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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Der Religionsunterricht an sondern Schulen

wenn ein Schüler lange Jahre daran gewöhnt wird, die Religion ausschlie߬
lich als eine versta"desmäßige Erkenntnis zu betrachten, daß dabei allmählich
das religiöse Gefühl, wenn es vorhanden war, abstirbt, daß ihm bei solcher
Behandlung die Religion selbst unmerklich zur bloßen Verstandessache, zu einem
bloße" Wissensstoffe wird?


Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle,
Erstarren in dein irdischen Gewühle,

klagt Goethes Faust. Sollen wir Religionslehrer dazu beitragen, daß diese
herrliche" Gefühle, die zarte" Keime religiösen Lebens, schon in den jugend¬
lichen Herzen erstarren? Sollen wir uns damit beruhigen, daß es Sache des
Hanfes sei, diese Gefühle zu pflegen, obgleich Metz selbst zweifelhaft ist, ob
das Haus dieser Verpflichtung immer eingedenk ist? Er meint, man verlange
mit der Pflege religiöser Gefühle etwas Unmögliches vom Religionslehrer.
Er kann sich die Erregung des religiösen Gefühls, indem er es ohne weiteres
als eine Art Begeisterung auffaßt, nicht anders denken als durch begeisterte
Ausprache in schöner rhetorischer Form. Wird denn im frommen Elternhause
auf diese Weise das religiöse Gefühl geweckt? Ja, verlangt man solche rheto¬
rische Begeisterung auf der Kanzel selbst? Höchstens doch bei einer Festpredigt.
El"e solche beständige rhetorische Begeisterung, die übrigens darin stimme
ich Metz bei -- ihren Zweck verfehlen würde, verlangt Wohl niemand ernstlich
vom Religionslehrer. Nur eins kann man, und das wird Metz gewiß zu¬
geben, von jedem Religionslehrer verlangen, daß er selbst eine feste christliche
Überzeugung hat, wenn er andre über das Christentum belehren will. Wenn
aber der Religionslehrer selbst im Christentum die höchste Wahrheit und in
seinem eignen religiösen Leben das höchste Glück gefunden hat, so wäre es
geradezu unnatürlich, wenn seine Überzeugung uicht in seinem Unterricht Aus¬
druck fände, wen" er uicht bemüht wäre, das, was ihm selbst Herzenssache ist,
auch seinen Schülern an das Herz zu legen und in das Herz zu bringen.
Gewiß ist dabei der gewiesene Weg der der ruhigen Belehrung, aber es wird
uicht genügen, wenn seine Lehren nur mit dem Verstände erfaßt werden und
nicht mich zu Herzen und vor allem anch ins Gewissen dringen. Rhetorische
Begeisterung ist dabei nicht nötig, im Gegenteil eher hinderlich -- sie wirkt,
wenn sie nicht ganz echt ist, meistens erkältend --, wohl aber ist es erforder¬
lich, daß seine Worte aus ernster, heiliger Überzeugung hervorgehn. "Der
Unterricht soll ja selbstredend der Ausdruck der eignen Überzeugung des Lehrers
sein," sagt Metz selbst. Das kann jederzeit, wäre es auch die fünfte Stunde
im Unterricht, verlangt werden, daß, wenn der Lehrer über religiöse Dinge
redet, seine Überzeugung zum Ausdruck kommt. Die Forderung der klaren
Denkarbeit, der strengen Wissenschaftlichkeit braucht deshalb durchaus nicht ver¬
nachlässigt zu werden. Gewiß, darin hat Metz sehr recht, soll der Religions¬
unterricht die Klarheit des Gedankens nicht schenen, aber diese klaren Gedanken
dürfen nicht bloß Verstandeserkenutnisse bleibe", sondern müsse", falls sie


Der Religionsunterricht an sondern Schulen

wenn ein Schüler lange Jahre daran gewöhnt wird, die Religion ausschlie߬
lich als eine versta»desmäßige Erkenntnis zu betrachten, daß dabei allmählich
das religiöse Gefühl, wenn es vorhanden war, abstirbt, daß ihm bei solcher
Behandlung die Religion selbst unmerklich zur bloßen Verstandessache, zu einem
bloße» Wissensstoffe wird?


Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle,
Erstarren in dein irdischen Gewühle,

