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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der Religionsunterricht n" höhern Schulen

gegebne Schrift, zu der noch drei andre Hamburger Fachgenossen Beitrage ge¬
liefert haben/") Der erste Aufsatz von Professor Metz, schon vor fünfundzwanzig
Jahren in der Protestantischen Kirchenzeitung erschienen, ist der wichtigste, weil
er die prinzipielle Grundlage zu den übrigen Abhandlungen bietet. Nur mit
diesem Aufsatze, von dein ich annehme, daß er auch für weitere Kreise Interesse
hat, kann ich mich hier beschäftigen.

In zwei Sätzen hat der Verfasser selbst seine Ergebnisse zusammengefaßt:
1. "Der Religionsunterricht wendet sich nicht an das Gefühl, sondern an das
logische Fassungsvermögen der Schiller." 2. "Den wesentlichen Inhalt des
ghmnasialen Religionsunterrichts bildet nicht ein kirchliches Lehrsystem, sondern
die Darlegung des geschichtlichen Entwicklungsgangs, welchen das Christentum
von seinem ersten Auftreten bis bellte genommen hat, in seinen Hauptzügen."
Nur in der Kürze kann ich die Gedankengänge, die zu diesen Ergebnissen führen,
hier andeuten. Unterrichten heißt Vorstellungen wecken, sie mitteilen oder be¬
richtigen. Aller Unterricht wendet sich sonnt an das logische Vermögen des
Schülers. Die Schule, deren Aufgabe zu lehren und nicht zu erziehn ist,
überläßt die Ausbildung des Gefühlslebens der häuslichen Erziehung. Ebenso
wie der deutsche Unterricht das poetische Gefühl nicht wecken will, sondern
voraussetzt, muß der Religionsunterricht die Pflege religiöser Gefühle der
Familie und allenfalls der Kirche überlassen. Es handelt sich nicht sowohl
darum, die Religion selbst, als vielmehr Gedanken über die Religion mitzu¬
teilen. Dagegen gehn aus der andern Auffassung, daß der Religionsunterricht
vor allem das Gemüt beeinflussen solle, zunächst ungerechtfertigte und in Wirk¬
lichkeit unerfüllbare Anforderungen an den Religionslehrer hervor. Begeisterung
kann nur der erwecken, der selbst begeistert ist. DaS Mittel ist, daß er in
schöner rhetorischer Form seiner Begeisterung Ausdruck verleiht. Dazu gehört
eine Rednergabe, die nicht jedem verliehn ist, dazu gehört aber auch die be¬
geisterte Stimmung, die nicht jederzeit -- wenn etwa die Religionsstunde die
letzte von vier schweren Arbeitsstunden sein sollte -- vorausgesetzt werden darf.
Und wenn das Unmögliche möglich wäre, würde diese Methode gar nicht zum
gewünschten Ziele führen. Die flüchtigen Gefühlserregungen würden später
dem Jüngling keinen Halt geben gegen die Macht der Gedanken, die voll
atheistischer Seite auf ihn einwirkt. Dem gegenüber hilft nur die Überzeugung,
daß die Religion die Klarheit des Gedankens nicht scheut, sondern sie vielmehr
sucht, weil alle Wahrheit aus Gott stammt. Gerade dieser Weg der strengen
Denkarbeit ist für die reifere Jugend, die "ach einer tiefer gehenden Erkenntnis
strebt, der allein anziehende und fesselnde, weil er ihrem erwachten philo¬
sophischen Bedürfnis entgegenkommt.

Auch der Meinung, daß der Religionsunterricht in höherm Grade als



") Vom evangelischen Religionsunterricht an höhern Schulen. Unter Mitwirkung von
Professor I.i", Adolf Metz, Professor or. Heinrich Rinn und Dr. Friedrich Seilring heraus¬
gegeben von tlo, Hans Vollmer.
Der Religionsunterricht n» höhern Schulen

gegebne Schrift, zu der noch drei andre Hamburger Fachgenossen Beitrage ge¬
liefert haben/") Der erste Aufsatz von Professor Metz, schon vor fünfundzwanzig
Jahren in der Protestantischen Kirchenzeitung erschienen, ist der wichtigste, weil
er die prinzipielle Grundlage zu den übrigen Abhandlungen bietet. Nur mit
diesem Aufsatze, von dein ich annehme, daß er auch für weitere Kreise Interesse
hat, kann ich mich hier beschäftigen.

