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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

er beim Lesen sah, wie da Christentum und Reformation beurteilt werden, und sich
zugleich an F. Scherrs Auffassung erinnerte, da sagte er sich, daß solchen Büchern
gegenüber doch auch einmal der positiv-evangelische Standpunkt in der Beurteilung
der Weltlitteratur zur Geltung gebracht werden müsse. Er gewann eine Anzahl
von Mitarbeitern -- wir nennen nnr Zöckler, Tschackert und Paulsen --, die in
siebenunddreißig Aufsätzen die Hauptreligioneu des Altertums, die altchristliche Zeit,
den Islam, die mittelalterliche Litteratur, die Litteratur des Reformationszeitalters
und der letzten drei Jahrhunderte behandeln. Die Aufsätze sind alle gut und inter¬
essant, manche, wie "Die romanische Litteratur des Mittelalters" von Vowiuckel,
der neben Dante und Petrarka auch die weniger bekannten Ariost und Tasso aus¬
führlich behandelt, als Früchte selbständiger Forschung wertvoll. "Den neusten
Realismus" vernichtet Paulsen schonungslos. Natürlich kann, auch abgesehen von
der Tendenz des Werkes, nicht jeder mit jeder Ansicht der Verfasser einverstanden
sein; so z. B. thut Samtleben dem Roman von Alphons Daudet: ^romont jvuno
se Rislor g.ins gewiß Unrecht, wenn er ihn mit Zolas Sudeleien in einen Topf
wirft. Aber solche Kleinigkeiten haben dem gelungner Ganzen gegenüber nichts
zu bedeuten. Gelungen bis auf den Schluß. Lie. Weber, der den letzten Aufsatz
geschrieben hat, läßt uns nämlich mitten in den "unchristlichen und antichristlichen
Weltanschauungen der Gegenwart" sitzen und verabschiedet sich mit einer nichts¬
sagenden Konstatierung und einem ohnmächtigen Wunsche: "Wir sehen, es gard und
wogt durcheinander. Möge eine Zeit neuer Klarheit und Wahrheit kommen!"
Fühlte er sich außer stände, den Lesern zu sagen, auf welcher Seite ungefähr diese
neue Wahrheit zu suchen sei? -- Ein sehr empfehlenswertes kleines Buch ist: Gott.
Warum wir bei ihm bleiben müssen. Von Karl König. (Erstes Bändchen der
vom Pfarrer Gerstuug bei Paul Waetzel in Freiburg i. B. und Leipzig heraus¬
gegebnen Sammlung: Neue Pfade zum alten Gott.) Da der Wert des Büchleins
in der kraftvollen Persönlichkeit liegt, die sich darin ausspricht, so würde ihm eine
Analyse des Inhalts nicht gerecht werden. Für den Verfasser ist der Glaube an
den persönlichen Gott Selbstbehauptung. Der Wille zum Leben fordert den Glauben
an die Denkgesetze, den der für sich allein arbeitende Verstand samt der ganzen
Wirklichkeit durch Skepsis auflöst und vernichtet, und den Glauben an die Zweck¬
mäßigkeit des Weltalls. "Wer ohne diesen Glauben Naturwissenschaft und Astro¬
nomie treibt, spottet seiner selbst und weiß nicht wie." Mit Hilty sagt er: "Was
keine anhaltende, ruhig sittliche Kraft giebt, das ist uicht wahr, und was solche
Kraft verleiht, das muß Wahrheit allermindestens in sich tragen." So ist es denn
nicht der Verstand, der das Kriterium der Wahrheit hat. Die Naturwissenschaften
haben die Probe des Experiments zu bestehn, und weiter als das Experiment
reicht, reichen sie nicht; die Geisteswissenschaften aber haben die innere Erfahrung!
für sie gilt der Satz: "Die Seele hat ein Recht darauf, an ihre besten Güter zu
glauben." Zu den Orthodoxen gehört König nicht; Gott, meint er, könne nur
erfahren, aber nicht die Dreieinigkeit oder die oommuuicÄtio iüiom-nun.