klagt Goethes Faust. Sollen wir Religionslehrer dazu beitragen, daß diese
herrliche» Gefühle, die zarte» Keime religiösen Lebens, schon in den jugend¬
lichen Herzen erstarren? Sollen wir uns damit beruhigen, daß es Sache des
Hanfes sei, diese Gefühle zu pflegen, obgleich Metz selbst zweifelhaft ist, ob
das Haus dieser Verpflichtung immer eingedenk ist? Er meint, man verlange
mit der Pflege religiöser Gefühle etwas Unmögliches vom Religionslehrer.
Er kann sich die Erregung des religiösen Gefühls, indem er es ohne weiteres
als eine Art Begeisterung auffaßt, nicht anders denken als durch begeisterte
Ausprache in schöner rhetorischer Form. Wird denn im frommen Elternhause
auf diese Weise das religiöse Gefühl geweckt? Ja, verlangt man solche rheto¬
rische Begeisterung auf der Kanzel selbst? Höchstens doch bei einer Festpredigt.
El»e solche beständige rhetorische Begeisterung, die übrigens darin stimme
ich Metz bei — ihren Zweck verfehlen würde, verlangt Wohl niemand ernstlich
vom Religionslehrer. Nur eins kann man, und das wird Metz gewiß zu¬
geben, von jedem Religionslehrer verlangen, daß er selbst eine feste christliche
Überzeugung hat, wenn er andre über das Christentum belehren will. Wenn
aber der Religionslehrer selbst im Christentum die höchste Wahrheit und in
seinem eignen religiösen Leben das höchste Glück gefunden hat, so wäre es
geradezu unnatürlich, wenn seine Überzeugung uicht in seinem Unterricht Aus¬
druck fände, wen» er uicht bemüht wäre, das, was ihm selbst Herzenssache ist,
auch seinen Schülern an das Herz zu legen und in das Herz zu bringen.
Gewiß ist dabei der gewiesene Weg der der ruhigen Belehrung, aber es wird
uicht genügen, wenn seine Lehren nur mit dem Verstände erfaßt werden und
nicht mich zu Herzen und vor allem anch ins Gewissen dringen. Rhetorische
Begeisterung ist dabei nicht nötig, im Gegenteil eher hinderlich — sie wirkt,
wenn sie nicht ganz echt ist, meistens erkältend —, wohl aber ist es erforder¬
lich, daß seine Worte aus ernster, heiliger Überzeugung hervorgehn. „Der
Unterricht soll ja selbstredend der Ausdruck der eignen Überzeugung des Lehrers
sein," sagt Metz selbst. Das kann jederzeit, wäre es auch die fünfte Stunde
im Unterricht, verlangt werden, daß, wenn der Lehrer über religiöse Dinge
redet, seine Überzeugung zum Ausdruck kommt. Die Forderung der klaren
Denkarbeit, der strengen Wissenschaftlichkeit braucht deshalb durchaus nicht ver¬
nachlässigt zu werden. Gewiß, darin hat Metz sehr recht, soll der Religions¬
unterricht die Klarheit des Gedankens nicht schenen, aber diese klaren Gedanken
dürfen nicht bloß Verstandeserkenutnisse bleibe», sondern müsse», falls sie


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[0410] Der Religionsunterricht an sondern Schulen wenn ein Schüler lange Jahre daran gewöhnt wird, die Religion ausschlie߬ lich als eine versta»desmäßige Erkenntnis zu betrachten, daß dabei allmählich das religiöse Gefühl, wenn es vorhanden war, abstirbt, daß ihm bei solcher Behandlung die Religion selbst unmerklich zur bloßen Verstandessache, zu einem bloße» Wissensstoffe wird? Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle, Erstarren in dein irdischen Gewühle, klagt Goethes Faust. Sollen wir Religionslehrer dazu beitragen, daß diese herrliche» Gefühle, die zarte» Keime religiösen Lebens, schon in den jugend¬ lichen Herzen erstarren? Sollen wir uns damit beruhigen, daß es Sache des Hanfes sei, diese Gefühle zu pflegen, obgleich Metz selbst zweifelhaft ist, ob das Haus dieser Verpflichtung immer eingedenk ist? Er meint, man verlange mit der Pflege religiöser Gefühle etwas Unmögliches vom Religionslehrer. Er kann sich die Erregung des religiösen Gefühls, indem er es ohne weiteres als eine Art Begeisterung auffaßt, nicht anders denken als durch begeisterte Ausprache in schöner rhetorischer Form. Wird denn im frommen Elternhause auf diese Weise das religiöse Gefühl geweckt? Ja, verlangt man solche rheto¬ rische Begeisterung auf der Kanzel selbst? Höchstens doch bei einer Festpredigt. El»e solche beständige rhetorische Begeisterung, die übrigens darin stimme ich Metz bei — ihren Zweck verfehlen würde, verlangt Wohl niemand ernstlich vom Religionslehrer. Nur eins kann man, und das wird Metz gewiß zu¬ geben, von jedem Religionslehrer verlangen, daß er selbst eine feste christliche Überzeugung hat, wenn er andre über das Christentum belehren will. Wenn aber der Religionslehrer selbst im Christentum die höchste Wahrheit und in seinem eignen religiösen Leben das höchste Glück gefunden hat, so wäre es geradezu unnatürlich, wenn seine Überzeugung uicht in seinem Unterricht Aus¬ druck fände, wen» er uicht bemüht wäre, das, was ihm selbst Herzenssache ist, auch seinen Schülern an das Herz zu legen und in das Herz zu bringen. Gewiß ist dabei der gewiesene Weg der der ruhigen Belehrung, aber es wird uicht genügen, wenn seine Lehren nur mit dem Verstände erfaßt werden und nicht mich zu Herzen und vor allem anch ins Gewissen dringen. Rhetorische Begeisterung ist dabei nicht nötig, im Gegenteil eher hinderlich — sie wirkt, wenn sie nicht ganz echt ist, meistens erkältend —, wohl aber ist es erforder¬ lich, daß seine Worte aus ernster, heiliger Überzeugung hervorgehn. „Der Unterricht soll ja selbstredend der Ausdruck der eignen Überzeugung des Lehrers sein," sagt Metz selbst. Das kann jederzeit, wäre es auch die fünfte Stunde im Unterricht, verlangt werden, daß, wenn der Lehrer über religiöse Dinge redet, seine Überzeugung zum Ausdruck kommt. Die Forderung der klaren Denkarbeit, der strengen Wissenschaftlichkeit braucht deshalb durchaus nicht ver¬ nachlässigt zu werden. Gewiß, darin hat Metz sehr recht, soll der Religions¬ unterricht die Klarheit des Gedankens nicht schenen, aber diese klaren Gedanken dürfen nicht bloß Verstandeserkenutnisse bleibe», sondern müsse», falls sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/410>, abgerufen am 17.06.2024.