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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr.

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Das britische Parlament

Wilhelm Jordan läßt Wodan sagen:


Nach Walhall zu springen
Ist keine Sünde, doch die es versuchen,
Mögen sich hüten, den Hals zu brechen.

Der Ehrgeiz, ein N. hinter seinen Namen setzen zu dürfen, ist auch keine
Sünde. Aber wer den Versuch wagen will, thut wohl, erst die Kohle" zu
überschlage". Denn ach, der Weg zu den Pforten des Unterhauses geht, wie
der zum Schlaraffeulaude, durch einen Berg, doch nicht von Hirsebrei, sondern
von gemünzten Gelde, und der Reisende hat den Berg erst selbst anzufahren.
Es ist nicht mehr so schlimm wie in der sogenannten guten alten Zeit, wo
ganze Vermögen im Wahlkampfe geopfert wurden, nud sich der ganze Wahl¬
kreis, Männlein, Weiblein und Kinder wochenlang auf Kosten der Bewerber
gütlich that. Ju der großen Verschwenderwahl zu Northampton 1768 ging
die kleine Summe von 400000 Pfund drauf, und am Ende wurde der so
heiß umstrittne Sitz, da die Abstimmung, wohl um die Dankbarkeit der Wähler
für die vergnügt verlebten vierzehn Tage auszudrücken, Stimmengleichheit ergab,
ausgelost. Diese Wahlkosten galten selbst in England für viel; aber daß ein
Bewerber 10000 Pfund opferte, war etwas zu alltägliches, als daß es Aus-
sehen erregen konnte. In unsrer Zeit ist die Ehre etwas billiger, nur etwa
1000 Pfund wert, doch der arme Mann kanns auch heute nicht erschwingen.
Die gesamten Kosten der Wahl sind von den Bewerbern zu bestreiten, und
das Gesetz zieht die Grenzen noch immer weit genug, zu erlauben, daß ein
gutes Stück Geld unter die Leute kommt.

In den Vurgflecken, den Städten mit eignen Vertretern ist die Grenze
enger gesteckt als in den ländlichen Wahlkreisen. Dort dürfen die Ausgaben
eines Bewerbers bei einer Zahl von weniger als 2000 eingetragnen Wählern
350 Pfund nicht überschreiten, bei einer höhern Zahl sind 380 Pfund erlaubt,
und für jedes weitere Tausend Wähler dürfen 30 Pfund zugelegt werden.
In den Landbczirken sind die erlaubten Kosten 650 Pfund für die ersten
2000 Wähler, 760 Pfund für eine höhere Zahl, und 60 Pfund für jedes
weitere Tausend. Diese Summen dienen nur für die Bearbeitung des Wahl¬
kreises. Dazu kommen noch die persönlichen Ausgabe" des Bewerbers, sowie
die Gebühren für den Wahlvorsteher, dessen Schreiber, für Miete und Ein¬
richtung der Wahlräumc, die alle auf die Tasche der Bewerber fallen. Der
Staat hat keinerlei Last, als daß er die Briefe, in denen eine Neuwahl an¬
geordnet wird, postfrei an die Wahlvorsteher befördert. Wahlkreise mit weniger
als 2000 Wählern giebt es nun überhaupt nicht, dagegen 53 mit mehr als 15000,
und darunter steht Romford mit mehr als 26000 an der Spitze. Bnrgflecken,
die zwei Abgeordnete entsenden, sind hier außer acht gelassen. Die durch¬
schnittliche Anzahl der Wähler auf einen Abgeordneten ist in England und
Wales 10521, in Schottland 9321, in Irland 7000, im ganzen Vereinigten
Königreiche 9851. Ein Bewerber kann also eine ziemlich große Summe Geldes
ausgeben, ohne das Gesetz zu übertreten, und meist bleibt er nicht viel unter


Das britische Parlament

Wilhelm Jordan läßt Wodan sagen:


Nach Walhall zu springen
Ist keine Sünde, doch die es versuchen,
Mögen sich hüten, den Hals zu brechen.

Der Ehrgeiz, ein N. hinter seinen Namen setzen zu dürfen, ist auch keine
Sünde. Aber wer den Versuch wagen will, thut wohl, erst die Kohle» zu
überschlage». Denn ach, der Weg zu den Pforten des Unterhauses geht, wie
der zum Schlaraffeulaude, durch einen Berg, doch nicht von Hirsebrei, sondern
von gemünzten Gelde, und der Reisende hat den Berg erst selbst anzufahren.
Es ist nicht mehr so schlimm wie in der sogenannten guten alten Zeit, wo
ganze Vermögen im Wahlkampfe geopfert wurden, nud sich der ganze Wahl¬
kreis, Männlein, Weiblein und Kinder wochenlang auf Kosten der Bewerber
gütlich that. Ju der großen Verschwenderwahl zu Northampton 1768 ging
die kleine Summe von 400000 Pfund drauf, und am Ende wurde der so
heiß umstrittne Sitz, da die Abstimmung, wohl um die Dankbarkeit der Wähler
für die vergnügt verlebten vierzehn Tage auszudrücken, Stimmengleichheit ergab,
ausgelost. Diese Wahlkosten galten selbst in England für viel; aber daß ein
Bewerber 10000 Pfund opferte, war etwas zu alltägliches, als daß es Aus-
sehen erregen konnte. In unsrer Zeit ist die Ehre etwas billiger, nur etwa
1000 Pfund wert, doch der arme Mann kanns auch heute nicht erschwingen.
Die gesamten Kosten der Wahl sind von den Bewerbern zu bestreiten, und
das Gesetz zieht die Grenzen noch immer weit genug, zu erlauben, daß ein
gutes Stück Geld unter die Leute kommt.

