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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr.

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Doktor Vuttmüller und sein Freund

kamen die Arbeiter, die ja den lieben, langen Tag nichts zu thun hatten, zusammen,
standen müßig umher, ließen sich die außerordentlich günstigen Aussichten ihres Streiks
auseinandersetzen und sich darüber vertrösten, daß noch immer keine Streikgelder
angekommen waren. Es war sozusagen die Ausstandsbörse. Am Abend wurden
Volksversammlungen gehalten. Die alten schonen Parteiphrasen wurden unermüdlich
gedroschen, und die Arbeiter hörten gläubig zu. Sie mußten ja an ihre Sache
glauben, was sollte denn sonst aus ihnen werden? Man faßte also mit großer
Freudigkeit Beschlüsse über das Konlitionsrecht und die Solidarität der Arbeiter¬
interessen, wobei freilich nicht erörtert wurde, ob nicht doch vielleicht die Interessen
der Führer, die sich bei langem Aufstande recht lange von der Streikkrippe nähren
konnten, und die der Arbeiter, die darben mußten, und deren Wirtschaft und
Besitz zu Grunde ging, auseinander fielen. Man entrüstete sich über die ehrlose
Gesinnung der Streikbrecher, dieser unwürdigen Menschen, die den Namen eines
Arbeiters beschimpften, weil sie lieber arbeiten als müßiggehn wollten, und ver¬
sprach ihnen die Knochen zu zerbrechen, wo man sie nnr fände -- vorausgesetzt, daß
sie damit einverstanden waren.

Aber einig war man doch nicht. Wie überall, so fand sich auch hier eine
schärfere und eine mildere Tonart. Die mildere Tonart wurde von der Partei¬
leitung vertreten. Man erörterte die wissenschaftliche Seite des Streiks, warnte
bor Überstürzung und erwartete Erfolg nur von zäher Ausdauer. Die schärfere
Tonart, die ihren Boden besonders in Siebendorf hatte, drängte zur Propaganda
der That, zur Aktion, zur Selbsthilfe. Während nun der offizielle Redner in der
Volksversammlung seine Sprechrvlle ablaufen ließ, hielt in einem Winkel des Saales
ein Siebendorfer'Scharfer seinem Kreise eine Rede seines Geschmackes: Wissenschaft!
Quatsch! Die Sorte nennt alles Wissenschaft, was sie selber nicht versteht. Was
die reden, ist lauter Bimbam und hat nnr den Zweck, daß ihr hübsch artig seid, und
sie euch währenddessen die Butter vom Brot essen können. Denkt ihr denn wirtlich,
daß ihr die Geldsäcke aushungern könnt? Die können es allemal länger aushalten als
ihr. Und wenn ihr ein Vierteljahr hübsch gehungert habt, dann seid ihr zum Schlüsse
much uoch die Geleimten. Zufassen müßt ihr. Ihr müßt das Förderhaus in die Hand
kriegen. Dann fangen sie an zu hüpfen, wie der Vagabund, wenn ihn der Gendarm
"M Hosenboden erwischt hat. Wenn ihr das Förderhaus habt, denn könnt ihr
sagen: Na, uun kommt doch einmal her. Wenn ihr nicht ganz artig seid, so schießen
wir euch den Kram in die Luft, und dann seid ihr geleimt!

Unter den Zuhörern saß damals auch Alois Duttmüller. Der hörte tiefsinnig
SU und sagte: Et is nich zu jlooben, wat für ne Beweiskraft in ner Diamid-
pntrone liegt.

Das waren nnn zunächst nur Doktorfrageu. aber allmählich verbreitete sich
die Meinung, es sei nicht nötig, sich gegenseitig auszuhungern, man könne auch
zufassen und die ganze Geschichte im Hnndumdrehn entscheide". Wer dies freilich
SU unternehmen habe, blieb eine offne Frage. Jeder dachte an irgend einen andern,
der der gewiesene Mann sei, zuerst ius Feuer zu fassen, und auch die Führer
waren der Ansicht, daß der Offizier beim Angriffe hinter die Front gehöre.

