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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Ausstellung der Darmstädter Rünstlerkolonie

daran erinnern, wie viel Freude man an der Farbenfrcndigkeit von Hans
Christiansen haben kann, wie unmittelbar seine Zeichnungen und vor allem
die prächtigen Pastelle wirken, wie entsetzlich verfehlt aber der Versuch ist,
auch in der ganzen Gestaltung seines Hauses seine Natur zum Ausdruck zu
bringen, wie fürchterlich plump der Vorbau mit dem überlebensgroßen Menschen-
paar in Mosaik wirkt, wie kläglich sich in der Juniprcicht der blühenden
Rosen die Stilisierung seines zu Tode gehetzten Rosenmotivs an seinem Hause
aufnahm?

Es wäre jammerschade, wenn die Ausstellung alle die Darmstädter
Künstler, unter denen sich ganz tüchtige Kräfte finden, in Mißkredit brächte,
und wenn die Manier, die vielleicht nnr einige, besonders Olbrich, auf dem
Gewissen haben, typisch und maßgebend für das gesamte Schaffen würde.
Vor allen Dingen muß der Geist der Dekadenz, das affektierte Stimmuug-
machen heraus. Welche Trostlosigkeit nud Hilflosigkeit dieser Geist mit sich
führt, beweisen auch noch einige Verse, die leider in monumentalen Lettern
g.vrs pörönriiu8 im großen Saale des "Hanfes der Arbeit" als Umschriften
shmbolistisch-rütselhaftcr Bilder prangen: "Zur Forschung Weisheit sich gesellt,
wie reife Frucht vom Baume fällt," "Begeistrung und Weisheit spriesen(!) aus
hoher Kunst und klarem Wissen," Unfähigkeit auch hier, bedauernswerte Un¬
fähigkeit, über die Stammelei des degenerierten Ästhetentums hinauszukommen;
Pose, nervöses Augenverdrehu, schön gepflegte Feiertagshände, Flucht vor dem
Leben, Tragikomödie,

In einem der Häuser liegen im zweiten Stockwerk zwei Zimmer. Das
Zimmer der Tochter, und das Gastzimmer, Ganz allein, hoch oben, mit einem
Blick über die Ausstellung hinaus. Ich mußte mir eine Novelle dazu dichten,
daß die beiden sich lieb haben, die Tochter und der Gast, Ob er Wohl von
den Sehnsuchten seiner und den Schönheiten ihrer Seele zu ihr reden wird, ob
sie seltsam wie schlanke Lilien in die heilige Nacht des Himmels aufschaue"
werden, während die Klänge ihrer Seelen zusammenranschen zu einem vollen
Akkord, der leise durch die Welt zittert? Oder wird er ihre Arme um seinen
Hals legen und sie küssen, wie sonst die Menschen thaten! -- Mir sagt die
Geschichte mehr als tausend Beispiele, Sie redet mir mit froher Zuversicht
davon, daß die Kunst Z. Ja Darmstadt nicht siegen wird über die, die auf dem
Boden kräftigen Lebens erwachsen ist und den Menschen nicht in Dunst hüllt
und in Kostüme steckt, sondern ihm als unanfdringliche Freundin Hände und
Kopf frei läßt zum Handeln, zum Handeln und Leben! Denn das Leben
steht über der Kunst, und alle seine Schönheiten und Schmerze" tilgt auch
der Ästhetizisluus nicht! Die Menschen bleiben Menschen auch in der Künstler^
kolonie. Zum Beweise noch eine Geschichte, Im Restaurant saß beim Mittag¬
essen eine größere Gesellschaft aus Hofkreisen, zum Teil entzückend angezogen,
im ganzen etwas englisch, aber erfreulich lebendig. Eine der Damen nahm
einen Augentropfer, nur der neben ihr sitzenden Freundin als Krankenpflegerin
z" dienen. Ich sechs und dachte getröstet- "Auch hier eine kleine Bindehaut-


