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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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zu verschaffe", Dringend darf jedem, der nicht allzu hastig nach Süden strebt,
geraten werden, dieses Experiment zu wiederholen. Die Bahn ist sicher eine
der schönsten Europas, und obgleich auch sie so manches Vorgebirge und
manchen Berg durchschachten muß, so hat sie doch vor der viel bekanntern
und berühmtem Eisenbahustreckc der Riviera ti Ponente einen Vorteil voraus:
der Genuß der beständig wechselnden Uferlandschaft und des Meeres wird nicht
fortdauernd durch Tunnel und Galerien getrübt, deren schnelle Aufeinanderfolge
schließlich Augen und Nerven angreift. In Ruhe studieren wir vom Fenster unsers
leeren Coupes aus die alten malerisch an den Abhängen des Gebirgs liegenden
Städte, an den Bahnhöfen die Bevölkerung, die immer mehr einen südlichen
Charakter annehmende Vegetation und Flora, den Zustand von Landwirtschaft,
Bodenknltur, Wein- und Olivenban, der infolge von verheerenden Jnsektcnschäden
seit Jahren eine schwere Sorge der italienischen Regierung ist. Aber immer wieder
kehrt dau" der Blick zu der Herrlichkeit des Meeres zurück, zu dem auch wissen¬
schaftlich, so viel ich weiß, noch nicht völlig geklärten Problem seiner wechselnden
Färbungen, der oft haarscharf umrissen erscheinenden violetten, dunkelblauen,
grünen oder gelblichen Flächen, zu andern Fragen, die sein Anblick hervorruft.

Vom Kap Vatiecmo hat daS Bild einen andern Charakter: rechts drüben
erscheinen Berge, die nicht mehr der vielfach geschwungnen Küstenlinie des
Festlands angehören können, Sizilien erscheint, und dann kommt mich der
Gedanke an ihren natürlichen Herrscher, der alle die wechselnden geschichtlichen
Herrscher überlebt hat, der Gedanke an den Ätna, den Mongibello, wie ihn
der Sizilianer unter der Nachwirkung arabisch-sizilianischer Zeiten*) nennt.
Die furchtbare" Kräfte, die in ihm walten, haben in seiner äußern Form
keinen so plastischen Ausdruck gefunden, wie in den steil aufstrebenden
Linien des Vesuvs, den geborstenen Formen des alten Kraters, der Somma.
Wie uns der Ätna zum erstenmal von der hochliegenden Strada Reggio
Carpi oberhalb Neggios im Licht der untergehenden Sonne erscheint, sind
wir von der majestätischen Form ergriffen. Wie edel ist die sanfte, fast
gleichmäßige, nur von einzelnen niedrigen Erhebungen, kleinern Kratern, unter-
brochne Steignngs- und Profillinie, mit der er sich bei Cntania aus den
blauen Fluten des Ionischen Meeres zu der gewaltigen Höhe ewigen Schnees
nhebt! Milde deckt jetzt im Mai der volle Schneegürtel der Spitze die riesigen
Flächen der liöAww äössrka über 2100 Meter Höhe, wo alles vegetabilische
Leben erstorben ist, und die bei der Besteigung im Hochsommer deu Eindruck
ewer schwarzen, wie Sammet glänzenden Wüste macht; das Auge steigt gern
von diesen im Abendsonnenschein rosig angehauchten Flächen herab zu den immer¬
grünen Pflanzengürteln, die den Riesen bis zu dieser Höhe hinauf mit Agrumeu.
Mandelbäumen und Weingeländen, dann mit Kiefern und Birken bekleiden,



*) Mongibello ist eine Tautologie und aus "amo und vLvwwI (Berg) entstanden: der so
oft gehörte Name ist eine der wenigen Spuren, die die sarazenische Herrschaft in der Sprache
Siziliens hinterlassen hat; erinnert sei daran, daß auch das vielgebrauchte Wort tar"!",, Intarsia,
arabischen Ursprungs ist.

