Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nationalitätskämpfe

ja noch "lehr Bestandteilen verschiedner Herkunft erwachsen sind, ist dann nicht
doch etwa die Meinung der Leute richtig, die behaupten, der Begriff Nation
könne überhaupt uicht definiert werden, und jeder könne durch freie Wahl sich
der Nation anschließen, zu der er sich hingezogen fühlt? Es ist begreiflich
und bezeichnend, daß man solchen Äußerungen besonders häufig da begegnet,
wo das Nationalbewußtsein auf niedriger Stufe steht. Im Elsaß z, B, habe
ich solche und ähnliche Äußerungen von französisch Gesinnten vernommen.
Sie beweisen lediglich, daß die Betreffenden doch noch ein dunkles Gefühl
haben, das ihnen immer und immer wieder sagt: "Ihr steht nicht auf der
Seite, auf die ihr durch die Natur selber, durch Sprache, Abstammung, geistige
Anlagen hingewiesen seid," Daher das Suchen nach einer Entschuldigung
ihrer Stellung, Denn für den gefunden, dnrch Vorurteile nicht getrübten
Verstand ist doch ohne Frage jeder, der sich durch "freie Wahl" einer Nation
nuschließt, in die er nicht hineingeboren ist, ein Überläufer. Vielfach geht den
Prvtestlerischen Elsässern erst, nachdem sie die Heimat mit dem vergötterten Frank¬
reich vertauscht haben, unter den Schmerzen des Heimwehs die Erkenntnis
ans, daß sie in der Fremde leben, und daß die von der Natur gewollten
Gegensätze der Nationen uicht durch die freie Wahl des Einzelnen beseitigt
werden können.

So bleibt die Herkunft, die Abstammung, trotz zahlreicher Ausnahmen
immer noch neben der Sprache ein wichtiges Merkmal der nationalen Zu¬
gehörigkeit. So einseitig allerdings, wie es bisher geschehn ist, darf doch der
Begriff der Abkunft uicht gefaßt werden. Es darf nicht außer acht gelassen
werden, daß wen" z, B, auch die Kiuder der bei uus eingewanderten Huge¬
notten zum Teil uoch rassereine Franzosen waren, sie sich doch größtenteils
mit Deutschen vermählten und also ihrerseits nur noch halbblütige Kinder er¬
zielten. In der folgenden Generation überwog schon das deutsche Blut, und
es kam mit jeder spätern auf deutschem Boden geschlossenen Familienverbindung
der Alleinherrschaft näher. Bei den deutschen Abkömmlingen der französischen
Hugenotten ist demnach eine genealogische Wurzel in französischem Erdreich,
aber weit mehr andre sind in deutschem Boden entsprossen. Und wenn bellte
die französische Abkunft dieser Landsleute von uus noch so lebhaft empfunden
wird, so hat das seinen Hauptgrund in der Erhaltung des französischen
Familiennamens. Dem Blute nach sind sie ebenso wenig französisch wie die
Angehörigen irgend einer Familie mit deutschem Namen, in die im siebzehnten
"der achtzehnten Jahrhundert einmal eine Französin hineingeheiratet hat. Wer
vollends heute noch bei einem bestimmt lokalisierten Teile der französischen
Nation -- abgesehen von den noch jetzt oder bis vor kurzem deutscheu Lcmdes-
tnleu im Nordosten -- deutsche .Herkunft aus der Völkerwcmdrung behaupten
will, treibt eine theoretische Spielerei, der jede praktische Bedeutung abgeht.
Die Abkömmlinge der germanischen Wandrer in Frankreich sind schon seit
vielen Jahrhunderten Franzosen und unterscheiden sich von ihren Volksgenossen
^"manischer Herkunft dnrch nichts. Das durch die Völkerwandrnng dem Lande
^'geführte germanische Blut hat sich durch auderthalbtauseudjührige Mischung
über die gesamte Nation verteilt. Und wenn diese Beimischung auch uicht über


