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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Die Ausstcllmig der vannst-ibler Rünstlerkolonie

nnturen vor allen Dingen die Frauen ergreifen; zum Glück giebts auch hier
schon kräftigere. Ich ging durch die Ausstellung mit einer jungen Dame, die
schließlich ihr Urteil in den Satz faßte: 'S ist gerade wie bei einer Freundin
von mir, zu der ich auch immer wieder sage: "Wozu nnr dieses unaufhörliche
Stimmungmachen?"

Ja u>er es nötig hat, so immer wieder Stimmung zu machen, sich immer
wieder anzuregen, sich zu erregen und sich Sensationen hinzugeben, ist der
denn ein Künstler? Eine Frauennatur, eine cmpfängnisbedürftige Frauenseele
mag es sein; für großes künstlerisches Schaffen aber ist er nicht geboren. In
solcher Luft wird weder kraftvolles, selbständiges Künstlerschaffen gedeihen,
"och wirklich frische, gesunde Liebe zur Kunst!

Kurz bevor ich nach Darmstadt kam, stand ich in Bonn im Geburts¬
zimmer Beethovens, in der kleinen grauen Dachkammer, deren Fensterchen
hinaus auf deu schmalen Hof mit der mcinbcwnchsenen Mauer führt. Ein
Paar Tage später kam ich in das Hans eines unsrer kernigsten neuem Kom¬
ponisten. An den schlichten Wänden ein paar Reproduktionen von Böcklin
und Dürer; auf dein Flügel in malerischer llnordnnng die Noten, im Wohn¬
zimmer häusliche Behaglichkeit, llrvüter Hausrat an Wänden und in Schranken,
durch die Fenster ein Blick auf einen Hausgarten und auf Nadelwald; nichts
zu einander gestimmt, und doch auch ohne den Gedanken, daß hier el"
Künstler wohne -- Stimmung! Aber dort in der Kolonie? Man merkt die
Absicht! Das Wort Kolonie ist übrigens ganz gut, ja noch zu gut. Es
wird nie Mutterboden werden, wenigstens nicht für das, was wir ersehne",
für eine große deutsche K""se. Das sollte es zwar ursprünglich auch nicht
sein. Aber nachdem mans aufgebauscht hat, muß sich die Luftblase gefallen
lassen, daß man ans sie schlägt und ihr Stiche versetzt, damit die leichte Luft
entweichen kann.

Was übrig bleibt ist bescheidne, aber erfreuliche Kleinkunst; für die wollen
wir gern alle Anregung mit nehmen, die man uns giebt; ja es giebt da so
viel zu sehen und zu kaufen, daß sich eine Reise wohl lohnt. Wenn an"
gegenüber dem prätentiöse" "ut preziösen Aufputz kühl und gesund bleibt,
kann man viel Freude haben. Auch ein Laie wird wohl einsehen, daß bis
auf dos Haus von Peter Behrens die Privathäuser sehr viel fragliche Dinge
enthalte". Und man braucht kein Baumeister zu sein, zu fühle", daß wer so
sinnwidrige Treppe" baut wie Olbrich, überhaupt die wichtigsten Rücksichten
auf die Praxis vergessen hat. Denn was nützt alle Kunst, wenn man den
bescheidensten Forderungen einer vernünftigen Praxis so ins Gesicht schlägt.
Die allereinfachsten Dinge sind nicht gelöst, und dafür ist das sensitivste Gefühl
"ber jeden Thürdrücker ausgegossen!

Der Grundfehler ist eben der, daß einige der Künstler blind waren für
das Kaliber ihrer eignen Natur. Das alte Goethische Wort: "In der Be¬
schränkung zeigt sich erst der Meister!" hat in ander", Sinne, als es der
Dichter meinte, hier wieder seine negative Bestätigung gefunden. Soll man


Die Ausstcllmig der vannst-ibler Rünstlerkolonie

nnturen vor allen Dingen die Frauen ergreifen; zum Glück giebts auch hier
schon kräftigere. Ich ging durch die Ausstellung mit einer jungen Dame, die
schließlich ihr Urteil in den Satz faßte: 'S ist gerade wie bei einer Freundin
von mir, zu der ich auch immer wieder sage: „Wozu nnr dieses unaufhörliche
Stimmungmachen?"

Ja u>er es nötig hat, so immer wieder Stimmung zu machen, sich immer
wieder anzuregen, sich zu erregen und sich Sensationen hinzugeben, ist der
denn ein Künstler? Eine Frauennatur, eine cmpfängnisbedürftige Frauenseele
mag es sein; für großes künstlerisches Schaffen aber ist er nicht geboren. In
solcher Luft wird weder kraftvolles, selbständiges Künstlerschaffen gedeihen,
»och wirklich frische, gesunde Liebe zur Kunst!

Kurz bevor ich nach Darmstadt kam, stand ich in Bonn im Geburts¬
zimmer Beethovens, in der kleinen grauen Dachkammer, deren Fensterchen
hinaus auf deu schmalen Hof mit der mcinbcwnchsenen Mauer führt. Ein
Paar Tage später kam ich in das Hans eines unsrer kernigsten neuem Kom¬
ponisten. An den schlichten Wänden ein paar Reproduktionen von Böcklin
und Dürer; auf dein Flügel in malerischer llnordnnng die Noten, im Wohn¬
zimmer häusliche Behaglichkeit, llrvüter Hausrat an Wänden und in Schranken,
durch die Fenster ein Blick auf einen Hausgarten und auf Nadelwald; nichts
zu einander gestimmt, und doch auch ohne den Gedanken, daß hier el»
Künstler wohne — Stimmung! Aber dort in der Kolonie? Man merkt die
Absicht! Das Wort Kolonie ist übrigens ganz gut, ja noch zu gut. Es
wird nie Mutterboden werden, wenigstens nicht für das, was wir ersehne»,
für eine große deutsche K»»se. Das sollte es zwar ursprünglich auch nicht
sein. Aber nachdem mans aufgebauscht hat, muß sich die Luftblase gefallen
lassen, daß man ans sie schlägt und ihr Stiche versetzt, damit die leichte Luft
entweichen kann.

Was übrig bleibt ist bescheidne, aber erfreuliche Kleinkunst; für die wollen
wir gern alle Anregung mit nehmen, die man uns giebt; ja es giebt da so
viel zu sehen und zu kaufen, daß sich eine Reise wohl lohnt. Wenn an»
gegenüber dem prätentiöse» »ut preziösen Aufputz kühl und gesund bleibt,
kann man viel Freude haben. Auch ein Laie wird wohl einsehen, daß bis
auf dos Haus von Peter Behrens die Privathäuser sehr viel fragliche Dinge
enthalte». Und man braucht kein Baumeister zu sein, zu fühle», daß wer so
sinnwidrige Treppe» baut wie Olbrich, überhaupt die wichtigsten Rücksichten
auf die Praxis vergessen hat. Denn was nützt alle Kunst, wenn man den
bescheidensten Forderungen einer vernünftigen Praxis so ins Gesicht schlägt.
Die allereinfachsten Dinge sind nicht gelöst, und dafür ist das sensitivste Gefühl
"ber jeden Thürdrücker ausgegossen!

Der Grundfehler ist eben der, daß einige der Künstler blind waren für
das Kaliber ihrer eignen Natur. Das alte Goethische Wort: „In der Be¬
schränkung zeigt sich erst der Meister!" hat in ander», Sinne, als es der
Dichter meinte, hier wieder seine negative Bestätigung gefunden. Soll man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/431>, abgerufen am 28.05.2024.