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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Viktor Lmanuel III,

für Schüler und Lehrer, hatte diese strengstens angewiesen, den Prinzen genau
wie jeden andern Zögling zu behandeln. Wenn z. B. während der Schulstunden
etwas herbeizuholen war, mußte der Prinz gehn; fiel ein Buch zur Erde, mußte
es der Prinz aufheben und nicht der Lehrer. Den Lehrern war vom Obersten
für den Fall des Znwiderhandelns gegen seine Vorschriften kürzester Prozeß
in Aussicht gestellt, "denn es kämen zu wichtige Interessen in Frage."

Mit dem Glockenschlage sieben Uhr, "wenn das halbe Rom noch schlief,"
begannen die Stunden. Der Prinz mußte dann schon gebadet und das erste
Frühstück eingenommen haben. Hatte er sich einmal verschlafen, so fiel das
Frühstück ans, aber die Lektionen begannen zur vorgeschriebnen Minute. Beim
Beginn war Oberst Ohio jederzeit zugegen, und schlug der Schluß der Stunde,
so hörten die Lehrer draußen seinen sporenklirrenden, zum Prinzenzimmer
strebenden Schritt. Die Beschäftigung des Prinzen wechselte planmäßig zwischen
Lehrstunden und Körperübungen; an jedem Tage wurde, ohne Rücksicht auf
die Witterung, geritten. Auch die Jagd hatte ihre ganz bestimmten Zeiten:
mit zwölf Jahren war der Prinz schon ein guter Schütze.

Früh sechs Uhr aufstehn im Winter wie im Sommer, abends neun Uhr
zu Bett, Donnerstags wie an den Sonn- und Feiertagen keine Stunden, dafür
aber häusliche Arbeiten, das war das Tagewerk, von dem unter keinen Um¬
ständen abgewichen wurde; sogar die hohen Eltern baten ein paarmal vergebens
um eine kleine Abänderung. Nur zu Gunsten des Theaters ließ sich der Oberst
gelegentlich einmal erweichen und zwar aus einem jedesmal hervorgehobnen
doppelten Grunde: zur Belehrung und zur Belohnung für besonders gute
Leistungen.

Das eigentliche Schuljahr dauerte vom November bis zum Juni, ohne
irgend welche Ferien dazwischen. Sogar der Tag vor Weihnachten machte keine
Ausnahme. Und auch während der Monate Juli bis September einschließlich
gab es keine vollständige Ruhe, sondern immer geistige Beschäftigung und an¬
regendes Lernen. Überhaupt wurde der Prinz von vornherein an eine nie
unterbrochnc Thätigkeit gewöhnte

Morcmdi schildert ihn als einen geweckten, wißbegierigen, mit gutem Ge¬
dächtnis begabten und seinen Lehrern offen entgegenkommenden Knaben und
Jüngling, der eine rasche Auffassungsgabe hatte, und den darum Wiederholungen
langweilten. So mußten die Lehrer im allgemeinen rasch vorwärts gehn. Eines
eigentlichen Ansporns bedürfte es bei dem ehrgeizigen Knaben kaum, und seine
Winke genügten, ihn auf den gewünschten Weg zu leiten. Deshalb waren
Strafen so gut wie unnötig. Fand Oberst Ohio aber einmal Gelegenheit zum
Tadel, so sprach er sich recht derb aus. Er hatte den Prinzen so am Bärbel,
daß er scherzend sagen konnte: "Der Prinz kann alles, was -- ich will."

Den Beschluß jedes Schuljahrs machte eine feierliche Prüfung des Prinzen
in Gegenwart der Eltern, sowie des Kriegsministers. Der Prinz bestand allemal
ans das glänzendste, und Morandi verzeichnet einen Ausspruch von ihm, den
er vor der Prüfung gethan hatte: "Es wäre ja um aus dem Fenster zu springen,


Viktor Lmanuel III,

für Schüler und Lehrer, hatte diese strengstens angewiesen, den Prinzen genau
wie jeden andern Zögling zu behandeln. Wenn z. B. während der Schulstunden
etwas herbeizuholen war, mußte der Prinz gehn; fiel ein Buch zur Erde, mußte
es der Prinz aufheben und nicht der Lehrer. Den Lehrern war vom Obersten
für den Fall des Znwiderhandelns gegen seine Vorschriften kürzester Prozeß
in Aussicht gestellt, „denn es kämen zu wichtige Interessen in Frage."

Mit dem Glockenschlage sieben Uhr, „wenn das halbe Rom noch schlief,"
begannen die Stunden. Der Prinz mußte dann schon gebadet und das erste
Frühstück eingenommen haben. Hatte er sich einmal verschlafen, so fiel das
Frühstück ans, aber die Lektionen begannen zur vorgeschriebnen Minute. Beim
Beginn war Oberst Ohio jederzeit zugegen, und schlug der Schluß der Stunde,
so hörten die Lehrer draußen seinen sporenklirrenden, zum Prinzenzimmer
strebenden Schritt. Die Beschäftigung des Prinzen wechselte planmäßig zwischen
Lehrstunden und Körperübungen; an jedem Tage wurde, ohne Rücksicht auf
die Witterung, geritten. Auch die Jagd hatte ihre ganz bestimmten Zeiten:
mit zwölf Jahren war der Prinz schon ein guter Schütze.

Früh sechs Uhr aufstehn im Winter wie im Sommer, abends neun Uhr
zu Bett, Donnerstags wie an den Sonn- und Feiertagen keine Stunden, dafür
aber häusliche Arbeiten, das war das Tagewerk, von dem unter keinen Um¬
ständen abgewichen wurde; sogar die hohen Eltern baten ein paarmal vergebens
um eine kleine Abänderung. Nur zu Gunsten des Theaters ließ sich der Oberst
gelegentlich einmal erweichen und zwar aus einem jedesmal hervorgehobnen
doppelten Grunde: zur Belehrung und zur Belohnung für besonders gute
Leistungen.