Nationalitätskämpfe

ja noch »lehr Bestandteilen verschiedner Herkunft erwachsen sind, ist dann nicht
doch etwa die Meinung der Leute richtig, die behaupten, der Begriff Nation
könne überhaupt uicht definiert werden, und jeder könne durch freie Wahl sich
der Nation anschließen, zu der er sich hingezogen fühlt? Es ist begreiflich
und bezeichnend, daß man solchen Äußerungen besonders häufig da begegnet,
wo das Nationalbewußtsein auf niedriger Stufe steht. Im Elsaß z, B, habe
ich solche und ähnliche Äußerungen von französisch Gesinnten vernommen.
Sie beweisen lediglich, daß die Betreffenden doch noch ein dunkles Gefühl
haben, das ihnen immer und immer wieder sagt: „Ihr steht nicht auf der
Seite, auf die ihr durch die Natur selber, durch Sprache, Abstammung, geistige
Anlagen hingewiesen seid," Daher das Suchen nach einer Entschuldigung
ihrer Stellung, Denn für den gefunden, dnrch Vorurteile nicht getrübten
Verstand ist doch ohne Frage jeder, der sich durch „freie Wahl" einer Nation
nuschließt, in die er nicht hineingeboren ist, ein Überläufer. Vielfach geht den
Prvtestlerischen Elsässern erst, nachdem sie die Heimat mit dem vergötterten Frank¬
reich vertauscht haben, unter den Schmerzen des Heimwehs die Erkenntnis
ans, daß sie in der Fremde leben, und daß die von der Natur gewollten
Gegensätze der Nationen uicht durch die freie Wahl des Einzelnen beseitigt
werden können.

So bleibt die Herkunft, die Abstammung, trotz zahlreicher Ausnahmen
immer noch neben der Sprache ein wichtiges Merkmal der nationalen Zu¬
gehörigkeit. So einseitig allerdings, wie es bisher geschehn ist, darf doch der
Begriff der Abkunft uicht gefaßt werden. Es darf nicht außer acht gelassen
werden, daß wen» z, B, auch die Kiuder der bei uus eingewanderten Huge¬
notten zum Teil uoch rassereine Franzosen waren, sie sich doch größtenteils
mit Deutschen vermählten und also ihrerseits nur noch halbblütige Kinder er¬
zielten. In der folgenden Generation überwog schon das deutsche Blut, und
es kam mit jeder spätern auf deutschem Boden geschlossenen Familienverbindung
der Alleinherrschaft näher. Bei den deutschen Abkömmlingen der französischen
Hugenotten ist demnach eine genealogische Wurzel in französischem Erdreich,
aber weit mehr andre sind in deutschem Boden entsprossen. Und wenn bellte
die französische Abkunft dieser Landsleute von uus noch so lebhaft empfunden
wird, so hat das seinen Hauptgrund in der Erhaltung des französischen
Familiennamens. Dem Blute nach sind sie ebenso wenig französisch wie die
Angehörigen irgend einer Familie mit deutschem Namen, in die im siebzehnten
»der achtzehnten Jahrhundert einmal eine Französin hineingeheiratet hat. Wer
vollends heute noch bei einem bestimmt lokalisierten Teile der französischen
Nation — abgesehen von den noch jetzt oder bis vor kurzem deutscheu Lcmdes-
tnleu im Nordosten — deutsche .Herkunft aus der Völkerwcmdrung behaupten
will, treibt eine theoretische Spielerei, der jede praktische Bedeutung abgeht.
Die Abkömmlinge der germanischen Wandrer in Frankreich sind schon seit
vielen Jahrhunderten Franzosen und unterscheiden sich von ihren Volksgenossen
^»manischer Herkunft dnrch nichts. Das durch die Völkerwandrnng dem Lande
^'geführte germanische Blut hat sich durch auderthalbtauseudjührige Mischung
über die gesamte Nation verteilt. Und wenn diese Beimischung auch uicht über


