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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Es ist das dieselbe Stadt, in der Arthur Schopenhauer, dessen Pessi-
mismus allerdings nur Boshafte auf seinen Aufenthalt in Frankfurt zurück¬
führen können, jahrzehntelang als unbeachteter Privatgelehrter lebte, ohne daß
mich nur einer seiner Mitbürger ihm angemerkt hätte, was für ein seltner
Vogel er war, Malvida von Meysenbug erzählt in ihren Memoiren: "Wohl
erinnere ich mich, in früher Jngend bei einem längern Aufenthalt in Frank¬
furt a. M. öfters einen kleinen Mann in einem grauen Mantel mit mehreren
Kragen, damals Chenille genannt, gesehen zu haben, der am Mniuquai, von
einem Pudel gefolgt, zur bestimmten Stunde seinen täglichen Spaziergang
machte. Ebenso erinnere ich mich, daß man mir gesagt hatte, dieser Mann
sei Arthur Schopenhauer, der Sohn der Schriftstellerin gleichen Namens, und
er sei ein völliger Narr, Besonders pflegte ein Bekannter von uns, damals
Senator der freien Stadt Frankfurt, ein sehr angesehener Mann, der täglich
mit jenem an der wolf et'roth zu Mittag aß, über ihn zu spotten und Anek¬
doten zum Beweise seiner Narrheit nnfzutischen," Erst in Schopenhauers
letzten Jahren, als sich auch auswärts die Aufmerksamkeit auf ihn lenkte,
haben drei, vier Frankfurter ihn beachtet. Dabei war er dankbar für jedes
ihm bezeigte Interesse; man möchte sagen, in dieser Beziehung kindlich an¬
spruchslos. Als ihm an einem seiner letzten Geburtstage sieben, ganze sieben
Gratulationen zugegangen waren, sprach die Freude über dieses Ereignis aus
allen seinen Briefen, Und nicht mir mit dem Kommis, der ihn im Hause auf¬
suchte, auch mit jedem beliebigen Reisenden, der ihn an der tgM ä'two im
Englischen Hof manierlich ansprach, ließ er sich in ein Gespräch ein, und
Mitglied des Frankfurter Bürgervereius war er, des Lesezimmers wegen, auch.
Die Schütze, die bei ihm zu Holm waren, interessierten jedoch die Frankfurter
durchaus nicht, Ion, t,bg,t og^: vo, eins v^.

Es ist das dieselbe Stadt, in der sich Gutzkow dnrch das kaufmännische
Protzentum erdrückt fühlte. Als er 1846 in Dresden Dramaturg wurde,
schrieb er von dort ans: "Wie anders das als in Frankfurt, wo der dümmste
Kaufmann gegen mich den Vornehmen spielte, wo Herr von Bethmann es für
eine Gnade hielt, einem armen Schriftsteller eine Einladung zu schicken!
Lumpengesindel das! Generälen, Knmmerherren, Hofmmschällen, Räten werd
ich in den Gesellschaften vorgestellt, und die Frauen drängen sich, mit mir zu
reden, Gräfinnen und Baronessen, Ich lege darauf, wie du weißt, keinen
großen Wert; aber dem Frankfurter Treiben gegenüber thut eine solche An¬
erkennung doch wohl." So fühlte sich Jean Pult von der Anmaßung der
bürgerlichen Geldprotzen viel mehr bedrückt, als von der des Adels und der
Höfe seiner Zeit, weil diese in Bildung und Manieren auszeichnende Eigen¬
schaften hatten; wie es denn auch in den Genien heißt:


Aristokraten mögen noch gehn, ihr Stolz ist doch höflich;
Aber du löbliches Volk bist so voll Hochmut und grob.

Nirgends in Deutschland ist aber das verdienstlose Protzentnm so entwickelt
wie bei den Leute", die nach ihres großen Landsmannes Wort "nichts als


Es ist das dieselbe Stadt, in der Arthur Schopenhauer, dessen Pessi-
mismus allerdings nur Boshafte auf seinen Aufenthalt in Frankfurt zurück¬
führen können, jahrzehntelang als unbeachteter Privatgelehrter lebte, ohne daß
mich nur einer seiner Mitbürger ihm angemerkt hätte, was für ein seltner
Vogel er war, Malvida von Meysenbug erzählt in ihren Memoiren: „Wohl
erinnere ich mich, in früher Jngend bei einem längern Aufenthalt in Frank¬
furt a. M. öfters einen kleinen Mann in einem grauen Mantel mit mehreren
Kragen, damals Chenille genannt, gesehen zu haben, der am Mniuquai, von
einem Pudel gefolgt, zur bestimmten Stunde seinen täglichen Spaziergang
machte. Ebenso erinnere ich mich, daß man mir gesagt hatte, dieser Mann
sei Arthur Schopenhauer, der Sohn der Schriftstellerin gleichen Namens, und
er sei ein völliger Narr, Besonders pflegte ein Bekannter von uns, damals
Senator der freien Stadt Frankfurt, ein sehr angesehener Mann, der täglich
mit jenem an der wolf et'roth zu Mittag aß, über ihn zu spotten und Anek¬
doten zum Beweise seiner Narrheit nnfzutischen," Erst in Schopenhauers
letzten Jahren, als sich auch auswärts die Aufmerksamkeit auf ihn lenkte,
haben drei, vier Frankfurter ihn beachtet. Dabei war er dankbar für jedes
ihm bezeigte Interesse; man möchte sagen, in dieser Beziehung kindlich an¬
spruchslos. Als ihm an einem seiner letzten Geburtstage sieben, ganze sieben
Gratulationen zugegangen waren, sprach die Freude über dieses Ereignis aus
allen seinen Briefen, Und nicht mir mit dem Kommis, der ihn im Hause auf¬
suchte, auch mit jedem beliebigen Reisenden, der ihn an der tgM ä'two im
Englischen Hof manierlich ansprach, ließ er sich in ein Gespräch ein, und
Mitglied des Frankfurter Bürgervereius war er, des Lesezimmers wegen, auch.
Die Schütze, die bei ihm zu Holm waren, interessierten jedoch die Frankfurter
durchaus nicht, Ion, t,bg,t og^: vo, eins v^.

