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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

nicht alle rednerischen Lasten der Partei zu tragen. Dagegen hat die Zentrums-
partei in den Abgeordneten Heim, Söldner, Pichler, Kohl, Gersteuberger, Sabatier
eine Reihe agitatorisch wirksamer Kräfte gewonnen, mag man anch über die einzelnen
Persönlichkeiten und die Art ihres Auftretens denken, wie man will, und daneben
baut das Zentrum seine Organisation im Lande immermehr aus. Die liberale
Partei hat demgegenüber in den letzten Jahren ebenfalls eine größere Rührigkeit
entfaltet, und die Gründung jnngliberaler Vereine ist ein wirksames Mittel, die
Jugend wieder zur politischen Thätigkeit heranzuziehn. Aber der Zentrumspartei
kommt noch ein andrer Umstand zu gute. Wahrend vor fünfzehn oder zwanzig Jahren
Anhänger der liberalen Partei in der Beamtenschaft noch stark vertreten waren
und anch in der Öffentlichkeit hervortraten, sind derartige Fälle öffentlichen Auf¬
tretens liberalgesinnter Beamten jetzt recht selten geworden. Man sagt ja, daß die
Negierung politisch thätige Beamte nicht gern sähe; das kann aber nicht ganz
richtig sein, denn den ultrcnnoutanen Beamten ist ihr manchmal recht kräftiges
politisches Auftreten bisher nicht verübelt worden. In diesem Landtage hat die
Zentrumspartei den Chef der Justizverwaltung befragt, ob er mit einem liberal¬
gesinnten Richter über die Gründung eines liberalen Vereins gesprochen habe, diese
Anfrage wäre aber sicher nicht gestellt worden, wenn es sich um einen ultramon-
tanen Wahlvereiu gehandelt hätte. In der bayrischen Beamtenschaft, namentlich
in der jüngern Generation, wächst dem Zentrum eine starke Anhängerschaft heran,
und der Klerikalismus ist überall, auch im gesellschaftlichen Leben, im Zunehmen
begriffen. Das beweist das Anwachsen der katholischen Studentenverbindungen; noch
vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren hatten diese wenig Zugang aus bessern
Kreisen, jetzt ist es anders geworden, und dabei mag vielleicht mancher Wechsel auf
die Zukunft gezogen werden.

Mit diesem Vorwärtsschreiten des Zentrums hält das Zunehmen konfessioneller
Gegensätze gleichen Schritt. Die klerikale Unduldsamkeit tritt immer mehr hervor,
der Ultramontanismus will seine Hand überall darinnen haben und der Kirche die
Herrschaft sichern. Wir erleben jetzt in Bayern einen umgekehrten Kulturkampf, nicht der
Staat ist im Augriff, sondern das Zentrum. Die Vorlage über die Schaffung günstigerer
Gehaltsverhältnisse für die Volksschullehrer sucht das Zentrum umzugestalten, um
der Kirche für alle Zeiten einen maßgebenden Einfluß auf die Schule zu sichern,
die Simnltanschule, die in einzelnen bayrischen Städten eingeführt ist, zu beseitigen
und daneben den Städten mehr Lasten aufzulegen als den Landgemeinden. Der
Kultusminister, bei dem von allen bayrischen Ministern am meisten klerikale
Neigungen hervortreten, ist den Wünschen des Zentrums sehr entgegengekommen,
in dieser Nachgiebigkeit ist aber, anscheinend durch einen höhern Willen, jetzt eine
Hemmung eingetreten. Liest man die Blätter der klerikalen Partei, dann muß
man sich erst daran zurückerinnern, daß Bayern ein paritätischer Staat ist, denn
die Empfindungen Andersgläubiger pflegen in der klerikalen Presse immer weniger
geschont zu werden. Wie ein kulturhistorisches Nichtmal ragt die Weindinger Teufels¬
austreibung hervor, bei der die religiösen Gefühle der Protestanten in Franken
schwer verletzt wurden. Die Stellung der katholischen Kirche in der Mischeheu-
frage ist bekannt. Als der Chef des bayrischen Gcneralstabes von Lobenhoffer
vor einiger Zeit starb, versagte ihm die katholische Geistlichkeit die kirchliche Be¬
erdigung, weil er in einer Mischehe gelebt hatte, und die Kinder in der Religion
der Fran erzogen waren. Eine solche Recherche über die religiösen Verhältnisse
in einer Mischehe kann auch anderweitig von Einfluß sein. Als der Staatsrechts¬
lehrer, Universitätsprofessor Dr. von Seydel, der getreue Eckart und Warner
im Streite gegen die Herrschaftsgclüste des Zentrums, starb, nannte man als
seinen Nachfolger einen bayrischen Beamten, dem Seydel die Neuherausgabe seines
Staatsrechts übertragen hatte; man sagte, daß Seydel diesen in der staatsrechtlichen
Litteratur wohl bekannten Beamten gern als seinen Nachfolger gesehen hätte. Dieser
Staatsbeamte wurde jedoch nicht berufen. Das führende klerikale Blatt deutete


