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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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vergessen, eifrig ein Beispiel zu geben, wie das zu machen sei. Dem ge¬
schmeidigen Kaufmann machen die von Kanonen starrenden Seiten der Orlog-
schisfe das Geschäft nur schwierig. Deshalb laßt uns dieses gefährliche Spiel¬
zeug fein säuberlich fern halten: auf die Dauer wäre es doch ein Wunder,
Wenns die andern nicht nachmachten. Diese sanfte Friedenspolitik hatte schon
in den fünfziger Jahren den Holländern das Urteil von englischer Seite ein¬
gebracht, daß "Holland noch eine Seemacht hieß, aber keine mehr war," und
im Jahre 1776 sagte ein Mitglied des englischen Parlaments: "Holland ist
wenig mehr als eine große Handelsgesellschaft mit verweichlichten Sitten und
einem erschöpften Einkommen, gering an Kraft und noch geringer an Mut."

Das war hundert Jahre, nachdem der Kapitän Brakel mit seinem Linien¬
schiffe die Kette unterhalb des Schlosses Upnore auf der Themse gesprengt
hatte. Brakel war von de Ruyter wegen eines Vergehens im Dienste in
Disziplinarstrafe genommen worden: das ging dem ehrliebenden Manne be¬
sonders unter diesem Admiral an die Nieren. Aber statt sich in grollendem
Mißmut zurückzuziehn, meldete er sich zur Ausführung des Wagnisses, wenn
der Kommandeur ihm Verzeihung zuteil werden lasse. Man sieht daraus, wie
der Untergebne die Notwendigkeiten des Dienstes auffaßte. Wie war dem
gegenüber der Admiral? De Ruyter war in seinem Privatleben ein mild
denkender Mann und von sprichwörtlich gewordner Sanftmut der Sitten, aber
im Dienst kannte er keine Nachsicht und im Donner der Schlacht kein Zurück¬
weichen. Warum drängten sich im Frieden seines Hauses die Kinder um seine
Kniee? Weil sie wußten, wo Liebe zu haben war, und weil sie das un¬
erschütterliche Vertrauen des Kinderglaubens zu ihm hatten. Und weshalb
warfen sich auf den Planken der von den Feinden umdrängten Schiffe seine
Untergebnen bis auf den letzten Mann in den Tod? Weil er das Beispiel
gab, und weil sie sich in seiner Obhut geborgen fühlten.

Neben Michael de Ruyter, der die Schlachten der Republik schlug, stand
der andre Mann, dem die Nation im Rate die Leitung ihrer Geschicke an¬
vertraut hatte. Johann de Wit war in der Führung der holländischen Politik,
der innern und der äußern, dasselbe, was de Ruyter an der Spitze der Flotte
war, sowohl was die Anforderungen der Disziplin betraf wie die andern der
Schlacht. Niemals haben sich beide Seiten eines Staatslebens völliger ge¬
deckt als in diesen beiden Männern, die durch eine unzertrennliche Freund¬
schaft miteinander verbunden waren. Unzertrennlich war dieses Herzcnsbündnis,
weil es nicht auf persönlichen Interessen, sondern auf einem Interesse beruhte,
das außer ihnen lag. Johann de Wit und Michael de Ruyter fühlten sich
eins in der gemeinsamen uneigennützigen Liebe zum Vaterlande, das ihnen über
alles ging. So floß in den beiden die Einheit des holländischen Staats zur
Unüberwindlichkeit zusammen.

