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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

reichliches Material zusammengetragen und behandelt die Beziehungen Deutsch¬
lands zum Weltmeere im allgemeinen und zu den einzelnen überseeischen Ge¬
bieten im besondern, das Verhältnis zwischen Inlands- und Auslandsmarkt, die
Unentbehrlichkeit des Exports für die Arbeiter und weist u. a. nach, wie vorteilhaft
es für uns wäre, wenn wir unsre Rohbaumwolle aus eignen Kolonien beziehen
könnten. -- Auf demselben Boden fußend, erörtert Dr. Njemetzki die Agrarfrage
in dem kleinen Schriftchen: Die Industrialisierung der Landwirtschaft,
nebst einer Antwort auf die Frage: Brotzoll oder Handelsverträge? (Berlin,
Ernst Hofmann u. Co., 1901.) Der Gedankengang ist der bekannte: Wegen des
hohen Bodenpreises und der hohen Arbeitslöhne können die alten Kulturländer im
Getreidebau nicht mehr mit den neuen konkurrieren, Kornzölle vermögen den natür¬
lichen Lauf der Entwicklung weder zu hemmen noch abzulenken, es bleibt also den
alten Ländern nichts übrig, als sich diesem Lauf anzubequemen, indem sie einer¬
seits die Landwirtschaft so intensiv und industriell wie möglich betreiben, z. B- durch
Bäckerei- und Fleischverkaufgenossenschaften die Vermittler ausschalten, andrerseits
den uurentabeln Körnerban einschränken und sich ans Viehzucht, Molkerei, Geflügel¬
zucht, Gemüse- und Obstbau werfen. Über landwirtschaftliches Genossenschaftswesen
und Industrialisierung der Gärtnerei werden interessante Einzelheiten mitgeteilt,
die noch nicht allgemein bekannt sein dürften. -- Einen einzelnen Zweig unsers
Weltverkehrs behandelt Dr. I. Krauß: Deutsch-türkische Handelsbeziehungen
>eit dem Berliner Vertrag unter besondrer Berücksichtigung der Handelswege (Jena,
^"heav Fischer, 1901). Eins der wichtigsten Ergebnisse der Studien des Verfassers,
der mehrere Jahre in der Türkei gelebt hat, ist, daß für Süddeutschlnud und sogar
für österreichische Industriegebiete der Weg dahin über die deutschen Nvrdseehäfeu
vorteilhafter und namentlich wohlfeiler ist als die Donaustraße. Eine andre be¬
achtenswerte Wahrnehmung, die er gemacht hat, lautet: die weit verbreitete Meinung,
daß Konsuln und Diplomaten im Auslande den Außenhandel durch unmittelbare
^Uiwirkung fördern könnten, ist ein Irrtum. Für nicht weniger irrig erklärt er
die Ansicht, die deutschen Kaufleute im Ausland hätten die Pflicht, sich ausschließlich
dem Vertrieb der Erzeugnisse des deutschen Gewerbfleißes zu widmen. -- Die
deutschen Handelsbeziehungen zur Balkanhalbinsel beschränken sich natürlich nicht
auf das stark zusammengeschrumpfte Gebiet des Sultans, und so ist es denn er¬
freulich, voie einem der neuen Balkaustaaten zu lesen, daß er in gesunder Entwick¬
lung begriffen ist. Das weist der Bulgare or. MI. Iwan K. Drenkoff von
innen Vaterlande nach in der Schrift: Die Steuerverhältnisse Bulgariens
(Jena, Gustav Fischer, 1900). Von einem patriotischen Bulgaren kann man nicht
erwarten, daß er der bei uns ziemlich weit verbreiteten Ansicht beipflichten werde,
der Türke sei der einzige Gentleman in der Türkei. Auch Krauß erwähnt ge¬
legentlich, daß der Türke keinen Erwerbsinn hat und deshalb im Handel von den
andern Nationen zurückgedrängt, auch wohl übervorteilt wird. Aber die beiden
entgegengehen Beurteilungen des türkischen Nationnlchnrakters kann man am Ende
vereinigen, wenn man statt Gentleman Ritter setzt, sich dann erinnert, daß Ritter
und Räuber nahe Verwandte sind, und an die Helden der Ilias denkt, sowie an
le Charakteristik des Germanen bei Tacitus: xi^inen cminimmo et mors viclstur,
aors aäMirgrg, qnoä xo8sis 8g.nxuino us,rg,rs. Seine Waren anzupreisen und
en Kunden nachzulaufen, das verschmäht der stolze Türke; aber als Steuerpächter
en Bauern auszurauben, ihn, wenn er Widerstand leistet, niederzuschlagen und
>eine Töchter zu schänden, das erscheint ihm nicht unedel. So schildert ihn Drenkoff.
