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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Zur modernen Litteratur, na>merklich des Dramas

Kleist und Grillparzer und Hebbel und Otto Ludwig selbst mit, von andern
nicht zu reden, und es bliebe nichts als das moderne naturalistische Milieu-
drama oder, da man auch an diesem schon wieder verzweifelt, das Dunkel und
das Leere. Was helfen uns alle windigen Anweisungen auf eine Zukunft
des Dramas, von der uns niemand etwas klares und 0erumiftia.es sagen kann?
Wir haben uns zunächst an das deutsche Drama zu halten, das Nur haben,
und hier steht Schiller immer noch in erster Reihe. Zuerst dürfen wir noch
immer wieder bei ihm lernen, was bei ihm zu lernen ist; dann, aber auch
nur dann können wir daran denken, vielleicht auch noch einmal über ihn
hinauszukommen. Lasse man auch uur in den Jugenddramcn soviel, wie
Otto Ludwig ihnen noch zugestanden habe, gelte", so bedeute das doch für
die Gesamtentwicklung des Dramas schon weit mehr als die anderthalb Jahr¬
zehnte, in denen die Technik der Modernen emporgekommen sei. Gern hören
wir auch Weitbrecht aufs neue wieder sprechen von den Arten der Schillerschen
Lhrik und ihren für die Gegenwart heilsamen Kräften. Er setzt unserm
femininen Litteratentnm, das vom Übermenschen schwatzt, die Kraft- und
Herrennatur Schillers entgegen, der trotz allein Leiden jede Aufgabe tapfer
anpackte, und als schon die Schatten des Todes heranschritten, noch Werk ans
Werk setzte und jeden Schritt des Lebens entschlossen verteidigte. -- Es gehört
ja wohl mit zur Entwicklung eines gebildeten Menschen, daß er das allbe¬
kannte Pathos Schillers einmal als etwas nberwnndnes empfindet, aber viel
später kommt uns allen dann die Zeit, wo wir den großartigen Zug seines
Wesens, aus dem es hervorging, erst innerlich begreifen und auf uns wirken
lassen können, wenn wir wollen. In den dazwischen liegenden Jahrgängen
gilt der Lehrsatz: Schiller hat nnr für die Ghmnasiasten geschrieben. Ist
Weitbrecht mit dieser Formel ungefähr einverstanden, so kann er dein Spiel
der Kräfte gelassener zusehen und den jungen Herren seine Wahrheiten künftig
auch noch eine Note freundlicher sagen, was ihrer Wirkung nnr zu gute
kommen wird.

Wir empfehle" bei diesen: Anlaß noch Weitbrechts in zwei Bändchen der
"Sammlung Göschen" erschienene "Deutsche Litteraturgeschichte des neunzehnten
Jahrhunderts," namentlich deren zwei letzte Kapitel: Nationale Einigung und
geistige Entartung und Die Moderne, weil hier ernstlich und, wie uns scheint,
mit Glück der Versuch gemacht wird, das Maß des wirklich Geleisteten in
ruhiger Abschätzung festzulegen. Wir können nicht auf Einzelheiten eingehn,
stimmen auch nicht mit allem überein, finden z. B., daß sein Landsmann
Christian Wagner ein langweiliger Peter ist und in eine so kurze Litteratur¬
geschichte gar uicht gehört, aber wir bekennen, daß uns die Lektüre sehr viel
Freude gemacht hat.

Zwei Broschüren aus dem Verlage von Hermann Walther in Berlin:
"Los von Hauptmann" von Hans Landsberg und "Nieder mit dem Realis¬
mus" von Paul Neumnnn führen uns auf einen enger abgesteckten Kampf¬
platz. Sie sind beide gut geschrieben, voller Begeistrung für die klassische Kunst,


Zur modernen Litteratur, na>merklich des Dramas

Kleist und Grillparzer und Hebbel und Otto Ludwig selbst mit, von andern
nicht zu reden, und es bliebe nichts als das moderne naturalistische Milieu-
drama oder, da man auch an diesem schon wieder verzweifelt, das Dunkel und
das Leere. Was helfen uns alle windigen Anweisungen auf eine Zukunft
des Dramas, von der uns niemand etwas klares und 0erumiftia.es sagen kann?
Wir haben uns zunächst an das deutsche Drama zu halten, das Nur haben,
und hier steht Schiller immer noch in erster Reihe. Zuerst dürfen wir noch
immer wieder bei ihm lernen, was bei ihm zu lernen ist; dann, aber auch
nur dann können wir daran denken, vielleicht auch noch einmal über ihn
hinauszukommen. Lasse man auch uur in den Jugenddramcn soviel, wie
Otto Ludwig ihnen noch zugestanden habe, gelte», so bedeute das doch für
die Gesamtentwicklung des Dramas schon weit mehr als die anderthalb Jahr¬
zehnte, in denen die Technik der Modernen emporgekommen sei. Gern hören
wir auch Weitbrecht aufs neue wieder sprechen von den Arten der Schillerschen
Lhrik und ihren für die Gegenwart heilsamen Kräften. Er setzt unserm
femininen Litteratentnm, das vom Übermenschen schwatzt, die Kraft- und
Herrennatur Schillers entgegen, der trotz allein Leiden jede Aufgabe tapfer
anpackte, und als schon die Schatten des Todes heranschritten, noch Werk ans
Werk setzte und jeden Schritt des Lebens entschlossen verteidigte. — Es gehört
ja wohl mit zur Entwicklung eines gebildeten Menschen, daß er das allbe¬
kannte Pathos Schillers einmal als etwas nberwnndnes empfindet, aber viel
später kommt uns allen dann die Zeit, wo wir den großartigen Zug seines
Wesens, aus dem es hervorging, erst innerlich begreifen und auf uns wirken
lassen können, wenn wir wollen. In den dazwischen liegenden Jahrgängen
gilt der Lehrsatz: Schiller hat nnr für die Ghmnasiasten geschrieben. Ist
Weitbrecht mit dieser Formel ungefähr einverstanden, so kann er dein Spiel
der Kräfte gelassener zusehen und den jungen Herren seine Wahrheiten künftig
auch noch eine Note freundlicher sagen, was ihrer Wirkung nnr zu gute
kommen wird.

