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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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aus keine Phlegmatiker und noch viel weniger rechnende Verstandesmenschen, sondern,
wie H. von Treitschke einmal mit Recht sagt, "das leidenschaftlichste der Völker,"
das alles sofort mit dem Gemüt erfaßt und dann ruhigen Erwägungen sehr schwer
zugänglich ist. Darin liegt unsre Stärke und unsre Schwäche, unser auffallender
Mangel um stnatenbildender und staatenerhaltender Kraft, mit einem Worte unsre
geringe politische Befähigung. Wer aus eigner Erfahrung einige Jahrzehnte zurücksehen
kann -- denn kein historischer Bericht giebt hier ein völlig zutreffendes Bild, weil
es sich um Stimmungen handelt, die sich auch in der Erinnerung abschwächen und
allmählich verschwinden --, der denkt nicht ohne Erschütterung und Beschämung
daran, wie in den letzten fünfzig bis sechzig Jahren die vox xoxuli in Deutschland fast
regelmäßig das Falsche stürmisch verlangt und das "Kreuzige" über jeden gerufen
hat, der ihr widersprach, ja wie er wahrscheinlich selbst mit den andern geirrt und
mit ihnen das "Kreuzige" gerufen hat; denn die Unfähigkeit, die Gesinnung einer
andern Partei, obwohl man sie bekämpfen muß, wenigstens soweit zu würdigen,
daß man sie nicht ans sittliche Verirrungen zurückführt, nicht den Gegner für schlecht
und eigennützig hält, statt mir für einfältig, verbindet sich fast immer mit dem leiden¬
schaftlichen Eifer für die eigne Sache, und dieser macht in Deutschland gar keinen
Unterschied zwischen dem Fremden und dem Landsmann. In den Jahren 1848/19
war die deutsche Volksströmung in dem "Professorenparlament" von Frankfurt und
außerhalb fiir den deutschen Bundesstaat auf dein Boden der Volkssouveränität und
"breitester demokratischer Grundlage," womöglich mit Einschluß Deutsch-Österreichs;
1859 begeisterten wir uns für die Behauptung der österreichischen Fremdherrschaft
über Italien als für einen nationalen Kampf und wollten den Italienern das Recht,
das wir doch für uns selbst in Anspruch nahmen, einen unabhängigen National¬
staat zu bilden, nicht einräumen; 1863/64 schwärmte alles sür das Erbrecht Friedrichs
von Augustenburg in Schleswig-Holstein und schimpfte auf Preußens Eigennutz
und Unehrlichkeit, ohne (sogar nach der Entscheidung) sehen zu Wollen, daß die
Eroberung der Herzogtümer für Deutschland die Hauptsache war, und nicht der
obendrein bestrittne Anspruch eines kleinen Fürstenhauses. Ju denselben Jahren tobte
das ganze liberale Deutschland gegen die "Reaktion" in Preußen, gegen König Wilhelm
und Bismarck, die mit jedem erdenklichen Schimpf beworfen wurden, weil mau
nicht sah, daß nur ein waffengewaltiges Preußen, ein starkes Königtum die deutsche
Frage lösen konnte, und noch im Jahre 1866 war die Volksstimmung außerhalb
Preußens durchaus preußenfeindlich, begeisterte sich zwar nicht für den oft ver¬
höhnten Bundestag, wollte aber von einer preußischen Lösung der deutschen Frage,
der einzigen noch möglichen, nichts wissen, ohne natürlich zu wissen, was man selbst
wollte. Ja noch 1886, als wir die politischen Kinderschuhe eigentlich hätten ab¬
gelegt haben können, erhitzten wir uns für Alexander von Bulgarien derart, daß
wir es dem Fürsten Bismarck sehr verdachten, als er sich um des "Battenbergers"
willen nicht mit Rußland überwerfen wollte.

Wir geben dabei zweierlei ohne weiteres zu. Erklären läßt sich zunächst die
Bolksstimmung in jedem der angeführten Fälle. Die Regierungen hatten sich 1848
alle so schwach gezeigt, daß sie der Anwendung des von Frankreich herübergeschleppten
populären Prinzips der Volkssouveränität auf die Neugestaltung der deutschen Reichs¬
verfassung gar keinen Widerstand leisten zu können schienen; der Fehler war nur,
daß man alles Ernstes noch daran festhielt, als sich schon herausgestellt hatte, daß
sie viel stärker seien, als man gedacht hatte, und doch -- mit einigen Ausnahmen --
vor der offnen Revolution zurückschreckte. Die Parteinahme sür Österreich im Jahre
1859 ergab sich aus dem alten Mißtrauen gegen Frankreich, gegen das Österreich
als Vorkämpfer aufzutreten schien. Die Einsetzung Friedrichs von Augustenburg
galt 1863/64 als das einzige Mittel, Schleswig-Holstein von Dänemark zu lösen,
und die preußische Politik stand wegen ihrer kläglichen Haltung in den Jahren
1850/52 mit Recht im allerschlechtesten Andenken. Im preußischen ".Konflikt"
handelte es sich, wie man meinte, um die Behauptung der Verfassung gegen den


