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Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

bekannte Lehre, dnß wir die wirkliche Welt nicht kennten und nicht kennen könnten,
das; wir mir die Erscheinungen kennen könnten, die wirkliche Welt aber, die Welt
der Dinge an sich, uns unbekannt bleiben müsse. Vielmehr lehre Kant ganz dasselbe
wie der gesunde Menschenverstand: "daß sowohl das Menschengeschlecht wie der
einzelne Mensch in eine längst bestehende Welt hineingeboren ist, deren Gegenstände
die Eigentümlichkeit haben, dnß sie auf den schlummernden Geist des Kindes ein¬
wirken können, svdnß es Bewußtsein, Erkenntnis und Erfahrung bekommt. Die
Gegenstände erzeugen weder unsern Geist, noch erzeugt unser Geist die Welt, aber
wir können erst dann behaupten, daß die Welt sei, wenn wir mit Bewußtsein die
Erfnhrnng davon gemacht haben." Das uns zu sagen, brauchte wohl eigentlich
kein Säkulargeist zu erstes", denn daß einer, der kein Bewußtsein hat, überhaupt
etwas behaupten könne, ist auch vor Kant keinem Menschen eingefallen. Daß die
Welt, wie man aus Kants Schriften gefolgert hat, ohne wahrnehmende Wesen nicht
existieren würde, oder daß sie zwar auch unabhängig vom Meuscheu existiert, aber
ohne die Qualitäten, wie Töne und Farben, die erst mittels der Sinne im mensch¬
lichen Bewußtsein erzeugt werden, das ist nach Krause ein augenfälliger Unsinn. --
Welches Glück, daß .Kant so dunkel geschrieben hat! Was hätten denn alle die Pro¬
fessoren, die ihr Leben der Kauterklärung gewidmet haben, wohl anfangen sollen,
wenn sie gewußt hätten, daß Kant über Welt und Mensch nicht anders denkt als
ihr Stiefelputzer? Vielleicht wäre ihnen nichts übrig geblieben, als diesem Konkurrenz
zu machen. Und auch Dr. Paul Deußen, ordentlicher Professor der Philosophie
an der Universität Kiel, hätte sein letztes Werk: Die Elemente der Metaphysik
(Leipzig, F. A. Brockhaus, 1902) ungeschrieben lassen müssen; denn er lehrt, deu
Standpunkt der Versöhnung aller Gegensätze habe die Menschheit "der Hauptsache
nach erreicht in dem von Kant begründeten, von Schopenhauer zu Ende gedachten
Idealismus, der an der ersten und ursprünglichsten aller Thatsachen festhält, daran
nämlich, daß die ganze räumlich ausgebreitete Welt nie und nirgends besteht außer
in dem Bewußtsein und daher nur ideal, d. h. nnr Vorstellung ist." Dem Wider¬
spruch, daß das Gehirn, ein Teil der räumlichen Welt, das Bewußtsein, dieses aber
die räumliche Welt erzeugen soll, sucht er dadurch zu entkommen, daß er zwischen
dem empirischen und dem transcendentalen Bewußtsein unterscheidet; jenes wird von
der Welt erzeugt, dieses erzeugt und trögt die Welt. Wir nennen Gott, was er
transcendentales Bewußtsein nennt, und denken uns im übrige" den Zusammenhang
ebenso. Unsern Gottesbegriff kann Deußen freilich nicht annehmen, denn ihm, dem
Schüler der weisen Brahmanen, ist Gott "das Prinzip der Verneinung" und un¬
persönlich; wäre er persönlich, so wäre er ein begrenztes, "folglich egoistisches,
folglich sündiges Wesen"; als Individuum da sein, das ist ja die Urhunde. "Darum
kann die Philosophie das höchste Ziel alles menschlichen Strebens, dem alle reine
Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Entsagung, alle Tugend und Heiligkeit entgegenführt,