Die Ausstellung der Darmstädter Rünstlerkolonie

daran erinnern, wie viel Freude man an der Farbenfrcndigkeit von Hans
Christiansen haben kann, wie unmittelbar seine Zeichnungen und vor allem
die prächtigen Pastelle wirken, wie entsetzlich verfehlt aber der Versuch ist,
auch in der ganzen Gestaltung seines Hauses seine Natur zum Ausdruck zu
bringen, wie fürchterlich plump der Vorbau mit dem überlebensgroßen Menschen-
paar in Mosaik wirkt, wie kläglich sich in der Juniprcicht der blühenden
Rosen die Stilisierung seines zu Tode gehetzten Rosenmotivs an seinem Hause
aufnahm?

Es wäre jammerschade, wenn die Ausstellung alle die Darmstädter
Künstler, unter denen sich ganz tüchtige Kräfte finden, in Mißkredit brächte,
und wenn die Manier, die vielleicht nnr einige, besonders Olbrich, auf dem
Gewissen haben, typisch und maßgebend für das gesamte Schaffen würde.
Vor allen Dingen muß der Geist der Dekadenz, das affektierte Stimmuug-
machen heraus. Welche Trostlosigkeit nud Hilflosigkeit dieser Geist mit sich
führt, beweisen auch noch einige Verse, die leider in monumentalen Lettern
g.vrs pörönriiu8 im großen Saale des „Hanfes der Arbeit" als Umschriften
shmbolistisch-rütselhaftcr Bilder prangen: „Zur Forschung Weisheit sich gesellt,
wie reife Frucht vom Baume fällt," „Begeistrung und Weisheit spriesen(!) aus
hoher Kunst und klarem Wissen," Unfähigkeit auch hier, bedauernswerte Un¬
fähigkeit, über die Stammelei des degenerierten Ästhetentums hinauszukommen;
Pose, nervöses Augenverdrehu, schön gepflegte Feiertagshände, Flucht vor dem
Leben, Tragikomödie,

