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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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ein Staatenkonglomernt ist, von dem sich auch die Erfahrensten heute nicht zu
sagen getrauen, was es morgen thun wird.

Der geistreiche Graf Beust, dem es beschieden war, mit der Flöte am
Munde zwei Staaten, einen kleinern erst und dann den größern, nicht in das
gelobte Land des Erfolgs zu führen, und dem Ungarn das auch hoher hinauf
im Norden eiuer kräftigen Negierungsinitiative nicht besonders förderliche In¬
stitut der Personalunion verdankt, würde sich, wenn er noch nnter uns weilte,
heutzutage selbst davon überzeugen, daß er bei dein unter so lieblichen Reden
ausgeführten Kaiserschnitt die Mutter dem Kinde geopfert habe. Das geht
uns freilich nur insofern an, als das zu unsrer und unsrer Freunde Siche¬
rung geschlossene deutsch-österreichisch-italienische Bündnis in Wahrheit kein
Dreibund ist, als das man es gewöhnlich bezeichnet, sondern ein Vierbnnd,
indem das Königreich Ungarn neben einer eignen öffentlichen Meinung auch
ein so gut wie selbständiges Parlament hat; und es berührt uns weiter auch
noch insofern, als Kaiser Franz Joseph außer dem König von Schweden und
Norwegen der einzige Souverän ist, dem zwei Herzen, auch zwei rechte und
zwei linke Hunde zugesprochen sind.

Ist nun schon die altdeutsche Bewegung, nicht bloß wie sie von schönerer
und Genossen betrieben wird, sondern überhaupt nicht das rechte Mittel, uns
das Herz des Königs von Ungarn, seiner Regierung, seines Landes, am aller¬
wenigsten aber das seiner in der Wolle magyarisch gefärbten Magnaten zu er¬
werben, so ist das mit den lieben Tschechen, die ihm gern noch ein drittes
Herz und ein drittes Paar Hände beilegen und ansetzen möchten, fast in noch
stärkeren Maße der Fall.

Und wir bekennen offen, daß unsrer Meinung nach die Tschechen, soweit
es sich um altdeutsches Hereinlangen über die schwarzen und gelben Grenz¬
pfähle handelt, wirklich nur in ihrem Rechte sind. Wenn der Kaiser von
Österreich nicht der Bundesgenosse des unsern wäre, und wenn es sich, statt
um in Österreich lebende Deutsche, um in Frankreich lebende handelte, so
könnte unsertwegen den dort lebenden Stammesgenossen ein Tausend blonder
Flachsperücken "beschafft" und ihnen die Wacht am Rhein in Hunderttausenden
von Exemplaren "zugüngig" gemacht werden, denn mit Frankreich ist nichts
mehr zu verderben: den Franzosen gegenüber ist jede Schonung und jede
Rücksicht umsonst. Für sie liegt die Frage, ob sie mit uns Krieg anfangen
sollen oder nicht, wie der nette, runde, kleine Kern einer Haselnuß in der
nicht zu geräumigen Schale. Es kommt alles darauf an: ist Nußland bereit,
mit loszuschlagen oder nicht? Bis der Zar fertig ist, wird gewartet: dann
gehts los. So denken doch die "reisten Franzosen immer noch, und sie brauchte
man also durch Entgegenkommen nicht weiter zu verwöhnen: ihnen gegenüber
kommt es vielmehr lediglich darauf an, Rußland, wie man sich ausdrückt, "ander¬
weit zu beschäftigen," und ihm unbemerkt möglichst ernste Angelegenheiten zu
bereiten, damit es sich nicht, oder doch je weniger je besser mit Allotrias be¬
schäftigen kann. Die Russen nehmen dergleichen nicht übel, denn es ist -- immer
natürlich mit dem freundlichsten Gesichte von der Welt -- ihre eigne Weise,
zu verfahren, und sie würden, wenn wir es geschickt ansingen, und ihnen ein


ein Staatenkonglomernt ist, von dem sich auch die Erfahrensten heute nicht zu
sagen getrauen, was es morgen thun wird.

