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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Italien und die albanesische Frage

und Bodens sind und schon in ihrem Auftreten wie in ihren soliden, rein¬
lichen, gut gehaltnen Häusern einen leidlichen Wohlstand verraten, während
die bei weitem zahlreichern grundherrlichen Dörfer schon aus ihren kümmer¬
lichen, elenden Hütten die jämmerliche Lage ihrer Bewohner erkennen lassen.

Alles in allem ist also Albanien bei weitem nicht das, was es nach der
Tüchtigkeit seiner Bevölkerung und der natürlichen Fruchtbarkeit seiner wasser¬
reichen Thäler und Ebnen, wo überall Mais, Tabak, Oliven und ein üppiger
Baumwuchs, namentlich prachtvolle Platanen von oft riesiger Größe gedeihen,
sein könnte, denn eS wird nicht zum Nutzen des Landes, sondern lediglich im
Interesse seiner Herren, eben auf gut türkisch, regiert. Darum ist die Unzu¬
friedenheit allgemein, und das Brigantcnwesen namentlich in Epirus so wenig
ausrottbar, daß die Regierung es als "eine natürliche Sache" resigniert hin¬
nimmt.

Und die Zukunft? Die eigentlichen Albanesen (Schkipetar), die Nachkommen
der alten Jllyrier (jetzt etwa 1600000 Köpfe), sind seit Jahrhunderten als tapfre
Leute, als "beherzte Totschläger" bekannt und haben diesen Ruf noch im jüngsten
türkisch-rnssjschen Kriege 1877/78 so gut wie in Bosnien gegen die Österreicher
bewährt. Aber sie werden freilich durch die Gegensätze der Stämme, der Reli¬
gionen und der Konfessionen in zahlreiche hadernde Gruppen zerrissen, und
der ganze Süden des Landes, das Vilnjet Jannina, das alte Epirus bis zum
Kalamas, ist der Bevölkerung nach griechisch, nicht albancsisch. Die Albanesen
selbst sind im Süden, im obern Thale der Vojuzza und an der ganzen Küste
bis Vallona hin griechisch-orthodox, in der Mitte und im Nordosten moham¬
medanisch, im Norden, um Stutciri und im Gebiete des Drin römisch-katho¬
lisch, und im ganzen Orient bedeutet die kirchliche Zugehörigkeit gemeinhin
mehr als die Nationalität. So hat sich das albanesische Nationalgefühl bis
jetzt gewissermaßen nnr negativ, in dem trotzigen Selbstbewußtsein gegen alle
Fremden und in dem Hasse gegen die Slawen, namentlich die Montenegriner,
geäußert. Immerhin konnte sich die albanesische Liga von Prisrcnd, die sich
aus Männern ganz Albaniens ohne Unterschied der Religion und des Stammes
zusammensetzte, jahrelang, 1876 bis 1880, behaupten und den Plänen der
europäischen Diplomatie ans eine weitergehende Aufteilung des Landes zu
Gunsten Montenegros und Griechenlands wirksam entgegentreten. Die Hoff¬
nung, daß sich das albanesische Nationalgefühl bis zu positiven politischen
Leistungen und Plänen verstärke, ist also gewiß nicht ganz eitel.

Vielleicht beschleunigen die einander widerstreitenden Einflüsse der fremden
Mächte diesen Prozeß. Montenegro, von der "österreichischen Zange" von
allen andern Seiten her gepackt und von der natürlichen Verbindung mit den
durch Rasse, Religion und Geschichte ihm nächststehenden Slawen der Balkan¬
halbinsel abgeschnitten, möchte sich um liebsten den ganzen Norden Albaniens
anfügen. Von Süden her betreibt Griechenland weit über die Grenzen seiner
Nationalität in Epirus hinaus eine überaus rührige Propaganda durch deu
w ganz Albanien verbreiteten orthodoxen Klerus, durch die zahlreichen grie-


Italien und die albanesische Frage

und Bodens sind und schon in ihrem Auftreten wie in ihren soliden, rein¬
lichen, gut gehaltnen Häusern einen leidlichen Wohlstand verraten, während
die bei weitem zahlreichern grundherrlichen Dörfer schon aus ihren kümmer¬
lichen, elenden Hütten die jämmerliche Lage ihrer Bewohner erkennen lassen.

