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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Lin Brief Goethes

in Unterfranken erwerben können, für dessen Besitz der Adelstand unerläßliche
Bedingung war. König Ludwig I. erhob ihn 1827 zum Freiherrn von Walters¬
hausen und bekannte sich in der Urkunde selbst als Zeuge der wissenschaft¬
lichen Verdienste des Professors von der hohen Schule in Göttingen her.*)
Waltershausen also ist der "alle Behaglichkeit versprechende Sitz," den Goethe
im Auge hat. Und wenn er dabei des leidenden Zustands seiner Freundin
gedenkt, so erscheint das hinterher nur allzu begründet: sie starb schon am
24. November desselben Jahres.

Von den Kindern, die Goethe erwähnt, heiratete die Tochter deu Ober-
gcrichtsdirektor von Bobers in Göttingen, der ältere Sohn übernahm das
Familiengut, der zweite, Goethes Patenkind, zeichnete sich als Mineralog
und Geolog besonders auf dem Gebiete des Vulkanismus aus und wurde, wie
der Vater, Professor in Göttingen.

Die Schlußwendung des Briefes ist mißverstanden worden: von späterer
Hand ist der Artikel bei "den Unwandelbaren" blau unterstrichen. Der be¬
treffende Leser faßte offenbar den Ausdruck irrtümlich als Dativus auf und
nahm dann Anstoß an dem Pluralis, als habe Goethe sagen wollen: "den
unwandelbaren Göttern." Aber so läßt sich schon wegen des Zusammenhangs
und der Interpunktion nicht interpretieren. Zweifellos ist "den Unwandel¬
baren" als Wusativus zu versteh"; Goethe meint sich selbst damit, und es
bedeutet die Wendung nichts andres als die kurz vorhergehende: "der auf
seine alte Weise fortfährt." Ähnlich schreibt Goethe an Sartorius am
24. Januar 1814: "Von mir sage ich so viel: daß mein Zustand nicht ver¬
rückt ist, Sie würden mich wiederfinden, wie Sie mich verlassen haben," und
am 28. Februar: "Es soll mich freuen, wenn Sie mich ganz wiederfinden und
erkennen."

Ohne den hier behandelten Fund und seine literarhistorische Bedeutung
zu überschätzen, meine ich doch, daß es sich lohnte, den Spuren eines so nahen
Freundschaftsverhältnisses des einzigen Mannes einmal nachzugehn. Wer die
Freude kennt, die man empfindet, wenn sich eins zum andern gesellt und er¬
hellt, was vorher dunkel oder doch dunkler war, der wird mir ein wenig
Ausführlichkeit gern zu gute halten, vielleicht gar beim Lesen die Frende
teilen.

Wollte man aber den allgemein menschlichen Eindruck bezeichnen, den der
mitgeteilte einzelne Brief hinterläßt, so ist es der der herzlichsten Sympathie
mit dem immer einsamem Manne, der nach einem so einzig reichen, anch an
Liebe und Freundschaft so reichen Leben einen nach dem andern dahinhinken



*) Auch sonst fehlt es nicht an ehrenden Zeugnissen ergebner Schüler. "Er war mein
liebster, verehrtester Lehrer," schreibt Johann Friedrich Böhmer über Sartorius an dessen
Sohn und erinnert sich dankbar auch an die mannigfache Anregung im Sartoriusschen Hause,
wo "an den Gesprächen über schöne Litteratur auch die Frau Hofrätin lebendigen Anteil "ahn
und feinen Geschmack und treffliches Urteil bewährte." Vergl. Johann Friedrich Böhmers
Leben, durch Johannes Janssen. Freiburg, 1868.
Lin Brief Goethes

in Unterfranken erwerben können, für dessen Besitz der Adelstand unerläßliche
Bedingung war. König Ludwig I. erhob ihn 1827 zum Freiherrn von Walters¬
hausen und bekannte sich in der Urkunde selbst als Zeuge der wissenschaft¬
lichen Verdienste des Professors von der hohen Schule in Göttingen her.*)
Waltershausen also ist der „alle Behaglichkeit versprechende Sitz," den Goethe
im Auge hat. Und wenn er dabei des leidenden Zustands seiner Freundin
gedenkt, so erscheint das hinterher nur allzu begründet: sie starb schon am
24. November desselben Jahres.

Von den Kindern, die Goethe erwähnt, heiratete die Tochter deu Ober-
gcrichtsdirektor von Bobers in Göttingen, der ältere Sohn übernahm das
Familiengut, der zweite, Goethes Patenkind, zeichnete sich als Mineralog
und Geolog besonders auf dem Gebiete des Vulkanismus aus und wurde, wie
der Vater, Professor in Göttingen.

Die Schlußwendung des Briefes ist mißverstanden worden: von späterer
Hand ist der Artikel bei „den Unwandelbaren" blau unterstrichen. Der be¬
treffende Leser faßte offenbar den Ausdruck irrtümlich als Dativus auf und
nahm dann Anstoß an dem Pluralis, als habe Goethe sagen wollen: „den
unwandelbaren Göttern." Aber so läßt sich schon wegen des Zusammenhangs
und der Interpunktion nicht interpretieren. Zweifellos ist „den Unwandel¬
baren" als Wusativus zu versteh»; Goethe meint sich selbst damit, und es
bedeutet die Wendung nichts andres als die kurz vorhergehende: „der auf
seine alte Weise fortfährt." Ähnlich schreibt Goethe an Sartorius am
24. Januar 1814: „Von mir sage ich so viel: daß mein Zustand nicht ver¬
rückt ist, Sie würden mich wiederfinden, wie Sie mich verlassen haben," und
am 28. Februar: „Es soll mich freuen, wenn Sie mich ganz wiederfinden und
erkennen."

