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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Daß damit der Zerfall Österreichs, eine Erschütterung der Großmacht-
stellung der Habsburgischen Monarchie verbunden wäre, ist dein sanatisierten
Tschechentum ganz gleichgiltig.

Ministerpräsident 5!order betonte, daß die Regierung in leidenschaftsloser
Beharrlichkeit ihr Ziel verfolge, ein geregeltes, dauerndes parlamentarisches
Regiment herzustellen, daß sie aber, wenn die Erreichung dieses Zieles so sehr
verzögert würde, daß darunter die Lebensinteressen des Reichs geschädigt würden,
rasch ihren Entschluß zu fassen wüßte. Unverblümt wurde von alldeutscher
Seite die tschechische Erpresserpolitik, der der Staatsgedanke, die Verfassung
und das Parlament gleichgiltig seien, und die nur eine Vermehrung des natio¬
nalen Besitzes auf Kosten der Deutschen anstrebe, als politische Falschmünzerei
und Falschspielerei gebrandmarkt.

Die Scharfe dieser Auseinandersetzungen hielt den beispiellos geduldige"
und zähen Ministerpräsidenten nicht ab, bei Tschechen wie bei Deutschen die ein¬
leitenden Schritte zur Anbahnung einer "Aussprache" über die nationale Ver¬
ständigung zu thun, so gering auch die Hoffnungen auf Erfolg nach seinem
vor anderthalb Jahren mißglückter Versuch sein mochten. Eine große Schwierig¬
keit ist das neuste Programm der Altdeutschen, das jede Verständigung mit den
Tschechen vor der gesetzlichen Festlegung der deutschen Staatssprache ausschließt,
eine weitere das Verlangen der Tschechen, die Verhandlungen auf zwei Forde¬
rungen, auf die innere tschechische Amtssprache und die Errichtung einer
tschechischen Universität in Mähren zu beschränken. Die verhandlungsbereiten
deutschen Parteien müssen hinwieder auf einer Einigung über die Gesamt¬
heit der strittigen Fragen bestehn, deren Lösung im Pfingstprogramm versucht
ist. Und im Falle einer unerwarteten Verständigung bleibt immer noch die
Befürchtung bestehn, daß die Altdeutschen eine allseitige Annahme der Be¬
dingungen bei der deutscheu Bevölkerung Böhmens hintertreiben, also wieder¬
holen, was im Jahre 1890 die Jungtschcchen mit dem schon abgeschlossen
deutsch-tschechischen Ausgleich machten. Sowohl den deutscheu wie den
tschechischen Parteiführern wurde in gesonderten Besprechungen von Dr. Körber
nahe gelegt, Vvrberatnugeu über die gegenseitige Aussprache zu pflegen und
das Ausgleichsfeld sorgsam vorzubereiten, auf dem der nationale Friede er¬
wachsen soll.

Zu allgemeiner Überraschung nahm aber der Ministerpräsident fast zugleich
>sehr entschieden Stellung für den Fall, daß trotz aller Bemühungen der nationale
Zwist auch nicht vorübergehend gebannt, und die für die Regelung der wirt¬
schaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn sowie für den Abschluß
internationaler Handelsverträge unabweisbar notwendige Arbeitsfähigkeit des
Neichsrnts nicht hergestellt werden könnte.

In der Debatte über das Budgetprovisvrinm sprach er sich scharf über
eine Parteitaktik aus, die die Stätte bedroht, von der allein die Lösung aller
Wirren ausgehn kann. Er wies die tschechische Anklage zurück, daß zwischen
der Regierung und den deutschen Parteien ein andres Verhältnis bestehe,
als zu den andern großen (lies tschechischen) Parteien des Abgeordnetenhauses,
erklärte aber, daß die Regierung bei aller Dankbarkeit gegen die Parteien, die


(österreichisches

Daß damit der Zerfall Österreichs, eine Erschütterung der Großmacht-
stellung der Habsburgischen Monarchie verbunden wäre, ist dein sanatisierten
Tschechentum ganz gleichgiltig.

Ministerpräsident 5!order betonte, daß die Regierung in leidenschaftsloser
Beharrlichkeit ihr Ziel verfolge, ein geregeltes, dauerndes parlamentarisches
Regiment herzustellen, daß sie aber, wenn die Erreichung dieses Zieles so sehr
verzögert würde, daß darunter die Lebensinteressen des Reichs geschädigt würden,
rasch ihren Entschluß zu fassen wüßte. Unverblümt wurde von alldeutscher
Seite die tschechische Erpresserpolitik, der der Staatsgedanke, die Verfassung
und das Parlament gleichgiltig seien, und die nur eine Vermehrung des natio¬
nalen Besitzes auf Kosten der Deutschen anstrebe, als politische Falschmünzerei
und Falschspielerei gebrandmarkt.