"ver vornehme Türke wisse nichts von Knlturzwecken, denen der Staat zu dienen,
ut die er durch wohlthätige Einrichtungen wie Schulen, Verkehrsanstalten, ge¬
riete Rechtsprechung zu fördern habe; er kenne nur einen Staatszweck: das ge¬
meine Volk und die Rcijah unter der Fuchtel halten und beiden die Mittel zu
keinem müßigen Genußleben auspressen. Wie Bulgarien das in diesem Barbaren-
aat entstandne Steuersystem übernommen hat und seinen Kulturbestrebungen mi-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

reichliches Material zusammengetragen und behandelt die Beziehungen Deutsch¬
lands zum Weltmeere im allgemeinen und zu den einzelnen überseeischen Ge¬
bieten im besondern, das Verhältnis zwischen Inlands- und Auslandsmarkt, die
Unentbehrlichkeit des Exports für die Arbeiter und weist u. a. nach, wie vorteilhaft
es für uns wäre, wenn wir unsre Rohbaumwolle aus eignen Kolonien beziehen
könnten. — Auf demselben Boden fußend, erörtert Dr. Njemetzki die Agrarfrage
in dem kleinen Schriftchen: Die Industrialisierung der Landwirtschaft,
nebst einer Antwort auf die Frage: Brotzoll oder Handelsverträge? (Berlin,
Ernst Hofmann u. Co., 1901.) Der Gedankengang ist der bekannte: Wegen des
hohen Bodenpreises und der hohen Arbeitslöhne können die alten Kulturländer im
Getreidebau nicht mehr mit den neuen konkurrieren, Kornzölle vermögen den natür¬
lichen Lauf der Entwicklung weder zu hemmen noch abzulenken, es bleibt also den
alten Ländern nichts übrig, als sich diesem Lauf anzubequemen, indem sie einer¬
seits die Landwirtschaft so intensiv und industriell wie möglich betreiben, z. B- durch
Bäckerei- und Fleischverkaufgenossenschaften die Vermittler ausschalten, andrerseits
den uurentabeln Körnerban einschränken und sich ans Viehzucht, Molkerei, Geflügel¬
zucht, Gemüse- und Obstbau werfen. Über landwirtschaftliches Genossenschaftswesen
und Industrialisierung der Gärtnerei werden interessante Einzelheiten mitgeteilt,
die noch nicht allgemein bekannt sein dürften. — Einen einzelnen Zweig unsers
Weltverkehrs behandelt Dr. I. Krauß: Deutsch-türkische Handelsbeziehungen
>eit dem Berliner Vertrag unter besondrer Berücksichtigung der Handelswege (Jena,
^"heav Fischer, 1901). Eins der wichtigsten Ergebnisse der Studien des Verfassers,
der mehrere Jahre in der Türkei gelebt hat, ist, daß für Süddeutschlnud und sogar
für österreichische Industriegebiete der Weg dahin über die deutschen Nvrdseehäfeu
vorteilhafter und namentlich wohlfeiler ist als die Donaustraße. Eine andre be¬
achtenswerte Wahrnehmung, die er gemacht hat, lautet: die weit verbreitete Meinung,
daß Konsuln und Diplomaten im Auslande den Außenhandel durch unmittelbare
^Uiwirkung fördern könnten, ist ein Irrtum. Für nicht weniger irrig erklärt er
die Ansicht, die deutschen Kaufleute im Ausland hätten die Pflicht, sich ausschließlich
dem Vertrieb der Erzeugnisse des deutschen Gewerbfleißes zu widmen. — Die
deutschen Handelsbeziehungen zur Balkanhalbinsel beschränken sich natürlich nicht
auf das stark zusammengeschrumpfte Gebiet des Sultans, und so ist es denn er¬
