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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Goethe und Frankfurwiaiu

das Geld zu schätzen wissend' Bei Leuten, die hart um die Existenzmittel
kämpfen, bei irgendwie geistig beschäftigten Menschen wird man gern Nachsicht
üben, wenn sie die Form vernachlässige"; bei solchen hingegen, die nichts thun
als leben, wird mau verlangen, daß dieses Leben wenigstens in angenehmen,
gewandten Formen, mit einer gewisse", in Goethes Leben und Werken so oft
hervortretenden Grazie vor sich gehe. In der That wird man diese Forderung
in lebenslustigen Kreisen so gut beim Bürgertum des Rheinlands wie beim
Adel Norddeutschlands erfüllt finden; ja in manchen Kreisen, wie in den
thüringischen, in die Goethe von Frankfurt aus versetzt wurde, ist das gesellige
Leben durch höhere Bildung, durch geistvolle Konversation gehoben; noch heute
findet man in Weimar und Jena Personen, die sich über den in jeder Stadt
zu findenden Klatsch erheben und in gewandter Rede die Gegenstände höherer
Kultur zu behandeln wissen, sodaß man sich im Umgang mit ihnen in die
gesellschaftliche Sphäre der Wahlverwandtschaften und der Wanderjahre versetzt
glaubt. Man lese diese Romane, man lese die Gespräche, die in Goethes Kreis
zu Weimar und Jena geführt wurden, man vergleiche damit, was Frau Rat
ihrem Sohn ans Frnukfurt zu berichten hatte, und man wird verstehn, daß
es für Goethe ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre, auf die Dauer in
dieser Stadt zu leben. Man besuche heute Weimar, Jena und Frankfurt. Es
laufen natürlich anch in Weimar und Jena "icht lauter tiefe Goethekcuner
herum; aber die höhere Geselligkeit steht durchaus unter Goethes Einfluß; die
Beschäftigung mit seinen Werken, mit den Gegenständen, die ihm besprechens-
wcrt erschienen, der formale Gewinn, der aus dein Studium Goethes für
Schrift und Sprache erwächst, sie sind nicht wegzudenken ans der Konversation
dieser thüringischen Städte, Wir haben aber auch in den untern Ständen
Weimars Nachwirkungen der klassischen Zeit beobachten können, und wenn die
Köchin des Frommannschen Hauses zu Jena, die einmal einige Wochen laug
für Goethe gekocht hat, als alte Frau einen Unfall schildert, der ihr mit ihm
begegnet ist, so bezeichnet sie das Wasser, das sie versehentlich über Goethe
ausgeschüttet hat, als "das nasse Element," und wir dürfen in dieser Aus¬
drucksweise einen Einfluß des begossener Dichters erkennen. Von irgend¬
welchen Einflüssen Goethes wird man in Frankfurt hingegen mit dem besten
Willen nnr bei ganz vereinzelten Ausnahmen etwas verspüren; es ist der Hort
der Plutokratie; die demokratischen Allüren, die Geringschätzung der Standes-
unterschiede ist scheinbar; uur die gegenwärtigen Standesunterschiede sind dem
reichen Frankfurter unsympathisch; wenn es nach ihm ginge, würde vor jedem
einfachen Millionär der Posten präsentieren, vor jedem mehrfachen die Wache
ins Gewehr treten. Nicht Stolz, der die Empfindung hat: "Mo,880 Mi^,
über Hochmut ist dort zu Hause, von dem Marie von Ebner-Eschcubnch sagt:
"Der Hochmut ist ein plebejisches Laster."

So lebte und wirkte in unsrer Zeit Hans Thoma viele Jahre nnr von
ein paar Freunden beachtet und geschätzt in der Stadt der Phäaken, bis eine
Ausstellung in München mit einemmal die Aufmerksamkeit der Kunstwelt auf


Goethe und Frankfurwiaiu

das Geld zu schätzen wissend' Bei Leuten, die hart um die Existenzmittel
kämpfen, bei irgendwie geistig beschäftigten Menschen wird man gern Nachsicht
üben, wenn sie die Form vernachlässige»; bei solchen hingegen, die nichts thun
als leben, wird mau verlangen, daß dieses Leben wenigstens in angenehmen,
gewandten Formen, mit einer gewisse», in Goethes Leben und Werken so oft
hervortretenden Grazie vor sich gehe. In der That wird man diese Forderung
in lebenslustigen Kreisen so gut beim Bürgertum des Rheinlands wie beim
Adel Norddeutschlands erfüllt finden; ja in manchen Kreisen, wie in den
thüringischen, in die Goethe von Frankfurt aus versetzt wurde, ist das gesellige
Leben durch höhere Bildung, durch geistvolle Konversation gehoben; noch heute
findet man in Weimar und Jena Personen, die sich über den in jeder Stadt
zu findenden Klatsch erheben und in gewandter Rede die Gegenstände höherer
Kultur zu behandeln wissen, sodaß man sich im Umgang mit ihnen in die
gesellschaftliche Sphäre der Wahlverwandtschaften und der Wanderjahre versetzt
glaubt. Man lese diese Romane, man lese die Gespräche, die in Goethes Kreis
zu Weimar und Jena geführt wurden, man vergleiche damit, was Frau Rat
ihrem Sohn ans Frnukfurt zu berichten hatte, und man wird verstehn, daß
es für Goethe ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre, auf die Dauer in
dieser Stadt zu leben. Man besuche heute Weimar, Jena und Frankfurt. Es
laufen natürlich anch in Weimar und Jena »icht lauter tiefe Goethekcuner
herum; aber die höhere Geselligkeit steht durchaus unter Goethes Einfluß; die
Beschäftigung mit seinen Werken, mit den Gegenständen, die ihm besprechens-
wcrt erschienen, der formale Gewinn, der aus dein Studium Goethes für
Schrift und Sprache erwächst, sie sind nicht wegzudenken ans der Konversation
dieser thüringischen Städte, Wir haben aber auch in den untern Ständen
Weimars Nachwirkungen der klassischen Zeit beobachten können, und wenn die
Köchin des Frommannschen Hauses zu Jena, die einmal einige Wochen laug
für Goethe gekocht hat, als alte Frau einen Unfall schildert, der ihr mit ihm
begegnet ist, so bezeichnet sie das Wasser, das sie versehentlich über Goethe
ausgeschüttet hat, als „das nasse Element," und wir dürfen in dieser Aus¬
drucksweise einen Einfluß des begossener Dichters erkennen. Von irgend¬
welchen Einflüssen Goethes wird man in Frankfurt hingegen mit dem besten
Willen nnr bei ganz vereinzelten Ausnahmen etwas verspüren; es ist der Hort
der Plutokratie; die demokratischen Allüren, die Geringschätzung der Standes-
unterschiede ist scheinbar; uur die gegenwärtigen Standesunterschiede sind dem
reichen Frankfurter unsympathisch; wenn es nach ihm ginge, würde vor jedem
einfachen Millionär der Posten präsentieren, vor jedem mehrfachen die Wache
ins Gewehr treten. Nicht Stolz, der die Empfindung hat: «Mo,880 Mi^,
über Hochmut ist dort zu Hause, von dem Marie von Ebner-Eschcubnch sagt:
„Der Hochmut ist ein plebejisches Laster."

