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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Österreichisches

eine solche mit Rücksicht auf die Stimmung der Wähler undurchführbar er¬
weisen sollte, den Augenblick als gekommen zu erklären, wo auf eine andre
Weise Ordnung geschafft werden müsse. Diesen letzten Gedanken aller
tschechischen Politiker spann dann Dr. Herold weiter. Um dem hippokratischen
Zustand der jetzigen politischen Verhältnisse ein Ende zu bereiten, forderte er
eine Erklärung der Regierung, daß sie den Willen und die Kraft habe, den
8 19 der Staatsgrundgesetze in Bezug auf die Sprachenfrage und die lokalen
Bedürfnisse der Nationen durchzuführen. Dann forderte er den Erlaß eines
Rahmengesetzes, das die die Sprachen angehenden Grundrechte der einzelnen
Nationen und den notwendigen Schutz der nationalen Minoritäten feststelle
und die Losung der Sprnchenfrage in den einzelnen Ländern den Landtagen
überließe. Daß die Deutschen einem solchen Vorgehn, das sie rücksichtslosen
Majoritäten ausliefern würde, den äußersten Widerstand entgegensetzen müßten,
wird von tschechischer Seite konsequent ignoriert. Ferner verlangte Herold die
Revision der Verfassung mit einer Entlastung des Zentralparlaments, die
Verbesserung der Geschäftsordnung und die Revision der Wahlordnung, lauter
Mittel zur Schwächung der parlamentarischen Widerstandskraft der Deutschen.
Da er aber anerkennen mußte, daß das Kabinett Körber dieses Programm
zur Losung der innern Wirren nicht annehmen und nicht durchführen würde,
forderte er einfach dessen Rücktritt. Noch radikaler äußerte sich Herolds Klub¬
kollege Forscht, indem er die Herstellung des nationalen und des Sprach¬
friedens ohne den allerdings nicht zu erwartenden Verzicht der deutschen Par¬
teien auf die Besitzstandstheorie für ebenso ausgeschlossen erklärte, wie die
Wahl des Abgeordneten schönerer zum Papst für den Fall eines Konklave.
Das tschechische Volk weise jeden Frieden zurück, der ihm auch uur teil¬
weise eine Erfüllung der deutschen Bestrebungen in Bezug auf die Staats¬
sprache aufbürden würde. Für die Freimachung der Bahn zur Erledigung der
Ausglcichsvorlage durch die vom Ministerpräsidenten angebahnten Versvhnungs-
konferenzen ließ er nnr das Wort gelten: I^homes o^ni sporan^! Für Forscht
giebt es nur zwei Auswege: entweder einen Verzicht auf die Verfassungs¬
mäßigkeit, oder eine Rekonstruktion des baufälligen Nersassnngsgebäudes, d. h.
"die Rückkehr zu den Naturformen eines wahren Konstitutionalismus, welcher
sich dem Wesen des österreichischen Völkerstaats anpassen und ein natürliches
Gleichgewicht zwischen dessen einzelnen Bestandteilen unter Wahrung des
gleichen Rechts und der gleichmäßigen Pflege der Interessen sämtlicher Volks-
stämme herstellen würde." Als Hauptschwierigkeit der politischen Lage be¬
zeichnete Forscht das lldörnru oft-o der drohenden deutschen Obstruktion, und
als Devise der Vertreter des tschechischen Volks das Schmerlingsche Wort:
Wir können warten.

Dein tschechischen Radikalismus war es vorbehalten, dnrch den Mund
Ratajs zuerst gelassen nuszusprechen, daß eine Erhaltung Österreichs und seiner
Dynastie ohne Staatsstreich nicht möglich sein werde, und die Forderung zu
Theben, daß den Ländern der böhmischen Krone -- unter Gleichberechtigung
beider Volksstämme -- die staatliche Selbständigkeit ebenso zurückgegeben werden
'Nüsse wie Ungarn.


