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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die britische Regierung

rückte allmählich den Whigs näher. Diese letzte wurde die Torypartei, die
hinfort mit den Whigs um den Vorrang im Staate stritt. Solange die
Königin Anna lebte, bemühten sich die Tories nach Kräften, die Thronfolge
der Welsen zu hintertreiben und die Stuarts zurückzuführen. Beide Parteien
rüsteten sich für die nahe Entscheidung, beide bereit, einen Bürgerkrieg herauf-
zubeschwören über die Frage, ob Georg I. oder Jakob III. König sein sollte.
Doch der plötzliche Tod der Königin überraschte die Tories, die Whigs
triumphierten, und ihr Anwärter, der Kurfürst von Hannover, wurde im West-
minster gekrönt.

Die Whigs hatten Grund zur Freude. Es handelte sich nicht mehr um
einen protestantischen oder einen katholischen König; denn auch die Tories hatten
von Jakob Stuart den Übertritt zur englischen Kirche als Bedingung ihrer
Hilfe gefordert. Das Ziel, das beiden Parteien vorschwebte, war, dnrch ihren
König in den Alleinbesitz der Macht zu gelangen. Eine bessere Gelegenheit
als der Thronwechsel ließ sich gar nicht denken, die Macht des Parlaments
sicher zu begründen. Von den Thronbewerbern war der eine ein Fremdling,
der andre der Sohn eines Vertriebnen Königs. Wer anch auf den Thron
kam, er gelangte dazu nicht aus eigner Kraft, und die Partei, die deu neuen
König einsetzte, war auf längere Zeit der Macht sicher. König Jakob hätte
sich auf die Tories stützen müssen, wie Georg auf die Whigs. Von beiden
war jedenfalls der Fremdling Georg, der keine alten Ansprüche durchzusetzen
hatte, der Gefügigere. Die Erwartungen der Whigs mögen groß gewesen sein,
aber der Erfolg muß sie noch übertroffen haben. Ein volles halbes Jahr¬
hundert war es den Whigs vergönnt, die Herrschaft des Parlaments auszu¬
bauen und sich im Glänze der Macht zu sonnen.

Den Tories blieb nichts übrig, als sich ins unvermeidliche zu schicken
und mit der vollendeten Thatsache abzufinden. Sie mußten es, wenn sie je
regierungsfähig werden wollten. Bis auf einige wenige Starrköpfe sagten sie
sich von den unverbesserlichen Stuarts los. Höchstens im engsten Freundes¬
kreise trank man noch auf die Gesundheit des Königs überm Wasser. Darüber
hinaus ging man nicht, und die beiden jakobitischen Aufstände von 1715 und
1745 fanden in England selbst so gut wie keine Unterstützung. Der sittliche
Verfall Karl Edwards beseitigte dann auch den letzten Rest dieses Unterschieds
zwischen den beiden Parteien. In allen übrigen grundsätzlichen Anschauungen
stimmten sie überein. Warum sollten sie auch nicht? Beide gehörten deu
obersten Schichten der Bevölkerung um, die allein etwas galten, während die
Masse überhaupt nichts zählte. Ihr Leben ruhte auf derselben wirtschaftlichen
und geistigen Grundlage, und was sie trennte, war wirklich nichts, als daß
sie eben zwei Parteien waren, von denen die eine an der Krippe saß, die andre
nicht. Doch das war hinreichend Grund für die angeborne Abneigung, die,
wie Addison sich im spectator ausdrückte, die beiden so natürlich zu gegen¬
seitiger Bekämpfung trieb wie den Elefanten und das Rhinozeros.

Von einem Eintreten für ein starkes Königtum, das die Tories noch
unter Karl II. auf ihre Fahne geschrieben hatten, war unter den Welsen nichts
mehr zu spüren. Damals hatten sie nur durch den König ans Ruder gelangen


Die britische Regierung

rückte allmählich den Whigs näher. Diese letzte wurde die Torypartei, die
hinfort mit den Whigs um den Vorrang im Staate stritt. Solange die
Königin Anna lebte, bemühten sich die Tories nach Kräften, die Thronfolge
der Welsen zu hintertreiben und die Stuarts zurückzuführen. Beide Parteien
rüsteten sich für die nahe Entscheidung, beide bereit, einen Bürgerkrieg herauf-
zubeschwören über die Frage, ob Georg I. oder Jakob III. König sein sollte.
Doch der plötzliche Tod der Königin überraschte die Tories, die Whigs
triumphierten, und ihr Anwärter, der Kurfürst von Hannover, wurde im West-
minster gekrönt.

Die Whigs hatten Grund zur Freude. Es handelte sich nicht mehr um
einen protestantischen oder einen katholischen König; denn auch die Tories hatten
von Jakob Stuart den Übertritt zur englischen Kirche als Bedingung ihrer
Hilfe gefordert. Das Ziel, das beiden Parteien vorschwebte, war, dnrch ihren
König in den Alleinbesitz der Macht zu gelangen. Eine bessere Gelegenheit
als der Thronwechsel ließ sich gar nicht denken, die Macht des Parlaments
sicher zu begründen. Von den Thronbewerbern war der eine ein Fremdling,
der andre der Sohn eines Vertriebnen Königs. Wer anch auf den Thron
kam, er gelangte dazu nicht aus eigner Kraft, und die Partei, die deu neuen
König einsetzte, war auf längere Zeit der Macht sicher. König Jakob hätte
sich auf die Tories stützen müssen, wie Georg auf die Whigs. Von beiden
war jedenfalls der Fremdling Georg, der keine alten Ansprüche durchzusetzen
hatte, der Gefügigere. Die Erwartungen der Whigs mögen groß gewesen sein,
aber der Erfolg muß sie noch übertroffen haben. Ein volles halbes Jahr¬
hundert war es den Whigs vergönnt, die Herrschaft des Parlaments auszu¬
bauen und sich im Glänze der Macht zu sonnen.