Die Scharfe dieser Auseinandersetzungen hielt den beispiellos geduldige»
und zähen Ministerpräsidenten nicht ab, bei Tschechen wie bei Deutschen die ein¬
leitenden Schritte zur Anbahnung einer „Aussprache" über die nationale Ver¬
ständigung zu thun, so gering auch die Hoffnungen auf Erfolg nach seinem
vor anderthalb Jahren mißglückter Versuch sein mochten. Eine große Schwierig¬
keit ist das neuste Programm der Altdeutschen, das jede Verständigung mit den
Tschechen vor der gesetzlichen Festlegung der deutschen Staatssprache ausschließt,
eine weitere das Verlangen der Tschechen, die Verhandlungen auf zwei Forde¬
rungen, auf die innere tschechische Amtssprache und die Errichtung einer
tschechischen Universität in Mähren zu beschränken. Die verhandlungsbereiten
deutschen Parteien müssen hinwieder auf einer Einigung über die Gesamt¬
heit der strittigen Fragen bestehn, deren Lösung im Pfingstprogramm versucht
ist. Und im Falle einer unerwarteten Verständigung bleibt immer noch die
Befürchtung bestehn, daß die Altdeutschen eine allseitige Annahme der Be¬
dingungen bei der deutscheu Bevölkerung Böhmens hintertreiben, also wieder¬
holen, was im Jahre 1890 die Jungtschcchen mit dem schon abgeschlossen
deutsch-tschechischen Ausgleich machten. Sowohl den deutscheu wie den
tschechischen Parteiführern wurde in gesonderten Besprechungen von Dr. Körber
nahe gelegt, Vvrberatnugeu über die gegenseitige Aussprache zu pflegen und
das Ausgleichsfeld sorgsam vorzubereiten, auf dem der nationale Friede er¬
wachsen soll.

Zu allgemeiner Überraschung nahm aber der Ministerpräsident fast zugleich
>sehr entschieden Stellung für den Fall, daß trotz aller Bemühungen der nationale
Zwist auch nicht vorübergehend gebannt, und die für die Regelung der wirt¬
schaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn sowie für den Abschluß
internationaler Handelsverträge unabweisbar notwendige Arbeitsfähigkeit des
Neichsrnts nicht hergestellt werden könnte.

In der Debatte über das Budgetprovisvrinm sprach er sich scharf über
eine Parteitaktik aus, die die Stätte bedroht, von der allein die Lösung aller
Wirren ausgehn kann. Er wies die tschechische Anklage zurück, daß zwischen
der Regierung und den deutschen Parteien ein andres Verhältnis bestehe,
als zu den andern großen (lies tschechischen) Parteien des Abgeordnetenhauses,
erklärte aber, daß die Regierung bei aller Dankbarkeit gegen die Parteien, die


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[0188] (österreichisches Daß damit der Zerfall Österreichs, eine Erschütterung der Großmacht- stellung der Habsburgischen Monarchie verbunden wäre, ist dein sanatisierten Tschechentum ganz gleichgiltig. Ministerpräsident 5!order betonte, daß die Regierung in leidenschaftsloser Beharrlichkeit ihr Ziel verfolge, ein geregeltes, dauerndes parlamentarisches Regiment herzustellen, daß sie aber, wenn die Erreichung dieses Zieles so sehr verzögert würde, daß darunter die Lebensinteressen des Reichs geschädigt würden, rasch ihren Entschluß zu fassen wüßte. Unverblümt wurde von alldeutscher Seite die tschechische Erpresserpolitik, der der Staatsgedanke, die Verfassung und das Parlament gleichgiltig seien, und die nur eine Vermehrung des natio¬ nalen Besitzes auf Kosten der Deutschen anstrebe, als politische Falschmünzerei und Falschspielerei gebrandmarkt. Die Scharfe dieser Auseinandersetzungen hielt den beispiellos geduldige» und zähen Ministerpräsidenten nicht ab, bei Tschechen wie bei Deutschen die ein¬ leitenden Schritte zur Anbahnung einer „Aussprache" über die nationale Ver¬ ständigung zu thun, so gering auch die Hoffnungen auf Erfolg nach seinem vor anderthalb Jahren mißglückter Versuch sein mochten. Eine große Schwierig¬ keit ist das neuste Programm der Altdeutschen, das jede Verständigung mit den Tschechen vor der gesetzlichen Festlegung der deutschen Staatssprache ausschließt, eine weitere das Verlangen der Tschechen, die Verhandlungen auf zwei Forde¬ rungen, auf die innere tschechische Amtssprache und die Errichtung einer tschechischen Universität in Mähren zu beschränken. Die verhandlungsbereiten deutschen Parteien müssen hinwieder auf einer Einigung über die Gesamt¬ heit der strittigen Fragen bestehn, deren Lösung im Pfingstprogramm versucht ist. Und im Falle einer unerwarteten Verständigung bleibt immer noch die Befürchtung bestehn, daß die Altdeutschen eine allseitige Annahme der Be¬ dingungen bei der deutscheu Bevölkerung Böhmens hintertreiben, also wieder¬ holen, was im Jahre 1890 die Jungtschcchen mit dem schon abgeschlossen deutsch-tschechischen Ausgleich machten. Sowohl den deutscheu wie den tschechischen Parteiführern wurde in gesonderten Besprechungen von Dr. Körber nahe gelegt, Vvrberatnugeu über die gegenseitige Aussprache zu pflegen und das Ausgleichsfeld sorgsam vorzubereiten, auf dem der nationale Friede er¬ wachsen soll. Zu allgemeiner Überraschung nahm aber der Ministerpräsident fast zugleich >sehr entschieden Stellung für den Fall, daß trotz aller Bemühungen der nationale Zwist auch nicht vorübergehend gebannt, und die für die Regelung der wirt¬ schaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn sowie für den Abschluß internationaler Handelsverträge unabweisbar notwendige Arbeitsfähigkeit des Neichsrnts nicht hergestellt werden könnte. In der Debatte über das Budgetprovisvrinm sprach er sich scharf über eine Parteitaktik aus, die die Stätte bedroht, von der allein die Lösung aller Wirren ausgehn kann. Er wies die tschechische Anklage zurück, daß zwischen der Regierung und den deutschen Parteien ein andres Verhältnis bestehe, als zu den andern großen (lies tschechischen) Parteien des Abgeordnetenhauses, erklärte aber, daß die Regierung bei aller Dankbarkeit gegen die Parteien, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/188>, abgerufen am 17.06.2024.