Ob auch unter der Voraussetzung einer ähnlichen Geschlossenheit der
führenden Kräfte diese Unüberwindlichkeit in ihrem ganzen Umfange dauernd
gesichert gewesen wäre, kann aus den im vorigen ausgeführten Gründen be¬
zweifelt werden; aber auf der andern Seite ist es noch viel gewisser, daß
Holland mit einem ganz andern, und zwar bessern Ergebnis seiner Geschichte


vergessen, eifrig ein Beispiel zu geben, wie das zu machen sei. Dem ge¬
schmeidigen Kaufmann machen die von Kanonen starrenden Seiten der Orlog-
schisfe das Geschäft nur schwierig. Deshalb laßt uns dieses gefährliche Spiel¬
zeug fein säuberlich fern halten: auf die Dauer wäre es doch ein Wunder,
Wenns die andern nicht nachmachten. Diese sanfte Friedenspolitik hatte schon
in den fünfziger Jahren den Holländern das Urteil von englischer Seite ein¬
gebracht, daß „Holland noch eine Seemacht hieß, aber keine mehr war," und
im Jahre 1776 sagte ein Mitglied des englischen Parlaments: „Holland ist
wenig mehr als eine große Handelsgesellschaft mit verweichlichten Sitten und
einem erschöpften Einkommen, gering an Kraft und noch geringer an Mut."

Das war hundert Jahre, nachdem der Kapitän Brakel mit seinem Linien¬
schiffe die Kette unterhalb des Schlosses Upnore auf der Themse gesprengt
hatte. Brakel war von de Ruyter wegen eines Vergehens im Dienste in
Disziplinarstrafe genommen worden: das ging dem ehrliebenden Manne be¬
sonders unter diesem Admiral an die Nieren. Aber statt sich in grollendem
Mißmut zurückzuziehn, meldete er sich zur Ausführung des Wagnisses, wenn
der Kommandeur ihm Verzeihung zuteil werden lasse. Man sieht daraus, wie
der Untergebne die Notwendigkeiten des Dienstes auffaßte. Wie war dem
gegenüber der Admiral? De Ruyter war in seinem Privatleben ein mild
denkender Mann und von sprichwörtlich gewordner Sanftmut der Sitten, aber
im Dienst kannte er keine Nachsicht und im Donner der Schlacht kein Zurück¬
weichen. Warum drängten sich im Frieden seines Hauses die Kinder um seine
Kniee? Weil sie wußten, wo Liebe zu haben war, und weil sie das un¬
erschütterliche Vertrauen des Kinderglaubens zu ihm hatten. Und weshalb
warfen sich auf den Planken der von den Feinden umdrängten Schiffe seine
Untergebnen bis auf den letzten Mann in den Tod? Weil er das Beispiel
gab, und weil sie sich in seiner Obhut geborgen fühlten.

Neben Michael de Ruyter, der die Schlachten der Republik schlug, stand
der andre Mann, dem die Nation im Rate die Leitung ihrer Geschicke an¬
vertraut hatte. Johann de Wit war in der Führung der holländischen Politik,
der innern und der äußern, dasselbe, was de Ruyter an der Spitze der Flotte
war, sowohl was die Anforderungen der Disziplin betraf wie die andern der
Schlacht. Niemals haben sich beide Seiten eines Staatslebens völliger ge¬
deckt als in diesen beiden Männern, die durch eine unzertrennliche Freund¬
schaft miteinander verbunden waren. Unzertrennlich war dieses Herzcnsbündnis,
weil es nicht auf persönlichen Interessen, sondern auf einem Interesse beruhte,
das außer ihnen lag. Johann de Wit und Michael de Ruyter fühlten sich
eins in der gemeinsamen uneigennützigen Liebe zum Vaterlande, das ihnen über
alles ging. So floß in den beiden die Einheit des holländischen Staats zur
Unüberwindlichkeit zusammen.

Ob auch unter der Voraussetzung einer ähnlichen Geschlossenheit der
führenden Kräfte diese Unüberwindlichkeit in ihrem ganzen Umfange dauernd
gesichert gewesen wäre, kann aus den im vorigen ausgeführten Gründen be¬
zweifelt werden; aber auf der andern Seite ist es noch viel gewisser, daß
Holland mit einem ganz andern, und zwar bessern Ergebnis seiner Geschichte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/362>, abgerufen am 17.06.2024.