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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Nationalitätskämpfe

diesem stillen Nationalitütskampf, über dessen Ausgang zunächst die Vorgänge
des Wirtschaftslebens, dann aber auch die Energie des Nationalbewußtseins
entscheiden. Und diese ist bei den Polen, die nicht umsonst bei ihrem Adel
und ihrer katholischen Geistlichkeit in die Schule des Deutschenhasses gegangen
sind, entschieden kräftiger und gestählter als bei uns Deutschen. Dieser Nach¬
teil auf unsrer Seite kann weder durch unsre überlegne Bildung noch durch die
Geringschätzung, mit der wir uns gewöhnt haben auf die Polen herabzusehen,
ausgeglichen werden.

Was unsre Stellung im Kampfe gegen das Polentum zu alledem noch
besonders schwierig macht, ist unsre konfessionelle Spaltung. In dein einst¬
mals durch den Deutschen Orden germanisierten Westpreußen waren es vor
allem die Deutschen katholischen Glaubens, die sich der polnischen Fremd¬
herrschaft bis zur Verleugnung und Abstreifung des eignen Volkstums beugten.
Und noch heute, wo wir wieder ein großes und starkes Volk geworden sind,
sehen wir überall an den Grenzen unsers Sprachgebiets, wie sich unsre katho¬
lischen Volksgenossen mit den ärgsten Feinden unsers Volkstums verbünden. Wer
immer katholisch ist, dem fühlen sie sich viel näher als den evangelischen Au¬
gehörigen des eignen Volkes. Ich will durchaus nicht verschweigen, welche großen
Verdienste sich einzelne katholische Geistliche, z. B. auf einigen deutschen Sprach¬
inseln Südtirols und in Belgien, um die Erhaltung der deutschen Sprache er¬
worben haben. Aber diese Fülle sind leider sehr vereinzelt. Die Regel in
den nationale,: Mischgebieten ist vielmehr die, daß sich die deutschen Katholiken
unter der Führung ihrer Geistlichkeit den fremdsprachigen Glaubensgenossen
annähern und mit diesen auch in Dingen von nationaler Bedeutung gegen
ihre eignen evangelischen Volksgenossen zusammenhalten.

So ist es im Osten wie im Westen. In Metz haben die dentschen Katho¬
liken der schon besiegten französischen Partei die Herrschaft im Stadthause
zurückerobern helfen. Und in den Provinzen Posen und Westpreußen hielt
man es bisher für selbstverständlich, daß die dentschen Katholiken bei den
Wahlen für den polnischen Kandidaten stimmten. Welchen Sturm der Ent¬
rüstung in unsrer "deutschen" Zentrumspartei hat erst vor kurzem die Haltung
der deutschen Katholiken im Wahlkreise Meseritz hervorgerufen, die es wagten,
dem polnischen Kandidaten ihre Stimmen zu verweigern und einen deutsch
gesinnten katholischen Geistlichen aufzustellen! Das Schlagwort, das katholisch
und polnisch einerseits, evangelisch und deutsch andrerseits gleichstellt, hat trotz
seiner handgreiflichen Unwahrheit im preußischen Osten eine große Wirkung
gehabt, eine Wirkung, die der Sache des Deutschtums geradezu verhängnisvoll
geworden ist. Die deutschen Katholiken, die als treue Söhne ihrer Kirche
ihre Stimmen den fanatischsten Feinden des Deutschtums geben zu müssen
glauben, dulden es auch, daß ihre gerechte Forderung deutscher Predigt und
Seelsorge von der katholisch-polnischen Geistlichkeit mit vollkommenster Mi߬
achtung behandelt wird; sie lassen es über sich ergehn, wenn sich bei ihren
Leichenbegängnissen oder andern Feiern im Kreise der Familie der katholische
Geistliche, der noch dazu oft genug deutscher Herkunft ist, ausschließlich und
ostentativ der von seinen Hörern nicht verstandnen polnischen Sprache bedient-