Es war merkwürdig, wie sich das Aussehen der Arbeiterschaft änderte. Sie
schien eine ganz andre Bevölkerung zu sein als zuvor. Die ordentlichen Leute
zogen sich zurück, die Jugend und der Unverstand kamen oben auf. Und ans der
tiefsten Hefe des'Volkes stiegen unheimliche Gestalten auf, die weder zu den ordent¬
lichen noch zu den unordentlichen Arbeitern gehörten, Gesinde!, das allemal da
vorhanden ist, wo es gilt, Unheil anzustiften. Die Straßen des einst so friedlichen
Holzweißig waren unsicher geworden, und der Schutze rang die Hände und sagte:
Kinder, Kinder, ich bitte euch um Gottes willen, was will das noch werden! Man
ist ja seines Lebens nicht mehr sicher, und wenn die Frau in den Feldgarten gehn
will, muß man ihr ja eine Wache mitgeben.

Der Herr Landrat. durch die Rapporte Kratzeusteins über die bedrohliche Lage
unterrichtet, bereiste das Ausstandsgebiet in seinem Wagen, einen Gendarm vor dem


Grenzboten II 1902 70
Doktor Vuttmüller und sein Freund

kamen die Arbeiter, die ja den lieben, langen Tag nichts zu thun hatten, zusammen,
standen müßig umher, ließen sich die außerordentlich günstigen Aussichten ihres Streiks
auseinandersetzen und sich darüber vertrösten, daß noch immer keine Streikgelder
angekommen waren. Es war sozusagen die Ausstandsbörse. Am Abend wurden
Volksversammlungen gehalten. Die alten schonen Parteiphrasen wurden unermüdlich
gedroschen, und die Arbeiter hörten gläubig zu. Sie mußten ja an ihre Sache
glauben, was sollte denn sonst aus ihnen werden? Man faßte also mit großer
Freudigkeit Beschlüsse über das Konlitionsrecht und die Solidarität der Arbeiter¬
interessen, wobei freilich nicht erörtert wurde, ob nicht doch vielleicht die Interessen
der Führer, die sich bei langem Aufstande recht lange von der Streikkrippe nähren
konnten, und die der Arbeiter, die darben mußten, und deren Wirtschaft und
Besitz zu Grunde ging, auseinander fielen. Man entrüstete sich über die ehrlose
Gesinnung der Streikbrecher, dieser unwürdigen Menschen, die den Namen eines
Arbeiters beschimpften, weil sie lieber arbeiten als müßiggehn wollten, und ver¬
sprach ihnen die Knochen zu zerbrechen, wo man sie nnr fände -- vorausgesetzt, daß
sie damit einverstanden waren.

Aber einig war man doch nicht. Wie überall, so fand sich auch hier eine
schärfere und eine mildere Tonart. Die mildere Tonart wurde von der Partei¬
leitung vertreten. Man erörterte die wissenschaftliche Seite des Streiks, warnte
bor Überstürzung und erwartete Erfolg nur von zäher Ausdauer. Die schärfere
Tonart, die ihren Boden besonders in Siebendorf hatte, drängte zur Propaganda
der That, zur Aktion, zur Selbsthilfe. Während nun der offizielle Redner in der
Volksversammlung seine Sprechrvlle ablaufen ließ, hielt in einem Winkel des Saales
ein Siebendorfer'Scharfer seinem Kreise eine Rede seines Geschmackes: Wissenschaft!
Quatsch! Die Sorte nennt alles Wissenschaft, was sie selber nicht versteht. Was
die reden, ist lauter Bimbam und hat nnr den Zweck, daß ihr hübsch artig seid, und
sie euch währenddessen die Butter vom Brot essen können. Denkt ihr denn wirtlich,
daß ihr die Geldsäcke aushungern könnt? Die können es allemal länger aushalten als
ihr. Und wenn ihr ein Vierteljahr hübsch gehungert habt, dann seid ihr zum Schlüsse
much uoch die Geleimten. Zufassen müßt ihr. Ihr müßt das Förderhaus in die Hand
kriegen. Dann fangen sie an zu hüpfen, wie der Vagabund, wenn ihn der Gendarm
"M Hosenboden erwischt hat. Wenn ihr das Förderhaus habt, denn könnt ihr
sagen: Na, uun kommt doch einmal her. Wenn ihr nicht ganz artig seid, so schießen
wir euch den Kram in die Luft, und dann seid ihr geleimt!

