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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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richtig Schanden hat, so konnte sich Marx die bekannte UmMpung seines Meisters
ersparen. Wunde meint nämlich, da bei Hegel das Sein ein sich das reine Nichts
und nur in seinen Erscheinungen wirklich sei, so sei damit der Gedanke einer jen¬
seitigen Welt beseitigt und die Welt unsrer Erfahrung für die einzig wirkliche Welt
erklärt. -- Der berühmte Physiologe, der sich allmählich zum Philosophen entwickelt
but, hatte schon vor Hartmann seinen Drews gefunden in Edmund König, der
,.W. Wundt, seine Philosophie und Psychologie" als 13. Band von Frommanns
Klassikern der Philosophie (Stuttgart, 1901) herausgegeben hat, allerdings nur ein
zierliches Bündchen, während der Hartmann von Drews ein umfangreiches Werk
ist. Streng wissenschaftlich gehalten ist mich die Arbeit von König.

Als eine vortreffliche Einführung in die Philosophie haben wir Otto Lreb-
manns Gedanken und Thatsachen wiederholt empfohlen. Im vorigen Jahre ist
(bei Karl I. Trübner in Straßburg) vom zweiten Baude das zweite Heft erschienen.
In behaglicher Breite und ansprechender Form erörtert und beleuchtet der Verfasser
die Gedanken und Thatsachen, mit denen die Forscher seit Jahrtausenden ihr Hirn
zermartern, im vorliegenden Hefte Subjekt und Objekt, Sein und Geschehen, Stoff
und Form, Materie und Geist, Einheit und Vielheit. Er zeigt, daß die Grund¬
gedanken der ältesten Philosophie, wie des Parmenides unveränderliches Sein und
des Heraklit unfaßbarer Werdeflnß (nicht zweimal tauchst dn in denselben Strom)
thpische Gedanken sind, die sich allen Zeiten in immer neuen Verkleidungen unab¬
weisbar aufdrängen, und er lehrt uns sogar von Zenos Paradoxien (Achill kaun
die Schildkröte nicht einholen) den Sinn versteh". Die heutigen Kämpfe um die
Deseendenzthevrie z. B. find nur eine neue Form des alten Streits zwischen Rea¬
listen und Nominalisten, zwischen Platonikeru und Aristotelileru. "Wir brauchen,
schreibt Liebmann, nur die Definition aufzustellen: unter der platonischen Idee
einer Nntnrgattnnq ist das Naturgesetz zu verstehn. uach welchem beim Zusammen¬
treffen gewisser Bedingungen stets und überall ein Wesen von dem Thpus dieser
Gattung entstehn muß' -- dann stimmt die Jdeenlehre mit den wesentlichen Grund¬
gedanken der moderne" Naturansicht viel besser überein, als der aus empirischer
Beobachtung der Phänomene abstrahierte, über die Grundrätsel des organischen
Lebens ratlos oder gleichgiltig hinweggehende Gednnkenapparat der Deseeudeuztheorie."
Die Unlösbarkeit dieser Grnndrätscl macht Liebmann auch im vorliegenden Heft
wiederum so unwiderleglich klar, daß wir am liebsten den ganzen Abschnitt ab¬
schreiben möchten, der mit dem Satze beginnt: "Nur über das Ungewöhnliche wundert
sich der gewöhnliche Kopf; über das Gewöhnliche erstaunt der ungewöhnliche Kopf.
So erstaunte Newton darüber, daß ein Apfel vom Baume herunterfiel, und ent¬
deckte infolgedessen das Gesetz der Gravitation. Nichts ist ""begreiflicher, als daß
es Philosophen gegeben hat. die alles begreiflich fanden." Zu ihnen gehöre" mich
die Herren, die aus Erblichkeit. Variabilität. Entwicklungsfähigkeit und soripflcm-
zungsfähigteit die Artcubildung erklären, ohne eine Ahnung davon, daß gerade diese
vier Eigenschaften der Organismen das sind, was zu erklären wäre, wenn je die
Möglichkeit der Erklärung geschafft werden könnte.