zu verschaffe», Dringend darf jedem, der nicht allzu hastig nach Süden strebt,
geraten werden, dieses Experiment zu wiederholen. Die Bahn ist sicher eine
der schönsten Europas, und obgleich auch sie so manches Vorgebirge und
manchen Berg durchschachten muß, so hat sie doch vor der viel bekanntern
und berühmtem Eisenbahustreckc der Riviera ti Ponente einen Vorteil voraus:
der Genuß der beständig wechselnden Uferlandschaft und des Meeres wird nicht
fortdauernd durch Tunnel und Galerien getrübt, deren schnelle Aufeinanderfolge
schließlich Augen und Nerven angreift. In Ruhe studieren wir vom Fenster unsers
leeren Coupes aus die alten malerisch an den Abhängen des Gebirgs liegenden
Städte, an den Bahnhöfen die Bevölkerung, die immer mehr einen südlichen
Charakter annehmende Vegetation und Flora, den Zustand von Landwirtschaft,
Bodenknltur, Wein- und Olivenban, der infolge von verheerenden Jnsektcnschäden
seit Jahren eine schwere Sorge der italienischen Regierung ist. Aber immer wieder
kehrt dau» der Blick zu der Herrlichkeit des Meeres zurück, zu dem auch wissen¬
schaftlich, so viel ich weiß, noch nicht völlig geklärten Problem seiner wechselnden
Färbungen, der oft haarscharf umrissen erscheinenden violetten, dunkelblauen,
grünen oder gelblichen Flächen, zu andern Fragen, die sein Anblick hervorruft.

Vom Kap Vatiecmo hat daS Bild einen andern Charakter: rechts drüben
erscheinen Berge, die nicht mehr der vielfach geschwungnen Küstenlinie des
Festlands angehören können, Sizilien erscheint, und dann kommt mich der
Gedanke an ihren natürlichen Herrscher, der alle die wechselnden geschichtlichen
Herrscher überlebt hat, der Gedanke an den Ätna, den Mongibello, wie ihn
der Sizilianer unter der Nachwirkung arabisch-sizilianischer Zeiten*) nennt.
Die furchtbare« Kräfte, die in ihm walten, haben in seiner äußern Form
keinen so plastischen Ausdruck gefunden, wie in den steil aufstrebenden
Linien des Vesuvs, den geborstenen Formen des alten Kraters, der Somma.
Wie uns der Ätna zum erstenmal von der hochliegenden Strada Reggio
Carpi oberhalb Neggios im Licht der untergehenden Sonne erscheint, sind
wir von der majestätischen Form ergriffen. Wie edel ist die sanfte, fast
gleichmäßige, nur von einzelnen niedrigen Erhebungen, kleinern Kratern, unter-
brochne Steignngs- und Profillinie, mit der er sich bei Cntania aus den
blauen Fluten des Ionischen Meeres zu der gewaltigen Höhe ewigen Schnees
nhebt! Milde deckt jetzt im Mai der volle Schneegürtel der Spitze die riesigen
Flächen der liöAww äössrka über 2100 Meter Höhe, wo alles vegetabilische
Leben erstorben ist, und die bei der Besteigung im Hochsommer deu Eindruck
ewer schwarzen, wie Sammet glänzenden Wüste macht; das Auge steigt gern
von diesen im Abendsonnenschein rosig angehauchten Flächen herab zu den immer¬
grünen Pflanzengürteln, die den Riesen bis zu dieser Höhe hinauf mit Agrumeu.
Mandelbäumen und Weingeländen, dann mit Kiefern und Birken bekleiden,



*) Mongibello ist eine Tautologie und aus «amo und vLvwwI (Berg) entstanden: der so
oft gehörte Name ist eine der wenigen Spuren, die die sarazenische Herrschaft in der Sprache
Siziliens hinterlassen hat; erinnert sei daran, daß auch das vielgebrauchte Wort tar»!«,, Intarsia,
arabischen Ursprungs ist.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/37>, abgerufen am 12.05.2024.