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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Mein Tuskulamun

Wir sind Dichter und Richter zugleich umschichtig, wir freun uns
Gern an des andern Werk, wie an dem eigenen fast.

Dabei spielen wir nicht aufrichtige, rauhe Catone,
Denen nur Galle und Gift spritzt aus dem eifernden Mund.

Solch ein Kritiker ist doch nnr mit der Keule bewaffnet,
Und so lauert er auf jedem, der nahet des Wegs.

Niemals war noch ein Volk so tadelsüchtig wie unsers;
Anzuerkennen ein Werk ist uns ein schwerer Entschluß.

Wir, wir Freunde erkaufen das Recht zu tadeln, indem wir
Loben am Werke vorher, was mau mit Billigkeit rühmt.

Glaube mir, alles ist möglich zu sagen, und brauchst du die Wahrheit
Nicht zu verletzen, indem schonend du tadelst deu Freund;

"Schwer ist das Schone!" es wird durch heitere Wechselgespräche
Scherz und Laune der Mitstrebenden leichter gemacht.

Und so groß ist der Reiz des gemeinsamen Lebens, daß jede
Trennung, die kürzeste selbst, schwer zu ertragen uns wird.")

Also mach ich mich auf und wandre im Schatten des Harrles,
Wo ein lieblicher Weg führet nach Eilfer hinab;

Denn dort badet der Freund und suchet in Schlamm und in Schwefel
Heil und Genesung vom Leid, das ihm der Winter gebracht.

Und so muß ich vom leidenden Freund doch Erkundigung einziehn,
Ob er immer noch klagt über die Muskeln des Beins,

Oder genesen und froh schon wieder die schönen Geschichten
Vorträge, die uus so oft lächeln und schmunzeln gemacht.

Wenn er mit ernstem Gesicht und auf Wissenschaft und Erfahrung
Gern sich berufend erzählt, hört man begierig ihm zu.

Ein Münchhauseusches Gut liegt nahe bei seinem Geburtsort,
Und das merkt man denn auch seinen Erzählungen an.

Ja, wer staunte nicht über die Neger verschluckende Pflanze,
Oder den seltenen Fisch, welchen die Knaben gezähmt,

Und sie sitzen darauf und lenken das Tier mit dem Zügel;
"Aber was hat er davon?" fragest verwundert du wohl.

",,.
Gott macht nie ihm das Wetter zu Dank, und er seufzet beständig:
"Noch mehr Regen, noch mehr immer vom köstlichen Naß!"

Als ein Wolkenbruch jüngst prasselte, rief ich dem Freund zu:
"Ist es um Wasser genug?" Er mit Verachtung versetzt:
"

"Die paar Tropfen! und schreitet, im Wasser watend, von dannen.
"Wozu der Mantel?" so frag ich ihn noch einmal, er murrt:

.
Nun, wir lachten und kamen nach Eilfer und trafen den Freund an,
Und dann wurde zu drein weiter gescherzt und gelacht.



Die beiden Freunde sind der vor mehreren Jahren in Bückeburg verstorbne Verfasser
des vielgelesenen Romans "Gepa," Landrichter Römers, und der durch seine "Holländischen
Geschichten" bekannte Volksschriftsteller t)r. Wilhelm Fischer.
Mein Tuskulamun

Wir sind Dichter und Richter zugleich umschichtig, wir freun uns
Gern an des andern Werk, wie an dem eigenen fast.

Dabei spielen wir nicht aufrichtige, rauhe Catone,
Denen nur Galle und Gift spritzt aus dem eifernden Mund.

Solch ein Kritiker ist doch nnr mit der Keule bewaffnet,
Und so lauert er auf jedem, der nahet des Wegs.

Niemals war noch ein Volk so tadelsüchtig wie unsers;
Anzuerkennen ein Werk ist uns ein schwerer Entschluß.

Wir, wir Freunde erkaufen das Recht zu tadeln, indem wir
Loben am Werke vorher, was mau mit Billigkeit rühmt.

Glaube mir, alles ist möglich zu sagen, und brauchst du die Wahrheit
Nicht zu verletzen, indem schonend du tadelst deu Freund;

„Schwer ist das Schone!" es wird durch heitere Wechselgespräche
Scherz und Laune der Mitstrebenden leichter gemacht.

Und so groß ist der Reiz des gemeinsamen Lebens, daß jede
Trennung, die kürzeste selbst, schwer zu ertragen uns wird.")

Also mach ich mich auf und wandre im Schatten des Harrles,
Wo ein lieblicher Weg führet nach Eilfer hinab;

Denn dort badet der Freund und suchet in Schlamm und in Schwefel
Heil und Genesung vom Leid, das ihm der Winter gebracht.

