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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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wird die Frage aufgeworfen: "Warum erklären denn die Großmächte nicht
gemeinschaftlich in London, daß sie diesen erbarmungslosen Krieg nicht länger
mit ansehen können und seine schleunige Beendigung verlangen?" Oder man
fordert wenigstens als Pflicht der Neutralität ein Waffen- und Pferdeausfuhr¬
verbot, da ein solches den Engländern die Mittel zur Fortsetzung des Kriegs arg
beschneiden und den Frieden herbeiführen würde. Ein derartiges Verbot wäre
aber eine direkte Feindseligkeit gegen England, weil es nur dieses treffen würde,
nicht auch die Buren, die weder Pferde noch Waffen aus Europa beziehn,
und hinter einer Vermittlung, die nicht von beiden streitenden Teilen gewünscht
oder wenigstens zugelassen wird, muß der feste Entschluß stehn, mit den Waffen
einzugreifen, wenn sie abgelehnt wird, sonst endet die Intervention mit einer
Blamage und mit einer diplomatischen Spannung ohne jeden Nutzen; und
greifen die vermittelnden Mächte wirklich zu den Waffen, dann beginnen sie
einen größern Krieg, um einen kleinen zu beendigen. Die vermittelnde Stellung,
die Österreich während des Krimkriegs zwischen den Westmächten und Rußland
einnahm, befriedigte diese nicht, beleidigte aber Rußland aufs schwerste, schwerer
vielleicht, als wenn Österreich sich einfach auf die Seite des Feindes gestellt
hätte, und bezeichnete den Anfang eines Weges, an dem die Stationen Sol-
ferino und Königgrätz lagen. Die bewaffnete Vermittlung Preußens im Kriege
von 1805, die ihm eine beherrschende Stellung in Europa Hütte geben können,
führte geradeswegs nach Jena, weil zwar die Mittel zum bewaffneten Ein-
schreiten vollauf bereit standen, aber der Entschluß fehlte, sie zur Durchführung
der gestellten Forderungen anzuwenden. Die sehr ähnliche Haltung Preußens
1790 half zwar der angegriffnen Türkei nicht viel, legte aber den Grund zu
dem tiefen Mißtrauen Österreichs, das den später gegen Frankreich verbündeten
Mächten den Erfolg des ersten Koalitionskriegs verdorben hat. Vssti^la
wrisut! Ist wirklich, auch wenn alle europäischen Großmächte etwa in iden¬
tischen Noten Vorschläge zur Beendigung des Vnrenkriegs in Downing Street
machten, bei allen auch der feste Entschluß anzunehmen, einem englischen Nein
die Kriegserklärung folgen zu lassen? Das wird doch niemand behaupten
wollen. Man erzählt sich im Auslande, z. B. in Nußland, zu einem der¬
artigen Einvernehmen der Mächte fehle nur noch die Zustimmung des Deutschen
Kaisers. Diese Ansicht ist mindestens naiv, und anch wenn sie richtig wäre,
dann würde unser Kaiser wohl seinen Grund haben, sich von einer so freund¬
schaftlichen Demonstration auszuschließen, denn alsbald würde es wieder heißen:
HsrmkmL w tbs front! und wir würden hinter uns niemand finden. Wir
haben 1896 nicht vergessen und danken für ähnliche Erfahrungen. Vostissi^
tsrroM!

Also ist nicht zu helfen? Nein, in der Weise, wie sich das der selbständige
deutsche Bürger gern vorstellt, ist den Buren nicht zu helfen; wir können den
Einsatz eines solchen Spiels, er mag um Blamage, Verfeindung mit England
oder Krieg heißen, nicht riskieren. Die Buren haben den ihnen freilich auf-
gezwungnen Krieg in einem unglücklichen Momente begonnen und müssen die
Folgen tragen. Man mag das eine Schande des zwanzigsten Jahrhunderts,
einen dunkeln Flecken auf unsrer so hoch gepriesenen Zivilisation nennen, aber