Alles in allem ist also Albanien bei weitem nicht das, was es nach der
Tüchtigkeit seiner Bevölkerung und der natürlichen Fruchtbarkeit seiner wasser¬
reichen Thäler und Ebnen, wo überall Mais, Tabak, Oliven und ein üppiger
Baumwuchs, namentlich prachtvolle Platanen von oft riesiger Größe gedeihen,
sein könnte, denn eS wird nicht zum Nutzen des Landes, sondern lediglich im
Interesse seiner Herren, eben auf gut türkisch, regiert. Darum ist die Unzu¬
friedenheit allgemein, und das Brigantcnwesen namentlich in Epirus so wenig
ausrottbar, daß die Regierung es als „eine natürliche Sache" resigniert hin¬
nimmt.

Und die Zukunft? Die eigentlichen Albanesen (Schkipetar), die Nachkommen
der alten Jllyrier (jetzt etwa 1600000 Köpfe), sind seit Jahrhunderten als tapfre
Leute, als „beherzte Totschläger" bekannt und haben diesen Ruf noch im jüngsten
türkisch-rnssjschen Kriege 1877/78 so gut wie in Bosnien gegen die Österreicher
bewährt. Aber sie werden freilich durch die Gegensätze der Stämme, der Reli¬
gionen und der Konfessionen in zahlreiche hadernde Gruppen zerrissen, und
der ganze Süden des Landes, das Vilnjet Jannina, das alte Epirus bis zum
Kalamas, ist der Bevölkerung nach griechisch, nicht albancsisch. Die Albanesen
selbst sind im Süden, im obern Thale der Vojuzza und an der ganzen Küste
bis Vallona hin griechisch-orthodox, in der Mitte und im Nordosten moham¬
medanisch, im Norden, um Stutciri und im Gebiete des Drin römisch-katho¬
lisch, und im ganzen Orient bedeutet die kirchliche Zugehörigkeit gemeinhin
mehr als die Nationalität. So hat sich das albanesische Nationalgefühl bis
jetzt gewissermaßen nnr negativ, in dem trotzigen Selbstbewußtsein gegen alle
Fremden und in dem Hasse gegen die Slawen, namentlich die Montenegriner,
geäußert. Immerhin konnte sich die albanesische Liga von Prisrcnd, die sich
aus Männern ganz Albaniens ohne Unterschied der Religion und des Stammes
zusammensetzte, jahrelang, 1876 bis 1880, behaupten und den Plänen der
europäischen Diplomatie ans eine weitergehende Aufteilung des Landes zu
Gunsten Montenegros und Griechenlands wirksam entgegentreten. Die Hoff¬
nung, daß sich das albanesische Nationalgefühl bis zu positiven politischen
Leistungen und Plänen verstärke, ist also gewiß nicht ganz eitel.

Vielleicht beschleunigen die einander widerstreitenden Einflüsse der fremden
Mächte diesen Prozeß. Montenegro, von der „österreichischen Zange" von
allen andern Seiten her gepackt und von der natürlichen Verbindung mit den
durch Rasse, Religion und Geschichte ihm nächststehenden Slawen der Balkan¬
halbinsel abgeschnitten, möchte sich um liebsten den ganzen Norden Albaniens
anfügen. Von Süden her betreibt Griechenland weit über die Grenzen seiner
Nationalität in Epirus hinaus eine überaus rührige Propaganda durch deu
w ganz Albanien verbreiteten orthodoxen Klerus, durch die zahlreichen grie-