Ein Anonymus hat (in E. Ptersons Verlag, Dresden und Leipzig, 1901) die
Schrift herausgegeben: Das Entwicklungsgesetz und das Kirchendogma nebst
kritischem Ausblick sso!j in die Zukunft. Obwohl die Voranstellung des Entwick¬
lungsgesetzes bedenklich macht, erregt doch das Vorwort die Erwartung ans etwas
ähnliches wie das, was König bietet. Der Verfasser beklagt es. daß der heute im
Kirchenregimeut herrschende Orthodoxismus die protestantische Bevölkerung der Kirche
entfremde, und will, dem Bedürfnis der nur dogmenfeindlichen aber nicht religions¬
losen Kreise entgegenkommend, Anleitung geben zu einer "vom Dogmeuzwang be¬
freiten, dem jetzigen Bildnngsstcinde entsprechenden Auffassung des Weltprozesses."
Wenn wir aber daun lesen, daß "Liebe kein treibendes ag^us, kein maßgebendes
Prinzip bei der Schöpfung und in der Organisation des Weltprozesses gewesen
sein" könne, und daß Gott für die Wissenschaft "nichts weiter ist als der Inbegriff
alles Seins und Werdens," wenn wir ferner lesen: "So wie wir jetzt die Mängel


Maßgebliches und Unmaßgebliches

er beim Lesen sah, wie da Christentum und Reformation beurteilt werden, und sich
zugleich an F. Scherrs Auffassung erinnerte, da sagte er sich, daß solchen Büchern
gegenüber doch auch einmal der positiv-evangelische Standpunkt in der Beurteilung
der Weltlitteratur zur Geltung gebracht werden müsse. Er gewann eine Anzahl
von Mitarbeitern — wir nennen nnr Zöckler, Tschackert und Paulsen —, die in
siebenunddreißig Aufsätzen die Hauptreligioneu des Altertums, die altchristliche Zeit,
den Islam, die mittelalterliche Litteratur, die Litteratur des Reformationszeitalters
und der letzten drei Jahrhunderte behandeln. Die Aufsätze sind alle gut und inter¬
essant, manche, wie „Die romanische Litteratur des Mittelalters" von Vowiuckel,
der neben Dante und Petrarka auch die weniger bekannten Ariost und Tasso aus¬
führlich behandelt, als Früchte selbständiger Forschung wertvoll. „Den neusten
Realismus" vernichtet Paulsen schonungslos. Natürlich kann, auch abgesehen von
der Tendenz des Werkes, nicht jeder mit jeder Ansicht der Verfasser einverstanden
sein; so z. B. thut Samtleben dem Roman von Alphons Daudet: ^romont jvuno
se Rislor g.ins gewiß Unrecht, wenn er ihn mit Zolas Sudeleien in einen Topf
wirft. Aber solche Kleinigkeiten haben dem gelungner Ganzen gegenüber nichts
zu bedeuten. Gelungen bis auf den Schluß. Lie. Weber, der den letzten Aufsatz
geschrieben hat, läßt uns nämlich mitten in den „unchristlichen und antichristlichen
Weltanschauungen der Gegenwart" sitzen und verabschiedet sich mit einer nichts¬
sagenden Konstatierung und einem ohnmächtigen Wunsche: „Wir sehen, es gard und
wogt durcheinander. Möge eine Zeit neuer Klarheit und Wahrheit kommen!"
Fühlte er sich außer stände, den Lesern zu sagen, auf welcher Seite ungefähr diese
neue Wahrheit zu suchen sei? — Ein sehr empfehlenswertes kleines Buch ist: Gott.