So lebte und wirkte in unsrer Zeit Hans Thoma viele Jahre nnr von
ein paar Freunden beachtet und geschätzt in der Stadt der Phäaken, bis eine
Ausstellung in München mit einemmal die Aufmerksamkeit der Kunstwelt auf


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[0475] Goethe und Frankfurwiaiu das Geld zu schätzen wissend' Bei Leuten, die hart um die Existenzmittel kämpfen, bei irgendwie geistig beschäftigten Menschen wird man gern Nachsicht üben, wenn sie die Form vernachlässige»; bei solchen hingegen, die nichts thun als leben, wird mau verlangen, daß dieses Leben wenigstens in angenehmen, gewandten Formen, mit einer gewisse», in Goethes Leben und Werken so oft hervortretenden Grazie vor sich gehe. In der That wird man diese Forderung in lebenslustigen Kreisen so gut beim Bürgertum des Rheinlands wie beim Adel Norddeutschlands erfüllt finden; ja in manchen Kreisen, wie in den thüringischen, in die Goethe von Frankfurt aus versetzt wurde, ist das gesellige Leben durch höhere Bildung, durch geistvolle Konversation gehoben; noch heute findet man in Weimar und Jena Personen, die sich über den in jeder Stadt zu findenden Klatsch erheben und in gewandter Rede die Gegenstände höherer Kultur zu behandeln wissen, sodaß man sich im Umgang mit ihnen in die gesellschaftliche Sphäre der Wahlverwandtschaften und der Wanderjahre versetzt glaubt. Man lese diese Romane, man lese die Gespräche, die in Goethes Kreis zu Weimar und Jena geführt wurden, man vergleiche damit, was Frau Rat ihrem Sohn ans Frnukfurt zu berichten hatte, und man wird verstehn, daß es für Goethe ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre, auf die Dauer in dieser Stadt zu leben. Man besuche heute Weimar, Jena und Frankfurt. Es laufen natürlich anch in Weimar und Jena »icht lauter tiefe Goethekcuner herum; aber die höhere Geselligkeit steht durchaus unter Goethes Einfluß; die Beschäftigung mit seinen Werken, mit den Gegenständen, die ihm besprechens- wcrt erschienen, der formale Gewinn, der aus dein Studium Goethes für Schrift und Sprache erwächst, sie sind nicht wegzudenken ans der Konversation dieser thüringischen Städte, Wir haben aber auch in den untern Ständen Weimars Nachwirkungen der klassischen Zeit beobachten können, und wenn die Köchin des Frommannschen Hauses zu Jena, die einmal einige Wochen laug für Goethe gekocht hat, als alte Frau einen Unfall schildert, der ihr mit ihm begegnet ist, so bezeichnet sie das Wasser, das sie versehentlich über Goethe ausgeschüttet hat, als „das nasse Element," und wir dürfen in dieser Aus¬ drucksweise einen Einfluß des begossener Dichters erkennen. Von irgend¬ welchen Einflüssen Goethes wird man in Frankfurt hingegen mit dem besten Willen nnr bei ganz vereinzelten Ausnahmen etwas verspüren; es ist der Hort der Plutokratie; die demokratischen Allüren, die Geringschätzung der Standes- unterschiede ist scheinbar; uur die gegenwärtigen Standesunterschiede sind dem reichen Frankfurter unsympathisch; wenn es nach ihm ginge, würde vor jedem einfachen Millionär der Posten präsentieren, vor jedem mehrfachen die Wache ins Gewehr treten. Nicht Stolz, der die Empfindung hat: «Mo,880 Mi^, über Hochmut ist dort zu Hause, von dem Marie von Ebner-Eschcubnch sagt: „Der Hochmut ist ein plebejisches Laster." So lebte und wirkte in unsrer Zeit Hans Thoma viele Jahre nnr von ein paar Freunden beachtet und geschätzt in der Stadt der Phäaken, bis eine Ausstellung in München mit einemmal die Aufmerksamkeit der Kunstwelt auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/475>, abgerufen am 13.05.2024.