Es ist das dieselbe Stadt, in der sich Gutzkow dnrch das kaufmännische
Protzentum erdrückt fühlte. Als er 1846 in Dresden Dramaturg wurde,
schrieb er von dort ans: „Wie anders das als in Frankfurt, wo der dümmste
Kaufmann gegen mich den Vornehmen spielte, wo Herr von Bethmann es für
eine Gnade hielt, einem armen Schriftsteller eine Einladung zu schicken!
Lumpengesindel das! Generälen, Knmmerherren, Hofmmschällen, Räten werd
ich in den Gesellschaften vorgestellt, und die Frauen drängen sich, mit mir zu
reden, Gräfinnen und Baronessen, Ich lege darauf, wie du weißt, keinen
großen Wert; aber dem Frankfurter Treiben gegenüber thut eine solche An¬
erkennung doch wohl." So fühlte sich Jean Pult von der Anmaßung der
bürgerlichen Geldprotzen viel mehr bedrückt, als von der des Adels und der
Höfe seiner Zeit, weil diese in Bildung und Manieren auszeichnende Eigen¬
schaften hatten; wie es denn auch in den Genien heißt:


Aristokraten mögen noch gehn, ihr Stolz ist doch höflich;
Aber du löbliches Volk bist so voll Hochmut und grob.

Nirgends in Deutschland ist aber das verdienstlose Protzentnm so entwickelt
wie bei den Leute», die nach ihres großen Landsmannes Wort „nichts als


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[0474] Es ist das dieselbe Stadt, in der Arthur Schopenhauer, dessen Pessi- mismus allerdings nur Boshafte auf seinen Aufenthalt in Frankfurt zurück¬ führen können, jahrzehntelang als unbeachteter Privatgelehrter lebte, ohne daß mich nur einer seiner Mitbürger ihm angemerkt hätte, was für ein seltner Vogel er war, Malvida von Meysenbug erzählt in ihren Memoiren: „Wohl erinnere ich mich, in früher Jngend bei einem längern Aufenthalt in Frank¬ furt a. M. öfters einen kleinen Mann in einem grauen Mantel mit mehreren Kragen, damals Chenille genannt, gesehen zu haben, der am Mniuquai, von einem Pudel gefolgt, zur bestimmten Stunde seinen täglichen Spaziergang machte. Ebenso erinnere ich mich, daß man mir gesagt hatte, dieser Mann sei Arthur Schopenhauer, der Sohn der Schriftstellerin gleichen Namens, und er sei ein völliger Narr, Besonders pflegte ein Bekannter von uns, damals Senator der freien Stadt Frankfurt, ein sehr angesehener Mann, der täglich mit jenem an der wolf et'roth zu Mittag aß, über ihn zu spotten und Anek¬ doten zum Beweise seiner Narrheit nnfzutischen," Erst in Schopenhauers letzten Jahren, als sich auch auswärts die Aufmerksamkeit auf ihn lenkte, haben drei, vier Frankfurter ihn beachtet. Dabei war er dankbar für jedes ihm bezeigte Interesse; man möchte sagen, in dieser Beziehung kindlich an¬ spruchslos. Als ihm an einem seiner letzten Geburtstage sieben, ganze sieben Gratulationen zugegangen waren, sprach die Freude über dieses Ereignis aus allen seinen Briefen, Und nicht mir mit dem Kommis, der ihn im Hause auf¬ suchte, auch mit jedem beliebigen Reisenden, der ihn an der tgM ä'two im Englischen Hof manierlich ansprach, ließ er sich in ein Gespräch ein, und Mitglied des Frankfurter Bürgervereius war er, des Lesezimmers wegen, auch. Die Schütze, die bei ihm zu Holm waren, interessierten jedoch die Frankfurter durchaus nicht, Ion, t,bg,t og^: vo, eins v^. Es ist das dieselbe Stadt, in der sich Gutzkow dnrch das kaufmännische Protzentum erdrückt fühlte. Als er 1846 in Dresden Dramaturg wurde, schrieb er von dort ans: „Wie anders das als in Frankfurt, wo der dümmste Kaufmann gegen mich den Vornehmen spielte, wo Herr von Bethmann es für eine Gnade hielt, einem armen Schriftsteller eine Einladung zu schicken! Lumpengesindel das! Generälen, Knmmerherren, Hofmmschällen, Räten werd ich in den Gesellschaften vorgestellt, und die Frauen drängen sich, mit mir zu reden, Gräfinnen und Baronessen, Ich lege darauf, wie du weißt, keinen großen Wert; aber dem Frankfurter Treiben gegenüber thut eine solche An¬ erkennung doch wohl." So fühlte sich Jean Pult von der Anmaßung der bürgerlichen Geldprotzen viel mehr bedrückt, als von der des Adels und der Höfe seiner Zeit, weil diese in Bildung und Manieren auszeichnende Eigen¬ schaften hatten; wie es denn auch in den Genien heißt: Aristokraten mögen noch gehn, ihr Stolz ist doch höflich; Aber du löbliches Volk bist so voll Hochmut und grob. Nirgends in Deutschland ist aber das verdienstlose Protzentnm so entwickelt wie bei den Leute», die nach ihres großen Landsmannes Wort „nichts als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/474>, abgerufen am 06.06.2024.