Maßgebliches und Unmaßgebliches

nicht alle rednerischen Lasten der Partei zu tragen. Dagegen hat die Zentrums-
partei in den Abgeordneten Heim, Söldner, Pichler, Kohl, Gersteuberger, Sabatier
eine Reihe agitatorisch wirksamer Kräfte gewonnen, mag man anch über die einzelnen
Persönlichkeiten und die Art ihres Auftretens denken, wie man will, und daneben
baut das Zentrum seine Organisation im Lande immermehr aus. Die liberale
Partei hat demgegenüber in den letzten Jahren ebenfalls eine größere Rührigkeit
entfaltet, und die Gründung jnngliberaler Vereine ist ein wirksames Mittel, die
Jugend wieder zur politischen Thätigkeit heranzuziehn. Aber der Zentrumspartei
kommt noch ein andrer Umstand zu gute. Wahrend vor fünfzehn oder zwanzig Jahren
Anhänger der liberalen Partei in der Beamtenschaft noch stark vertreten waren
und anch in der Öffentlichkeit hervortraten, sind derartige Fälle öffentlichen Auf¬
tretens liberalgesinnter Beamten jetzt recht selten geworden. Man sagt ja, daß die
Negierung politisch thätige Beamte nicht gern sähe; das kann aber nicht ganz
richtig sein, denn den ultrcnnoutanen Beamten ist ihr manchmal recht kräftiges
politisches Auftreten bisher nicht verübelt worden. In diesem Landtage hat die
Zentrumspartei den Chef der Justizverwaltung befragt, ob er mit einem liberal¬
gesinnten Richter über die Gründung eines liberalen Vereins gesprochen habe, diese
Anfrage wäre aber sicher nicht gestellt worden, wenn es sich um einen ultramon-
tanen Wahlvereiu gehandelt hätte. In der bayrischen Beamtenschaft, namentlich
in der jüngern Generation, wächst dem Zentrum eine starke Anhängerschaft heran,
und der Klerikalismus ist überall, auch im gesellschaftlichen Leben, im Zunehmen
begriffen. Das beweist das Anwachsen der katholischen Studentenverbindungen; noch
vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren hatten diese wenig Zugang aus bessern
Kreisen, jetzt ist es anders geworden, und dabei mag vielleicht mancher Wechsel auf
die Zukunft gezogen werden.

Mit diesem Vorwärtsschreiten des Zentrums hält das Zunehmen konfessioneller
Gegensätze gleichen Schritt. Die klerikale Unduldsamkeit tritt immer mehr hervor,
der Ultramontanismus will seine Hand überall darinnen haben und der Kirche die
Herrschaft sichern. Wir erleben jetzt in Bayern einen umgekehrten Kulturkampf, nicht der
Staat ist im Augriff, sondern das Zentrum. Die Vorlage über die Schaffung günstigerer
Gehaltsverhältnisse für die Volksschullehrer sucht das Zentrum umzugestalten, um
der Kirche für alle Zeiten einen maßgebenden Einfluß auf die Schule zu sichern,
die Simnltanschule, die in einzelnen bayrischen Städten eingeführt ist, zu beseitigen
und daneben den Städten mehr Lasten aufzulegen als den Landgemeinden. Der
Kultusminister, bei dem von allen bayrischen Ministern am meisten klerikale
Neigungen hervortreten, ist den Wünschen des Zentrums sehr entgegengekommen,
in dieser Nachgiebigkeit ist aber, anscheinend durch einen höhern Willen, jetzt eine
Hemmung eingetreten. Liest man die Blätter der klerikalen Partei, dann muß
man sich erst daran zurückerinnern, daß Bayern ein paritätischer Staat ist, denn
die Empfindungen Andersgläubiger pflegen in der klerikalen Presse immer weniger
geschont zu werden. Wie ein kulturhistorisches Nichtmal ragt die Weindinger Teufels¬
austreibung hervor, bei der die religiösen Gefühle der Protestanten in Franken
schwer verletzt wurden. Die Stellung der katholischen Kirche in der Mischeheu-
frage ist bekannt. Als der Chef des bayrischen Gcneralstabes von Lobenhoffer
vor einiger Zeit starb, versagte ihm die katholische Geistlichkeit die kirchliche Be¬
erdigung, weil er in einer Mischehe gelebt hatte, und die Kinder in der Religion
der Fran erzogen waren. Eine solche Recherche über die religiösen Verhältnisse
in einer Mischehe kann auch anderweitig von Einfluß sein. Als der Staatsrechts¬
lehrer, Universitätsprofessor Dr. von Seydel, der getreue Eckart und Warner
im Streite gegen die Herrschaftsgclüste des Zentrums, starb, nannte man als
seinen Nachfolger einen bayrischen Beamten, dem Seydel die Neuherausgabe seines
Staatsrechts übertragen hatte; man sagte, daß Seydel diesen in der staatsrechtlichen
Litteratur wohl bekannten Beamten gern als seinen Nachfolger gesehen hätte. Dieser
Staatsbeamte wurde jedoch nicht berufen. Das führende klerikale Blatt deutete


