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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Geistige Strömungen im Katholizismus

nehmungcu; dauerhafte Wirksamkeit fehlt leider, und der Eifer erlahmt
gar bald.

Den geraden Gegensatz zu Italien bietet Holland. Mit seltner Aus¬
dauer find die dortigen Katholiken seit fünfzig Jahren an der Arbeit, sich
Geltung im öffentlichen Leben zu verschaffen. Auf dem wissenschaftlichen
Gebiete sind sie noch Heloten, wie in Deutschland, insofern als man sie beinahe
vollständig von den Universitätskanzeln ausschließt. Im politischen Leben
nehmen sie eine hochgeachtete Stellung ein, die unterstützt wird durch eine
ausgezeichnet geleitete Presse. Die Leistungen ans den verschiedenen Gebieten
der Wissenschaft sind sehr tüchtig, da sie mit Eifer bestrebt siud, an allen
Kulturfortfchritten dauernd Anteil zu nehmen. Vor allem die theologischen
Leistungen verdienen hier eine besondre Hervorhebung, und zwar weil bei der
relativ geringen Seelenzahl auch die Zahl der Theologen nicht sehr groß ist.
Auch kommt in Betracht, daß das Absatzgebiet der holländisch geschriebnen
Bücher nur beschränkt sein kann, wodurch die Produktion sehr eingeengt ist.
Sowohl die geistigen Bewegungen des französischen wie des deutschen Sprach¬
gebiets reflektieren auf das Leben der holländischen Katholiken, ohne daß sie
sich in den letzten zwei Jahrzehnten in deutlich erkennbarer Weise nach der
einen oder der andern Richtung hin entschieden hätten. Die bedauerliche
Spaltung innerhalb der katholischen Partei, wobei sich die Mehrzahl der Ab¬
geordneten von ihrem gebornen Führer getrennt hatte, hat durch deren Rück¬
kehr zum Führer ihre Erledigung gefunden.

Belgien hat scharfe Krisen im katholischen Leben zu bestehn gehabt, die
zum Teil noch andauern. Die sozialen Fragen, man denke um den Abbe
Daens und andre, haben aufwühlende Stürme heraufbeschworen. Als das
päpstliche Rundschreiben 6rav<Z8 as oourinrmi über die christliche Demokratie
erschienen war, sagte Woeste, wenn das ihr Inhalt sei, daun sei er immer
christlicher Demokrat gewesen. Politische Erörterungen haben Spaltungen
herbeigeführt, die noch heute fortbestehn. Die wissenschaftlichen Leistungen
dagegen haben eine ruhige, glänzende Entwicklung auszuweisen, die sich um
die Universität Löwen, die Bollandisteu, den Professor Kurth von Lüttich und
andre gruppiert.

Es ist sehr bezeichnend, daß man im Auslande verhältnismäßig wenig
Notiz von dieser geistigen Regsamkeit der belgischen Katholiken nimmt. Es
wiederholt sich hier das Schauspiel, daß eine Art stillschweigendes Jndexverbvt
befolgt wird, "zum eatuolioi. Man schließe die Augen nicht vor dieser That¬
sache, denn sie besteht für Belgien ebenso wie für andre Staaten. Und ob
es gerade im Interesse der Evangelischen liegt, einen solchen Ostrazismus zu
üben, mag der Nuhigdeukeude, dem es uicht auf die Konfession, sondern auf
die Leistungen ankommen muß, entscheiden. Es ist ein schwerwiegendes Gravamen,
das wir Katholiken immer erneut vorbringen müssen, um uns unser Recht
auf wissenschaftliche Beachtung zu erkämpfen. Auf die Dauer werden wir es
erreichen much ohne fremde Hilfe; aber schneller lviirde es gehn, wenn mehr
objektive Würdigung vorhanden wäre, statt des ängstlichen Nachfragens nach
unsrer Welt- und Lebensauffassung.