Österreichisches

eine solche mit Rücksicht auf die Stimmung der Wähler undurchführbar er¬
weisen sollte, den Augenblick als gekommen zu erklären, wo auf eine andre
Weise Ordnung geschafft werden müsse. Diesen letzten Gedanken aller
tschechischen Politiker spann dann Dr. Herold weiter. Um dem hippokratischen
Zustand der jetzigen politischen Verhältnisse ein Ende zu bereiten, forderte er
eine Erklärung der Regierung, daß sie den Willen und die Kraft habe, den
8 19 der Staatsgrundgesetze in Bezug auf die Sprachenfrage und die lokalen
Bedürfnisse der Nationen durchzuführen. Dann forderte er den Erlaß eines
Rahmengesetzes, das die die Sprachen angehenden Grundrechte der einzelnen
Nationen und den notwendigen Schutz der nationalen Minoritäten feststelle
und die Losung der Sprnchenfrage in den einzelnen Ländern den Landtagen
überließe. Daß die Deutschen einem solchen Vorgehn, das sie rücksichtslosen
Majoritäten ausliefern würde, den äußersten Widerstand entgegensetzen müßten,
wird von tschechischer Seite konsequent ignoriert. Ferner verlangte Herold die
Revision der Verfassung mit einer Entlastung des Zentralparlaments, die
Verbesserung der Geschäftsordnung und die Revision der Wahlordnung, lauter
Mittel zur Schwächung der parlamentarischen Widerstandskraft der Deutschen.
Da er aber anerkennen mußte, daß das Kabinett Körber dieses Programm
zur Losung der innern Wirren nicht annehmen und nicht durchführen würde,
forderte er einfach dessen Rücktritt. Noch radikaler äußerte sich Herolds Klub¬
kollege Forscht, indem er die Herstellung des nationalen und des Sprach¬
friedens ohne den allerdings nicht zu erwartenden Verzicht der deutschen Par¬
teien auf die Besitzstandstheorie für ebenso ausgeschlossen erklärte, wie die
Wahl des Abgeordneten schönerer zum Papst für den Fall eines Konklave.
Das tschechische Volk weise jeden Frieden zurück, der ihm auch uur teil¬
weise eine Erfüllung der deutschen Bestrebungen in Bezug auf die Staats¬
sprache aufbürden würde. Für die Freimachung der Bahn zur Erledigung der
Ausglcichsvorlage durch die vom Ministerpräsidenten angebahnten Versvhnungs-
konferenzen ließ er nnr das Wort gelten: I^homes o^ni sporan^! Für Forscht
giebt es nur zwei Auswege: entweder einen Verzicht auf die Verfassungs¬
mäßigkeit, oder eine Rekonstruktion des baufälligen Nersassnngsgebäudes, d. h.
„die Rückkehr zu den Naturformen eines wahren Konstitutionalismus, welcher
sich dem Wesen des österreichischen Völkerstaats anpassen und ein natürliches
Gleichgewicht zwischen dessen einzelnen Bestandteilen unter Wahrung des
gleichen Rechts und der gleichmäßigen Pflege der Interessen sämtlicher Volks-
stämme herstellen würde." Als Hauptschwierigkeit der politischen Lage be¬
zeichnete Forscht das lldörnru oft-o der drohenden deutschen Obstruktion, und
als Devise der Vertreter des tschechischen Volks das Schmerlingsche Wort:
Wir können warten.

Dein tschechischen Radikalismus war es vorbehalten, dnrch den Mund
Ratajs zuerst gelassen nuszusprechen, daß eine Erhaltung Österreichs und seiner
Dynastie ohne Staatsstreich nicht möglich sein werde, und die Forderung zu
Theben, daß den Ländern der böhmischen Krone — unter Gleichberechtigung
beider Volksstämme — die staatliche Selbständigkeit ebenso zurückgegeben werden
'Nüsse wie Ungarn.


