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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

und Schwächen der Bibel kennen, wäre eine göttliche Inspiration derselben nur
em trauriges Zeichen göttlicher Weisheit," und wenn wir am Schluß den Haupt¬
satz seines Glaubensbekenntnisses erfahren: "Im Anfang war Gott, und Gott war
die Kraft, und die Kraft war im Stoff und belebte ihn, und Gott und Kraft und
Stoff waren ihrem Wesen nach eins," so müssen wir sagen: bei dieser Art von
angeblicher Reform kann nicht nur vom Christentum, sondern auch von Religion
leine Rede mehr sein. Übrigens ist alles, was in dem Broschürchen steht, nur
dilettantisches Geschwätz. Dagegen haben wir es bei Friedrich Thudichum,
Professor der Rechte n. D. an der Universität Tübingen, mit einem gründlichen
Gelehrten zu thun, der in seinem neusten Buche: Die wahren Lehren Jesu
(Leipzig, Max Sängewald, 1901) ganze Arbeit macht, sodaß mit ihm verglichen
die Herren von der Tübinger Schule als Muster bescheidner Zurückhaltung er¬
scheinen. Nach ihm ist alles und jedes gefälscht; im vierten Jahrhundert sind die
Evangelien und die Paulinischeu Briefe für die Zwecke der Priesterschaft zurecht¬
gemacht worden. Die Tübinger Schule hatte uns doch noch die ersten vier von
den Episteln Pauli gelassen, bei Thudichum lesen wir Seite 197: "Der Brief an
die Galater ist nach meiner Ansicht in der angeführten Stelle (2, 1 bis 14 über
das Verhältnis des Paulus zu Petrus) unbestimmt und außerdem, wie alle Briefe
des Paulus, eine Fälschung des dritten oder vierten Jahrhunderts." Thudichum
hat ohne Zweifel eine für eine" Juristen erstaunliche Bibelgelehrsamkeit, aber wie
es scheint, hat er mehr ans Bearbeitungen zweiter und dritter Hand als aus den
Quellen geschöpft. Nehmen wir die erste beste der neutestamentlichen Schriften,
die er ins vierte Jahrhundert setzt, z. B. den Hebräerbrief; wenn wir aus dem
betreffenden Artikel in der Enehklopädie von Herzog und Pult erfahren, daß dieser
^rief von Tertullian zitiert, von Irenäus und Hippolyt (im Anfange des dritten
Jahrhunderts) besprochen, jn schon vor dein Jahre 100 in Rom gelesen worden
so müssen wir die Solidität der Grundlage, auf der Thudichums Bibelkritik
^übt, bezweifeln. Die kritische Aussonderung des vermeintlich echten aus den ersten
drei Evangelien dnrch Vergleichung ihrer Texte -- das vierte Evangelium wird
Bausch und Bogen verworfen -- ist eine sehr fleißige Arbeit und enthält so
manchen vernünftigen und brauchbare" Gedanken. -- Eugen Schmitt hat vom
Standpunkte der mnrxischen Geschichtskonstrnktion ein geistreiches, originelles und
durch sclMe Darstellung glänzendes Buch geschrieben: Die Kulturbediugungen
der christlichen Dogmen und unsre Zeit. Mit Buchschmuck vou I. W. Cissarz
(Eugen Diederichs in Leipzig. 1901). Jesus ist das personifizierte Proletariat, die
Ersten Christengemeinden sind Gesellschaften von Kommunisten. Der Antichrist, der
Fürst dieser Welt ist der Kaiser als Repräsentant der Besitzenden. Da der Versuch,
die Umstürzler auszurotten, mißlingt, so schließt der kluge Konstantin einen Kom¬
promiß -- nicht mit den Umstürzlern selbst, sondern mit ihrer Priesterschaft, die
als Organisation zur Verteidigung gegen das Heidentum notwendig geworden war,
und die schon das demokratische 'Christentum in sein Gegenteil verkehrt hatte. Der
weltliche und der geistliche Cäsar teilen sich in die Weltherrschaft, der Antichrist
letzt sich an Christi Stelle, und der arme leidende Knecht Gottes, der liebende
prüder seiner leidenden Brüder, wird als Gottsohn, der dem Vater wesensgleich
M, und als Weltenrichter zum überirdischen Spiegelbilde des Cäsar und zur Thron-
Nutze gemacht. Das geschieht amtlich auf den: Konzil zu Nicäa. und in ähnlicher
e,se verläuft die weitere Dogmenbildung nach den jeweiligen Bedürfnissen der
Herrschenden. Im Buche selbst mit seinen tiefen und keineswegs durchaus un¬
wahren geschichtsphilosophischen Betrachtungen klingt das alles nicht so banal wie
w unserm trocknen Abriß. Unter den verschiednen Auffassungen des Christentums,
veren der strenge Diesseitigkcitsglnnbe zu Grunde liegt, ist diese die erträglichste;
^ ^ würdiger als die des Vulgärratioualismus oder die Häckelsche.
