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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr.

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Mont Se. Michel und der ZNichaelskulins

seiner einflußreichste" Mittel aus der Hand gegeben. In richtiger Erkenntnis
dieser Bedeutung der Künste riefen deshalb im Anfang des dreizehnten Jahr¬
hunderts selbst die Schüler Bernhards, die strengen Cisterzienser, Malerei und
Skulptur herbei, um ihre Kirchen zu schmücken.

Mont Se. Michel, das bei der Gründung durch Richard I. dem Bene¬
diktinerorden überwiesen worden war, nahm an dieser Entwicklung teil. Bei
dem durchgreifenden Einfluß, den die Cluniacenser im Benediktinerorden ge¬
wannen, und bei ihrem engen Verhältnis zu den Herzögen der Normandie
war es uicht anders möglich, als daß sich die von den Herzögen begünstigte
Abtei der elnniaeensischen Reform anschloß.

Reiche Schenkungen fallen gerade in diese Zeit. Sie beförderten den
Beginn der großen kirchlichen Bauten. Von der romanischen Kirche, die um
1020 begonnen worden sein soll, stürzte 1103 das Schiff ein. Sie wurde
um 1135 aufs neue vollendet und bei einem Brande vom Feuer verschont.
Der Bau der Merveille soll nach dem Chronisten der Abtei Dom Hnhsncs
1117, nach Dom Le Roy 1121 angefangen worden sein. In die glanzvolle
Zeit Roberts du Mont, in der der Berg von Königen und hohen Würden¬
trägern der Kirche besucht wurde, fällt dagegen nur die Errichtung des statt¬
lichen Fremdenhauses (1104 und 1186).

Auf die weitere Ausgestaltung wirkte das Emporkommen des französischen
Königtums besonders anregend. Unter der Negierung Philipp Augusts in den
letzten Jahren des zwölften und im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts
wurden alle großen Kathedralen des königlichen Gebiets gegründet und vielfach
während der Regierung Ludwigs des Heiligen nach den neuen Plänen des
gotischen Baustils bis zum Ende des dreizehnten Jahrhunderts ausgeführt,
so Notre Dame in Paris und die Hauptkirchen in Chartres, Bourges, Laon,
Soissons, Meaux, Nohon, Amiens, Rouen, Cambrni, Arras, Tours, Seez,
Coutanees, Bahenx. Das weckte den Wetteifer. In Se. Michel wurden die
schon nnternommnen Bauten in erstaunlich kurzer Zeit beendet. Um 1215
war man mit dem ersten Stockwerk der Merveille zu Ende, und mau machte
sich an den Bau des Rittersaals. Uuter Raoul de Villedicu (1225 bis 1236)
wurde sowohl die Merveille zu Ende geführt (Bollendnug des Kreuzgangs
1228) als auch die Kirche im südlichen Teile wesentlich gefördert. Vielleicht
fällt noch in seine Zeit der Bau von Bette-Chaise. Als aber im Jahre 1300
der Blitz wieder in die Kirche schlug, wurden die Mönche entmutigt. "Es
scheint, sagt der Annalist, daß man nicht mehr daran denken soll, ein Kloster
so prächtig zu bauen, das schon fünfmal verbrannt ist, da es ein offenbares
Zeichen ist, daß Gott glänzende Gebäude nicht liebt." Aber man machte sich
trotz wiederholten Unglücks getrost immer wieder ans Werk. Die letzten
größern Bauten sind die Restauration des Chors, 1450 bis 1521, und die
mehrfache Ausbesserung und Erneuerung des Glvckenturms. 1594 galt er als
"die höchste Pyramide des Königreichs." 1609 wurde zum letztenmal der
romanische Turm erneuert. Auch diesesmal vergeblich. Oster zerstört, ver-


Mont Se. Michel und der ZNichaelskulins

seiner einflußreichste» Mittel aus der Hand gegeben. In richtiger Erkenntnis
dieser Bedeutung der Künste riefen deshalb im Anfang des dreizehnten Jahr¬
hunderts selbst die Schüler Bernhards, die strengen Cisterzienser, Malerei und
Skulptur herbei, um ihre Kirchen zu schmücken.

Mont Se. Michel, das bei der Gründung durch Richard I. dem Bene¬
diktinerorden überwiesen worden war, nahm an dieser Entwicklung teil. Bei
dem durchgreifenden Einfluß, den die Cluniacenser im Benediktinerorden ge¬
wannen, und bei ihrem engen Verhältnis zu den Herzögen der Normandie
war es uicht anders möglich, als daß sich die von den Herzögen begünstigte
Abtei der elnniaeensischen Reform anschloß.

Reiche Schenkungen fallen gerade in diese Zeit. Sie beförderten den
Beginn der großen kirchlichen Bauten. Von der romanischen Kirche, die um
1020 begonnen worden sein soll, stürzte 1103 das Schiff ein. Sie wurde
um 1135 aufs neue vollendet und bei einem Brande vom Feuer verschont.
Der Bau der Merveille soll nach dem Chronisten der Abtei Dom Hnhsncs
1117, nach Dom Le Roy 1121 angefangen worden sein. In die glanzvolle
Zeit Roberts du Mont, in der der Berg von Königen und hohen Würden¬
trägern der Kirche besucht wurde, fällt dagegen nur die Errichtung des statt¬
lichen Fremdenhauses (1104 und 1186).

Auf die weitere Ausgestaltung wirkte das Emporkommen des französischen
Königtums besonders anregend. Unter der Negierung Philipp Augusts in den
letzten Jahren des zwölften und im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts
wurden alle großen Kathedralen des königlichen Gebiets gegründet und vielfach
während der Regierung Ludwigs des Heiligen nach den neuen Plänen des
gotischen Baustils bis zum Ende des dreizehnten Jahrhunderts ausgeführt,
so Notre Dame in Paris und die Hauptkirchen in Chartres, Bourges, Laon,
Soissons, Meaux, Nohon, Amiens, Rouen, Cambrni, Arras, Tours, Seez,
Coutanees, Bahenx. Das weckte den Wetteifer. In Se. Michel wurden die
schon nnternommnen Bauten in erstaunlich kurzer Zeit beendet. Um 1215
war man mit dem ersten Stockwerk der Merveille zu Ende, und mau machte
sich an den Bau des Rittersaals. Uuter Raoul de Villedicu (1225 bis 1236)
wurde sowohl die Merveille zu Ende geführt (Bollendnug des Kreuzgangs
1228) als auch die Kirche im südlichen Teile wesentlich gefördert. Vielleicht
fällt noch in seine Zeit der Bau von Bette-Chaise. Als aber im Jahre 1300
der Blitz wieder in die Kirche schlug, wurden die Mönche entmutigt. „Es
scheint, sagt der Annalist, daß man nicht mehr daran denken soll, ein Kloster
so prächtig zu bauen, das schon fünfmal verbrannt ist, da es ein offenbares
Zeichen ist, daß Gott glänzende Gebäude nicht liebt." Aber man machte sich
trotz wiederholten Unglücks getrost immer wieder ans Werk. Die letzten
größern Bauten sind die Restauration des Chors, 1450 bis 1521, und die
mehrfache Ausbesserung und Erneuerung des Glvckenturms. 1594 galt er als
„die höchste Pyramide des Königreichs." 1609 wurde zum letztenmal der
romanische Turm erneuert. Auch diesesmal vergeblich. Oster zerstört, ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_235821/198>, abgerufen am 20.05.2024.