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[0187] Österreichisches eine solche mit Rücksicht auf die Stimmung der Wähler undurchführbar er¬ weisen sollte, den Augenblick als gekommen zu erklären, wo auf eine andre Weise Ordnung geschafft werden müsse. Diesen letzten Gedanken aller tschechischen Politiker spann dann Dr. Herold weiter. Um dem hippokratischen Zustand der jetzigen politischen Verhältnisse ein Ende zu bereiten, forderte er eine Erklärung der Regierung, daß sie den Willen und die Kraft habe, den 8 19 der Staatsgrundgesetze in Bezug auf die Sprachenfrage und die lokalen Bedürfnisse der Nationen durchzuführen. Dann forderte er den Erlaß eines Rahmengesetzes, das die die Sprachen angehenden Grundrechte der einzelnen Nationen und den notwendigen Schutz der nationalen Minoritäten feststelle und die Losung der Sprnchenfrage in den einzelnen Ländern den Landtagen überließe. Daß die Deutschen einem solchen Vorgehn, das sie rücksichtslosen Majoritäten ausliefern würde, den äußersten Widerstand entgegensetzen müßten, wird von tschechischer Seite konsequent ignoriert. Ferner verlangte Herold die Revision der Verfassung mit einer Entlastung des Zentralparlaments, die Verbesserung der Geschäftsordnung und die Revision der Wahlordnung, lauter Mittel zur Schwächung der parlamentarischen Widerstandskraft der Deutschen. Da er aber anerkennen mußte, daß das Kabinett Körber dieses Programm zur Losung der innern Wirren nicht annehmen und nicht durchführen würde, forderte er einfach dessen Rücktritt. Noch radikaler äußerte sich Herolds Klub¬ kollege Forscht, indem er die Herstellung des nationalen und des Sprach¬ friedens ohne den allerdings nicht zu erwartenden Verzicht der deutschen Par¬ teien auf die Besitzstandstheorie für ebenso ausgeschlossen erklärte, wie die Wahl des Abgeordneten schönerer zum Papst für den Fall eines Konklave. Das tschechische Volk weise jeden Frieden zurück, der ihm auch uur teil¬ weise eine Erfüllung der deutschen Bestrebungen in Bezug auf die Staats¬ sprache aufbürden würde. Für die Freimachung der Bahn zur Erledigung der Ausglcichsvorlage durch die vom Ministerpräsidenten angebahnten Versvhnungs- konferenzen ließ er nnr das Wort gelten: I^homes o^ni sporan^! Für Forscht giebt es nur zwei Auswege: entweder einen Verzicht auf die Verfassungs¬ mäßigkeit, oder eine Rekonstruktion des baufälligen Nersassnngsgebäudes, d. h. „die Rückkehr zu den Naturformen eines wahren Konstitutionalismus, welcher sich dem Wesen des österreichischen Völkerstaats anpassen und ein natürliches Gleichgewicht zwischen dessen einzelnen Bestandteilen unter Wahrung des gleichen Rechts und der gleichmäßigen Pflege der Interessen sämtlicher Volks- stämme herstellen würde." Als Hauptschwierigkeit der politischen Lage be¬ zeichnete Forscht das lldörnru oft-o der drohenden deutschen Obstruktion, und als Devise der Vertreter des tschechischen Volks das Schmerlingsche Wort: Wir können warten. Dein tschechischen Radikalismus war es vorbehalten, dnrch den Mund Ratajs zuerst gelassen nuszusprechen, daß eine Erhaltung Österreichs und seiner Dynastie ohne Staatsstreich nicht möglich sein werde, und die Forderung zu Theben, daß den Ländern der böhmischen Krone — unter Gleichberechtigung beider Volksstämme — die staatliche Selbständigkeit ebenso zurückgegeben werden 'Nüsse wie Ungarn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/187>, abgerufen am 17.06.2024.