Nationalitätskämpfe

diesem stillen Nationalitütskampf, über dessen Ausgang zunächst die Vorgänge
des Wirtschaftslebens, dann aber auch die Energie des Nationalbewußtseins
entscheiden. Und diese ist bei den Polen, die nicht umsonst bei ihrem Adel
und ihrer katholischen Geistlichkeit in die Schule des Deutschenhasses gegangen
sind, entschieden kräftiger und gestählter als bei uns Deutschen. Dieser Nach¬
teil auf unsrer Seite kann weder durch unsre überlegne Bildung noch durch die
Geringschätzung, mit der wir uns gewöhnt haben auf die Polen herabzusehen,
ausgeglichen werden.

Was unsre Stellung im Kampfe gegen das Polentum zu alledem noch
besonders schwierig macht, ist unsre konfessionelle Spaltung. In dein einst¬
mals durch den Deutschen Orden germanisierten Westpreußen waren es vor
allem die Deutschen katholischen Glaubens, die sich der polnischen Fremd¬
herrschaft bis zur Verleugnung und Abstreifung des eignen Volkstums beugten.
Und noch heute, wo wir wieder ein großes und starkes Volk geworden sind,
sehen wir überall an den Grenzen unsers Sprachgebiets, wie sich unsre katho¬
lischen Volksgenossen mit den ärgsten Feinden unsers Volkstums verbünden. Wer
immer katholisch ist, dem fühlen sie sich viel näher als den evangelischen Au¬
gehörigen des eignen Volkes. Ich will durchaus nicht verschweigen, welche großen
Verdienste sich einzelne katholische Geistliche, z. B. auf einigen deutschen Sprach¬
inseln Südtirols und in Belgien, um die Erhaltung der deutschen Sprache er¬
worben haben. Aber diese Fülle sind leider sehr vereinzelt. Die Regel in
den nationale,: Mischgebieten ist vielmehr die, daß sich die deutschen Katholiken
unter der Führung ihrer Geistlichkeit den fremdsprachigen Glaubensgenossen
annähern und mit diesen auch in Dingen von nationaler Bedeutung gegen
ihre eignen evangelischen Volksgenossen zusammenhalten.

So ist es im Osten wie im Westen. In Metz haben die dentschen Katho¬
liken der schon besiegten französischen Partei die Herrschaft im Stadthause
zurückerobern helfen. Und in den Provinzen Posen und Westpreußen hielt
man es bisher für selbstverständlich, daß die dentschen Katholiken bei den
Wahlen für den polnischen Kandidaten stimmten. Welchen Sturm der Ent¬
rüstung in unsrer „deutschen" Zentrumspartei hat erst vor kurzem die Haltung
der deutschen Katholiken im Wahlkreise Meseritz hervorgerufen, die es wagten,
dem polnischen Kandidaten ihre Stimmen zu verweigern und einen deutsch
gesinnten katholischen Geistlichen aufzustellen! Das Schlagwort, das katholisch
und polnisch einerseits, evangelisch und deutsch andrerseits gleichstellt, hat trotz
seiner handgreiflichen Unwahrheit im preußischen Osten eine große Wirkung
gehabt, eine Wirkung, die der Sache des Deutschtums geradezu verhängnisvoll
geworden ist. Die deutschen Katholiken, die als treue Söhne ihrer Kirche
ihre Stimmen den fanatischsten Feinden des Deutschtums geben zu müssen
glauben, dulden es auch, daß ihre gerechte Forderung deutscher Predigt und
Seelsorge von der katholisch-polnischen Geistlichkeit mit vollkommenster Mi߬
achtung behandelt wird; sie lassen es über sich ergehn, wenn sich bei ihren
Leichenbegängnissen oder andern Feiern im Kreise der Familie der katholische
Geistliche, der noch dazu oft genug deutscher Herkunft ist, ausschließlich und
ostentativ der von seinen Hörern nicht verstandnen polnischen Sprache bedient-