aus keine Phlegmatiker und noch viel weniger rechnende Verstandesmenschen, sondern,
wie H. von Treitschke einmal mit Recht sagt, „das leidenschaftlichste der Völker,"
das alles sofort mit dem Gemüt erfaßt und dann ruhigen Erwägungen sehr schwer
zugänglich ist. Darin liegt unsre Stärke und unsre Schwäche, unser auffallender
Mangel um stnatenbildender und staatenerhaltender Kraft, mit einem Worte unsre
geringe politische Befähigung. Wer aus eigner Erfahrung einige Jahrzehnte zurücksehen
kann — denn kein historischer Bericht giebt hier ein völlig zutreffendes Bild, weil
es sich um Stimmungen handelt, die sich auch in der Erinnerung abschwächen und
allmählich verschwinden —, der denkt nicht ohne Erschütterung und Beschämung
daran, wie in den letzten fünfzig bis sechzig Jahren die vox xoxuli in Deutschland fast
regelmäßig das Falsche stürmisch verlangt und das „Kreuzige" über jeden gerufen
hat, der ihr widersprach, ja wie er wahrscheinlich selbst mit den andern geirrt und
mit ihnen das „Kreuzige" gerufen hat; denn die Unfähigkeit, die Gesinnung einer
andern Partei, obwohl man sie bekämpfen muß, wenigstens soweit zu würdigen,
daß man sie nicht ans sittliche Verirrungen zurückführt, nicht den Gegner für schlecht
und eigennützig hält, statt mir für einfältig, verbindet sich fast immer mit dem leiden¬
schaftlichen Eifer für die eigne Sache, und dieser macht in Deutschland gar keinen
Unterschied zwischen dem Fremden und dem Landsmann. In den Jahren 1848/19
war die deutsche Volksströmung in dem „Professorenparlament" von Frankfurt und
außerhalb fiir den deutschen Bundesstaat auf dein Boden der Volkssouveränität und
„breitester demokratischer Grundlage," womöglich mit Einschluß Deutsch-Österreichs;
1859 begeisterten wir uns für die Behauptung der österreichischen Fremdherrschaft
über Italien als für einen nationalen Kampf und wollten den Italienern das Recht,
das wir doch für uns selbst in Anspruch nahmen, einen unabhängigen National¬
staat zu bilden, nicht einräumen; 1863/64 schwärmte alles sür das Erbrecht Friedrichs
von Augustenburg in Schleswig-Holstein und schimpfte auf Preußens Eigennutz
und Unehrlichkeit, ohne (sogar nach der Entscheidung) sehen zu Wollen, daß die
Eroberung der Herzogtümer für Deutschland die Hauptsache war, und nicht der
obendrein bestrittne Anspruch eines kleinen Fürstenhauses. Ju denselben Jahren tobte
das ganze liberale Deutschland gegen die „Reaktion" in Preußen, gegen König Wilhelm
und Bismarck, die mit jedem erdenklichen Schimpf beworfen wurden, weil mau
nicht sah, daß nur ein waffengewaltiges Preußen, ein starkes Königtum die deutsche
Frage lösen konnte, und noch im Jahre 1866 war die Volksstimmung außerhalb
Preußens durchaus preußenfeindlich, begeisterte sich zwar nicht für den oft ver¬
höhnten Bundestag, wollte aber von einer preußischen Lösung der deutschen Frage,
der einzigen noch möglichen, nichts wissen, ohne natürlich zu wissen, was man selbst
wollte. Ja noch 1886, als wir die politischen Kinderschuhe eigentlich hätten ab¬
gelegt haben können, erhitzten wir uns für Alexander von Bulgarien derart, daß
wir es dem Fürsten Bismarck sehr verdachten, als er sich um des „Battenbergers"
willen nicht mit Rußland überwerfen wollte.

Wir geben dabei zweierlei ohne weiteres zu. Erklären läßt sich zunächst die
Bolksstimmung in jedem der angeführten Fälle. Die Regierungen hatten sich 1848
alle so schwach gezeigt, daß sie der Anwendung des von Frankreich herübergeschleppten
populären Prinzips der Volkssouveränität auf die Neugestaltung der deutschen Reichs¬
verfassung gar keinen Widerstand leisten zu können schienen; der Fehler war nur,
daß man alles Ernstes noch daran festhielt, als sich schon herausgestellt hatte, daß
sie viel stärker seien, als man gedacht hatte, und doch — mit einigen Ausnahmen —
vor der offnen Revolution zurückschreckte. Die Parteinahme sür Österreich im Jahre
1859 ergab sich aus dem alten Mißtrauen gegen Frankreich, gegen das Österreich
als Vorkämpfer aufzutreten schien. Die Einsetzung Friedrichs von Augustenburg
galt 1863/64 als das einzige Mittel, Schleswig-Holstein von Dänemark zu lösen,
und die preußische Politik stand wegen ihrer kläglichen Haltung in den Jahren
1850/52 mit Recht im allerschlechtesten Andenken. Im preußischen „.Konflikt"
handelte es sich, wie man meinte, um die Behauptung der Verfassung gegen den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/60>, abgerufen am 14.05.2024.