Der geistreiche Graf Beust, dem es beschieden war, mit der Flöte am
Munde zwei Staaten, einen kleinern erst und dann den größern, nicht in das
gelobte Land des Erfolgs zu führen, und dem Ungarn das auch hoher hinauf
im Norden eiuer kräftigen Negierungsinitiative nicht besonders förderliche In¬
stitut der Personalunion verdankt, würde sich, wenn er noch nnter uns weilte,
heutzutage selbst davon überzeugen, daß er bei dein unter so lieblichen Reden
ausgeführten Kaiserschnitt die Mutter dem Kinde geopfert habe. Das geht
uns freilich nur insofern an, als das zu unsrer und unsrer Freunde Siche¬
rung geschlossene deutsch-österreichisch-italienische Bündnis in Wahrheit kein
Dreibund ist, als das man es gewöhnlich bezeichnet, sondern ein Vierbnnd,
indem das Königreich Ungarn neben einer eignen öffentlichen Meinung auch
ein so gut wie selbständiges Parlament hat; und es berührt uns weiter auch
noch insofern, als Kaiser Franz Joseph außer dem König von Schweden und
Norwegen der einzige Souverän ist, dem zwei Herzen, auch zwei rechte und
zwei linke Hunde zugesprochen sind.

Ist nun schon die altdeutsche Bewegung, nicht bloß wie sie von schönerer
und Genossen betrieben wird, sondern überhaupt nicht das rechte Mittel, uns
das Herz des Königs von Ungarn, seiner Regierung, seines Landes, am aller¬
wenigsten aber das seiner in der Wolle magyarisch gefärbten Magnaten zu er¬
werben, so ist das mit den lieben Tschechen, die ihm gern noch ein drittes
Herz und ein drittes Paar Hände beilegen und ansetzen möchten, fast in noch
stärkeren Maße der Fall.

Und wir bekennen offen, daß unsrer Meinung nach die Tschechen, soweit
es sich um altdeutsches Hereinlangen über die schwarzen und gelben Grenz¬
pfähle handelt, wirklich nur in ihrem Rechte sind. Wenn der Kaiser von
Österreich nicht der Bundesgenosse des unsern wäre, und wenn es sich, statt
um in Österreich lebende Deutsche, um in Frankreich lebende handelte, so
könnte unsertwegen den dort lebenden Stammesgenossen ein Tausend blonder
Flachsperücken „beschafft" und ihnen die Wacht am Rhein in Hunderttausenden
von Exemplaren „zugüngig" gemacht werden, denn mit Frankreich ist nichts
mehr zu verderben: den Franzosen gegenüber ist jede Schonung und jede
Rücksicht umsonst. Für sie liegt die Frage, ob sie mit uns Krieg anfangen
sollen oder nicht, wie der nette, runde, kleine Kern einer Haselnuß in der
nicht zu geräumigen Schale. Es kommt alles darauf an: ist Nußland bereit,
mit loszuschlagen oder nicht? Bis der Zar fertig ist, wird gewartet: dann
gehts los. So denken doch die »reisten Franzosen immer noch, und sie brauchte
man also durch Entgegenkommen nicht weiter zu verwöhnen: ihnen gegenüber
kommt es vielmehr lediglich darauf an, Rußland, wie man sich ausdrückt, „ander¬
weit zu beschäftigen," und ihm unbemerkt möglichst ernste Angelegenheiten zu
bereiten, damit es sich nicht, oder doch je weniger je besser mit Allotrias be¬
schäftigen kann. Die Russen nehmen dergleichen nicht übel, denn es ist — immer
natürlich mit dem freundlichsten Gesichte von der Welt — ihre eigne Weise,
zu verfahren, und sie würden, wenn wir es geschickt ansingen, und ihnen ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/152>, abgerufen am 17.06.2024.