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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Hermann Allmers

ganz und gar nicht in dem Verständnis der niederdeutschen Bauern und Klein¬
bürger für ihn. Das kam erst ganz spät. Wenn man ein Jahr setzen soll
-- natürlich sing die Sache nicht eines Tags plötzlich an --, so kann man
vielleicht 1880 nennen. Aber schon 1860 war Allmers der erklärte Liebling
geistig hochstehender Kreise, die keinerlei Heimatkult betrieben, schon weil sie
aus allen Weltgegenden zusammengewürfelt waren. Außer der Colonna-
gesellschaft in Rom nennen wir das "Krokodil" in München. Das waren
Leute, die sämtlich mit der Zunge fertig werden konnten, und die zu Allmers
tiefe Zuneigung faßten, nicht weil er aus einem strohgedeckten Bauernhause
stammte, souderu weil er an Humor in der Gesellschaft, an sprühendem Geist
bei herüber und hinüber blitzendem Gespräch alle übertraf. Er hatte ein gro߬
artiges schauspielerisches Talent. Wäre er bei seiner Begabung körperlich
normal gewesen, er wäre ein Meteor am Theaterhimmel geworden. Das
Groteske in seiner Figur, der hünenhafte Mensch mit dem großen Kopf, dem
spärlichen hellgelben Haupthaar, dein abenteuerlich gebildeten Munde, die schwer
verständliche Sprache, das alles trug viel dazu bei, die Empfänglichkeit des
Publikums zu wecken. Einst trat er mit einer Dame in den schon überfüllten
Hofbrüukeller in München. In seiner lebhaften, lauten Weise sing er an zu
sprechen und zu gestikulieren. Daraus wurde für einige Minuten der Hofbräu-
kcller still -- wer die Verhältnisse kennt, weiß danach, welches Staunen der
fremde Gast erweckt haben muß. Seine hellen Augen waren nur klein, aber
wer darin zu lesen verstand, fühlte die Geistesfunken, die daraus hervorblitzten.
Und nun wenn er sang! Bei ernsten inbrünstigen Liedern war er tief er¬
griffen. Am größten war er bei Ulkliedern, z. B. dein berühmten "Wer war
jemals wohl so frech, wie der Bürgermeister Thebens," oder "Es Wareneinmal
zwei Knaben, die hatten ein Mädchen so lieb." Es giebt Leute, die können
mit Hand und Mund und Fuß und Ellenbogen ganze Orchesterstücke mit ihren
Klangfarben aufführen. Allmers konnte derartiges in der Mimik leisten. Im
Bürgermeister Thebens z> B. sah man alle Beteiligten aufmarschieren, erst den
"niemand, der Böses dacht," dann "kam ein Mann im grauen Mantel," dann
den erst "noch etwas dämlich nnssehenden," ferner den tief erschrocknen, hernach
aufatmenden König, den gepackten Wüterich, die leitenden Gendarmen, den nicht
in Berlin befindlichen Duncker usw. Es hat wohl niemand gegeben, der sich
der überwältigenden Komik hätte entziehn können, niemand, der den Vortrag
nicht gern noch einmal gehört Hütte, und wenn er ihn noch so oft gehört
hatte. Jahrzehnte sind vergangen, seit er, zum letztenmal den Bitten seiner
Freunde nachgebend, das Lied gesungen hat.

Hermann Allmers war eine Persönlichkeit. Im Leben wirkte er viel
mehr als seinen Schriften je beschicken sein wird, wo er nicht mehr als die
Persönlichkeit von Fleisch und Blut hinter ihnen steht. Auch in seiner Ge¬
sinnung war er ganz und gar er selbst. Seine Gutmütigkeit artete in Charakter¬
schwäche aus. Sein väterliches Erbe war ein sogar für grosMnerliche Ver-


Hermann Allmers

ganz und gar nicht in dem Verständnis der niederdeutschen Bauern und Klein¬
bürger für ihn. Das kam erst ganz spät. Wenn man ein Jahr setzen soll
— natürlich sing die Sache nicht eines Tags plötzlich an —, so kann man
vielleicht 1880 nennen. Aber schon 1860 war Allmers der erklärte Liebling
geistig hochstehender Kreise, die keinerlei Heimatkult betrieben, schon weil sie
aus allen Weltgegenden zusammengewürfelt waren. Außer der Colonna-
gesellschaft in Rom nennen wir das „Krokodil" in München. Das waren
Leute, die sämtlich mit der Zunge fertig werden konnten, und die zu Allmers
tiefe Zuneigung faßten, nicht weil er aus einem strohgedeckten Bauernhause
stammte, souderu weil er an Humor in der Gesellschaft, an sprühendem Geist
bei herüber und hinüber blitzendem Gespräch alle übertraf. Er hatte ein gro߬
artiges schauspielerisches Talent. Wäre er bei seiner Begabung körperlich
normal gewesen, er wäre ein Meteor am Theaterhimmel geworden. Das
Groteske in seiner Figur, der hünenhafte Mensch mit dem großen Kopf, dem
spärlichen hellgelben Haupthaar, dein abenteuerlich gebildeten Munde, die schwer
verständliche Sprache, das alles trug viel dazu bei, die Empfänglichkeit des
Publikums zu wecken. Einst trat er mit einer Dame in den schon überfüllten
Hofbrüukeller in München. In seiner lebhaften, lauten Weise sing er an zu
sprechen und zu gestikulieren. Daraus wurde für einige Minuten der Hofbräu-
kcller still — wer die Verhältnisse kennt, weiß danach, welches Staunen der
fremde Gast erweckt haben muß. Seine hellen Augen waren nur klein, aber
wer darin zu lesen verstand, fühlte die Geistesfunken, die daraus hervorblitzten.
Und nun wenn er sang! Bei ernsten inbrünstigen Liedern war er tief er¬
griffen. Am größten war er bei Ulkliedern, z. B. dein berühmten „Wer war
jemals wohl so frech, wie der Bürgermeister Thebens," oder „Es Wareneinmal
zwei Knaben, die hatten ein Mädchen so lieb." Es giebt Leute, die können
mit Hand und Mund und Fuß und Ellenbogen ganze Orchesterstücke mit ihren
Klangfarben aufführen. Allmers konnte derartiges in der Mimik leisten. Im
Bürgermeister Thebens z> B. sah man alle Beteiligten aufmarschieren, erst den
„niemand, der Böses dacht," dann „kam ein Mann im grauen Mantel," dann
den erst „noch etwas dämlich nnssehenden," ferner den tief erschrocknen, hernach
aufatmenden König, den gepackten Wüterich, die leitenden Gendarmen, den nicht
in Berlin befindlichen Duncker usw. Es hat wohl niemand gegeben, der sich
der überwältigenden Komik hätte entziehn können, niemand, der den Vortrag
nicht gern noch einmal gehört Hütte, und wenn er ihn noch so oft gehört
hatte. Jahrzehnte sind vergangen, seit er, zum letztenmal den Bitten seiner
Freunde nachgebend, das Lied gesungen hat.