Kant hat ein Manuskript hinterlassen, das gedruckt etwa 1000 Seiten groß
Oktav füllen würde. Es enthält ein vollständiges und ein unvollständiges Wert Das
vollständige: "Vom Übergang vou den metaphysischen Anfangsgründen der Natur-
Wissenschaft zur Physik" hat Albrecht Krause herausgcgebei- Das unvol stand.ge:
..Der Transceiidentalphilosophie höchster Standpunkt: von Gott der We t und
dem Menschen" benutzt der genannte Gelehrte dazu, in dem Buche: Tue letzten
Gedanken Immanuel Kants (Hamburg, C. Boyseu. 1902) die eigentliche
Meinung Kants darzustellen, die in seinen gedruckten Werken vielfach durch eine
ungeschickte Terminologie verdunkelt werde. Die beiden wichtigsten Enthüllungen,
die uns hier dargeboten werden, sind, daß Kants Gott nicht der Erklärungsgrund
der Welt, sondern nur eine Forderung der praktische" Vernunft und der Erklärungs-
grund für das menschliche Pflichtgefühl ist, und daß man Kants Ding an sich all¬
gemein mißverstanden but. Nicht kantisch sei die nnter dem Namen Kantianismus


richtig Schanden hat, so konnte sich Marx die bekannte UmMpung seines Meisters
ersparen. Wunde meint nämlich, da bei Hegel das Sein ein sich das reine Nichts
und nur in seinen Erscheinungen wirklich sei, so sei damit der Gedanke einer jen¬
seitigen Welt beseitigt und die Welt unsrer Erfahrung für die einzig wirkliche Welt
erklärt. — Der berühmte Physiologe, der sich allmählich zum Philosophen entwickelt
but, hatte schon vor Hartmann seinen Drews gefunden in Edmund König, der
,.W. Wundt, seine Philosophie und Psychologie" als 13. Band von Frommanns
Klassikern der Philosophie (Stuttgart, 1901) herausgegeben hat, allerdings nur ein
zierliches Bündchen, während der Hartmann von Drews ein umfangreiches Werk
ist. Streng wissenschaftlich gehalten ist mich die Arbeit von König.

Als eine vortreffliche Einführung in die Philosophie haben wir Otto Lreb-
manns Gedanken und Thatsachen wiederholt empfohlen. Im vorigen Jahre ist
(bei Karl I. Trübner in Straßburg) vom zweiten Baude das zweite Heft erschienen.
In behaglicher Breite und ansprechender Form erörtert und beleuchtet der Verfasser
die Gedanken und Thatsachen, mit denen die Forscher seit Jahrtausenden ihr Hirn
zermartern, im vorliegenden Hefte Subjekt und Objekt, Sein und Geschehen, Stoff
und Form, Materie und Geist, Einheit und Vielheit. Er zeigt, daß die Grund¬
gedanken der ältesten Philosophie, wie des Parmenides unveränderliches Sein und
des Heraklit unfaßbarer Werdeflnß (nicht zweimal tauchst dn in denselben Strom)
thpische Gedanken sind, die sich allen Zeiten in immer neuen Verkleidungen unab¬
weisbar aufdrängen, und er lehrt uns sogar von Zenos Paradoxien (Achill kaun
die Schildkröte nicht einholen) den Sinn versteh». Die heutigen Kämpfe um die
Deseendenzthevrie z. B. find nur eine neue Form des alten Streits zwischen Rea¬
listen und Nominalisten, zwischen Platonikeru und Aristotelileru. „Wir brauchen,
schreibt Liebmann, nur die Definition aufzustellen: unter der platonischen Idee
einer Nntnrgattnnq ist das Naturgesetz zu verstehn. uach welchem beim Zusammen¬
treffen gewisser Bedingungen stets und überall ein Wesen von dem Thpus dieser
Gattung entstehn muß' — dann stimmt die Jdeenlehre mit den wesentlichen Grund¬
gedanken der moderne« Naturansicht viel besser überein, als der aus empirischer
Beobachtung der Phänomene abstrahierte, über die Grundrätsel des organischen
Lebens ratlos oder gleichgiltig hinweggehende Gednnkenapparat der Deseeudeuztheorie."