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0067" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/236591"/>
          <fw type="header" place="top"> Nationalitätskämpfe</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_244" prev="#ID_243"> ja noch »lehr Bestandteilen verschiedner Herkunft erwachsen sind, ist dann nicht<lb/>
doch etwa die Meinung der Leute richtig, die behaupten, der Begriff Nation<lb/>
könne überhaupt uicht definiert werden, und jeder könne durch freie Wahl sich<lb/>
der Nation anschließen, zu der er sich hingezogen fühlt? Es ist begreiflich<lb/>
und bezeichnend, daß man solchen Äußerungen besonders häufig da begegnet,<lb/>
wo das Nationalbewußtsein auf niedriger Stufe steht. Im Elsaß z, B, habe<lb/>
ich solche und ähnliche Äußerungen von französisch Gesinnten vernommen.<lb/>
Sie beweisen lediglich, daß die Betreffenden doch noch ein dunkles Gefühl<lb/>
haben, das ihnen immer und immer wieder sagt: &#x201E;Ihr steht nicht auf der<lb/>
Seite, auf die ihr durch die Natur selber, durch Sprache, Abstammung, geistige<lb/>
Anlagen hingewiesen seid," Daher das Suchen nach einer Entschuldigung<lb/>
ihrer Stellung, Denn für den gefunden, dnrch Vorurteile nicht getrübten<lb/>
Verstand ist doch ohne Frage jeder, der sich durch &#x201E;freie Wahl" einer Nation<lb/>
nuschließt, in die er nicht hineingeboren ist, ein Überläufer. Vielfach geht den<lb/>
Prvtestlerischen Elsässern erst, nachdem sie die Heimat mit dem vergötterten Frank¬<lb/>
reich vertauscht haben, unter den Schmerzen des Heimwehs die Erkenntnis<lb/>
ans, daß sie in der Fremde leben, und daß die von der Natur gewollten<lb/>
Gegensätze der Nationen uicht durch die freie Wahl des Einzelnen beseitigt<lb/>
werden können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_245" next="#ID_246"> So bleibt die Herkunft, die Abstammung, trotz zahlreicher Ausnahmen<lb/>
immer noch neben der Sprache ein wichtiges Merkmal der nationalen Zu¬<lb/>
gehörigkeit. So einseitig allerdings, wie es bisher geschehn ist, darf doch der<lb/>
Begriff der Abkunft uicht gefaßt werden. Es darf nicht außer acht gelassen<lb/>
werden, daß wen» z, B, auch die Kiuder der bei uus eingewanderten Huge¬<lb/>
notten zum Teil uoch rassereine Franzosen waren, sie sich doch größtenteils<lb/>
mit Deutschen vermählten und also ihrerseits nur noch halbblütige Kinder er¬<lb/>
zielten. In der folgenden Generation überwog schon das deutsche Blut, und<lb/>
es kam mit jeder spätern auf deutschem Boden geschlossenen Familienverbindung<lb/>
der Alleinherrschaft näher. Bei den deutschen Abkömmlingen der französischen<lb/>
Hugenotten ist demnach eine genealogische Wurzel in französischem Erdreich,<lb/>
aber weit mehr andre sind in deutschem Boden entsprossen. Und wenn bellte<lb/>
die französische Abkunft dieser Landsleute von uus noch so lebhaft empfunden<lb/>
wird, so hat das seinen Hauptgrund in der Erhaltung des französischen<lb/>
Familiennamens. Dem Blute nach sind sie ebenso wenig französisch wie die<lb/>
Angehörigen irgend einer Familie mit deutschem Namen, in die im siebzehnten<lb/>
»der achtzehnten Jahrhundert einmal eine Französin hineingeheiratet hat. Wer<lb/>
vollends heute noch bei einem bestimmt lokalisierten Teile der französischen<lb/>
Nation &#x2014; abgesehen von den noch jetzt oder bis vor kurzem deutscheu Lcmdes-<lb/>
tnleu im Nordosten &#x2014; deutsche .Herkunft aus der Völkerwcmdrung behaupten<lb/>
will, treibt eine theoretische Spielerei, der jede praktische Bedeutung abgeht.<lb/>
Die Abkömmlinge der germanischen Wandrer in Frankreich sind schon seit<lb/>
vielen Jahrhunderten Franzosen und unterscheiden sich von ihren Volksgenossen<lb/>
^»manischer Herkunft dnrch nichts. Das durch die Völkerwandrnng dem Lande<lb/>