Warum wir bei ihm bleiben müssen. Von Karl König. (Erstes Bändchen der
vom Pfarrer Gerstuug bei Paul Waetzel in Freiburg i. B. und Leipzig heraus¬
gegebnen Sammlung: Neue Pfade zum alten Gott.) Da der Wert des Büchleins
in der kraftvollen Persönlichkeit liegt, die sich darin ausspricht, so würde ihm eine
Analyse des Inhalts nicht gerecht werden. Für den Verfasser ist der Glaube an
den persönlichen Gott Selbstbehauptung. Der Wille zum Leben fordert den Glauben
an die Denkgesetze, den der für sich allein arbeitende Verstand samt der ganzen
Wirklichkeit durch Skepsis auflöst und vernichtet, und den Glauben an die Zweck¬
mäßigkeit des Weltalls. „Wer ohne diesen Glauben Naturwissenschaft und Astro¬
nomie treibt, spottet seiner selbst und weiß nicht wie." Mit Hilty sagt er: „Was
keine anhaltende, ruhig sittliche Kraft giebt, das ist uicht wahr, und was solche
Kraft verleiht, das muß Wahrheit allermindestens in sich tragen." So ist es denn
nicht der Verstand, der das Kriterium der Wahrheit hat. Die Naturwissenschaften
haben die Probe des Experiments zu bestehn, und weiter als das Experiment
reicht, reichen sie nicht; die Geisteswissenschaften aber haben die innere Erfahrung!
für sie gilt der Satz: „Die Seele hat ein Recht darauf, an ihre besten Güter zu
glauben." Zu den Orthodoxen gehört König nicht; Gott, meint er, könne nur
erfahren, aber nicht die Dreieinigkeit oder die oommuuicÄtio iüiom-nun.

Ein Anonymus hat (in E. Ptersons Verlag, Dresden und Leipzig, 1901) die
Schrift herausgegeben: Das Entwicklungsgesetz und das Kirchendogma nebst
kritischem Ausblick sso!j in die Zukunft. Obwohl die Voranstellung des Entwick¬
lungsgesetzes bedenklich macht, erregt doch das Vorwort die Erwartung ans etwas
ähnliches wie das, was König bietet. Der Verfasser beklagt es. daß der heute im
Kirchenregimeut herrschende Orthodoxismus die protestantische Bevölkerung der Kirche
entfremde, und will, dem Bedürfnis der nur dogmenfeindlichen aber nicht religions¬
losen Kreise entgegenkommend, Anleitung geben zu einer „vom Dogmeuzwang be¬
freiten, dem jetzigen Bildnngsstcinde entsprechenden Auffassung des Weltprozesses."
Wenn wir aber daun lesen, daß „Liebe kein treibendes ag^us, kein maßgebendes
Prinzip bei der Schöpfung und in der Organisation des Weltprozesses gewesen
sein" könne, und daß Gott für die Wissenschaft „nichts weiter ist als der Inbegriff
alles Seins und Werdens," wenn wir ferner lesen: „So wie wir jetzt die Mängel


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[0690] Maßgebliches und Unmaßgebliches er beim Lesen sah, wie da Christentum und Reformation beurteilt werden, und sich zugleich an F. Scherrs Auffassung erinnerte, da sagte er sich, daß solchen Büchern gegenüber doch auch einmal der positiv-evangelische Standpunkt in der Beurteilung der Weltlitteratur zur Geltung gebracht werden müsse. Er gewann eine Anzahl von Mitarbeitern — wir nennen nnr Zöckler, Tschackert und Paulsen —, die in siebenunddreißig Aufsätzen die Hauptreligioneu des Altertums, die altchristliche Zeit, den Islam, die mittelalterliche Litteratur, die Litteratur des Reformationszeitalters und der letzten drei Jahrhunderte behandeln. Die Aufsätze sind alle gut und inter¬ essant, manche, wie „Die romanische Litteratur des Mittelalters" von Vowiuckel, der neben Dante und Petrarka auch die weniger bekannten Ariost und Tasso aus¬ führlich behandelt, als Früchte selbständiger Forschung wertvoll. „Den neusten Realismus" vernichtet