Die Unlösbarkeit dieser Grnndrätscl macht Liebmann auch im vorliegenden Heft
wiederum so unwiderleglich klar, daß wir am liebsten den ganzen Abschnitt ab¬
schreiben möchten, der mit dem Satze beginnt: „Nur über das Ungewöhnliche wundert
sich der gewöhnliche Kopf; über das Gewöhnliche erstaunt der ungewöhnliche Kopf.
So erstaunte Newton darüber, daß ein Apfel vom Baume herunterfiel, und ent¬
deckte infolgedessen das Gesetz der Gravitation. Nichts ist »»begreiflicher, als daß
es Philosophen gegeben hat. die alles begreiflich fanden." Zu ihnen gehöre» mich
die Herren, die aus Erblichkeit. Variabilität. Entwicklungsfähigkeit und soripflcm-
zungsfähigteit die Artcubildung erklären, ohne eine Ahnung davon, daß gerade diese
vier Eigenschaften der Organismen das sind, was zu erklären wäre, wenn je die
Möglichkeit der Erklärung geschafft werden könnte.

Kant hat ein Manuskript hinterlassen, das gedruckt etwa 1000 Seiten groß
Oktav füllen würde. Es enthält ein vollständiges und ein unvollständiges Wert Das
vollständige: „Vom Übergang vou den metaphysischen Anfangsgründen der Natur-
Wissenschaft zur Physik" hat Albrecht Krause herausgcgebei- Das unvol stand.ge:
..Der Transceiidentalphilosophie höchster Standpunkt: von Gott der We t und
dem Menschen" benutzt der genannte Gelehrte dazu, in dem Buche: Tue letzten
Gedanken Immanuel Kants (Hamburg, C. Boyseu. 1902) die eigentliche
Meinung Kants darzustellen, die in seinen gedruckten Werken vielfach durch eine
ungeschickte Terminologie verdunkelt werde. Die beiden wichtigsten Enthüllungen,
die uns hier dargeboten werden, sind, daß Kants Gott nicht der Erklärungsgrund
der Welt, sondern nur eine Forderung der praktische» Vernunft und der Erklärungs-
grund für das menschliche Pflichtgefühl ist, und daß man Kants Ding an sich all¬
gemein mißverstanden but. Nicht kantisch sei die nnter dem Namen Kantianismus


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[0117] richtig Schanden hat, so konnte sich Marx die bekannte UmMpung seines Meisters ersparen. Wunde meint nämlich, da bei Hegel das Sein ein sich das reine Nichts und nur in seinen Erscheinungen wirklich sei, so sei damit der Gedanke einer jen¬ seitigen Welt beseitigt und die Welt unsrer Erfahrung für die einzig wirkliche Welt erklärt. — Der berühmte Physiologe, der sich allmählich zum Philosophen entwickelt but, hatte schon vor Hartmann seinen Drews gefunden in Edmund König, der ,.W. Wundt, seine Philosophie und Psychologie" als 13. Band von Frommanns Klassikern der Philosophie (Stuttgart, 1901) herausgegeben hat, allerdings nur ein zierliches Bündchen, während der Hartmann von Drews ein umfangreiches Werk ist. Streng wissenschaftlich gehalten ist mich die Arbeit von König. Als eine vortreffliche Einführung in die Philosophie haben wir Otto Lreb- manns Gedanken und Thatsachen wiederholt empfohlen. Im vorigen Jahre ist (bei Karl I. Trübner in Straßburg) vom zweiten Baude das zweite Heft erschienen. In behaglicher Breite und ansprechender Form erörtert und beleuchtet der Verfasser die Gedanken und Thatsachen, mit denen die Forscher seit Jahrtausenden ihr Hirn zermartern, im vorliegenden Hefte Subjekt und Objekt, Sein