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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der Religionsunterricht an höhern Schulen

alle übrigen Unterrichtsfächer ethische Ziele verfolge, kann sich Metz nicht an¬
schließen. Der Religionsunterricht partizipiert an der sittlichen Wirkung, die
jede ernste Geistesarbeit ausübt, steht aber in dieser Beziehung keinem andern
Fache voraus, wie auch der Religionslehrer selbst keine höhere Weihe der
Persönlichkeit beansprucht. Die Forderung irgend einer Sonderstellung des
Religionsunterrichts bietet nur denen eine Handhabe, die ans Abschaffung des
Religionsunterrichts drängen. Denn die höhere Schule ist ein Organismus,
der wie jeder Organismus nur Gleichartiges in sich duldet. Der Religions¬
unterricht steht thatsächlich uicht über andern Fächern, sondern vorläufig noch
tief unter der allgemeinen Höhenlinie. Es muß das Bestreben der Religions-
lehrer sein, ihn erst einmal bis zu dieser Linie zu erheben. Dazu fehlt es
aber schon an der allerersten Grundlage, nämlich an der methodischen Orga¬
nisation, auf Grund deren jeder, der dieses Feld der Thätigkeit betritt, Ziel
und Weg mit gleicher Klarheit vor sich sähe, wie etwa der Lehrer der Mathe¬
matik oder der Geschichte. Metz weist nun im folgenden nach, daß eine solche
Organisation von dem Standpunkt aus, daß der Religionsunterricht auf das
Gefühl wirken solle, unmöglich sei. Erkennt man dagegen, daß der Religions¬
unterricht es mit der Vorstellungskraft des Schülers zu thun hat, so hat man
darin den fruchtbaren Ausgangspunkt zu einer allgemeinen methodischen Orga¬
nisation des Unterrichts gewonnen.

Im zweiten Teile der Abhandlung stellt Metz zunächst fest, daß die Auf¬
gabe des Gymnasiums die Erziehung des modernen Kulturmenschen sei. Dazu
soll auch der Religionsunterricht dienen. In dem großen weltgeschichtlichen
Kampfe handelt es sich darum, von einer religiös gestützten, aus Material der
Phantasie aufgebauten Weltanschauung zu einer aus Bausteinen eines fort-
geschrittnen Wissens errichteten Weltanschauung zu gelaugen, ohne daß die
Forderung des Gemüts, die Würde der sittlichen Persönlichkeit, Schaden leide.
In diesem Kampfe stellt in der That die Religion gewissermaßen das Thema,
über das vom Wissen verhandelt wird. Der Knlturgcmg bliebe also unver¬
ständlich ohne das religiöse Thema, und dessen Kenntnis zu vermitteln ist
auf der Schule die Aufgabe des Religionsunterrichts. Er hat die religiöse,
wie die übrigen Fächer die wissenschaftliche Weltanschauung zum. Gegenstande.
Am Schluß sucht der Verfasser nachzuweisen, daß der protestantische Religions¬
unterricht seinen Stoff nicht in dogmatischer Form, auf die der katholische
Religionslehrer allerdings angewiesen sei, sondern in geschichtlicher Form rein
objektiv den Thatsachen entsprechend vorzutragen habe.

Auch wer den Standpunkt des Verfassers nicht zu teilen vermag, wird
doch ihm wie auch seinen Mitarbeitern für manche gebotne Anregung dankbar
sein. Gewiß würde der Religionsunterricht bei ausschließlicher Betonung des
Gefühls seinen Zweck nicht erreichen, und eine Organisation des Unterrichts
wäre von diesen, Standpunkt aus undenkbar, ist freilich meines Wissens auch
niemals versucht worden. Daß besonders bei rhetorisch begabten Religions-
lehreru die Gefahr vorhanden ist, mehr zu überreden als zu überzeugen, sich


Der Religionsunterricht an höhern Schulen

alle übrigen Unterrichtsfächer ethische Ziele verfolge, kann sich Metz nicht an¬
schließen. Der Religionsunterricht partizipiert an der sittlichen Wirkung, die
jede ernste Geistesarbeit ausübt, steht aber in dieser Beziehung keinem andern
Fache voraus, wie auch der Religionslehrer selbst keine höhere Weihe der
Persönlichkeit beansprucht. Die Forderung irgend einer Sonderstellung des
Religionsunterrichts bietet nur denen eine Handhabe, die ans Abschaffung des
Religionsunterrichts drängen. Denn die höhere Schule ist ein Organismus,
der wie jeder Organismus nur Gleichartiges in sich duldet. Der Religions¬
unterricht steht thatsächlich uicht über andern Fächern, sondern vorläufig noch
tief unter der allgemeinen Höhenlinie. Es muß das Bestreben der Religions-
lehrer sein, ihn erst einmal bis zu dieser Linie zu erheben. Dazu fehlt es
aber schon an der allerersten Grundlage, nämlich an der methodischen Orga¬
nisation, auf Grund deren jeder, der dieses Feld der Thätigkeit betritt, Ziel
und Weg mit gleicher Klarheit vor sich sähe, wie etwa der Lehrer der Mathe¬
matik oder der Geschichte. Metz weist nun im folgenden nach, daß eine solche
Organisation von dem Standpunkt aus, daß der Religionsunterricht auf das
Gefühl wirken solle, unmöglich sei. Erkennt man dagegen, daß der Religions¬
unterricht es mit der Vorstellungskraft des Schülers zu thun hat, so hat man
darin den fruchtbaren Ausgangspunkt zu einer allgemeinen methodischen Orga¬
nisation des Unterrichts gewonnen.