immer nur negativ als die Verneinung des Willens zum Leben und dieser gauzeu
Welt, in der er erscheint, zum Ausdruck bringen, wiewohl an sich vielmehr die
Bejahung des Willens als Sinnlichkeit, Feigheit, weichliche Genußsucht und klein¬
liches Kleben am eignen Ich das negative und verwerfliche, hingegen das, was
wir im Anschluß an einen Ausspruch Jesu Verneinung nennen, die Quelle alles
Heroismus, aller Tapferkeit, Ausdauer und uneigennützigen Arbeit, aller Treue und
Lauterkeit der Gesinnung und somit an sich nichts weniger als negativ, sondern
vielmehr das wahrhaft Positive, Göttliche und Beseligende ist." Als moralisch
läßt Deußen gute Handlungen nur gelten, soweit sie Akte der Sclbstverncinung
sind. Mau kauu deu zartsinnigen und gemütvollen Deußen als die weibliche Seele
des heutigen Pessimismus bezeichnen gegenüber dem Verstandesschärfe", abstrakten
und, wo er praktisch wird, hnsarcnmäßigen Hartmann. Darin stimmt jener mit
diesem überein, dnß er ebenfalls weder zum Selbstmord noch zum Quietismus oder
zur indischen Askese verführen will, sondern in der leidbringcnden Erfüllung der
Berufspflichten die Selbstsucht überwinde" lehrt. -- Dnß Tapferkeit und Pflicht¬
erfüllung oft zur Selbstvernichtung führen, ist richtig, dnß sie der Sclbstverueinung


Maßgebliches und Unmaßgebliches

bekannte Lehre, dnß wir die wirkliche Welt nicht kennten und nicht kennen könnten,
das; wir mir die Erscheinungen kennen könnten, die wirkliche Welt aber, die Welt
der Dinge an sich, uns unbekannt bleiben müsse. Vielmehr lehre Kant ganz dasselbe
wie der gesunde Menschenverstand: „daß sowohl das Menschengeschlecht wie der
einzelne Mensch in eine längst bestehende Welt hineingeboren ist, deren Gegenstände
die Eigentümlichkeit haben, dnß sie auf den schlummernden Geist des Kindes ein¬
wirken können, svdnß es Bewußtsein, Erkenntnis und Erfahrung bekommt. Die
Gegenstände erzeugen weder unsern Geist, noch erzeugt unser Geist die Welt, aber
wir können erst dann behaupten, daß die Welt sei, wenn wir mit Bewußtsein die
Erfnhrnng davon gemacht haben." Das uns zu sagen, brauchte wohl eigentlich
kein Säkulargeist zu erstes», denn daß einer, der kein Bewußtsein hat, überhaupt
etwas behaupten könne, ist auch vor Kant keinem Menschen eingefallen. Daß die
Welt, wie man aus Kants Schriften gefolgert hat, ohne wahrnehmende Wesen nicht
existieren würde, oder daß sie zwar auch unabhängig vom Meuscheu existiert, aber
ohne die Qualitäten, wie Töne und Farben, die erst mittels der Sinne im mensch¬
lichen Bewußtsein erzeugt werden, das ist nach Krause ein augenfälliger Unsinn. —
Welches Glück, daß .Kant so dunkel geschrieben hat! Was hätten denn alle die Pro¬
fessoren, die ihr Leben der Kauterklärung gewidmet haben, wohl anfangen sollen,
wenn sie gewußt hätten, daß Kant über Welt und Mensch nicht anders denkt als
ihr Stiefelputzer? Vielleicht wäre ihnen nichts übrig geblieben, als diesem Konkurrenz
zu machen. Und auch Dr. Paul Deußen, ordentlicher Professor der Philosophie
an der Universität Kiel, hätte sein letztes Werk: Die Elemente der Metaphysik
(Leipzig, F. A. Brockhaus, 1902) ungeschrieben lassen müssen; denn er lehrt, deu
Standpunkt der Versöhnung aller Gegensätze habe die Menschheit „der Hauptsache