freulich, voie einem der neuen Balkaustaaten zu lesen, daß er in gesunder Entwick¬
lung begriffen ist. Das weist der Bulgare or. MI. Iwan K. Drenkoff von
innen Vaterlande nach in der Schrift: Die Steuerverhältnisse Bulgariens
(Jena, Gustav Fischer, 1900). Von einem patriotischen Bulgaren kann man nicht
erwarten, daß er der bei uns ziemlich weit verbreiteten Ansicht beipflichten werde,
der Türke sei der einzige Gentleman in der Türkei. Auch Krauß erwähnt ge¬
legentlich, daß der Türke keinen Erwerbsinn hat und deshalb im Handel von den
andern Nationen zurückgedrängt, auch wohl übervorteilt wird. Aber die beiden
entgegengehen Beurteilungen des türkischen Nationnlchnrakters kann man am Ende
vereinigen, wenn man statt Gentleman Ritter setzt, sich dann erinnert, daß Ritter
und Räuber nahe Verwandte sind, und an die Helden der Ilias denkt, sowie an
le Charakteristik des Germanen bei Tacitus: xi^inen cminimmo et mors viclstur,
aors aäMirgrg, qnoä xo8sis 8g.nxuino us,rg,rs. Seine Waren anzupreisen und
en Kunden nachzulaufen, das verschmäht der stolze Türke; aber als Steuerpächter
en Bauern auszurauben, ihn, wenn er Widerstand leistet, niederzuschlagen und
>eine Töchter zu schänden, das erscheint ihm nicht unedel. So schildert ihn Drenkoff.
"ver vornehme Türke wisse nichts von Knlturzwecken, denen der Staat zu dienen,
ut die er durch wohlthätige Einrichtungen wie Schulen, Verkehrsanstalten, ge¬
riete Rechtsprechung zu fördern habe; er kenne nur einen Staatszweck: das ge¬
meine Volk und die Rcijah unter der Fuchtel halten und beiden die Mittel zu
keinem müßigen Genußleben auspressen. Wie Bulgarien das in diesem Barbaren-
aat entstandne Steuersystem übernommen hat und seinen Kulturbestrebungen mi-


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[0523] Maßgebliches und Unmaßgebliches reichliches Material zusammengetragen und behandelt die Beziehungen Deutsch¬ lands zum Weltmeere im allgemeinen und zu den einzelnen überseeischen Ge¬ bieten im besondern, das Verhältnis zwischen Inlands- und Auslandsmarkt, die Unentbehrlichkeit des Exports für die Arbeiter und weist u. a. nach, wie vorteilhaft es für uns wäre, wenn wir unsre Rohbaumwolle aus eignen Kolonien beziehen könnten. — Auf demselben Boden fußend, erörtert Dr. Njemetzki die Agrarfrage in dem kleinen Schriftchen: Die Industrialisierung der Landwirtschaft, nebst einer Antwort auf die Frage: Brotzoll oder Handelsverträge? (Berlin, Ernst Hofmann u. Co., 1901.) Der Gedankengang ist der bekannte: Wegen des hohen Bodenpreises und der hohen Arbeitslöhne können die alten Kulturländer im Getreidebau nicht mehr mit den neuen konkurrieren, Kornzölle vermögen den natür¬ lichen Lauf der Entwicklung weder zu hemmen noch abzulenken, es bleibt also den alten Ländern nichts übrig, als sich diesem Lauf anzubequemen, indem sie einer¬ seits die Landwirtschaft so intensiv und industriell wie möglich betreiben, z. B- durch Bäckerei- und Fleischverkaufgenossenschaften die Vermittler ausschalten, andrerseits den uurentabeln Körnerban einschränken und sich ans Viehzucht, Molkerei, Geflügel¬ zucht, Gemüse- und