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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Geschwollen

zität seiner Sprünge und die natürliche Anmut seiner Haltung beeinträchtigt, zu
einem tragischen Ende hätte die Geschwollenheit, auch wenn sie chronisch geworden
wäre, nicht geführt. Die andern Frösche mochten ihn als eitel und eingebildet
verspottet haben, und in seine Froschkarriere könnte durch das ihm vorschwebende,
leider unerreichbare Ideal des Überfrosches ein Mellau gefallen sein: geplatzt wäre
er ebensowenig wie eine Menge Leute, die wir jahraus jahrein geschwollen einher-
gehu sehen, und die diese Hhpertrophie des Selbstbewußtseins nicht hindert, ein
methusalemitisches Alter zu erreichen. Der Unterschied zwischen dem Geschwollen¬
sein und dem Sichaufblähen liegt am Tage: Geschwollensein ist ein Zustand, den
man über sich ergehn laßt, ein friedliches Gewährenlassen der Eitelkeit und der
Verblendung, während das, was beim Frosch die Katastrophe herbeiführte, sein rast¬
loser Ehrgeiz war. Lieber Platzen, dachte er, als im Sichaufblähen nachlassen, und
-- hier erkennen wir eben das Walten der Moira -- er platzte. Das war fatal,
fatal in dem Sinne, daß es der Idee entsprach, die sich ohne Zweifel seine Mit¬
frösche vom Fatum machten.

Um das Geschwollensein in möglichst reiner Form, das heißt ohne Zusatz
andrer Affekte zu beobachten, zieht man einem fünf- bis sechsjährigen Mädchen
Gvldlnferschuhe an, steckt es in ein kurzes, weißes Kleidchen, bindet ihm eine rosa-
seidne, möglichst breite Schärpe um deu Leib, setzt ihm einen Epheukrauz auf und
äußert zu einem der Anwesenden, das; es wie ein kleiner Engel aussehe. Die
Kultur ist in diesem Falle überaus dankbar, der virus wirkt sofort, und der
Schwellungsbazillus kann schon im nächsten Augenblick unter das Mikroskop ge¬
nommen werden. Das Kind giebt sich den Anschein, als habe es von der Engels¬
ähnlichkeit nichts gehört, streckt den Unterleib vor, setzt die Füße einwärts, verrenkt
und verdreht die Glieder, als habe es sich für den höhern Kursus eiues Gummi¬
manns vorzubereiten, und behandelt, solange der virus wirkt, seine Puppe, als wenn
sie eine Peitsche wäre. Wir haben unter solchen Umständen noch andre Symptome
beobachtet, die darauf schließen ließen, daß es dem Kinde zu heiß wurde, oder daß
es sich durch möglichste Beseitigung des Nöckchens noch mehr das Ansehen eines
Engels zu geben glaubte. Aber da dergleichen nur bei besonders lebhaften Kindern
vorkam, so können solche einen ausnahmsweise eintretenden Paroxysmus audeuteude
Erscheinungen um so mehr außer Betracht bleiben, als sich die betreffenden jungen
Damen, wenn man ihnen zwölf bis fünfzehn Jahre später den Thatbestand aucti
uur entfernt vorhielt, sofort in Cobra-Cabölo verwandelten.

Bei einem sechs- bis siebenjährigen Jungen wird das Engelskostüm durch
Uuiformstücke ersetzt. Ein goldig glänzender Pappküraß, ein Helm mit weißem
Roszhaarbusch und ein Miniatnrpallasch haben sosort die gewünschte Wirkung. Auch
der kleine Junge streckt wie das kleine Mädchen den Unterleib vor und setzt die
Füße einwärts, aber die weitem Symptome sind dann verschieden. Der Junge
stampft auf den Boden, nimmt eine Gangart an, die an die eines im Kreuze
lädierten, aber sehr würdevolle" höhern Befehlshabers erinnert, grüßt durch Be¬
rührung des Heims imaginäre Armeekorps und zieht blank. Lieb Vaterland, kannst
ruhig sein.

Wie das kleine Mädchen und der kleine Junge mit dem Gedanken, ein Engel
oder ein kommandierender General zu sein, nicht fertig werden können, so geht es
Erwachsenen mit andern ähnlichen Dingen und Vorstellungen. Für gewisse Menschen
scheint allerdings die Gefahr des Geschwvllenseins kaum, ja vielleicht überhaupt nicht
vorhanden: aber das find Ausnahmen. Entweder liegen ihre Lebensziele so hoch
und so abseits, daß Dinge, auf die der gewöhnliche Mensch Wert legt, für sie nicht
in Frage kommen, oder Teilnahme und Aufopferung für andre haben schon von
frühester Jugend auf jedes übergreifende Selbstgefühl in ihnen erstickt. Sie sind
offenbar das Holz, dessen sich die Vorsehung in den meisten Fällen bedient, wenn
es große Männer oder Heilige zu schnitzen giebt, aber andrerseits zeigt uns die
Geschichte doch auch große Männer, die bisweilen ein wenig, ab und zu sogar sehr
geschwollen sein konnten.


