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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

Erwerbssinn der betriebsamen Niederländer, die, die wagelustigsten Seefahrer
der Welt, ihre Fühlhörner nach allen Richtungen der Windrose hin aus¬
streckten. solange Wilhelm III. lebte, war Friede zwischen den beiden See¬
mächten, und wenn auch die nationale Eifersucht nicht geringer werden mochte,
so waren doch Vergewaltigungen wie die Navigationsakte Cromwells aus¬
geschlossen.

Aber auch mir, so lange der große Oranier lebte. Wenn er einmal die
Augen schloß, war die Lage der Dinge zwischen beiden Ländern dieselbe wie
vorher, nur mit dem Unterschiede, daß Holland ans dem Verband innerlich ge¬
schwächt auf die eigue Basis zurück trat. Das Sprichwort sagt, daß die
Menschen nicht ungestraft nnter Palmen wandeln; ebenso wahr ist, daß
Staaten nicht ohne empfindlichen Schaden für ihre innere Festigkeit im
Schatten größerer Mächte einherziehn. Das mochte sich nun damals, als die
Union eingegangen wurde, sogar dem weit ausschauenden Auge des größten
Herrschers in Europa entzieh", auch mochte er des Glaubens sein, daß in
einer Zeit, wo auf der einen Seite bigotter Katholizismus und starrer Absolu¬
tismus die Welt regierte, auf der andern der freiere Glaube und der um-
fassendere Staatsgedanke den Zwiespalt zwischen den beiden gleichangelegten
Völkern nicht wieder aufkommen lassen werde. Wilhelm III. von England
war einer der größten Realpolitiker, die es jemals gegeben hat, aber der Ge¬
walt der Ideen, die damals das protestantische Europa außerhalb Deutschlands
durchsetzten, war auch er unterworfen. Es kommt noch etwas andres hinzu,
daß es auch diesem Großen uicht anders ging als allen übrigen Menschen,
daß sie das, was sie in sich selber fühlen, auch bei andern voraussetzen.
Wilhelm von Oranien glaubte an die Tradition seines Hauses und war der
Überzeugung, daß, wie sie in ihm Leben hatte, sie so auch in den spätern
Gliedern seiner Familie Großes wirken werde.

Doch mag es hiermit sein, wie es will, jedenfalls hat es sich nachträglich
herausgestellt, daß der große Gedanke, den der Ornnier zum Vorteil Englands
und zum Besten der in der protestantischen Welt umgehenden Ideen durch¬
geführt hat, sehr zum Nachteil Hollands ausgeschlagen ist. Nicht in dem Ge¬
danken an und für sich lag das, geschweige daß gar die Politik Wilhelms
darauf ausgegangen wäre, das Land seiner Väter in Abhängigkeit von seinem
Adoptivvaterlande zu bringen, aber es liegt in der Natur der menschlichen
Dinge, daß mit einem solchen politischen Anschluß das kleinere Staatswesen
dein Übergewicht des größern ausgeliefert wird.

Nichtsdestoweniger lag die Gefahr, völlig in der englische" Selbstsucht auf-
zugehn, noch fern genug. Noch Ware" die großen Überlieferungen sowohl in
der republikanischen wie in der oranischen Partei lebendig. Wenn mau lvolltc,
so konnte jeder sich sagen, was von einem Bündnis mit England zu halten
war, wenn nicht die eignen Breitseiten für die loyale Ausführung der Ver¬
träge sorgten. Nicht bloß aus den Staatsakten, sondern noch aus der eignen
Erinnerung konnte man sich die Gründe heraufholen, die für Johann de Wit
gegen ein von Cromwell gewünschtes Bündnis ausschlaggebend waren. Nicht
gegen ein Bündnis überhaupt, sondern gegen ein solches, worin nicht genau


Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands

Erwerbssinn der betriebsamen Niederländer, die, die wagelustigsten Seefahrer
der Welt, ihre Fühlhörner nach allen Richtungen der Windrose hin aus¬
streckten. solange Wilhelm III. lebte, war Friede zwischen den beiden See¬
mächten, und wenn auch die nationale Eifersucht nicht geringer werden mochte,
so waren doch Vergewaltigungen wie die Navigationsakte Cromwells aus¬
geschlossen.

Aber auch mir, so lange der große Oranier lebte. Wenn er einmal die
Augen schloß, war die Lage der Dinge zwischen beiden Ländern dieselbe wie
vorher, nur mit dem Unterschiede, daß Holland ans dem Verband innerlich ge¬
schwächt auf die eigue Basis zurück trat. Das Sprichwort sagt, daß die
Menschen nicht ungestraft nnter Palmen wandeln; ebenso wahr ist, daß
Staaten nicht ohne empfindlichen Schaden für ihre innere Festigkeit im
Schatten größerer Mächte einherziehn. Das mochte sich nun damals, als die
Union eingegangen wurde, sogar dem weit ausschauenden Auge des größten
Herrschers in Europa entzieh», auch mochte er des Glaubens sein, daß in
einer Zeit, wo auf der einen Seite bigotter Katholizismus und starrer Absolu¬
tismus die Welt regierte, auf der andern der freiere Glaube und der um-
fassendere Staatsgedanke den Zwiespalt zwischen den beiden gleichangelegten
Völkern nicht wieder aufkommen lassen werde. Wilhelm III. von England
war einer der größten Realpolitiker, die es jemals gegeben hat, aber der Ge¬
walt der Ideen, die damals das protestantische Europa außerhalb Deutschlands
durchsetzten, war auch er unterworfen. Es kommt noch etwas andres hinzu,
daß es auch diesem Großen uicht anders ging als allen übrigen Menschen,
daß sie das, was sie in sich selber fühlen, auch bei andern voraussetzen.
Wilhelm von Oranien glaubte an die Tradition seines Hauses und war der
Überzeugung, daß, wie sie in ihm Leben hatte, sie so auch in den spätern
Gliedern seiner Familie Großes wirken werde.