wird die Frage aufgeworfen: „Warum erklären denn die Großmächte nicht
gemeinschaftlich in London, daß sie diesen erbarmungslosen Krieg nicht länger
mit ansehen können und seine schleunige Beendigung verlangen?" Oder man
fordert wenigstens als Pflicht der Neutralität ein Waffen- und Pferdeausfuhr¬
verbot, da ein solches den Engländern die Mittel zur Fortsetzung des Kriegs arg
beschneiden und den Frieden herbeiführen würde. Ein derartiges Verbot wäre
aber eine direkte Feindseligkeit gegen England, weil es nur dieses treffen würde,
nicht auch die Buren, die weder Pferde noch Waffen aus Europa beziehn,
und hinter einer Vermittlung, die nicht von beiden streitenden Teilen gewünscht
oder wenigstens zugelassen wird, muß der feste Entschluß stehn, mit den Waffen
einzugreifen, wenn sie abgelehnt wird, sonst endet die Intervention mit einer
Blamage und mit einer diplomatischen Spannung ohne jeden Nutzen; und
greifen die vermittelnden Mächte wirklich zu den Waffen, dann beginnen sie
einen größern Krieg, um einen kleinen zu beendigen. Die vermittelnde Stellung,
die Österreich während des Krimkriegs zwischen den Westmächten und Rußland
einnahm, befriedigte diese nicht, beleidigte aber Rußland aufs schwerste, schwerer
vielleicht, als wenn Österreich sich einfach auf die Seite des Feindes gestellt
hätte, und bezeichnete den Anfang eines Weges, an dem die Stationen Sol-
ferino und Königgrätz lagen. Die bewaffnete Vermittlung Preußens im Kriege
von 1805, die ihm eine beherrschende Stellung in Europa Hütte geben können,
führte geradeswegs nach Jena, weil zwar die Mittel zum bewaffneten Ein-
schreiten vollauf bereit standen, aber der Entschluß fehlte, sie zur Durchführung
der gestellten Forderungen anzuwenden. Die sehr ähnliche Haltung Preußens
1790 half zwar der angegriffnen Türkei nicht viel, legte aber den Grund zu
dem tiefen Mißtrauen Österreichs, das den später gegen Frankreich verbündeten
Mächten den Erfolg des ersten Koalitionskriegs verdorben hat. Vssti^la
wrisut! Ist wirklich, auch wenn alle europäischen Großmächte etwa in iden¬
tischen Noten Vorschläge zur Beendigung des Vnrenkriegs in Downing Street
machten, bei allen auch der feste Entschluß anzunehmen, einem englischen Nein
die Kriegserklärung folgen zu lassen? Das wird doch niemand behaupten
wollen. Man erzählt sich im Auslande, z. B. in Nußland, zu einem der¬
artigen Einvernehmen der Mächte fehle nur noch die Zustimmung des Deutschen
Kaisers. Diese Ansicht ist mindestens naiv, und anch wenn sie richtig wäre,
dann würde unser Kaiser wohl seinen Grund haben, sich von einer so freund¬
schaftlichen Demonstration auszuschließen, denn alsbald würde es wieder heißen:
HsrmkmL w tbs front! und wir würden hinter uns niemand finden. Wir
haben 1896 nicht vergessen und danken für ähnliche Erfahrungen. Vostissi^
tsrroM!

Also ist nicht zu helfen? Nein, in der Weise, wie sich das der selbständige
deutsche Bürger gern vorstellt, ist den Buren nicht zu helfen; wir können den
Einsatz eines solchen Spiels, er mag um Blamage, Verfeindung mit England
oder Krieg heißen, nicht riskieren. Die Buren haben den ihnen freilich auf-
gezwungnen Krieg in einem unglücklichen Momente begonnen und müssen die
Folgen tragen. Man mag das eine Schande des zwanzigsten Jahrhunderts,
einen dunkeln Flecken auf unsrer so hoch gepriesenen Zivilisation nennen, aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/10>, abgerufen am 14.05.2024.