Geschwollen

zität seiner Sprünge und die natürliche Anmut seiner Haltung beeinträchtigt, zu
einem tragischen Ende hätte die Geschwollenheit, auch wenn sie chronisch geworden
wäre, nicht geführt. Die andern Frösche mochten ihn als eitel und eingebildet
verspottet haben, und in seine Froschkarriere könnte durch das ihm vorschwebende,
leider unerreichbare Ideal des Überfrosches ein Mellau gefallen sein: geplatzt wäre
er ebensowenig wie eine Menge Leute, die wir jahraus jahrein geschwollen einher-
gehu sehen, und die diese Hhpertrophie des Selbstbewußtseins nicht hindert, ein
methusalemitisches Alter zu erreichen. Der Unterschied zwischen dem Geschwollen¬
sein und dem Sichaufblähen liegt am Tage: Geschwollensein ist ein Zustand, den
man über sich ergehn laßt, ein friedliches Gewährenlassen der Eitelkeit und der
Verblendung, während das, was beim Frosch die Katastrophe herbeiführte, sein rast¬
loser Ehrgeiz war. Lieber Platzen, dachte er, als im Sichaufblähen nachlassen, und
— hier erkennen wir eben das Walten der Moira — er platzte. Das war fatal,
fatal in dem Sinne, daß es der Idee entsprach, die sich ohne Zweifel seine Mit¬
frösche vom Fatum machten.

Um das Geschwollensein in möglichst reiner Form, das heißt ohne Zusatz
andrer Affekte zu beobachten, zieht man einem fünf- bis sechsjährigen Mädchen
Gvldlnferschuhe an, steckt es in ein kurzes, weißes Kleidchen, bindet ihm eine rosa-
seidne, möglichst breite Schärpe um deu Leib, setzt ihm einen Epheukrauz auf und
äußert zu einem der Anwesenden, das; es wie ein kleiner Engel aussehe. Die
Kultur ist in diesem Falle überaus dankbar, der virus wirkt sofort, und der
Schwellungsbazillus kann schon im nächsten Augenblick unter das Mikroskop ge¬
nommen werden. Das Kind giebt sich den Anschein, als habe es von der Engels¬
ähnlichkeit nichts gehört, streckt den Unterleib vor, setzt die Füße einwärts, verrenkt
und verdreht die Glieder, als habe es sich für den höhern Kursus eiues Gummi¬
manns vorzubereiten, und behandelt, solange der virus wirkt, seine Puppe, als wenn
sie eine Peitsche wäre. Wir haben unter solchen Umständen noch andre Symptome
beobachtet, die darauf schließen ließen, daß es dem Kinde zu heiß wurde, oder daß
es sich durch möglichste Beseitigung des Nöckchens noch mehr das Ansehen eines
Engels zu geben glaubte. Aber da dergleichen nur bei besonders lebhaften Kindern
vorkam, so können solche einen ausnahmsweise eintretenden Paroxysmus audeuteude
Erscheinungen um so mehr außer Betracht bleiben, als sich die betreffenden jungen
Damen, wenn man ihnen zwölf bis fünfzehn Jahre später den Thatbestand aucti
uur entfernt vorhielt, sofort in Cobra-Cabölo verwandelten.

Bei einem sechs- bis siebenjährigen Jungen wird das Engelskostüm durch
Uuiformstücke ersetzt. Ein goldig glänzender Pappküraß, ein Helm mit weißem
Roszhaarbusch und ein Miniatnrpallasch haben sosort die gewünschte Wirkung. Auch
der kleine Junge streckt wie das kleine Mädchen den Unterleib vor und setzt die
Füße einwärts, aber die weitem Symptome sind dann verschieden. Der Junge
stampft auf den Boden, nimmt eine Gangart an, die an die eines im Kreuze
lädierten, aber sehr würdevolle» höhern Befehlshabers erinnert, grüßt durch Be¬
rührung des Heims imaginäre Armeekorps und zieht blank. Lieb Vaterland, kannst
ruhig sein.

Wie das kleine Mädchen und der kleine Junge mit dem Gedanken, ein Engel
oder ein kommandierender General zu sein, nicht fertig werden können, so geht es
Erwachsenen mit andern ähnlichen Dingen und Vorstellungen. Für gewisse Menschen
scheint allerdings die Gefahr des Geschwvllenseins kaum, ja vielleicht überhaupt nicht
vorhanden: aber das find Ausnahmen. Entweder liegen ihre Lebensziele so hoch
und so abseits, daß Dinge, auf die der gewöhnliche Mensch Wert legt, für sie nicht
in Frage kommen, oder Teilnahme und Aufopferung für andre haben schon von
frühester Jugend auf jedes übergreifende Selbstgefühl in ihnen erstickt. Sie sind
offenbar das Holz, dessen sich die Vorsehung in den meisten Fällen bedient, wenn
es große Männer oder Heilige zu schnitzen giebt, aber andrerseits zeigt uns die
Geschichte doch auch große Männer, die bisweilen ein wenig, ab und zu sogar sehr
geschwollen sein konnten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/224>, abgerufen am 29.05.2024.