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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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ihren Einfluß auf deu Kommandanten im Sinne der Kapitulation geltend zu
machen. Thatsächlich ist diese Maßregel bei mehreren kleinern Festungen
1870/71 mit Erfolg angewandt worden, und vou deren Einwohnern sind nicht
etwa die Deutschen der Inhumanität beschuldigt worden, sondern der eigne
Kommandant, wenn er sich zu der unvermeidlich gewordnen Übergabe nicht
gleich entschließen konnte. Bezeichnend ist nun weiter, daß viele der direkt
Beteiligten, die, wie z. B. Bismarck und anscheinend auch Roon, das
Bombardement verlangten, davon keine klare Vorstellung hatten, daß das
Bombardement als solches allein überhaupt gar nicht möglich war. Durch
die vorgeschobnen Forts von Paris wäre mau nämlich gezwungen gewesen,
mit den Bombardeinentsbatterien so weit von der Stadt abzubleiben, daß nur
ein verschwindend kleiner Teil zu treffen gewesen wäre, was bei der großen
Ausdehnung der Stadt absolut keine Wirkung hervorgebracht hätte. Ein
Bombardement ohne Wirkung hätte aber in moralischer Hinsicht gerade deu
entgegengesetzten Erfolg vou dem gehabt, den man beabsichtigte. Es wurde
erst möglich und wirksam durch die vorhergehende Bekämpfung der Forts.

Die Pariser selbst haben anfänglich eine Beschießung als selbstverständlich
erwartet und sich darauf vorbereitet; als sie sich aber hinzögerte, und zumal
als sich die Presse der ganzen Welt der Frage bemächtigte und meist dagegen
aussprach, glaubten sie nicht mehr daran. Als sie dann doch eintrat, waren
sie zuerst verblüfft und dann höchst empört, was aber nur beweist, daß sie
notwendig war.

Die Stimmung in Versailles war fast allgemein für die Beschießung. An
der Spitze der Schießer, wie man sie nannte, standen Bismarck mehr aus
politischen, Roon mehr ans militärischen Gründen. Moltkes Ansicht haben
wir schon angegeben; man könnte sie in ihrer ruhigen Objektivität eine neu¬
trale nennen. Der entschiedenste Gegner der Beschießung war der General
von Blumenthal; wir haben ein Schreiben von ihm an Moltke, worin er offen
ausspricht, daß er sich von einer Beschießung keinerlei Nutzen verspreche und
deshalb entschieden dagegen sei. Freilich hat der Verlauf der Ereignisse ihm
Unrecht gegeben; der General von Müller glaubt den Grund dieses Irrtums
darin suchen zu dürfen, daß dem General von Blumenthal die großen Fort¬
schritte des deutschen Geschützwesens gerade in den sechziger Jahren nicht ge¬
nügend bekannt gewesen seien. Thatsächlich ist er, wie viele andre, durch die
große Überlegenheit, die demnächst die deutschen Geschütze in ihrer Wirkung
über die französischen bewiesen, überrascht worden. Man wird sich aber bei
der Beurteilung der Frage gegenwärtig halten müssen, daß auch die höchsten
Stellen der Artillerie und der Ingenieure von vornherein den Erfolg einer
Beschießung für zweifelhaft erklärt hatten. Wenn sie später von diesem Urteil
zurückkamen und entschieden für eine Beschießung eintraten, so lag das darin,
daß die lange Dauer der Einschließung und die wachsende Widerstandskraft
der Besatzung moralisch wie militärisch dazu nötigten, jedes mögliche Mittel
auch anzuwenden; ob es dann wirksam sein würde, hing von der aufgewandten
Kraft und Energie ab.

Es ist richtig, daß damals in Versailles vielfach die.,Schuld an der Ver-


ihren Einfluß auf deu Kommandanten im Sinne der Kapitulation geltend zu
machen. Thatsächlich ist diese Maßregel bei mehreren kleinern Festungen
1870/71 mit Erfolg angewandt worden, und vou deren Einwohnern sind nicht
etwa die Deutschen der Inhumanität beschuldigt worden, sondern der eigne
Kommandant, wenn er sich zu der unvermeidlich gewordnen Übergabe nicht
gleich entschließen konnte. Bezeichnend ist nun weiter, daß viele der direkt
Beteiligten, die, wie z. B. Bismarck und anscheinend auch Roon, das
Bombardement verlangten, davon keine klare Vorstellung hatten, daß das
Bombardement als solches allein überhaupt gar nicht möglich war. Durch
die vorgeschobnen Forts von Paris wäre mau nämlich gezwungen gewesen,
mit den Bombardeinentsbatterien so weit von der Stadt abzubleiben, daß nur
ein verschwindend kleiner Teil zu treffen gewesen wäre, was bei der großen
Ausdehnung der Stadt absolut keine Wirkung hervorgebracht hätte. Ein
Bombardement ohne Wirkung hätte aber in moralischer Hinsicht gerade deu
entgegengesetzten Erfolg vou dem gehabt, den man beabsichtigte. Es wurde
erst möglich und wirksam durch die vorhergehende Bekämpfung der Forts.

Die Pariser selbst haben anfänglich eine Beschießung als selbstverständlich
erwartet und sich darauf vorbereitet; als sie sich aber hinzögerte, und zumal
als sich die Presse der ganzen Welt der Frage bemächtigte und meist dagegen
aussprach, glaubten sie nicht mehr daran. Als sie dann doch eintrat, waren
sie zuerst verblüfft und dann höchst empört, was aber nur beweist, daß sie
notwendig war.

Die Stimmung in Versailles war fast allgemein für die Beschießung. An
der Spitze der Schießer, wie man sie nannte, standen Bismarck mehr aus
politischen, Roon mehr ans militärischen Gründen. Moltkes Ansicht haben
wir schon angegeben; man könnte sie in ihrer ruhigen Objektivität eine neu¬
trale nennen. Der entschiedenste Gegner der Beschießung war der General
von Blumenthal; wir haben ein Schreiben von ihm an Moltke, worin er offen
ausspricht, daß er sich von einer Beschießung keinerlei Nutzen verspreche und
deshalb entschieden dagegen sei. Freilich hat der Verlauf der Ereignisse ihm
Unrecht gegeben; der General von Müller glaubt den Grund dieses Irrtums
darin suchen zu dürfen, daß dem General von Blumenthal die großen Fort¬
schritte des deutschen Geschützwesens gerade in den sechziger Jahren nicht ge¬
nügend bekannt gewesen seien. Thatsächlich ist er, wie viele andre, durch die
große Überlegenheit, die demnächst die deutschen Geschütze in ihrer Wirkung
über die französischen bewiesen, überrascht worden. Man wird sich aber bei
der Beurteilung der Frage gegenwärtig halten müssen, daß auch die höchsten
Stellen der Artillerie und der Ingenieure von vornherein den Erfolg einer
Beschießung für zweifelhaft erklärt hatten. Wenn sie später von diesem Urteil
zurückkamen und entschieden für eine Beschießung eintraten, so lag das darin,
daß die lange Dauer der Einschließung und die wachsende Widerstandskraft
der Besatzung moralisch wie militärisch dazu nötigten, jedes mögliche Mittel
auch anzuwenden; ob es dann wirksam sein würde, hing von der aufgewandten
Kraft und Energie ab.

Es ist richtig, daß damals in Versailles vielfach die.,Schuld an der Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/190>, abgerufen am 04.06.2024.