In einem der Häuser liegen im zweiten Stockwerk zwei Zimmer. Das
Zimmer der Tochter, und das Gastzimmer, Ganz allein, hoch oben, mit einem
Blick über die Ausstellung hinaus. Ich mußte mir eine Novelle dazu dichten,
daß die beiden sich lieb haben, die Tochter und der Gast, Ob er Wohl von
den Sehnsuchten seiner und den Schönheiten ihrer Seele zu ihr reden wird, ob
sie seltsam wie schlanke Lilien in die heilige Nacht des Himmels aufschaue»
werden, während die Klänge ihrer Seelen zusammenranschen zu einem vollen
Akkord, der leise durch die Welt zittert? Oder wird er ihre Arme um seinen
Hals legen und sie küssen, wie sonst die Menschen thaten! — Mir sagt die
Geschichte mehr als tausend Beispiele, Sie redet mir mit froher Zuversicht
davon, daß die Kunst Z. Ja Darmstadt nicht siegen wird über die, die auf dem
Boden kräftigen Lebens erwachsen ist und den Menschen nicht in Dunst hüllt
und in Kostüme steckt, sondern ihm als unanfdringliche Freundin Hände und
Kopf frei läßt zum Handeln, zum Handeln und Leben! Denn das Leben
steht über der Kunst, und alle seine Schönheiten und Schmerze« tilgt auch
der Ästhetizisluus nicht! Die Menschen bleiben Menschen auch in der Künstler^
kolonie. Zum Beweise noch eine Geschichte, Im Restaurant saß beim Mittag¬
essen eine größere Gesellschaft aus Hofkreisen, zum Teil entzückend angezogen,
im ganzen etwas englisch, aber erfreulich lebendig. Eine der Damen nahm
einen Augentropfer, nur der neben ihr sitzenden Freundin als Krankenpflegerin
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[0432] Die Ausstellung der Darmstädter Rünstlerkolonie daran erinnern, wie viel Freude man an der Farbenfrcndigkeit von Hans Christiansen haben kann, wie unmittelbar seine Zeichnungen und vor allem die prächtigen Pastelle wirken, wie entsetzlich verfehlt aber der Versuch ist, auch in der ganzen Gestaltung seines Hauses seine Natur zum Ausdruck zu bringen, wie fürchterlich plump der Vorbau mit dem überlebensgroßen Menschen- paar in Mosaik wirkt, wie kläglich sich in der Juniprcicht der blühenden Rosen die Stilisierung seines zu Tode gehetzten Rosenmotivs an seinem Hause aufnahm? Es wäre jammerschade, wenn die Ausstellung alle die Darmstädter Künstler, unter denen sich ganz tüchtige Kräfte finden, in Mißkredit brächte, und wenn die Manier, die vielleicht nnr einige, besonders Olbrich, auf dem Gewissen haben, typisch und maßgebend für das gesamte Schaffen würde. Vor allen Dingen muß der Geist der Dekadenz, das affektierte Stimmuug- machen heraus. Welche Trostlosigkeit nud Hilflosigkeit dieser Geist mit sich führt, beweisen auch noch einige Verse, die leider in monumentalen Lettern g.vrs pörönriiu8 im großen Saale des „Hanfes der Arbeit" als Umschriften shmbolistisch-rütselhaftcr Bilder prangen: „Zur Forschung Weisheit sich gesellt, wie reife Frucht vom Baume fällt," „Begeistrung und Weisheit spriesen(!) aus hoher Kunst und klarem Wissen," Unfähigkeit auch hier, bedauernswerte Un¬ fähigkeit, über die Stammelei des degenerierten Ästhetentums hinauszukommen; Pose, nervöses Augenverdrehu, schön gepflegte Feiertagshände, Flucht vor dem Leben, Tragikomödie, In einem der Häuser liegen im zweiten Stockwerk zwei Zimmer. Das Zimmer der Tochter, und das Gastzimmer, Ganz allein, hoch oben, mit einem Blick über die Ausstellung hinaus. Ich mußte mir eine Novelle dazu dichten, daß die beiden sich lieb haben, die Tochter und der Gast, Ob er Wohl von den Sehnsuchten seiner und den Schönheiten ihrer Seele zu ihr reden wird, ob sie seltsam wie schlanke Lilien in die heilige Nacht des Himmels aufschaue» werden, während die Klänge ihrer Seelen zusammenranschen zu einem vollen Akkord, der leise durch die Welt zittert? Oder wird er ihre Arme um seinen Hals legen und sie küssen, wie sonst die Menschen thaten! — Mir sagt die Geschichte mehr als tausend Beispiele, Sie redet mir mit froher Zuversicht davon, daß die Kunst Z. Ja Darmstadt nicht siegen wird über die, die auf dem Boden kräftigen Lebens erwachsen ist und den Menschen nicht in Dunst hüllt und in Kostüme steckt, sondern ihm als unanfdringliche Freundin Hände und Kopf frei läßt zum Handeln, zum Handeln und Leben! Denn das Leben steht über der Kunst, und alle seine Schönheiten und Schmerze« tilgt auch der Ästhetizisluus nicht! Die Menschen bleiben Menschen auch in der Künstler^ kolonie. Zum Beweise noch eine Geschichte, Im Restaurant saß beim Mittag¬ essen eine größere Gesellschaft aus Hofkreisen, zum Teil entzückend angezogen, im ganzen etwas englisch, aber erfreulich lebendig. Eine der Damen nahm einen Augentropfer, nur der neben ihr sitzenden Freundin als Krankenpflegerin z» dienen. Ich sechs und dachte getröstet- „Auch hier eine kleine Bindehaut-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/432>, abgerufen am 13.05.2024.