In den Vurgflecken, den Städten mit eignen Vertretern ist die Grenze
enger gesteckt als in den ländlichen Wahlkreisen. Dort dürfen die Ausgaben
eines Bewerbers bei einer Zahl von weniger als 2000 eingetragnen Wählern
350 Pfund nicht überschreiten, bei einer höhern Zahl sind 380 Pfund erlaubt,
und für jedes weitere Tausend Wähler dürfen 30 Pfund zugelegt werden.
In den Landbczirken sind die erlaubten Kosten 650 Pfund für die ersten
2000 Wähler, 760 Pfund für eine höhere Zahl, und 60 Pfund für jedes
weitere Tausend. Diese Summen dienen nur für die Bearbeitung des Wahl¬
kreises. Dazu kommen noch die persönlichen Ausgabe» des Bewerbers, sowie
die Gebühren für den Wahlvorsteher, dessen Schreiber, für Miete und Ein¬
richtung der Wahlräumc, die alle auf die Tasche der Bewerber fallen. Der
Staat hat keinerlei Last, als daß er die Briefe, in denen eine Neuwahl an¬
geordnet wird, postfrei an die Wahlvorsteher befördert. Wahlkreise mit weniger
als 2000 Wählern giebt es nun überhaupt nicht, dagegen 53 mit mehr als 15000,
und darunter steht Romford mit mehr als 26000 an der Spitze. Bnrgflecken,
die zwei Abgeordnete entsenden, sind hier außer acht gelassen. Die durch¬
schnittliche Anzahl der Wähler auf einen Abgeordneten ist in England und
Wales 10521, in Schottland 9321, in Irland 7000, im ganzen Vereinigten
Königreiche 9851. Ein Bewerber kann also eine ziemlich große Summe Geldes
ausgeben, ohne das Gesetz zu übertreten, und meist bleibt er nicht viel unter


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[0064] Das britische Parlament Wilhelm Jordan läßt Wodan sagen: Nach Walhall zu springen Ist keine Sünde, doch die es versuchen, Mögen sich hüten, den Hals zu brechen. Der Ehrgeiz, ein N. hinter seinen Namen setzen zu dürfen, ist auch keine Sünde. Aber wer den Versuch wagen will, thut wohl, erst die Kohle» zu überschlage». Denn ach, der Weg zu den Pforten des Unterhauses geht, wie der zum Schlaraffeulaude, durch einen Berg, doch nicht von Hirsebrei, sondern von gemünzten Gelde, und der Reisende hat den Berg erst selbst anzufahren. Es ist nicht mehr so schlimm wie in der sogenannten guten alten Zeit, wo ganze Vermögen im Wahlkampfe geopfert wurden, nud sich der ganze Wahl¬ kreis, Männlein, Weiblein und Kinder wochenlang auf Kosten der Bewerber gütlich that. Ju der großen Verschwenderwahl zu Northampton 1768 ging die kleine Summe von 400000 Pfund drauf, und am Ende wurde der so heiß umstrittne Sitz, da die Abstimmung, wohl um die Dankbarkeit der Wähler für die vergnügt verlebten vierzehn Tage auszudrücken, Stimmengleichheit ergab, ausgelost. Diese Wahlkosten galten selbst in England für viel; aber daß ein Bewerber 10000 Pfund opferte, war etwas zu alltägliches, als daß es Aus- sehen erregen konnte. In unsrer Zeit ist die Ehre etwas billiger, nur etwa 1000 Pfund wert, doch der arme Mann kanns auch heute nicht erschwingen. Die gesamten Kosten der Wahl sind von den Bewerbern zu bestreiten, und das Gesetz zieht die Grenzen noch immer weit genug, zu erlauben, daß ein gutes Stück Geld unter die Leute kommt. In den Vurgflecken, den Städten mit eignen Vertretern ist die Grenze enger gesteckt als in den ländlichen Wahlkreisen. Dort dürfen die Ausgaben eines Bewerbers bei einer Zahl von weniger als 2000 eingetragnen Wählern 350 Pfund nicht überschreiten, bei einer höhern Zahl sind 380 Pfund erlaubt, und für jedes weitere Tausend Wähler dürfen 30 Pfund zugelegt werden. In den Landbczirken sind die erlaubten Kosten 650 Pfund für die ersten 2000 Wähler, 760 Pfund für eine höhere Zahl, und 60 Pfund für jedes weitere Tausend. Diese Summen dienen nur für die Bearbeitung des Wahl¬ kreises. Dazu kommen noch die persönlichen Ausgabe» des Bewerbers, sowie die Gebühren für den Wahlvorsteher, dessen Schreiber, für Miete und Ein¬ richtung der Wahlräumc, die alle auf die Tasche der Bewerber fallen. Der Staat hat keinerlei Last, als daß er die Briefe, in denen eine Neuwahl an¬ geordnet wird, postfrei an die Wahlvorsteher befördert. Wahlkreise mit weniger als 2000 Wählern giebt es nun überhaupt nicht, dagegen 53 mit mehr als 15000, und darunter steht Romford mit mehr als 26000 an der Spitze. Bnrgflecken, die zwei Abgeordnete entsenden, sind hier außer acht gelassen. Die durch¬ schnittliche Anzahl der Wähler auf einen Abgeordneten ist in England und Wales 10521, in Schottland 9321, in Irland 7000, im ganzen Vereinigten Königreiche 9851. Ein Bewerber kann also eine ziemlich große Summe Geldes ausgeben, ohne das Gesetz zu übertreten, und meist bleibt er nicht viel unter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235171/64>, abgerufen am 23.05.2024.