seit einigen Jahren be¬ steht dort auch eine Art von Schiedsgericht für die Streitigkeiten zwischen den Stämmen, doch ist die Blutrache, die Veudctta, nicht auszurotten. Auch Skutari hat besondre Borrechte: Befreiung vom Zehnten, von der Straßentaxe und von der Aushebung auch für die Mohammedaner; aber um so schwerer drücken die Lasten auf die Teile des Landes, die unmittelbar unter türkischer Herr¬ schaft stehn, am schwersten natürlich auf die grundherrlichen Bauern, die Unter¬ thanen des überall vorwiegenden Großgrnndbesitzes (Tschiflik), die außer den Leistungen an die Regierung auch einen mehr oder weniger hohen Anteil von ihren Erzeugnissen an den ihnen oft nach Lebensgewohnheiten, Rasse und Religion ganz fremden Grundherrn abgeben müssen und dazu auch noch von den Steuerpächtern in der willkürlichsten Weise übervorteilt werden. Weit besser ist die Lage der freien Dörfer, deren Bauern Eigentümer ihres Grund

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/298
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/298>, abgerufen am 11.05.2024.