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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Robert Mohls Lobenserinneruttgen

in München, von den Verhandlungen über den Beitritt zum Reich zu erzählen
weiß, gehört gleichfalls zu den anziehendsten Kapiteln. Den Minister Bray
schildert er in seiner drastischen Sprache als ganz partikularistisch, von übelin
Willen, unfähig und von allen Parteien verachtet; er nennt es geradezu
tragisch für deu Grafen, daß er den Vertrag von Versailles unterzeichnen
mußte, wozu ihn nur die Gewalt der Umstünde drängen konnte.

Als der Münchner Posten eingezogen wurde, erneuerte sich Mohls Wunsch,
zum Gesandten in Berlin und Bevollmächtigten im Bundesrat ernannt zu
werden. "Ohne Selbstüberschätzung" sprach er sich nach seiner Vergangenheit
die Befähigung zu, bei der Einführung und der Weiterbildung der Neichs-
cinrichtungen mitwirken zu können. Die badische Regierung war auch bereit
dazu, fand aber bei Bismarck kein Entgegenkommen. Daß sich nnn der Vier-
undsiebzigjührige in den Reichstag wählen ließ, wo er -- ungern genug --
der nationalliberaleu Partei beitrat, mag man als Beweis für seinen noch
immer ungesättigten Ehrgeiz ansehen; für ihn persönlich war es ein um so
glücklicherer Abschluß seiner politischen Laufbahn, als seine Tochter Anna an
Helmholtz, den berühmten Naturforscher, verheiratet war, er also in Berlin
eine Heimat fand, und zugleich einen geistbelebten Salon, der eine bunte, er¬
lesene Gesellschaft vereinigte. Den Verhandlungen des Reichstags ist er mit
Aufmerksamkeit gefolgt, auch erschien er regelmäßig in den Sitzungen; für eine
eingreifende Thätigkeit fühlte er sich aber doch zu alt und zu müde. Doch
seiner kritischen Porträtsammlung konnte er nun noch eine Reihe neuer Namen
zufügen, und es macht der Schärfe seines Urteils alle Ehre, daß er schon
damals die Bedeutung Miquels erkannte, den er "zur Bekleidung der höchsten
Stellen" befähigt fand.

Schärfe des Urteils ist überhaupt der vorherrschende Eindruck, den man
ans diesen Erinnerungen gewinnt. Ein klarer, illnsionsfreier Verstand spricht
aus jedem Satze. Mohl hat in seinein Leben nicht alles erreicht, wonach
sein hochstrebender Sinn verlangend sich streckte; den Grund davou fand er in
sich selbst, in dem Maße seiner Fähigkeiten. Denn wie gegen andre, so ist er
auch gegen sich selbst ein strenger Richter. Er giebt sich in seinen Denkwürdig¬
keiten so wie er war, ohne Versuch zu beschöuen. Daß ihm volle Sympathie
nicht zu teil werden kann und vielleicht nie zu teil geworden ist, liegt daran,
daß ihm bei seiner reichen Begabung eins fehlte: die Wärme des Gemüts.
Es geht ein kalter Zug durch diese Erinnerungen. Und bei all seiner Gelehr¬
samkeit ist es im Grnnde kein weiter Horizont, den er umspannt. Sein
dauerndes Gedächtnis hängt zuletzt doch an dem, was er auf dem begrenzten
Felde seiner Wissenschaft geleistet hat. Seine Geschichte und Litteratur der
Staatswissenschaften nennt sein Biograph Hermann Schutze ein "Riesendenkmal
deutschen Gelehrtenfleißes," ein "in seiner Art einziges Werk in der Litteratur
w. L. aller Völker und Zeiten." ,




Robert Mohls Lobenserinneruttgen

in München, von den Verhandlungen über den Beitritt zum Reich zu erzählen
weiß, gehört gleichfalls zu den anziehendsten Kapiteln. Den Minister Bray
schildert er in seiner drastischen Sprache als ganz partikularistisch, von übelin
Willen, unfähig und von allen Parteien verachtet; er nennt es geradezu
tragisch für deu Grafen, daß er den Vertrag von Versailles unterzeichnen
mußte, wozu ihn nur die Gewalt der Umstünde drängen konnte.

Als der Münchner Posten eingezogen wurde, erneuerte sich Mohls Wunsch,
zum Gesandten in Berlin und Bevollmächtigten im Bundesrat ernannt zu
werden. „Ohne Selbstüberschätzung" sprach er sich nach seiner Vergangenheit
die Befähigung zu, bei der Einführung und der Weiterbildung der Neichs-
cinrichtungen mitwirken zu können. Die badische Regierung war auch bereit
dazu, fand aber bei Bismarck kein Entgegenkommen. Daß sich nnn der Vier-
undsiebzigjührige in den Reichstag wählen ließ, wo er — ungern genug —
der nationalliberaleu Partei beitrat, mag man als Beweis für seinen noch
immer ungesättigten Ehrgeiz ansehen; für ihn persönlich war es ein um so
glücklicherer Abschluß seiner politischen Laufbahn, als seine Tochter Anna an
Helmholtz, den berühmten Naturforscher, verheiratet war, er also in Berlin
eine Heimat fand, und zugleich einen geistbelebten Salon, der eine bunte, er¬
lesene Gesellschaft vereinigte. Den Verhandlungen des Reichstags ist er mit
Aufmerksamkeit gefolgt, auch erschien er regelmäßig in den Sitzungen; für eine
eingreifende Thätigkeit fühlte er sich aber doch zu alt und zu müde. Doch
seiner kritischen Porträtsammlung konnte er nun noch eine Reihe neuer Namen
zufügen, und es macht der Schärfe seines Urteils alle Ehre, daß er schon
damals die Bedeutung Miquels erkannte, den er „zur Bekleidung der höchsten
Stellen" befähigt fand.