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[0556] Nationalitätskämpfe diesem stillen Nationalitütskampf, über dessen Ausgang zunächst die Vorgänge des Wirtschaftslebens, dann aber auch die Energie des Nationalbewußtseins entscheiden. Und diese ist bei den Polen, die nicht umsonst bei ihrem Adel und ihrer katholischen Geistlichkeit in die Schule des Deutschenhasses gegangen sind, entschieden kräftiger und gestählter als bei uns Deutschen. Dieser Nach¬ teil auf unsrer Seite kann weder durch unsre überlegne Bildung noch durch die Geringschätzung, mit der wir uns gewöhnt haben auf die Polen herabzusehen, ausgeglichen werden. Was unsre Stellung im Kampfe gegen das Polentum zu alledem noch besonders schwierig macht, ist unsre konfessionelle Spaltung. In dein einst¬ mals durch den Deutschen Orden germanisierten Westpreußen waren es vor allem die Deutschen katholischen Glaubens, die sich der polnischen Fremd¬ herrschaft bis zur Verleugnung und Abstreifung des eignen Volkstums beugten. Und noch heute, wo wir wieder ein großes und starkes Volk geworden sind, sehen wir überall an den Grenzen unsers Sprachgebiets, wie sich unsre katho¬ lischen Volksgenossen mit den ärgsten Feinden unsers Volkstums verbünden. Wer immer katholisch ist, dem fühlen sie sich viel näher als den evangelischen Au¬ gehörigen des eignen Volkes. Ich will durchaus nicht verschweigen, welche großen Verdienste sich einzelne katholische Geistliche, z. B. auf einigen deutschen Sprach¬ inseln Südtirols und in Belgien, um die Erhaltung der deutschen Sprache er¬ worben haben. Aber diese Fülle sind leider sehr vereinzelt. Die Regel in den nationale,: Mischgebieten ist vielmehr die, daß sich die deutschen Katholiken unter der Führung ihrer Geistlichkeit den fremdsprachigen Glaubensgenossen annähern und mit diesen auch in Dingen von nationaler Bedeutung gegen ihre eignen evangelischen Volksgenossen zusammenhalten. So ist es im Osten wie im Westen. In Metz haben die dentschen Katho¬ liken der schon besiegten französischen Partei die Herrschaft im Stadthause zurückerobern helfen. Und in den Provinzen Posen und Westpreußen hielt man es bisher für selbstverständlich, daß die dentschen Katholiken bei den Wahlen für den polnischen Kandidaten stimmten. Welchen Sturm der Ent¬ rüstung in unsrer „deutschen" Zentrumspartei hat erst vor kurzem die Haltung der deutschen Katholiken im Wahlkreise Meseritz hervorgerufen, die es wagten, dem polnischen Kandidaten ihre Stimmen zu verweigern und einen deutsch gesinnten katholischen Geistlichen aufzustellen! Das Schlagwort, das katholisch und polnisch einerseits, evangelisch und deutsch andrerseits gleichstellt, hat trotz seiner handgreiflichen Unwahrheit im preußischen Osten eine große Wirkung gehabt, eine Wirkung, die der Sache des Deutschtums geradezu verhängnisvoll geworden ist. Die deutschen Katholiken, die als treue Söhne ihrer Kirche ihre Stimmen den fanatischsten Feinden des Deutschtums geben zu müssen glauben, dulden es auch, daß ihre gerechte Forderung deutscher Predigt und Seelsorge von der katholisch-polnischen Geistlichkeit mit vollkommenster Mi߬ achtung behandelt wird; sie lassen es über sich ergehn, wenn sich bei ihren Leichenbegängnissen oder andern Feiern im Kreise der Familie der katholische Geistliche, der noch dazu oft genug deutscher Herkunft ist, ausschließlich und ostentativ der von seinen Hörern nicht verstandnen polnischen Sprache bedient-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/556>, abgerufen am 29.05.2024.