Das eigentliche Schuljahr dauerte vom November bis zum Juni, ohne
irgend welche Ferien dazwischen. Sogar der Tag vor Weihnachten machte keine
Ausnahme. Und auch während der Monate Juli bis September einschließlich
gab es keine vollständige Ruhe, sondern immer geistige Beschäftigung und an¬
regendes Lernen. Überhaupt wurde der Prinz von vornherein an eine nie
unterbrochnc Thätigkeit gewöhnte

Morcmdi schildert ihn als einen geweckten, wißbegierigen, mit gutem Ge¬
dächtnis begabten und seinen Lehrern offen entgegenkommenden Knaben und
Jüngling, der eine rasche Auffassungsgabe hatte, und den darum Wiederholungen
langweilten. So mußten die Lehrer im allgemeinen rasch vorwärts gehn. Eines
eigentlichen Ansporns bedürfte es bei dem ehrgeizigen Knaben kaum, und seine
Winke genügten, ihn auf den gewünschten Weg zu leiten. Deshalb waren
Strafen so gut wie unnötig. Fand Oberst Ohio aber einmal Gelegenheit zum
Tadel, so sprach er sich recht derb aus. Er hatte den Prinzen so am Bärbel,
daß er scherzend sagen konnte: „Der Prinz kann alles, was — ich will."

Den Beschluß jedes Schuljahrs machte eine feierliche Prüfung des Prinzen
in Gegenwart der Eltern, sowie des Kriegsministers. Der Prinz bestand allemal
ans das glänzendste, und Morandi verzeichnet einen Ausspruch von ihm, den
er vor der Prüfung gethan hatte: „Es wäre ja um aus dem Fenster zu springen,


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[0336] Viktor Lmanuel III, für Schüler und Lehrer, hatte diese strengstens angewiesen, den Prinzen genau wie jeden andern Zögling zu behandeln. Wenn z. B. während der Schulstunden etwas herbeizuholen war, mußte der Prinz gehn; fiel ein Buch zur Erde, mußte es der Prinz aufheben und nicht der Lehrer. Den Lehrern war vom Obersten für den Fall des Znwiderhandelns gegen seine Vorschriften kürzester Prozeß in Aussicht gestellt, „denn es kämen zu wichtige Interessen in Frage." Mit dem Glockenschlage sieben Uhr, „wenn das halbe Rom noch schlief," begannen die Stunden. Der Prinz mußte dann schon gebadet und das erste Frühstück eingenommen haben. Hatte er sich einmal verschlafen, so fiel das Frühstück ans, aber die Lektionen begannen zur vorgeschriebnen Minute. Beim Beginn war Oberst Ohio jederzeit zugegen, und schlug der Schluß der Stunde, so hörten die Lehrer draußen seinen sporenklirrenden, zum Prinzenzimmer strebenden Schritt. Die Beschäftigung des Prinzen wechselte planmäßig zwischen Lehrstunden und Körperübungen; an jedem Tage wurde, ohne Rücksicht auf die Witterung, geritten. Auch die Jagd hatte ihre ganz bestimmten Zeiten: mit zwölf Jahren war der Prinz schon ein guter Schütze. Früh sechs Uhr aufstehn im Winter wie im Sommer, abends neun Uhr zu Bett, Donnerstags wie an den Sonn- und Feiertagen keine Stunden, dafür aber häusliche Arbeiten, das war das Tagewerk, von dem unter keinen Um¬ ständen abgewichen wurde; sogar die hohen Eltern baten ein paarmal vergebens um eine kleine Abänderung. Nur zu Gunsten des Theaters ließ sich der Oberst gelegentlich einmal erweichen und zwar aus einem jedesmal hervorgehobnen doppelten Grunde: zur Belehrung und zur Belohnung für besonders gute Leistungen. Das eigentliche Schuljahr dauerte vom November bis zum Juni, ohne irgend welche Ferien dazwischen. Sogar der Tag vor Weihnachten machte keine Ausnahme. Und auch während der Monate Juli bis September einschließlich gab es keine vollständige Ruhe, sondern immer geistige Beschäftigung und an¬ regendes Lernen. Überhaupt wurde der Prinz von vornherein an eine nie unterbrochnc Thätigkeit gewöhnte Morcmdi schildert ihn als einen geweckten, wißbegierigen, mit gutem Ge¬ dächtnis begabten und seinen Lehrern offen entgegenkommenden Knaben und Jüngling, der eine rasche Auffassungsgabe hatte, und den darum Wiederholungen langweilten. So mußten die Lehrer im allgemeinen rasch vorwärts gehn. Eines eigentlichen Ansporns bedürfte es bei dem ehrgeizigen Knaben kaum, und seine Winke genügten, ihn auf den gewünschten Weg zu leiten. Deshalb waren Strafen so gut wie unnötig. Fand Oberst Ohio aber einmal Gelegenheit zum Tadel, so sprach er sich recht derb aus. Er hatte den Prinzen so am Bärbel, daß er scherzend sagen konnte: „Der Prinz kann alles, was — ich will." Den Beschluß jedes Schuljahrs machte eine feierliche Prüfung des Prinzen in Gegenwart der Eltern, sowie des Kriegsministers. Der Prinz bestand allemal ans das glänzendste, und Morandi verzeichnet einen Ausspruch von ihm, den er vor der Prüfung gethan hatte: „Es wäre ja um aus dem Fenster zu springen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/336>, abgerufen am 28.05.2024.