Geistige Strömungen im Katholizismus

nehmungcu; dauerhafte Wirksamkeit fehlt leider, und der Eifer erlahmt
gar bald.

Den geraden Gegensatz zu Italien bietet Holland. Mit seltner Aus¬
dauer find die dortigen Katholiken seit fünfzig Jahren an der Arbeit, sich
Geltung im öffentlichen Leben zu verschaffen. Auf dem wissenschaftlichen
Gebiete sind sie noch Heloten, wie in Deutschland, insofern als man sie beinahe
vollständig von den Universitätskanzeln ausschließt. Im politischen Leben
nehmen sie eine hochgeachtete Stellung ein, die unterstützt wird durch eine
ausgezeichnet geleitete Presse. Die Leistungen ans den verschiedenen Gebieten
der Wissenschaft sind sehr tüchtig, da sie mit Eifer bestrebt siud, an allen
Kulturfortfchritten dauernd Anteil zu nehmen. Vor allem die theologischen
Leistungen verdienen hier eine besondre Hervorhebung, und zwar weil bei der
relativ geringen Seelenzahl auch die Zahl der Theologen nicht sehr groß ist.
Auch kommt in Betracht, daß das Absatzgebiet der holländisch geschriebnen
Bücher nur beschränkt sein kann, wodurch die Produktion sehr eingeengt ist.
Sowohl die geistigen Bewegungen des französischen wie des deutschen Sprach¬
gebiets reflektieren auf das Leben der holländischen Katholiken, ohne daß sie
sich in den letzten zwei Jahrzehnten in deutlich erkennbarer Weise nach der
einen oder der andern Richtung hin entschieden hätten. Die bedauerliche
Spaltung innerhalb der katholischen Partei, wobei sich die Mehrzahl der Ab¬
geordneten von ihrem gebornen Führer getrennt hatte, hat durch deren Rück¬
kehr zum Führer ihre Erledigung gefunden.

Belgien hat scharfe Krisen im katholischen Leben zu bestehn gehabt, die
zum Teil noch andauern. Die sozialen Fragen, man denke um den Abbe
Daens und andre, haben aufwühlende Stürme heraufbeschworen. Als das
päpstliche Rundschreiben 6rav<Z8 as oourinrmi über die christliche Demokratie
erschienen war, sagte Woeste, wenn das ihr Inhalt sei, daun sei er immer
christlicher Demokrat gewesen. Politische Erörterungen haben Spaltungen
herbeigeführt, die noch heute fortbestehn. Die wissenschaftlichen Leistungen
dagegen haben eine ruhige, glänzende Entwicklung auszuweisen, die sich um
die Universität Löwen, die Bollandisteu, den Professor Kurth von Lüttich und
andre gruppiert.

Es ist sehr bezeichnend, daß man im Auslande verhältnismäßig wenig
Notiz von dieser geistigen Regsamkeit der belgischen Katholiken nimmt. Es
wiederholt sich hier das Schauspiel, daß eine Art stillschweigendes Jndexverbvt
befolgt wird, «zum eatuolioi. Man schließe die Augen nicht vor dieser That¬
sache, denn sie besteht für Belgien ebenso wie für andre Staaten. Und ob
es gerade im Interesse der Evangelischen liegt, einen solchen Ostrazismus zu
üben, mag der Nuhigdeukeude, dem es uicht auf die Konfession, sondern auf
die Leistungen ankommen muß, entscheiden. Es ist ein schwerwiegendes Gravamen,
das wir Katholiken immer erneut vorbringen müssen, um uns unser Recht
auf wissenschaftliche Beachtung zu erkämpfen. Auf die Dauer werden wir es
erreichen much ohne fremde Hilfe; aber schneller lviirde es gehn, wenn mehr
objektive Würdigung vorhanden wäre, statt des ängstlichen Nachfragens nach
unsrer Welt- und Lebensauffassung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/195>, abgerufen am 17.06.2024.