Unter den Zuhörern saß damals auch Alois Duttmüller. Der hörte tiefsinnig
SU und sagte: Et is nich zu jlooben, wat für ne Beweiskraft in ner Diamid-
pntrone liegt.

Das waren nnn zunächst nur Doktorfrageu. aber allmählich verbreitete sich
die Meinung, es sei nicht nötig, sich gegenseitig auszuhungern, man könne auch
zufassen und die ganze Geschichte im Hnndumdrehn entscheide». Wer dies freilich
SU unternehmen habe, blieb eine offne Frage. Jeder dachte an irgend einen andern,
der der gewiesene Mann sei, zuerst ius Feuer zu fassen, und auch die Führer
waren der Ansicht, daß der Offizier beim Angriffe hinter die Front gehöre.

Es war merkwürdig, wie sich das Aussehen der Arbeiterschaft änderte. Sie
schien eine ganz andre Bevölkerung zu sein als zuvor. Die ordentlichen Leute
zogen sich zurück, die Jugend und der Unverstand kamen oben auf. Und ans der
tiefsten Hefe des'Volkes stiegen unheimliche Gestalten auf, die weder zu den ordent¬
lichen noch zu den unordentlichen Arbeitern gehörten, Gesinde!, das allemal da
vorhanden ist, wo es gilt, Unheil anzustiften. Die Straßen des einst so friedlichen
Holzweißig waren unsicher geworden, und der Schutze rang die Hände und sagte:
Kinder, Kinder, ich bitte euch um Gottes willen, was will das noch werden! Man
ist ja seines Lebens nicht mehr sicher, und wenn die Frau in den Feldgarten gehn
will, muß man ihr ja eine Wache mitgeben.

Der Herr Landrat. durch die Rapporte Kratzeusteins über die bedrohliche Lage
unterrichtet, bereiste das Ausstandsgebiet in seinem Wagen, einen Gendarm vor dem