und Geschehen, Stoff und Form, Materie und Geist, Einheit und Vielheit. Er zeigt, daß die Grund¬ gedanken der ältesten Philosophie, wie des Parmenides unveränderliches Sein und des Heraklit unfaßbarer Werdeflnß (nicht zweimal tauchst dn in denselben Strom) thpische Gedanken sind, die sich allen Zeiten in immer neuen Verkleidungen unab¬ weisbar aufdrängen, und er lehrt uns sogar von Zenos Paradoxien (Achill kaun die Schildkröte nicht einholen) den Sinn versteh». Die heutigen Kämpfe um die Deseendenzthevrie z. B. find nur eine neue Form des alten Streits zwischen Rea¬ listen und Nominalisten, zwischen Platonikeru und Aristotelileru. „Wir brauchen, schreibt Liebmann, nur die Definition aufzustellen: unter der platonischen Idee einer Nntnrgattnnq ist das Naturgesetz zu verstehn. uach welchem beim Zusammen¬ treffen gewisser Bedingungen stets und überall ein Wesen von dem Thpus dieser Gattung entstehn muß' — dann stimmt die Jdeenlehre mit den wesentlichen Grund¬ gedanken der moderne« Naturansicht viel besser überein, als der aus empirischer Beobachtung der Phänomene abstrahierte, über die Grundrätsel des organischen Lebens ratlos oder gleichgiltig hinweggehende Gednnkenapparat der Deseeudeuztheorie." Die Unlösbarkeit dieser Grnndrätscl macht Liebmann auch im vorliegenden Heft wiederum so unwiderleglich klar, daß wir am liebsten den ganzen Abschnitt ab¬ schreiben möchten, der mit dem Satze beginnt: „Nur über das Ungewöhnliche wundert sich der gewöhnliche Kopf; über das Gewöhnliche erstaunt der ungewöhnliche Kopf. So erstaunte Newton darüber, daß ein Apfel vom Baume herunterfiel, und ent¬ deckte infolgedessen das Gesetz der Gravitation. Nichts ist »»begreiflicher, als daß es Philosophen gegeben hat. die alles begreiflich fanden." Zu ihnen gehöre» mich die Herren, die aus Erblichkeit. Variabilität. Entwicklungsfähigkeit und soripflcm- zungsfähigteit die Artcubildung erklären, ohne eine Ahnung davon, daß gerade diese vier Eigenschaften der Organismen das sind, was zu erklären wäre, wenn je die Möglichkeit der Erklärung geschafft werden könnte. Kant hat ein Manuskript hinterlassen, das gedruckt etwa 1000 Seiten groß Oktav füllen würde. Es enthält ein vollständiges und ein unvollständiges Wert Das vollständige: „Vom Übergang vou den metaphysischen Anfangsgründen der Natur- Wissenschaft zur Physik" hat Albrecht Krause herausgcgebei- Das unvol stand.ge: ..Der Transceiidentalphilosophie höchster Standpunkt: von Gott der We t und dem Menschen" benutzt der genannte Gelehrte dazu, in dem Buche: Tue letzten Gedanken Immanuel Kants (Hamburg, C. Boyseu. 1902) die eigentliche Meinung Kants darzustellen, die in seinen gedruckten Werken vielfach durch eine ungeschickte Terminologie verdunkelt werde. Die beiden wichtigsten Enthüllungen, die uns hier dargeboten werden, sind, daß Kants Gott nicht der Erklärungsgrund der Welt, sondern nur eine Forderung der praktische» Vernunft und der Erklärungs- grund für das menschliche Pflichtgefühl ist, und daß man Kants Ding an sich all¬ gemein mißverstanden but. Nicht kantisch sei die nnter dem Namen Kantianismus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/117>, abgerufen am 22.05.2024.