Hermann Allmers war eine Persönlichkeit. Im Leben wirkte er viel
mehr als seinen Schriften je beschicken sein wird, wo er nicht mehr als die
Persönlichkeit von Fleisch und Blut hinter ihnen steht. Auch in seiner Ge¬
sinnung war er ganz und gar er selbst. Seine Gutmütigkeit artete in Charakter¬
schwäche aus. Sein väterliches Erbe war ein sogar für grosMnerliche Ver-


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[0220] Hermann Allmers ganz und gar nicht in dem Verständnis der niederdeutschen Bauern und Klein¬ bürger für ihn. Das kam erst ganz spät. Wenn man ein Jahr setzen soll — natürlich sing die Sache nicht eines Tags plötzlich an —, so kann man vielleicht 1880 nennen. Aber schon 1860 war Allmers der erklärte Liebling geistig hochstehender Kreise, die keinerlei Heimatkult betrieben, schon weil sie aus allen Weltgegenden zusammengewürfelt waren. Außer der Colonna- gesellschaft in Rom nennen wir das „Krokodil" in München. Das waren Leute, die sämtlich mit der Zunge fertig werden konnten, und die zu Allmers tiefe Zuneigung faßten, nicht weil er aus einem strohgedeckten Bauernhause stammte, souderu weil er an Humor in der Gesellschaft, an sprühendem Geist bei herüber und hinüber blitzendem Gespräch alle übertraf. Er hatte ein gro߬ artiges schauspielerisches Talent. Wäre er bei seiner Begabung körperlich normal gewesen, er wäre ein Meteor am Theaterhimmel geworden. Das Groteske in seiner Figur, der hünenhafte Mensch mit dem großen Kopf, dem spärlichen hellgelben Haupthaar, dein abenteuerlich gebildeten Munde, die schwer verständliche Sprache, das alles trug viel dazu bei, die Empfänglichkeit des Publikums zu wecken. Einst trat er mit einer Dame in den schon überfüllten Hofbrüukeller in München. In seiner lebhaften, lauten Weise sing er an zu sprechen und zu gestikulieren. Daraus wurde für einige Minuten der Hofbräu- kcller still — wer die Verhältnisse kennt, weiß danach, welches Staunen der fremde Gast erweckt haben muß. Seine hellen Augen waren nur klein, aber wer darin zu lesen verstand, fühlte die Geistesfunken, die daraus hervorblitzten. Und nun wenn er sang! Bei ernsten inbrünstigen Liedern war er tief er¬ griffen. Am größten war er bei Ulkliedern, z. B. dein berühmten „Wer war jemals wohl so frech, wie der Bürgermeister Thebens," oder „Es Wareneinmal zwei Knaben, die hatten ein Mädchen so lieb." Es giebt Leute, die können mit Hand und Mund und Fuß und Ellenbogen ganze Orchesterstücke mit ihren Klangfarben aufführen. Allmers konnte derartiges in der Mimik leisten. Im Bürgermeister Thebens z> B. sah man alle Beteiligten aufmarschieren, erst den „niemand, der Böses dacht," dann „kam ein Mann im grauen Mantel," dann den erst „noch etwas dämlich nnssehenden," ferner den tief erschrocknen, hernach aufatmenden König, den gepackten Wüterich, die leitenden Gendarmen, den nicht in Berlin befindlichen Duncker usw. Es hat wohl niemand gegeben, der sich der überwältigenden Komik hätte entziehn können, niemand, der den Vortrag nicht gern noch einmal gehört Hütte, und wenn er ihn noch so oft gehört hatte. Jahrzehnte sind vergangen, seit er, zum letztenmal den Bitten seiner Freunde nachgebend, das Lied gesungen hat. Hermann Allmers war eine Persönlichkeit. Im Leben wirkte er viel mehr als seinen Schriften je beschicken sein wird, wo er nicht mehr als die Persönlichkeit von Fleisch und Blut hinter ihnen steht. Auch in seiner Ge¬ sinnung war er ganz und gar er selbst. Seine Gutmütigkeit artete in Charakter¬ schwäche aus. Sein väterliches Erbe war ein sogar für grosMnerliche Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/220>, abgerufen am 05.06.2024.