Grenzboten II 1902 70
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[0561] Doktor Vuttmüller und sein Freund kamen die Arbeiter, die ja den lieben, langen Tag nichts zu thun hatten, zusammen, standen müßig umher, ließen sich die außerordentlich günstigen Aussichten ihres Streiks auseinandersetzen und sich darüber vertrösten, daß noch immer keine Streikgelder angekommen waren. Es war sozusagen die Ausstandsbörse. Am Abend wurden Volksversammlungen gehalten. Die alten schonen Parteiphrasen wurden unermüdlich gedroschen, und die Arbeiter hörten gläubig zu. Sie mußten ja an ihre Sache glauben, was sollte denn sonst aus ihnen werden? Man faßte also mit großer Freudigkeit Beschlüsse über das Konlitionsrecht und die Solidarität der Arbeiter¬ interessen, wobei freilich nicht erörtert wurde, ob nicht doch vielleicht die Interessen der Führer, die sich bei langem Aufstande recht lange von der Streikkrippe nähren konnten, und die der Arbeiter, die darben mußten, und deren Wirtschaft und Besitz zu Grunde ging, auseinander fielen. Man entrüstete sich über die ehrlose Gesinnung der Streikbrecher, dieser unwürdigen Menschen, die den Namen eines Arbeiters beschimpften, weil sie lieber arbeiten als müßiggehn wollten, und ver¬ sprach ihnen die Knochen zu zerbrechen, wo man sie nnr fände -- vorausgesetzt, daß sie damit einverstanden waren. Aber einig war man doch nicht. Wie überall, so fand sich auch hier eine schärfere und eine mildere Tonart. Die mildere Tonart wurde von der Partei¬ leitung vertreten. Man erörterte die wissenschaftliche Seite des Streiks, warnte bor Überstürzung und erwartete Erfolg nur von zäher Ausdauer. Die schärfere Tonart, die ihren Boden besonders in Siebendorf hatte, drängte zur Propaganda der That, zur Aktion, zur Selbsthilfe. Während nun der offizielle Redner in der Volksversammlung seine Sprechrvlle ablaufen ließ, hielt in einem Winkel des Saales ein Siebendorfer'Scharfer seinem Kreise eine Rede seines Geschmackes: Wissenschaft! Quatsch! Die Sorte nennt alles Wissenschaft, was sie selber nicht versteht. Was die reden, ist lauter Bimbam und hat nnr den Zweck, daß ihr hübsch artig seid, und sie euch währenddessen die Butter vom Brot essen können. Denkt ihr denn wirtlich, daß ihr die Geldsäcke aushungern könnt? Die können es allemal länger aushalten als ihr. Und wenn ihr ein Vierteljahr hübsch gehungert habt, dann seid ihr zum Schlüsse much uoch die Geleimten. Zufassen müßt ihr. Ihr müßt das Förderhaus in die Hand kriegen. Dann fangen sie an zu hüpfen, wie der Vagabund, wenn ihn der Gendarm "M Hosenboden erwischt hat. Wenn ihr das Förderhaus habt, denn könnt ihr sagen: Na, uun kommt doch einmal her. Wenn ihr nicht ganz artig seid, so schießen wir euch den Kram in die Luft, und dann seid ihr geleimt! Unter den Zuhörern saß damals auch Alois Duttmüller. Der hörte tiefsinnig SU und sagte: Et is nich zu jlooben, wat für ne Beweiskraft in ner Diamid- pntrone liegt. Das waren nnn zunächst nur Doktorfrageu. aber allmählich verbreitete sich die Meinung, es sei nicht nötig, sich gegenseitig auszuhungern, man könne auch zufassen und die ganze Geschichte im Hnndumdrehn entscheide». Wer dies freilich SU unternehmen habe, blieb eine offne Frage. Jeder dachte an irgend einen andern, der der gewiesene Mann sei, zuerst ius Feuer zu fassen, und auch die Führer waren der Ansicht, daß der Offizier beim Angriffe hinter die Front gehöre. Es war merkwürdig, wie sich das Aussehen der Arbeiterschaft änderte. Sie schien eine ganz andre Bevölkerung zu sein als zuvor. Die ordentlichen Leute zogen sich zurück, die Jugend und der Unverstand kamen oben auf. Und ans der tiefsten Hefe des'Volkes stiegen unheimliche Gestalten auf, die weder zu den ordent¬ lichen noch zu den unordentlichen Arbeitern gehörten, Gesinde!, das allemal da vorhanden ist, wo es gilt, Unheil anzustiften. Die Straßen des einst so friedlichen Holzweißig waren unsicher geworden, und der Schutze rang die Hände und sagte: Kinder, Kinder, ich bitte euch um Gottes willen, was will das noch werden! Man ist ja seines Lebens nicht mehr sicher, und wenn die Frau in den Feldgarten gehn will, muß man ihr ja eine Wache mitgeben. Der Herr Landrat. durch die Rapporte Kratzeusteins über die bedrohliche Lage unterrichtet, bereiste das Ausstandsgebiet in seinem Wagen, einen Gendarm vor dem Grenzboten II 1902 70

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_237285/561>, abgerufen am 15.05.2024.