^ille diese Leute verrichten eine notwendige Vorbereitungsarbeit. Wenn dereinst
^s religiöse Genie kommen wird, das dem Volke ein zeitgemäßes Christentum zu


Maßgebliches und Unmaßgebliches

und Schwächen der Bibel kennen, wäre eine göttliche Inspiration derselben nur
em trauriges Zeichen göttlicher Weisheit," und wenn wir am Schluß den Haupt¬
satz seines Glaubensbekenntnisses erfahren: „Im Anfang war Gott, und Gott war
die Kraft, und die Kraft war im Stoff und belebte ihn, und Gott und Kraft und
Stoff waren ihrem Wesen nach eins," so müssen wir sagen: bei dieser Art von
angeblicher Reform kann nicht nur vom Christentum, sondern auch von Religion
leine Rede mehr sein. Übrigens ist alles, was in dem Broschürchen steht, nur
dilettantisches Geschwätz. Dagegen haben wir es bei Friedrich Thudichum,
Professor der Rechte n. D. an der Universität Tübingen, mit einem gründlichen
Gelehrten zu thun, der in seinem neusten Buche: Die wahren Lehren Jesu
(Leipzig, Max Sängewald, 1901) ganze Arbeit macht, sodaß mit ihm verglichen
die Herren von der Tübinger Schule als Muster bescheidner Zurückhaltung er¬
scheinen. Nach ihm ist alles und jedes gefälscht; im vierten Jahrhundert sind die
Evangelien und die Paulinischeu Briefe für die Zwecke der Priesterschaft zurecht¬
gemacht worden. Die Tübinger Schule hatte uns doch noch die ersten vier von
den Episteln Pauli gelassen, bei Thudichum lesen wir Seite 197: „Der Brief an
die Galater ist nach meiner Ansicht in der angeführten Stelle (2, 1 bis 14 über
das Verhältnis des Paulus zu Petrus) unbestimmt und außerdem, wie alle Briefe
des Paulus, eine Fälschung des dritten oder vierten Jahrhunderts." Thudichum
hat ohne Zweifel eine für eine» Juristen erstaunliche Bibelgelehrsamkeit, aber wie
es scheint, hat er mehr ans Bearbeitungen zweiter und dritter Hand als aus den
Quellen geschöpft. Nehmen wir die erste beste der neutestamentlichen Schriften,
die er ins vierte Jahrhundert setzt, z. B. den Hebräerbrief; wenn wir aus dem
betreffenden Artikel in der Enehklopädie von Herzog und Pult erfahren, daß dieser
^rief von Tertullian zitiert, von Irenäus und Hippolyt (im Anfange des dritten
Jahrhunderts) besprochen, jn schon vor dein Jahre 100 in Rom gelesen worden
so müssen wir die Solidität der Grundlage, auf der Thudichums Bibelkritik
^übt, bezweifeln. Die kritische Aussonderung des vermeintlich echten aus den ersten
drei Evangelien dnrch Vergleichung ihrer Texte — das vierte Evangelium wird
Bausch und Bogen verworfen — ist eine sehr fleißige Arbeit und enthält so
manchen vernünftigen und brauchbare» Gedanken. — Eugen Schmitt hat vom
Standpunkte der mnrxischen Geschichtskonstrnktion ein geistreiches, originelles und
durch sclMe Darstellung glänzendes Buch geschrieben: Die Kulturbediugungen
der christlichen Dogmen und unsre Zeit. Mit Buchschmuck vou I. W. Cissarz
(Eugen Diederichs in Leipzig. 1901). Jesus ist das personifizierte Proletariat, die