Doch mag es hiermit sein, wie es will, jedenfalls hat es sich nachträglich
herausgestellt, daß der große Gedanke, den der Ornnier zum Vorteil Englands
und zum Besten der in der protestantischen Welt umgehenden Ideen durch¬
geführt hat, sehr zum Nachteil Hollands ausgeschlagen ist. Nicht in dem Ge¬
danken an und für sich lag das, geschweige daß gar die Politik Wilhelms
darauf ausgegangen wäre, das Land seiner Väter in Abhängigkeit von seinem
Adoptivvaterlande zu bringen, aber es liegt in der Natur der menschlichen
Dinge, daß mit einem solchen politischen Anschluß das kleinere Staatswesen
dein Übergewicht des größern ausgeliefert wird.

Nichtsdestoweniger lag die Gefahr, völlig in der englische» Selbstsucht auf-
zugehn, noch fern genug. Noch Ware» die großen Überlieferungen sowohl in
der republikanischen wie in der oranischen Partei lebendig. Wenn mau lvolltc,
so konnte jeder sich sagen, was von einem Bündnis mit England zu halten
war, wenn nicht die eignen Breitseiten für die loyale Ausführung der Ver¬
träge sorgten. Nicht bloß aus den Staatsakten, sondern noch aus der eignen
Erinnerung konnte man sich die Gründe heraufholen, die für Johann de Wit
gegen ein von Cromwell gewünschtes Bündnis ausschlaggebend waren. Nicht
gegen ein Bündnis überhaupt, sondern gegen ein solches, worin nicht genau


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[0355] Die Lehren der Geschichte Hollands und Englands Erwerbssinn der betriebsamen Niederländer, die, die wagelustigsten Seefahrer der Welt, ihre Fühlhörner nach allen Richtungen der Windrose hin aus¬ streckten. solange Wilhelm III. lebte, war Friede zwischen den beiden See¬ mächten, und wenn auch die nationale Eifersucht nicht geringer werden mochte, so waren doch Vergewaltigungen wie die Navigationsakte Cromwells aus¬ geschlossen. Aber auch mir, so lange der große Oranier lebte. Wenn er einmal die Augen schloß, war die Lage der Dinge zwischen beiden Ländern dieselbe wie vorher, nur mit dem Unterschiede, daß Holland ans dem Verband innerlich ge¬ schwächt auf die eigue Basis zurück trat. Das Sprichwort sagt, daß die Menschen nicht ungestraft nnter Palmen wandeln; ebenso wahr ist, daß Staaten nicht ohne empfindlichen Schaden für ihre innere Festigkeit im Schatten größerer Mächte einherziehn. Das mochte sich nun damals, als die Union eingegangen wurde, sogar dem weit ausschauenden Auge des größten Herrschers in Europa entzieh», auch mochte er des Glaubens sein, daß in einer Zeit, wo auf der einen Seite bigotter Katholizismus und starrer Absolu¬ tismus die Welt regierte, auf der andern der freiere Glaube und der um- fassendere Staatsgedanke den Zwiespalt zwischen den beiden gleichangelegten Völkern nicht wieder aufkommen lassen werde. Wilhelm III. von England war einer der größten Realpolitiker, die es jemals gegeben hat, aber der Ge¬ walt der Ideen, die damals das protestantische Europa außerhalb Deutschlands durchsetzten, war auch er unterworfen. Es kommt noch etwas andres hinzu, daß es auch diesem Großen uicht anders ging als allen übrigen Menschen, daß sie das, was sie in sich selber fühlen, auch bei andern voraussetzen. Wilhelm von Oranien glaubte an die Tradition seines Hauses und war der Überzeugung, daß, wie sie in ihm Leben hatte, sie so auch in den spätern Gliedern seiner Familie Großes wirken werde. Doch mag es hiermit sein, wie es will, jedenfalls hat es sich nachträglich herausgestellt, daß der große Gedanke, den der Ornnier zum Vorteil Englands und zum Besten der in der protestantischen Welt umgehenden Ideen durch¬ geführt hat, sehr zum Nachteil Hollands ausgeschlagen ist. Nicht in dem Ge¬ danken an und für sich lag das, geschweige daß gar die Politik Wilhelms darauf ausgegangen wäre, das Land seiner Väter in Abhängigkeit von seinem Adoptivvaterlande zu bringen, aber es liegt in der Natur der menschlichen Dinge, daß mit einem solchen politischen Anschluß das kleinere Staatswesen dein Übergewicht des größern ausgeliefert wird. Nichtsdestoweniger lag die Gefahr, völlig in der englische» Selbstsucht auf- zugehn, noch fern genug. Noch Ware» die großen Überlieferungen sowohl in der republikanischen wie in der oranischen Partei lebendig. Wenn mau lvolltc, so konnte jeder sich sagen, was von einem Bündnis mit England zu halten war, wenn nicht die eignen Breitseiten für die loyale Ausführung der Ver¬ träge sorgten. Nicht bloß aus den Staatsakten, sondern noch aus der eignen Erinnerung konnte man sich die Gründe heraufholen, die für Johann de Wit gegen ein von Cromwell gewünschtes Bündnis ausschlaggebend waren. Nicht gegen ein Bündnis überhaupt, sondern gegen ein solches, worin nicht genau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/355>, abgerufen am 31.05.2024.