Schärfe des Urteils ist überhaupt der vorherrschende Eindruck, den man
ans diesen Erinnerungen gewinnt. Ein klarer, illnsionsfreier Verstand spricht
aus jedem Satze. Mohl hat in seinein Leben nicht alles erreicht, wonach
sein hochstrebender Sinn verlangend sich streckte; den Grund davou fand er in
sich selbst, in dem Maße seiner Fähigkeiten. Denn wie gegen andre, so ist er
auch gegen sich selbst ein strenger Richter. Er giebt sich in seinen Denkwürdig¬
keiten so wie er war, ohne Versuch zu beschöuen. Daß ihm volle Sympathie
nicht zu teil werden kann und vielleicht nie zu teil geworden ist, liegt daran,
daß ihm bei seiner reichen Begabung eins fehlte: die Wärme des Gemüts.
Es geht ein kalter Zug durch diese Erinnerungen. Und bei all seiner Gelehr¬
samkeit ist es im Grnnde kein weiter Horizont, den er umspannt. Sein
dauerndes Gedächtnis hängt zuletzt doch an dem, was er auf dem begrenzten
Felde seiner Wissenschaft geleistet hat. Seine Geschichte und Litteratur der
Staatswissenschaften nennt sein Biograph Hermann Schutze ein „Riesendenkmal
deutschen Gelehrtenfleißes," ein „in seiner Art einziges Werk in der Litteratur
w. L. aller Völker und Zeiten." ,




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[0034] Robert Mohls Lobenserinneruttgen in München, von den Verhandlungen über den Beitritt zum Reich zu erzählen weiß, gehört gleichfalls zu den anziehendsten Kapiteln. Den Minister Bray schildert er in seiner drastischen Sprache als ganz partikularistisch, von übelin Willen, unfähig und von allen Parteien verachtet; er nennt es geradezu tragisch für deu Grafen, daß er den Vertrag von Versailles unterzeichnen mußte, wozu ihn nur die Gewalt der Umstünde drängen konnte. Als der Münchner Posten eingezogen wurde, erneuerte sich Mohls Wunsch, zum Gesandten in Berlin und Bevollmächtigten im Bundesrat ernannt zu werden. „Ohne Selbstüberschätzung" sprach er sich nach seiner Vergangenheit die Befähigung zu, bei der Einführung und der Weiterbildung der Neichs- cinrichtungen mitwirken zu können. Die badische Regierung war auch bereit dazu, fand aber bei Bismarck kein Entgegenkommen. Daß sich nnn der Vier- undsiebzigjührige in den Reichstag wählen ließ, wo er — ungern genug — der nationalliberaleu Partei beitrat, mag man als Beweis für seinen noch immer ungesättigten Ehrgeiz ansehen; für ihn persönlich war es ein um so glücklicherer Abschluß seiner politischen Laufbahn, als seine Tochter Anna an Helmholtz, den berühmten Naturforscher, verheiratet war, er also in Berlin eine Heimat fand, und zugleich einen geistbelebten Salon, der eine bunte, er¬ lesene Gesellschaft vereinigte. Den Verhandlungen des Reichstags ist er mit Aufmerksamkeit gefolgt, auch erschien er regelmäßig in den Sitzungen; für eine eingreifende Thätigkeit fühlte er sich aber doch zu alt und zu müde. Doch seiner kritischen Porträtsammlung konnte er nun noch eine Reihe neuer Namen zufügen, und es macht der Schärfe seines Urteils alle Ehre, daß er schon damals die Bedeutung Miquels erkannte, den er „zur Bekleidung der höchsten Stellen" befähigt fand. Schärfe des Urteils ist überhaupt der vorherrschende Eindruck, den man ans diesen Erinnerungen gewinnt. Ein klarer, illnsionsfreier Verstand spricht aus jedem Satze. Mohl hat in seinein Leben nicht alles erreicht, wonach sein hochstrebender Sinn verlangend sich streckte; den Grund davou fand er in sich selbst, in dem Maße seiner Fähigkeiten. Denn wie gegen andre, so ist er auch gegen sich selbst ein strenger Richter. Er giebt sich in seinen Denkwürdig¬ keiten so wie er war, ohne Versuch zu beschöuen. Daß ihm volle Sympathie nicht zu teil werden kann und vielleicht nie zu teil geworden ist, liegt daran, daß ihm bei seiner reichen Begabung eins fehlte: die Wärme des Gemüts. Es geht ein kalter Zug durch diese Erinnerungen. Und bei all seiner Gelehr¬ samkeit ist es im Grnnde kein weiter Horizont, den er umspannt. Sein dauerndes Gedächtnis hängt zuletzt doch an dem, was er auf dem begrenzten Felde seiner Wissenschaft geleistet hat. Seine Geschichte und Litteratur der Staatswissenschaften nennt sein Biograph Hermann Schutze ein „Riesendenkmal deutschen Gelehrtenfleißes," ein „in seiner Art einziges Werk in der Litteratur w. L. aller Völker und Zeiten." ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/34>, abgerufen am 15.05.2024.