Im zweiten Teile der Abhandlung stellt Metz zunächst fest, daß die Auf¬
gabe des Gymnasiums die Erziehung des modernen Kulturmenschen sei. Dazu
soll auch der Religionsunterricht dienen. In dem großen weltgeschichtlichen
Kampfe handelt es sich darum, von einer religiös gestützten, aus Material der
Phantasie aufgebauten Weltanschauung zu einer aus Bausteinen eines fort-
geschrittnen Wissens errichteten Weltanschauung zu gelaugen, ohne daß die
Forderung des Gemüts, die Würde der sittlichen Persönlichkeit, Schaden leide.
In diesem Kampfe stellt in der That die Religion gewissermaßen das Thema,
über das vom Wissen verhandelt wird. Der Knlturgcmg bliebe also unver¬
ständlich ohne das religiöse Thema, und dessen Kenntnis zu vermitteln ist
auf der Schule die Aufgabe des Religionsunterrichts. Er hat die religiöse,
wie die übrigen Fächer die wissenschaftliche Weltanschauung zum. Gegenstande.
Am Schluß sucht der Verfasser nachzuweisen, daß der protestantische Religions¬
unterricht seinen Stoff nicht in dogmatischer Form, auf die der katholische
Religionslehrer allerdings angewiesen sei, sondern in geschichtlicher Form rein
objektiv den Thatsachen entsprechend vorzutragen habe.

Auch wer den Standpunkt des Verfassers nicht zu teilen vermag, wird
doch ihm wie auch seinen Mitarbeitern für manche gebotne Anregung dankbar
sein. Gewiß würde der Religionsunterricht bei ausschließlicher Betonung des
Gefühls seinen Zweck nicht erreichen, und eine Organisation des Unterrichts
wäre von diesen, Standpunkt aus undenkbar, ist freilich meines Wissens auch
niemals versucht worden. Daß besonders bei rhetorisch begabten Religions-
lehreru die Gefahr vorhanden ist, mehr zu überreden als zu überzeugen, sich


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[0408] Der Religionsunterricht an höhern Schulen alle übrigen Unterrichtsfächer ethische Ziele verfolge, kann sich Metz nicht an¬ schließen. Der Religionsunterricht partizipiert an der sittlichen Wirkung, die jede ernste Geistesarbeit ausübt, steht aber in dieser Beziehung keinem andern Fache voraus, wie auch der Religionslehrer selbst keine höhere Weihe der Persönlichkeit beansprucht. Die Forderung irgend einer Sonderstellung des Religionsunterrichts bietet nur denen eine Handhabe, die ans Abschaffung des Religionsunterrichts drängen. Denn die höhere Schule ist ein Organismus, der wie jeder Organismus nur Gleichartiges in sich duldet. Der Religions¬ unterricht steht thatsächlich uicht über andern Fächern, sondern vorläufig noch tief unter der allgemeinen Höhenlinie. Es muß das Bestreben der Religions- lehrer sein, ihn erst einmal bis zu dieser Linie zu erheben. Dazu fehlt es aber schon an der allerersten Grundlage, nämlich an der methodischen Orga¬ nisation, auf Grund deren jeder, der dieses Feld der Thätigkeit betritt, Ziel und Weg mit gleicher Klarheit vor sich sähe, wie etwa der Lehrer der Mathe¬ matik oder der Geschichte. Metz weist nun im folgenden nach, daß eine solche Organisation von dem Standpunkt aus, daß der Religionsunterricht auf das Gefühl wirken solle, unmöglich sei. Erkennt man dagegen, daß der Religions¬ unterricht es mit der Vorstellungskraft des Schülers zu thun hat, so hat man darin den fruchtbaren Ausgangspunkt zu einer allgemeinen methodischen Orga¬ nisation des Unterrichts gewonnen. Im zweiten Teile der Abhandlung stellt Metz zunächst fest, daß die Auf¬ gabe des Gymnasiums die Erziehung des modernen Kulturmenschen sei. Dazu soll auch der Religionsunterricht dienen. In dem großen weltgeschichtlichen Kampfe handelt es sich darum, von einer religiös gestützten, aus Material der Phantasie aufgebauten Weltanschauung zu einer aus Bausteinen eines fort- geschrittnen Wissens errichteten Weltanschauung zu gelaugen, ohne daß die Forderung des Gemüts, die Würde der sittlichen Persönlichkeit, Schaden leide. In diesem Kampfe stellt in der That die Religion gewissermaßen das Thema, über das vom Wissen verhandelt wird. Der Knlturgcmg bliebe also unver¬ ständlich ohne das religiöse Thema, und dessen Kenntnis zu vermitteln ist auf der Schule die Aufgabe des Religionsunterrichts. Er hat die religiöse, wie die übrigen Fächer die wissenschaftliche Weltanschauung zum. Gegenstande. Am Schluß sucht der Verfasser nachzuweisen, daß der protestantische Religions¬ unterricht seinen Stoff nicht in dogmatischer Form, auf die der katholische Religionslehrer allerdings angewiesen sei, sondern in geschichtlicher Form rein objektiv den Thatsachen entsprechend vorzutragen habe. Auch wer den Standpunkt des Verfassers nicht zu teilen vermag, wird doch ihm wie auch seinen Mitarbeitern für manche gebotne Anregung dankbar sein. Gewiß würde der Religionsunterricht bei ausschließlicher Betonung des Gefühls seinen Zweck nicht erreichen, und eine Organisation des Unterrichts wäre von diesen, Standpunkt aus undenkbar, ist freilich meines Wissens auch niemals versucht worden. Daß besonders bei rhetorisch begabten Religions- lehreru die Gefahr vorhanden ist, mehr zu überreden als zu überzeugen, sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/408>, abgerufen am 17.06.2024.