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[0404] Maßgebliches und Unmaßgebliches nicht alle rednerischen Lasten der Partei zu tragen. Dagegen hat die Zentrums- partei in den Abgeordneten Heim, Söldner, Pichler, Kohl, Gersteuberger, Sabatier eine Reihe agitatorisch wirksamer Kräfte gewonnen, mag man anch über die einzelnen Persönlichkeiten und die Art ihres Auftretens denken, wie man will, und daneben baut das Zentrum seine Organisation im Lande immermehr aus. Die liberale Partei hat demgegenüber in den letzten Jahren ebenfalls eine größere Rührigkeit entfaltet, und die Gründung jnngliberaler Vereine ist ein wirksames Mittel, die Jugend wieder zur politischen Thätigkeit heranzuziehn. Aber der Zentrumspartei kommt noch ein andrer Umstand zu gute. Wahrend vor fünfzehn oder zwanzig Jahren Anhänger der liberalen Partei in der Beamtenschaft noch stark vertreten waren und anch in der Öffentlichkeit hervortraten, sind derartige Fälle öffentlichen Auf¬ tretens liberalgesinnter Beamten jetzt recht selten geworden. Man sagt ja, daß die Negierung politisch thätige Beamte nicht gern sähe; das kann aber nicht ganz richtig sein, denn den ultrcnnoutanen Beamten ist ihr manchmal recht kräftiges politisches Auftreten bisher nicht verübelt worden. In diesem Landtage hat die Zentrumspartei den Chef der Justizverwaltung befragt, ob er mit einem liberal¬ gesinnten Richter über die Gründung eines liberalen Vereins gesprochen habe, diese Anfrage wäre aber sicher nicht gestellt worden, wenn es sich um einen ultramon- tanen Wahlvereiu gehandelt hätte. In der bayrischen Beamtenschaft, namentlich in der jüngern Generation, wächst dem Zentrum eine starke Anhängerschaft heran, und der Klerikalismus ist überall, auch im gesellschaftlichen Leben, im Zunehmen begriffen. Das beweist das Anwachsen der katholischen Studentenverbindungen; noch vor zwanzig bis fünfundzwanzig Jahren hatten diese wenig Zugang aus bessern Kreisen, jetzt ist es anders geworden, und dabei mag vielleicht mancher Wechsel auf die Zukunft gezogen werden. Mit diesem Vorwärtsschreiten des Zentrums hält das Zunehmen konfessioneller Gegensätze gleichen Schritt. Die klerikale Unduldsamkeit tritt immer mehr hervor, der Ultramontanismus will seine Hand überall darinnen haben und der Kirche die Herrschaft sichern. Wir erleben jetzt in Bayern einen umgekehrten Kulturkampf, nicht der Staat ist im Augriff, sondern das Zentrum. Die Vorlage über die Schaffung günstigerer Gehaltsverhältnisse für die Volksschullehrer sucht das Zentrum umzugestalten, um der Kirche für alle Zeiten einen maßgebenden Einfluß auf die Schule zu sichern, die Simnltanschule, die in einzelnen bayrischen Städten eingeführt ist, zu beseitigen und daneben den Städten mehr Lasten aufzulegen als den Landgemeinden. Der Kultusminister, bei dem von allen bayrischen Ministern am meisten klerikale Neigungen hervortreten, ist den Wünschen des Zentrums sehr entgegengekommen, in dieser Nachgiebigkeit ist aber, anscheinend durch einen höhern Willen, jetzt eine Hemmung eingetreten. Liest man die Blätter der klerikalen Partei, dann muß man sich erst daran zurückerinnern, daß Bayern ein paritätischer Staat ist, denn die Empfindungen Andersgläubiger pflegen in der klerikalen Presse immer weniger geschont zu werden. Wie ein kulturhistorisches Nichtmal ragt die Weindinger Teufels¬ austreibung hervor, bei der die religiösen Gefühle der Protestanten in Franken schwer verletzt wurden. Die Stellung der katholischen Kirche in der Mischeheu- frage ist bekannt. Als der Chef des bayrischen Gcneralstabes von Lobenhoffer vor einiger Zeit starb, versagte ihm die katholische Geistlichkeit die kirchliche Be¬ erdigung, weil er in einer Mischehe gelebt hatte, und die Kinder in der Religion der Fran erzogen waren. Eine solche Recherche über die religiösen Verhältnisse in einer Mischehe kann auch anderweitig von Einfluß sein. Als der Staatsrechts¬ lehrer, Universitätsprofessor Dr. von Seydel, der getreue Eckart und Warner im Streite gegen die Herrschaftsgclüste des Zentrums, starb, nannte man als seinen Nachfolger einen bayrischen Beamten, dem Seydel die Neuherausgabe seines Staatsrechts übertragen hatte; man sagte, daß Seydel diesen in der staatsrechtlichen Litteratur wohl bekannten Beamten gern als seinen Nachfolger gesehen hätte. Dieser Staatsbeamte wurde jedoch nicht berufen. Das führende klerikale Blatt deutete

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/404>, abgerufen am 29.05.2024.