nach erreicht in dem von Kant begründeten, von Schopenhauer zu Ende gedachten
Idealismus, der an der ersten und ursprünglichsten aller Thatsachen festhält, daran
nämlich, daß die ganze räumlich ausgebreitete Welt nie und nirgends besteht außer
in dem Bewußtsein und daher nur ideal, d. h. nnr Vorstellung ist." Dem Wider¬
spruch, daß das Gehirn, ein Teil der räumlichen Welt, das Bewußtsein, dieses aber
die räumliche Welt erzeugen soll, sucht er dadurch zu entkommen, daß er zwischen
dem empirischen und dem transcendentalen Bewußtsein unterscheidet; jenes wird von
der Welt erzeugt, dieses erzeugt und trögt die Welt. Wir nennen Gott, was er
transcendentales Bewußtsein nennt, und denken uns im übrige» den Zusammenhang
ebenso. Unsern Gottesbegriff kann Deußen freilich nicht annehmen, denn ihm, dem
Schüler der weisen Brahmanen, ist Gott „das Prinzip der Verneinung" und un¬
persönlich; wäre er persönlich, so wäre er ein begrenztes, „folglich egoistisches,
folglich sündiges Wesen"; als Individuum da sein, das ist ja die Urhunde. „Darum
kann die Philosophie das höchste Ziel alles menschlichen Strebens, dem alle reine
Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Entsagung, alle Tugend und Heiligkeit entgegenführt,
immer nur negativ als die Verneinung des Willens zum Leben und dieser gauzeu
Welt, in der er erscheint, zum Ausdruck bringen, wiewohl an sich vielmehr die
Bejahung des Willens als Sinnlichkeit, Feigheit, weichliche Genußsucht und klein¬
liches Kleben am eignen Ich das negative und verwerfliche, hingegen das, was
wir im Anschluß an einen Ausspruch Jesu Verneinung nennen, die Quelle alles
Heroismus, aller Tapferkeit, Ausdauer und uneigennützigen Arbeit, aller Treue und
Lauterkeit der Gesinnung und somit an sich nichts weniger als negativ, sondern
vielmehr das wahrhaft Positive, Göttliche und Beseligende ist." Als moralisch
läßt Deußen gute Handlungen nur gelten, soweit sie Akte der Sclbstverncinung
sind. Mau kauu deu zartsinnigen und gemütvollen Deußen als die weibliche Seele
des heutigen Pessimismus bezeichnen gegenüber dem Verstandesschärfe», abstrakten
und, wo er praktisch wird, hnsarcnmäßigen Hartmann. Darin stimmt jener mit
diesem überein, dnß er ebenfalls weder zum Selbstmord noch zum Quietismus oder
zur indischen Askese verführen will, sondern in der leidbringcnden Erfüllung der
Berufspflichten die Selbstsucht überwinde» lehrt. — Dnß Tapferkeit und Pflicht¬
erfüllung oft zur Selbstvernichtung führen, ist richtig, dnß sie der Sclbstverueinung


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[0118] Maßgebliches und Unmaßgebliches bekannte Lehre, dnß wir die wirkliche Welt nicht kennten und nicht kennen könnten, das; wir mir die Erscheinungen kennen könnten, die wirkliche Welt aber, die Welt der Dinge an sich, uns unbekannt bleiben müsse. Vielmehr lehre Kant ganz dasselbe wie der gesunde Menschenverstand: „daß sowohl das Menschengeschlecht wie der einzelne Mensch in eine längst bestehende Welt hineingeboren ist, deren Gegenstände die Eigentümlichkeit haben, dnß sie auf den schlummernden Geist des Kindes ein¬ wirken können, svdnß es Bewußtsein, Erkenntnis und Erfahrung bekommt. Die Gegenstände erzeugen weder unsern Geist, noch erzeugt unser Geist