Den Tories blieb nichts übrig, als sich ins unvermeidliche zu schicken
und mit der vollendeten Thatsache abzufinden. Sie mußten es, wenn sie je
regierungsfähig werden wollten. Bis auf einige wenige Starrköpfe sagten sie
sich von den unverbesserlichen Stuarts los. Höchstens im engsten Freundes¬
kreise trank man noch auf die Gesundheit des Königs überm Wasser. Darüber
hinaus ging man nicht, und die beiden jakobitischen Aufstände von 1715 und
1745 fanden in England selbst so gut wie keine Unterstützung. Der sittliche
Verfall Karl Edwards beseitigte dann auch den letzten Rest dieses Unterschieds
zwischen den beiden Parteien. In allen übrigen grundsätzlichen Anschauungen
stimmten sie überein. Warum sollten sie auch nicht? Beide gehörten deu
obersten Schichten der Bevölkerung um, die allein etwas galten, während die
Masse überhaupt nichts zählte. Ihr Leben ruhte auf derselben wirtschaftlichen
und geistigen Grundlage, und was sie trennte, war wirklich nichts, als daß
sie eben zwei Parteien waren, von denen die eine an der Krippe saß, die andre
nicht. Doch das war hinreichend Grund für die angeborne Abneigung, die,
wie Addison sich im spectator ausdrückte, die beiden so natürlich zu gegen¬
seitiger Bekämpfung trieb wie den Elefanten und das Rhinozeros.

Von einem Eintreten für ein starkes Königtum, das die Tories noch
unter Karl II. auf ihre Fahne geschrieben hatten, war unter den Welsen nichts
mehr zu spüren. Damals hatten sie nur durch den König ans Ruder gelangen


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[0132] Die britische Regierung rückte allmählich den Whigs näher. Diese letzte wurde die Torypartei, die hinfort mit den Whigs um den Vorrang im Staate stritt. Solange die Königin Anna lebte, bemühten sich die Tories nach Kräften, die Thronfolge der Welsen zu hintertreiben und die Stuarts zurückzuführen. Beide Parteien rüsteten sich für die nahe Entscheidung, beide bereit, einen Bürgerkrieg herauf- zubeschwören über die Frage, ob Georg I. oder Jakob III. König sein sollte. Doch der plötzliche Tod der Königin überraschte die Tories, die Whigs triumphierten, und ihr Anwärter, der Kurfürst von Hannover, wurde im West- minster gekrönt. Die Whigs hatten Grund zur Freude. Es handelte sich nicht mehr um einen protestantischen oder einen katholischen König; denn auch die Tories hatten von Jakob Stuart den Übertritt zur englischen Kirche als Bedingung ihrer Hilfe gefordert. Das Ziel, das beiden Parteien vorschwebte, war, dnrch ihren König in den Alleinbesitz der Macht zu gelangen. Eine bessere Gelegenheit als der Thronwechsel ließ sich gar nicht denken, die Macht des Parlaments sicher zu begründen. Von den Thronbewerbern war der eine ein Fremdling, der andre der Sohn eines Vertriebnen Königs. Wer anch auf den Thron kam, er gelangte dazu nicht aus eigner Kraft, und die Partei, die deu neuen König einsetzte, war auf längere Zeit der Macht sicher. König Jakob hätte sich auf die Tories stützen müssen, wie Georg auf die Whigs. Von beiden war jedenfalls der Fremdling Georg, der keine alten Ansprüche durchzusetzen hatte, der Gefügigere. Die Erwartungen der Whigs mögen groß gewesen sein, aber der Erfolg muß sie noch übertroffen haben. Ein volles halbes Jahr¬ hundert war es den Whigs vergönnt, die Herrschaft des Parlaments auszu¬ bauen und sich im Glänze der Macht zu sonnen. Den Tories blieb nichts übrig, als sich ins unvermeidliche zu schicken und mit der vollendeten Thatsache abzufinden. Sie mußten es, wenn sie je regierungsfähig werden wollten. Bis auf einige wenige Starrköpfe sagten sie sich von den unverbesserlichen Stuarts los. Höchstens im engsten Freundes¬ kreise trank man noch auf die Gesundheit des Königs überm Wasser. Darüber hinaus ging man nicht, und die beiden jakobitischen Aufstände von 1715 und 1745 fanden in England selbst so gut wie keine Unterstützung. Der sittliche Verfall Karl Edwards beseitigte dann auch den letzten Rest dieses Unterschieds zwischen den beiden Parteien. In allen übrigen grundsätzlichen Anschauungen stimmten sie überein. Warum sollten sie auch nicht? Beide gehörten deu obersten Schichten der Bevölkerung um, die allein etwas galten, während die Masse überhaupt nichts zählte. Ihr Leben ruhte auf derselben wirtschaftlichen und geistigen Grundlage, und was sie trennte, war wirklich nichts, als daß sie eben zwei Parteien waren, von denen die eine an der Krippe saß, die andre nicht. Doch das war hinreichend Grund für die angeborne Abneigung, die, wie Addison sich im spectator ausdrückte, die beiden so natürlich zu gegen¬ seitiger Bekämpfung trieb wie den Elefanten und das Rhinozeros. Von einem Eintreten für ein starkes Königtum, das die Tories noch unter Karl II. auf ihre Fahne geschrieben hatten, war unter den Welsen nichts mehr zu spüren. Damals hatten sie nur durch den König ans Ruder gelangen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/132>, abgerufen am 10.06.2024.