Wir empfehle» bei diesen: Anlaß noch Weitbrechts in zwei Bändchen der
„Sammlung Göschen" erschienene „Deutsche Litteraturgeschichte des neunzehnten
Jahrhunderts," namentlich deren zwei letzte Kapitel: Nationale Einigung und
geistige Entartung und Die Moderne, weil hier ernstlich und, wie uns scheint,
mit Glück der Versuch gemacht wird, das Maß des wirklich Geleisteten in
ruhiger Abschätzung festzulegen. Wir können nicht auf Einzelheiten eingehn,
stimmen auch nicht mit allem überein, finden z. B., daß sein Landsmann
Christian Wagner ein langweiliger Peter ist und in eine so kurze Litteratur¬
geschichte gar uicht gehört, aber wir bekennen, daß uns die Lektüre sehr viel
Freude gemacht hat.

Zwei Broschüren aus dem Verlage von Hermann Walther in Berlin:
„Los von Hauptmann" von Hans Landsberg und „Nieder mit dem Realis¬
mus" von Paul Neumnnn führen uns auf einen enger abgesteckten Kampf¬
platz. Sie sind beide gut geschrieben, voller Begeistrung für die klassische Kunst,


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[0328] Zur modernen Litteratur, na>merklich des Dramas Kleist und Grillparzer und Hebbel und Otto Ludwig selbst mit, von andern nicht zu reden, und es bliebe nichts als das moderne naturalistische Milieu- drama oder, da man auch an diesem schon wieder verzweifelt, das Dunkel und das Leere. Was helfen uns alle windigen Anweisungen auf eine Zukunft des Dramas, von der uns niemand etwas klares und 0erumiftia.es sagen kann? Wir haben uns zunächst an das deutsche Drama zu halten, das Nur haben, und hier steht Schiller immer noch in erster Reihe. Zuerst dürfen wir noch immer wieder bei ihm lernen, was bei ihm zu lernen ist; dann, aber auch nur dann können wir daran denken, vielleicht auch noch einmal über ihn hinauszukommen. Lasse man auch uur in den Jugenddramcn soviel, wie Otto Ludwig ihnen noch zugestanden habe, gelte», so bedeute das doch für die Gesamtentwicklung des Dramas schon weit mehr als die anderthalb Jahr¬ zehnte, in denen die Technik der Modernen emporgekommen sei. Gern hören wir auch Weitbrecht aufs neue wieder sprechen von den Arten der Schillerschen Lhrik und ihren für die Gegenwart heilsamen Kräften. Er setzt unserm femininen Litteratentnm, das vom Übermenschen schwatzt, die Kraft- und Herrennatur Schillers entgegen, der trotz allein Leiden jede Aufgabe tapfer anpackte, und als schon die Schatten des Todes heranschritten, noch Werk ans Werk setzte und jeden Schritt des Lebens entschlossen verteidigte. — Es gehört ja wohl mit zur Entwicklung eines gebildeten Menschen, daß er das allbe¬ kannte Pathos Schillers einmal als etwas nberwnndnes empfindet, aber viel später kommt uns allen dann die Zeit, wo wir den großartigen Zug seines Wesens, aus dem es hervorging, erst innerlich begreifen und auf uns wirken lassen können, wenn wir wollen. In den dazwischen liegenden Jahrgängen gilt der Lehrsatz: Schiller hat nnr für die Ghmnasiasten geschrieben. Ist Weitbrecht mit dieser Formel ungefähr einverstanden, so kann er dein Spiel der Kräfte gelassener zusehen und den jungen Herren seine Wahrheiten künftig auch noch eine Note freundlicher sagen, was ihrer Wirkung nnr zu gute kommen wird. Wir empfehle» bei diesen: Anlaß noch Weitbrechts in zwei Bändchen der „Sammlung Göschen" erschienene „Deutsche Litteraturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts," namentlich deren zwei letzte Kapitel: Nationale Einigung und geistige Entartung und Die Moderne, weil hier ernstlich und, wie uns scheint, mit Glück der Versuch gemacht wird, das Maß des wirklich Geleisteten in ruhiger Abschätzung festzulegen. Wir können nicht auf Einzelheiten eingehn, stimmen auch nicht mit allem überein, finden z. B., daß sein Landsmann Christian Wagner ein langweiliger Peter ist und in eine so kurze Litteratur¬ geschichte gar uicht gehört, aber wir bekennen, daß uns die Lektüre sehr viel Freude gemacht hat. Zwei Broschüren aus dem Verlage von Hermann Walther in Berlin: „Los von Hauptmann" von Hans Landsberg und „Nieder mit dem Realis¬ mus" von Paul Neumnnn führen uns auf einen enger abgesteckten Kampf¬ platz. Sie sind beide gut geschrieben, voller Begeistrung für die klassische Kunst,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/328>, abgerufen am 06.06.2024.