Ersten Christengemeinden sind Gesellschaften von Kommunisten. Der Antichrist, der
Fürst dieser Welt ist der Kaiser als Repräsentant der Besitzenden. Da der Versuch,
die Umstürzler auszurotten, mißlingt, so schließt der kluge Konstantin einen Kom¬
promiß — nicht mit den Umstürzlern selbst, sondern mit ihrer Priesterschaft, die
als Organisation zur Verteidigung gegen das Heidentum notwendig geworden war,
und die schon das demokratische 'Christentum in sein Gegenteil verkehrt hatte. Der
weltliche und der geistliche Cäsar teilen sich in die Weltherrschaft, der Antichrist
letzt sich an Christi Stelle, und der arme leidende Knecht Gottes, der liebende
prüder seiner leidenden Brüder, wird als Gottsohn, der dem Vater wesensgleich
M, und als Weltenrichter zum überirdischen Spiegelbilde des Cäsar und zur Thron-
Nutze gemacht. Das geschieht amtlich auf den: Konzil zu Nicäa. und in ähnlicher
e,se verläuft die weitere Dogmenbildung nach den jeweiligen Bedürfnissen der
Herrschenden. Im Buche selbst mit seinen tiefen und keineswegs durchaus un¬
wahren geschichtsphilosophischen Betrachtungen klingt das alles nicht so banal wie
w unserm trocknen Abriß. Unter den verschiednen Auffassungen des Christentums,
veren der strenge Diesseitigkcitsglnnbe zu Grunde liegt, ist diese die erträglichste;
^ ^ würdiger als die des Vulgärratioualismus oder die Häckelsche.
^ille diese Leute verrichten eine notwendige Vorbereitungsarbeit. Wenn dereinst
^s religiöse Genie kommen wird, das dem Volke ein zeitgemäßes Christentum zu


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[0691] Maßgebliches und Unmaßgebliches und Schwächen der Bibel kennen, wäre eine göttliche Inspiration derselben nur em trauriges Zeichen göttlicher Weisheit," und wenn wir am Schluß den Haupt¬ satz seines Glaubensbekenntnisses erfahren: „Im Anfang war Gott, und Gott war die Kraft, und die Kraft war im Stoff und belebte ihn, und Gott und Kraft und Stoff waren ihrem Wesen nach eins," so müssen wir sagen: bei dieser Art von angeblicher Reform kann nicht nur vom Christentum, sondern auch von Religion leine Rede mehr sein. Übrigens ist alles, was in dem Broschürchen steht, nur dilettantisches Geschwätz. Dagegen haben wir es bei Friedrich Thudichum, Professor der Rechte n. D. an der Universität Tübingen, mit einem gründlichen Gelehrten zu thun, der in seinem neusten Buche: Die wahren Lehren Jesu (Leipzig, Max Sängewald, 1901) ganze Arbeit macht, sodaß mit ihm verglichen die Herren von der Tübinger Schule als Muster bescheidner Zurückhaltung er¬ scheinen. Nach ihm ist alles und jedes gefälscht; im vierten Jahrhundert sind die Evangelien und die Paulinischeu Briefe für die Zwecke der Priesterschaft zurecht¬ gemacht worden. Die Tübinger Schule hatte uns doch noch die ersten vier von den Episteln Pauli gelassen, bei Thudichum lesen wir Seite 197: „Der Brief an die Galater ist nach meiner Ansicht in der angeführten Stelle (2, 1 bis 14 über das Verhältnis des Paulus zu Petrus) unbestimmt und außerdem, wie