Obstbau werfen. Über landwirtschaftliches Genossenschaftswesen und Industrialisierung der Gärtnerei werden interessante Einzelheiten mitgeteilt, die noch nicht allgemein bekannt sein dürften. — Einen einzelnen Zweig unsers Weltverkehrs behandelt Dr. I. Krauß: Deutsch-türkische Handelsbeziehungen >eit dem Berliner Vertrag unter besondrer Berücksichtigung der Handelswege (Jena, ^"heav Fischer, 1901). Eins der wichtigsten Ergebnisse der Studien des Verfassers, der mehrere Jahre in der Türkei gelebt hat, ist, daß für Süddeutschlnud und sogar für österreichische Industriegebiete der Weg dahin über die deutschen Nvrdseehäfeu vorteilhafter und namentlich wohlfeiler ist als die Donaustraße. Eine andre be¬ achtenswerte Wahrnehmung, die er gemacht hat, lautet: die weit verbreitete Meinung, daß Konsuln und Diplomaten im Auslande den Außenhandel durch unmittelbare ^Uiwirkung fördern könnten, ist ein Irrtum. Für nicht weniger irrig erklärt er die Ansicht, die deutschen Kaufleute im Ausland hätten die Pflicht, sich ausschließlich dem Vertrieb der Erzeugnisse des deutschen Gewerbfleißes zu widmen. — Die deutschen Handelsbeziehungen zur Balkanhalbinsel beschränken sich natürlich nicht auf das stark zusammengeschrumpfte Gebiet des Sultans, und so ist es denn er¬ freulich, voie einem der neuen Balkaustaaten zu lesen, daß er in gesunder Entwick¬ lung begriffen ist. Das weist der Bulgare or. MI. Iwan K. Drenkoff von innen Vaterlande nach in der Schrift: Die Steuerverhältnisse Bulgariens (Jena, Gustav Fischer, 1900). Von einem patriotischen Bulgaren kann man nicht erwarten, daß er der bei uns ziemlich weit verbreiteten Ansicht beipflichten werde, der Türke sei der einzige Gentleman in der Türkei. Auch Krauß erwähnt ge¬ legentlich, daß der Türke keinen Erwerbsinn hat und deshalb im Handel von den andern Nationen zurückgedrängt, auch wohl übervorteilt wird. Aber die beiden entgegengehen Beurteilungen des türkischen Nationnlchnrakters kann man am Ende vereinigen, wenn man statt Gentleman Ritter setzt, sich dann erinnert, daß Ritter und Räuber nahe Verwandte sind, und an die Helden der Ilias denkt, sowie an le Charakteristik des Germanen bei Tacitus: xi^inen cminimmo et mors viclstur, aors aäMirgrg, qnoä xo8sis 8g.nxuino us,rg,rs. Seine Waren anzupreisen und en Kunden nachzulaufen, das verschmäht der stolze Türke; aber als Steuerpächter en Bauern auszurauben, ihn, wenn er Widerstand leistet, niederzuschlagen und >eine Töchter zu schänden, das erscheint ihm nicht unedel. So schildert ihn Drenkoff. "ver vornehme Türke wisse nichts von Knlturzwecken, denen der Staat zu dienen, ut die er durch wohlthätige Einrichtungen wie Schulen, Verkehrsanstalten, ge¬ riete Rechtsprechung zu fördern habe; er kenne nur einen Staatszweck: das ge¬ meine Volk und die Rcijah unter der Fuchtel halten und beiden die Mittel zu keinem müßigen Genußleben auspressen. Wie Bulgarien das in diesem Barbaren- aat entstandne Steuersystem übernommen hat und seinen Kulturbestrebungen mi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/523>, abgerufen am 15.05.2024.