Ohne den hier behandelten Fund und seine literarhistorische Bedeutung
zu überschätzen, meine ich doch, daß es sich lohnte, den Spuren eines so nahen
Freundschaftsverhältnisses des einzigen Mannes einmal nachzugehn. Wer die
Freude kennt, die man empfindet, wenn sich eins zum andern gesellt und er¬
hellt, was vorher dunkel oder doch dunkler war, der wird mir ein wenig
Ausführlichkeit gern zu gute halten, vielleicht gar beim Lesen die Frende
teilen.

Wollte man aber den allgemein menschlichen Eindruck bezeichnen, den der
mitgeteilte einzelne Brief hinterläßt, so ist es der der herzlichsten Sympathie
mit dem immer einsamem Manne, der nach einem so einzig reichen, anch an
Liebe und Freundschaft so reichen Leben einen nach dem andern dahinhinken



*) Auch sonst fehlt es nicht an ehrenden Zeugnissen ergebner Schüler. „Er war mein
liebster, verehrtester Lehrer," schreibt Johann Friedrich Böhmer über Sartorius an dessen
Sohn und erinnert sich dankbar auch an die mannigfache Anregung im Sartoriusschen Hause,
wo „an den Gesprächen über schöne Litteratur auch die Frau Hofrätin lebendigen Anteil »ahn
und feinen Geschmack und treffliches Urteil bewährte." Vergl. Johann Friedrich Böhmers
Leben, durch Johannes Janssen. Freiburg, 1868.
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[0387] Lin Brief Goethes in Unterfranken erwerben können, für dessen Besitz der Adelstand unerläßliche Bedingung war. König Ludwig I. erhob ihn 1827 zum Freiherrn von Walters¬ hausen und bekannte sich in der Urkunde selbst als Zeuge der wissenschaft¬ lichen Verdienste des Professors von der hohen Schule in Göttingen her.*) Waltershausen also ist der „alle Behaglichkeit versprechende Sitz," den Goethe im Auge hat. Und wenn er dabei des leidenden Zustands seiner Freundin gedenkt, so erscheint das hinterher nur allzu begründet: sie starb schon am 24. November desselben Jahres. Von den Kindern, die Goethe erwähnt, heiratete die Tochter deu Ober- gcrichtsdirektor von Bobers in Göttingen, der ältere Sohn übernahm das Familiengut, der zweite, Goethes Patenkind, zeichnete sich als Mineralog und Geolog besonders auf dem Gebiete des Vulkanismus aus und wurde, wie der Vater, Professor in Göttingen. Die Schlußwendung des Briefes ist mißverstanden worden: von späterer Hand ist der Artikel bei „den Unwandelbaren" blau unterstrichen. Der be¬ treffende Leser faßte offenbar den Ausdruck irrtümlich als Dativus auf und nahm dann Anstoß an dem Pluralis, als habe Goethe sagen wollen: „den unwandelbaren Göttern." Aber so läßt sich schon wegen des Zusammenhangs und der Interpunktion nicht interpretieren. Zweifellos ist „den Unwandel¬ baren" als Wusativus zu versteh»; Goethe meint sich selbst damit, und es bedeutet die Wendung nichts andres als die kurz vorhergehende: „der auf seine alte Weise fortfährt." Ähnlich schreibt Goethe an Sartorius am 24. Januar 1814: „Von mir sage ich so viel: daß mein Zustand nicht ver¬ rückt ist, Sie würden mich wiederfinden, wie Sie mich verlassen haben," und am 28. Februar: „Es soll mich freuen, wenn Sie mich ganz wiederfinden und erkennen." Ohne den hier behandelten Fund und seine literarhistorische Bedeutung zu überschätzen, meine ich doch, daß es sich lohnte, den Spuren eines so nahen Freundschaftsverhältnisses des einzigen Mannes einmal nachzugehn. Wer die Freude kennt, die man empfindet, wenn sich eins zum andern gesellt und er¬ hellt, was vorher dunkel oder doch dunkler war, der wird mir ein wenig Ausführlichkeit gern zu gute halten, vielleicht gar beim Lesen die Frende teilen. Wollte man aber den allgemein menschlichen Eindruck bezeichnen, den der mitgeteilte einzelne Brief hinterläßt, so ist es der der herzlichsten Sympathie mit dem immer einsamem Manne, der nach einem so einzig reichen, anch an Liebe und Freundschaft so reichen Leben einen nach dem andern dahinhinken *) Auch sonst fehlt es nicht an ehrenden Zeugnissen ergebner Schüler. „Er war mein liebster, verehrtester Lehrer," schreibt Johann Friedrich Böhmer über Sartorius an dessen Sohn und erinnert sich dankbar auch an die mannigfache Anregung im Sartoriusschen Hause, wo „an den Gesprächen über schöne Litteratur auch die Frau Hofrätin lebendigen Anteil »ahn und feinen Geschmack und treffliches Urteil bewährte." Vergl. Johann Friedrich Böhmers Leben, durch Johannes Janssen. Freiburg, 1868.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/387>, abgerufen am 11.05.2024.