alle Briefe des Paulus, eine Fälschung des dritten oder vierten Jahrhunderts." Thudichum hat ohne Zweifel eine für eine» Juristen erstaunliche Bibelgelehrsamkeit, aber wie es scheint, hat er mehr ans Bearbeitungen zweiter und dritter Hand als aus den Quellen geschöpft. Nehmen wir die erste beste der neutestamentlichen Schriften, die er ins vierte Jahrhundert setzt, z. B. den Hebräerbrief; wenn wir aus dem betreffenden Artikel in der Enehklopädie von Herzog und Pult erfahren, daß dieser ^rief von Tertullian zitiert, von Irenäus und Hippolyt (im Anfange des dritten Jahrhunderts) besprochen, jn schon vor dein Jahre 100 in Rom gelesen worden so müssen wir die Solidität der Grundlage, auf der Thudichums Bibelkritik ^übt, bezweifeln. Die kritische Aussonderung des vermeintlich echten aus den ersten drei Evangelien dnrch Vergleichung ihrer Texte — das vierte Evangelium wird Bausch und Bogen verworfen — ist eine sehr fleißige Arbeit und enthält so manchen vernünftigen und brauchbare» Gedanken. — Eugen Schmitt hat vom Standpunkte der mnrxischen Geschichtskonstrnktion ein geistreiches, originelles und durch sclMe Darstellung glänzendes Buch geschrieben: Die Kulturbediugungen der christlichen Dogmen und unsre Zeit. Mit Buchschmuck vou I. W. Cissarz (Eugen Diederichs in Leipzig. 1901). Jesus ist das personifizierte Proletariat, die Ersten Christengemeinden sind Gesellschaften von Kommunisten. Der Antichrist, der Fürst dieser Welt ist der Kaiser als Repräsentant der Besitzenden. Da der Versuch, die Umstürzler auszurotten, mißlingt, so schließt der kluge Konstantin einen Kom¬ promiß — nicht mit den Umstürzlern selbst, sondern mit ihrer Priesterschaft, die als Organisation zur Verteidigung gegen das Heidentum notwendig geworden war, und die schon das demokratische 'Christentum in sein Gegenteil verkehrt hatte. Der weltliche und der geistliche Cäsar teilen sich in die Weltherrschaft, der Antichrist letzt sich an Christi Stelle, und der arme leidende Knecht Gottes, der liebende prüder seiner leidenden Brüder, wird als Gottsohn, der dem Vater wesensgleich M, und als Weltenrichter zum überirdischen Spiegelbilde des Cäsar und zur Thron- Nutze gemacht. Das geschieht amtlich auf den: Konzil zu Nicäa. und in ähnlicher e,se verläuft die weitere Dogmenbildung nach den jeweiligen Bedürfnissen der Herrschenden. Im Buche selbst mit seinen tiefen und keineswegs durchaus un¬ wahren geschichtsphilosophischen Betrachtungen klingt das alles nicht so banal wie w unserm trocknen Abriß. Unter den verschiednen Auffassungen des Christentums, veren der strenge Diesseitigkcitsglnnbe zu Grunde liegt, ist diese die erträglichste; ^ ^ würdiger als die des Vulgärratioualismus oder die Häckelsche. ^ille diese Leute verrichten eine notwendige Vorbereitungsarbeit. Wenn dereinst ^s religiöse Genie kommen wird, das dem Volke ein zeitgemäßes Christentum zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_236523/691>, abgerufen am 14.05.2024.