Paulsen schonungslos. Natürlich kann, auch abgesehen von der Tendenz des Werkes, nicht jeder mit jeder Ansicht der Verfasser einverstanden sein; so z. B. thut Samtleben dem Roman von Alphons Daudet: ^romont jvuno se Rislor g.ins gewiß Unrecht, wenn er ihn mit Zolas Sudeleien in einen Topf wirft. Aber solche Kleinigkeiten haben dem gelungner Ganzen gegenüber nichts zu bedeuten. Gelungen bis auf den Schluß. Lie. Weber, der den letzten Aufsatz geschrieben hat, läßt uns nämlich mitten in den „unchristlichen und antichristlichen Weltanschauungen der Gegenwart" sitzen und verabschiedet sich mit einer nichts¬ sagenden Konstatierung und einem ohnmächtigen Wunsche: „Wir sehen, es gard und wogt durcheinander. Möge eine Zeit neuer Klarheit und Wahrheit kommen!" Fühlte er sich außer stände, den Lesern zu sagen, auf welcher Seite ungefähr diese neue Wahrheit zu suchen sei? — Ein sehr empfehlenswertes kleines Buch ist: Gott. Warum wir bei ihm bleiben müssen. Von Karl König. (Erstes Bändchen der vom Pfarrer Gerstuug bei Paul Waetzel in Freiburg i. B. und Leipzig heraus¬ gegebnen Sammlung: Neue Pfade zum alten Gott.) Da der Wert des Büchleins in der kraftvollen Persönlichkeit liegt, die sich darin ausspricht, so würde ihm eine Analyse des Inhalts nicht gerecht werden. Für den Verfasser ist der Glaube an den persönlichen Gott Selbstbehauptung. Der Wille zum Leben fordert den Glauben an die Denkgesetze, den der für sich allein arbeitende Verstand samt der ganzen Wirklichkeit durch Skepsis auflöst und vernichtet, und den Glauben an die Zweck¬ mäßigkeit des Weltalls. „Wer ohne diesen Glauben Naturwissenschaft und Astro¬ nomie treibt, spottet seiner selbst und weiß nicht wie." Mit Hilty sagt er: „Was keine anhaltende, ruhig sittliche Kraft giebt, das ist uicht wahr, und was solche Kraft verleiht, das muß Wahrheit allermindestens in sich tragen." So ist es denn nicht der Verstand, der das Kriterium der Wahrheit hat. Die Naturwissenschaften haben die Probe des Experiments zu bestehn, und weiter als das Experiment reicht, reichen sie nicht; die Geisteswissenschaften aber haben die innere Erfahrung! für sie gilt der Satz: „Die Seele hat ein Recht darauf, an ihre besten Güter zu glauben." Zu den Orthodoxen gehört König nicht; Gott, meint er, könne nur erfahren, aber nicht die Dreieinigkeit oder die oommuuicÄtio iüiom-nun. Ein Anonymus hat (in E. Ptersons Verlag, Dresden und Leipzig, 1901) die Schrift herausgegeben: Das Entwicklungsgesetz und das Kirchendogma nebst kritischem Ausblick sso!j in die Zukunft. Obwohl die Voranstellung des Entwick¬ lungsgesetzes bedenklich macht, erregt doch das Vorwort die Erwartung ans etwas ähnliches wie das, was König bietet. Der Verfasser beklagt es. daß der heute im Kirchenregimeut herrschende Orthodoxismus die protestantische Bevölkerung der Kirche entfremde, und will, dem Bedürfnis der nur dogmenfeindlichen aber nicht religions¬ losen Kreise entgegenkommend, Anleitung geben zu einer „vom Dogmeuzwang be¬ freiten, dem jetzigen Bildnngsstcinde entsprechenden Auffassung des Weltprozesses." Wenn wir aber daun lesen, daß „Liebe kein treibendes ag^us, kein maßgebendes Prinzip bei der Schöpfung und in der Organisation des Weltprozesses gewesen sein" könne, und daß Gott für die Wissenschaft „nichts weiter ist als der Inbegriff alles Seins und Werdens," wenn wir ferner lesen: „So wie wir jetzt die Mängel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/690>, abgerufen am 15.05.2024.