In zwei Sätzen hat der Verfasser selbst seine Ergebnisse zusammengefaßt:
1. „Der Religionsunterricht wendet sich nicht an das Gefühl, sondern an das
logische Fassungsvermögen der Schiller." 2. „Den wesentlichen Inhalt des
ghmnasialen Religionsunterrichts bildet nicht ein kirchliches Lehrsystem, sondern
die Darlegung des geschichtlichen Entwicklungsgangs, welchen das Christentum
von seinem ersten Auftreten bis bellte genommen hat, in seinen Hauptzügen."
Nur in der Kürze kann ich die Gedankengänge, die zu diesen Ergebnissen führen,
hier andeuten. Unterrichten heißt Vorstellungen wecken, sie mitteilen oder be¬
richtigen. Aller Unterricht wendet sich sonnt an das logische Vermögen des
Schülers. Die Schule, deren Aufgabe zu lehren und nicht zu erziehn ist,
überläßt die Ausbildung des Gefühlslebens der häuslichen Erziehung. Ebenso
wie der deutsche Unterricht das poetische Gefühl nicht wecken will, sondern
voraussetzt, muß der Religionsunterricht die Pflege religiöser Gefühle der
Familie und allenfalls der Kirche überlassen. Es handelt sich nicht sowohl
darum, die Religion selbst, als vielmehr Gedanken über die Religion mitzu¬
teilen. Dagegen gehn aus der andern Auffassung, daß der Religionsunterricht
vor allem das Gemüt beeinflussen solle, zunächst ungerechtfertigte und in Wirk¬
lichkeit unerfüllbare Anforderungen an den Religionslehrer hervor. Begeisterung
kann nur der erwecken, der selbst begeistert ist. DaS Mittel ist, daß er in
schöner rhetorischer Form seiner Begeisterung Ausdruck verleiht. Dazu gehört
eine Rednergabe, die nicht jedem verliehn ist, dazu gehört aber auch die be¬
geisterte Stimmung, die nicht jederzeit — wenn etwa die Religionsstunde die
letzte von vier schweren Arbeitsstunden sein sollte — vorausgesetzt werden darf.
Und wenn das Unmögliche möglich wäre, würde diese Methode gar nicht zum
gewünschten Ziele führen. Die flüchtigen Gefühlserregungen würden später
dem Jüngling keinen Halt geben gegen die Macht der Gedanken, die voll
atheistischer Seite auf ihn einwirkt. Dem gegenüber hilft nur die Überzeugung,
daß die Religion die Klarheit des Gedankens nicht scheut, sondern sie vielmehr
sucht, weil alle Wahrheit aus Gott stammt. Gerade dieser Weg der strengen
Denkarbeit ist für die reifere Jugend, die »ach einer tiefer gehenden Erkenntnis
strebt, der allein anziehende und fesselnde, weil er ihrem erwachten philo¬
sophischen Bedürfnis entgegenkommt.

Auch der Meinung, daß der Religionsunterricht in höherm Grade als



") Vom evangelischen Religionsunterricht an höhern Schulen. Unter Mitwirkung von
Professor I.i«, Adolf Metz, Professor or. Heinrich Rinn und Dr. Friedrich Seilring heraus¬
gegeben von tlo, Hans Vollmer.
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[0407] Der Religionsunterricht n» höhern Schulen gegebne Schrift, zu der noch drei andre Hamburger Fachgenossen Beitrage ge¬ liefert haben/") Der erste Aufsatz von Professor Metz, schon vor fünfundzwanzig Jahren in der Protestantischen Kirchenzeitung erschienen, ist der wichtigste, weil er die prinzipielle Grundlage zu den übrigen Abhandlungen bietet. Nur mit diesem Aufsatze, von dein ich annehme, daß er auch für weitere Kreise Interesse hat, kann ich mich hier beschäftigen. In zwei Sätzen hat der Verfasser selbst seine Ergebnisse zusammengefaßt: 1. „Der Religionsunterricht wendet sich nicht an das Gefühl, sondern an das logische Fassungsvermögen der Schiller." 2. „Den wesentlichen Inhalt des ghmnasialen Religionsunterrichts bildet nicht ein kirchliches Lehrsystem, sondern die Darlegung des geschichtlichen Entwicklungsgangs, welchen das Christentum von seinem ersten Auftreten bis bellte genommen hat, in seinen Hauptzügen." Nur in der Kürze kann ich die Gedankengänge, die zu diesen Ergebnissen führen, hier andeuten. Unterrichten heißt Vorstellungen wecken, sie mitteilen oder be¬ richtigen. Aller Unterricht wendet sich sonnt an das logische Vermögen des Schülers. Die Schule, deren Aufgabe zu lehren und nicht zu erziehn ist, überläßt die Ausbildung des Gefühlslebens der häuslichen Erziehung. Ebenso wie der deutsche Unterricht das poetische Gefühl nicht wecken will, sondern voraussetzt, muß der Religionsunterricht die Pflege religiöser Gefühle der Familie und allenfalls der Kirche überlassen. Es handelt sich nicht sowohl darum, die Religion selbst, als vielmehr Gedanken über die Religion mitzu¬ teilen. Dagegen gehn aus der andern Auffassung, daß der Religionsunterricht vor allem das Gemüt beeinflussen solle, zunächst ungerechtfertigte und in Wirk¬ lichkeit unerfüllbare Anforderungen an den Religionslehrer hervor. Begeisterung kann nur der erwecken, der selbst begeistert ist. DaS Mittel ist, daß er in schöner rhetorischer Form seiner Begeisterung Ausdruck verleiht. Dazu gehört eine Rednergabe, die nicht jedem verliehn ist, dazu gehört aber auch die be¬ geisterte Stimmung, die nicht jederzeit — wenn etwa die Religionsstunde die letzte von vier schweren Arbeitsstunden sein sollte — vorausgesetzt werden darf. Und wenn das Unmögliche möglich wäre, würde diese Methode gar nicht zum gewünschten Ziele führen. Die flüchtigen Gefühlserregungen würden später dem Jüngling keinen Halt geben gegen die Macht der Gedanken, die voll atheistischer Seite auf ihn einwirkt. Dem gegenüber hilft nur die Überzeugung, daß die Religion die Klarheit des Gedankens nicht scheut, sondern sie vielmehr sucht, weil alle Wahrheit aus Gott stammt. Gerade dieser Weg der strengen Denkarbeit ist für die reifere Jugend, die »ach einer tiefer gehenden Erkenntnis strebt, der allein anziehende und fesselnde, weil er ihrem erwachten philo¬ sophischen Bedürfnis entgegenkommt. Auch der Meinung, daß der Religionsunterricht in höherm Grade als ") Vom evangelischen Religionsunterricht an höhern Schulen. Unter Mitwirkung von Professor I.i«, Adolf Metz, Professor or. Heinrich Rinn und Dr. Friedrich Seilring heraus¬ gegeben von tlo, Hans Vollmer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/407>, abgerufen am 17.06.2024.