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[0299] Italien und die albanesische Frage und Bodens sind und schon in ihrem Auftreten wie in ihren soliden, rein¬ lichen, gut gehaltnen Häusern einen leidlichen Wohlstand verraten, während die bei weitem zahlreichern grundherrlichen Dörfer schon aus ihren kümmer¬ lichen, elenden Hütten die jämmerliche Lage ihrer Bewohner erkennen lassen. Alles in allem ist also Albanien bei weitem nicht das, was es nach der Tüchtigkeit seiner Bevölkerung und der natürlichen Fruchtbarkeit seiner wasser¬ reichen Thäler und Ebnen, wo überall Mais, Tabak, Oliven und ein üppiger Baumwuchs, namentlich prachtvolle Platanen von oft riesiger Größe gedeihen, sein könnte, denn eS wird nicht zum Nutzen des Landes, sondern lediglich im Interesse seiner Herren, eben auf gut türkisch, regiert. Darum ist die Unzu¬ friedenheit allgemein, und das Brigantcnwesen namentlich in Epirus so wenig ausrottbar, daß die Regierung es als „eine natürliche Sache" resigniert hin¬ nimmt. Und die Zukunft? Die eigentlichen Albanesen (Schkipetar), die Nachkommen der alten Jllyrier (jetzt etwa 1600000 Köpfe), sind seit Jahrhunderten als tapfre Leute, als „beherzte Totschläger" bekannt und haben diesen Ruf noch im jüngsten türkisch-rnssjschen Kriege 1877/78 so gut wie in Bosnien gegen die Österreicher bewährt. Aber sie werden freilich durch die Gegensätze der Stämme, der Reli¬ gionen und der Konfessionen in zahlreiche hadernde Gruppen zerrissen, und der ganze Süden des Landes, das Vilnjet Jannina, das alte Epirus bis zum Kalamas, ist der Bevölkerung nach griechisch, nicht albancsisch. Die Albanesen selbst sind im Süden, im obern Thale der Vojuzza und an der ganzen Küste bis Vallona hin griechisch-orthodox, in der Mitte und im Nordosten moham¬ medanisch, im Norden, um Stutciri und im Gebiete des Drin römisch-katho¬ lisch, und im ganzen Orient bedeutet die kirchliche Zugehörigkeit gemeinhin mehr als die Nationalität. So hat sich das albanesische Nationalgefühl bis jetzt gewissermaßen nnr negativ, in dem trotzigen Selbstbewußtsein gegen alle Fremden und in dem Hasse gegen die Slawen, namentlich die Montenegriner, geäußert. Immerhin konnte sich die albanesische Liga von Prisrcnd, die sich aus Männern ganz Albaniens ohne Unterschied der Religion und des Stammes zusammensetzte, jahrelang, 1876 bis 1880, behaupten und den Plänen der europäischen Diplomatie ans eine weitergehende Aufteilung des Landes zu Gunsten Montenegros und Griechenlands wirksam entgegentreten. Die Hoff¬ nung, daß sich das albanesische Nationalgefühl bis zu positiven politischen Leistungen und Plänen verstärke, ist also gewiß nicht ganz eitel. Vielleicht beschleunigen die einander widerstreitenden Einflüsse der fremden Mächte diesen Prozeß. Montenegro, von der „österreichischen Zange" von allen andern Seiten her gepackt und von der natürlichen Verbindung mit den durch Rasse, Religion und Geschichte ihm nächststehenden Slawen der Balkan¬ halbinsel abgeschnitten, möchte sich um liebsten den ganzen Norden Albaniens anfügen. Von Süden her betreibt Griechenland weit über die Grenzen seiner Nationalität in Epirus hinaus eine überaus rührige Propaganda durch deu w ganz Albanien verbreiteten orthodoxen Klerus, durch die zahlreichen grie-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/299>, abgerufen am 23.05.2024.