^'geführte germanische Blut hat sich durch auderthalbtauseudjührige Mischung<lb/>
über die gesamte Nation verteilt. Und wenn diese Beimischung auch uicht über</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0067] Nationalitätskämpfe ja noch »lehr Bestandteilen verschiedner Herkunft erwachsen sind, ist dann nicht doch etwa die Meinung der Leute richtig, die behaupten, der Begriff Nation könne überhaupt uicht definiert werden, und jeder könne durch freie Wahl sich der Nation anschließen, zu der er sich hingezogen fühlt? Es ist begreiflich und bezeichnend, daß man solchen Äußerungen besonders häufig da begegnet, wo das Nationalbewußtsein auf niedriger Stufe steht. Im Elsaß z, B, habe ich solche und ähnliche Äußerungen von französisch Gesinnten vernommen. Sie beweisen lediglich, daß die Betreffenden doch noch ein dunkles Gefühl haben, das ihnen immer und immer wieder sagt: „Ihr steht nicht auf der Seite, auf die ihr durch die Natur selber, durch Sprache, Abstammung, geistige Anlagen hingewiesen seid," Daher das Suchen nach einer Entschuldigung ihrer Stellung, Denn für den gefunden, dnrch Vorurteile nicht getrübten Verstand ist doch ohne Frage jeder, der sich durch „freie Wahl" einer Nation nuschließt, in die er nicht hineingeboren ist, ein Überläufer. Vielfach geht den Prvtestlerischen Elsässern erst, nachdem sie die Heimat mit dem vergötterten Frank¬ reich vertauscht haben, unter den Schmerzen des Heimwehs die Erkenntnis ans, daß sie in der Fremde leben, und daß die von der Natur gewollten Gegensätze der Nationen uicht durch die freie Wahl des Einzelnen beseitigt werden können. So bleibt die Herkunft, die Abstammung, trotz zahlreicher Ausnahmen immer noch neben der Sprache ein wichtiges Merkmal der nationalen Zu¬ gehörigkeit. So einseitig allerdings, wie es bisher geschehn ist, darf doch der Begriff der Abkunft uicht gefaßt werden. Es darf nicht außer acht gelassen werden, daß wen» z, B, auch die Kiuder der bei uus eingewanderten Huge¬ notten zum Teil uoch rassereine Franzosen waren, sie sich doch größtenteils mit Deutschen vermählten und also ihrerseits nur noch halbblütige Kinder er¬ zielten. In der folgenden Generation überwog schon das deutsche Blut, und es kam mit jeder spätern auf deutschem Boden geschlossenen Familienverbindung der Alleinherrschaft näher. Bei den deutschen Abkömmlingen der französischen Hugenotten ist demnach eine genealogische Wurzel in französischem Erdreich, aber weit mehr andre sind in deutschem Boden entsprossen. Und wenn bellte die französische Abkunft dieser Landsleute von uus noch so lebhaft empfunden wird, so hat das seinen Hauptgrund in der Erhaltung des französischen Familiennamens. Dem Blute nach sind sie ebenso wenig französisch wie die Angehörigen irgend einer Familie mit deutschem Namen, in die im siebzehnten »der achtzehnten Jahrhundert einmal eine Französin hineingeheiratet hat. Wer vollends heute noch bei einem bestimmt lokalisierten Teile der französischen Nation — abgesehen von den noch jetzt oder bis vor kurzem deutscheu Lcmdes- tnleu im Nordosten — deutsche .Herkunft aus der Völkerwcmdrung behaupten will, treibt eine theoretische Spielerei, der jede praktische Bedeutung abgeht. Die Abkömmlinge der germanischen Wandrer in Frankreich sind schon seit vielen Jahrhunderten Franzosen und unterscheiden sich von ihren Volksgenossen ^»manischer Herkunft dnrch nichts. Das durch die Völkerwandrnng dem Lande ^'geführte germanische Blut hat sich durch auderthalbtauseudjührige Mischung über die gesamte Nation verteilt. Und wenn diese Beimischung auch uicht über

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/67
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/67>, abgerufen am 31.05.2024.