Und so muß ich vom leidenden Freund doch Erkundigung einziehn,
Ob er immer noch klagt über die Muskeln des Beins,

Oder genesen und froh schon wieder die schönen Geschichten
Vorträge, die uus so oft lächeln und schmunzeln gemacht.

Wenn er mit ernstem Gesicht und auf Wissenschaft und Erfahrung
Gern sich berufend erzählt, hört man begierig ihm zu.

Ein Münchhauseusches Gut liegt nahe bei seinem Geburtsort,
Und das merkt man denn auch seinen Erzählungen an.

Ja, wer staunte nicht über die Neger verschluckende Pflanze,
Oder den seltenen Fisch, welchen die Knaben gezähmt,

Und sie sitzen darauf und lenken das Tier mit dem Zügel;
„Aber was hat er davon?" fragest verwundert du wohl.

„,,.
Gott macht nie ihm das Wetter zu Dank, und er seufzet beständig:
„Noch mehr Regen, noch mehr immer vom köstlichen Naß!"

Als ein Wolkenbruch jüngst prasselte, rief ich dem Freund zu:
„Ist es um Wasser genug?" Er mit Verachtung versetzt:
"

„Die paar Tropfen! und schreitet, im Wasser watend, von dannen.
„Wozu der Mantel?" so frag ich ihn noch einmal, er murrt:

.
Nun, wir lachten und kamen nach Eilfer und trafen den Freund an,
Und dann wurde zu drein weiter gescherzt und gelacht.



Die beiden Freunde sind der vor mehreren Jahren in Bückeburg verstorbne Verfasser
des vielgelesenen Romans „Gepa," Landrichter Römers, und der durch seine „Holländischen
Geschichten" bekannte Volksschriftsteller t)r. Wilhelm Fischer.
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[0508] Mein Tuskulamun Wir sind Dichter und Richter zugleich umschichtig, wir freun uns Gern an des andern Werk, wie an dem eigenen fast. Dabei spielen wir nicht aufrichtige, rauhe Catone, Denen nur Galle und Gift spritzt aus dem eifernden Mund. Solch ein Kritiker ist doch nnr mit der Keule bewaffnet, Und so lauert er auf jedem, der nahet des Wegs. Niemals war noch ein Volk so tadelsüchtig wie unsers; Anzuerkennen ein Werk ist uns ein schwerer Entschluß. Wir, wir Freunde erkaufen das Recht zu tadeln, indem wir Loben am Werke vorher, was mau mit Billigkeit rühmt. Glaube mir, alles ist möglich zu sagen, und brauchst du die Wahrheit Nicht zu verletzen, indem schonend du tadelst deu Freund; „Schwer ist das Schone!" es wird durch heitere Wechselgespräche Scherz und Laune der Mitstrebenden leichter gemacht. Und so groß ist der Reiz des gemeinsamen Lebens, daß jede Trennung, die kürzeste selbst, schwer zu ertragen uns wird.") Also mach ich mich auf und wandre im Schatten des Harrles, Wo ein lieblicher Weg führet nach Eilfer hinab; Denn dort badet der Freund und suchet in Schlamm und in Schwefel Heil und Genesung vom Leid, das ihm der Winter gebracht. Und so muß ich vom leidenden Freund doch Erkundigung einziehn, Ob er immer noch klagt über die Muskeln des Beins, Oder genesen und froh schon wieder die schönen Geschichten Vorträge, die uus so oft lächeln und schmunzeln gemacht. Wenn er mit ernstem Gesicht und auf Wissenschaft und Erfahrung Gern sich berufend erzählt, hört man begierig ihm zu. Ein Münchhauseusches Gut liegt nahe bei seinem Geburtsort, Und das merkt man denn auch seinen Erzählungen an. Ja, wer staunte nicht über die Neger verschluckende Pflanze, Oder den seltenen Fisch, welchen die Knaben gezähmt, Und sie sitzen darauf und lenken das Tier mit dem Zügel; „Aber was hat er davon?" fragest verwundert du wohl. „,,. Gott macht nie ihm das Wetter zu Dank, und er seufzet beständig: „Noch mehr Regen, noch mehr immer vom köstlichen Naß!" Als ein Wolkenbruch jüngst prasselte, rief ich dem Freund zu: „Ist es um Wasser genug?" Er mit Verachtung versetzt: " „Die paar Tropfen! und schreitet, im Wasser watend, von dannen. „Wozu der Mantel?" so frag ich ihn noch einmal, er murrt: . Nun, wir lachten und kamen nach Eilfer und trafen den Freund an, Und dann wurde zu drein weiter gescherzt und gelacht. Die beiden Freunde sind der vor mehreren Jahren in Bückeburg verstorbne Verfasser des vielgelesenen Romans „Gepa," Landrichter Römers, und der durch seine „Holländischen Geschichten" bekannte Volksschriftsteller t)r. Wilhelm Fischer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/508>, abgerufen am 29.05.2024.