die Welt, aber wir können erst dann behaupten, daß die Welt sei, wenn wir mit Bewußtsein die Erfnhrnng davon gemacht haben." Das uns zu sagen, brauchte wohl eigentlich kein Säkulargeist zu erstes», denn daß einer, der kein Bewußtsein hat, überhaupt etwas behaupten könne, ist auch vor Kant keinem Menschen eingefallen. Daß die Welt, wie man aus Kants Schriften gefolgert hat, ohne wahrnehmende Wesen nicht existieren würde, oder daß sie zwar auch unabhängig vom Meuscheu existiert, aber ohne die Qualitäten, wie Töne und Farben, die erst mittels der Sinne im mensch¬ lichen Bewußtsein erzeugt werden, das ist nach Krause ein augenfälliger Unsinn. — Welches Glück, daß .Kant so dunkel geschrieben hat! Was hätten denn alle die Pro¬ fessoren, die ihr Leben der Kauterklärung gewidmet haben, wohl anfangen sollen, wenn sie gewußt hätten, daß Kant über Welt und Mensch nicht anders denkt als ihr Stiefelputzer? Vielleicht wäre ihnen nichts übrig geblieben, als diesem Konkurrenz zu machen. Und auch Dr. Paul Deußen, ordentlicher Professor der Philosophie an der Universität Kiel, hätte sein letztes Werk: Die Elemente der Metaphysik (Leipzig, F. A. Brockhaus, 1902) ungeschrieben lassen müssen; denn er lehrt, deu Standpunkt der Versöhnung aller Gegensätze habe die Menschheit „der Hauptsache nach erreicht in dem von Kant begründeten, von Schopenhauer zu Ende gedachten Idealismus, der an der ersten und ursprünglichsten aller Thatsachen festhält, daran nämlich, daß die ganze räumlich ausgebreitete Welt nie und nirgends besteht außer in dem Bewußtsein und daher nur ideal, d. h. nnr Vorstellung ist." Dem Wider¬ spruch, daß das Gehirn, ein Teil der räumlichen Welt, das Bewußtsein, dieses aber die räumliche Welt erzeugen soll, sucht er dadurch zu entkommen, daß er zwischen dem empirischen und dem transcendentalen Bewußtsein unterscheidet; jenes wird von der Welt erzeugt, dieses erzeugt und trögt die Welt. Wir nennen Gott, was er transcendentales Bewußtsein nennt, und denken uns im übrige» den Zusammenhang ebenso. Unsern Gottesbegriff kann Deußen freilich nicht annehmen, denn ihm, dem Schüler der weisen Brahmanen, ist Gott „das Prinzip der Verneinung" und un¬ persönlich; wäre er persönlich, so wäre er ein begrenztes, „folglich egoistisches, folglich sündiges Wesen"; als Individuum da sein, das ist ja die Urhunde. „Darum kann die Philosophie das höchste Ziel alles menschlichen Strebens, dem alle reine Gerechtigkeit, Nächstenliebe und Entsagung, alle Tugend und Heiligkeit entgegenführt, immer nur negativ als die Verneinung des Willens zum Leben und dieser gauzeu Welt, in der er erscheint, zum Ausdruck bringen, wiewohl an sich vielmehr die Bejahung des Willens als Sinnlichkeit, Feigheit, weichliche Genußsucht und klein¬ liches Kleben am eignen Ich das negative und verwerfliche, hingegen das, was wir im Anschluß an einen Ausspruch Jesu Verneinung nennen, die Quelle alles Heroismus, aller Tapferkeit, Ausdauer und uneigennützigen Arbeit, aller Treue und Lauterkeit der Gesinnung und somit an sich nichts weniger als negativ, sondern vielmehr das wahrhaft Positive, Göttliche und Beseligende ist." Als moralisch läßt Deußen gute Handlungen nur gelten, soweit sie Akte der Sclbstverncinung sind. Mau kauu deu zartsinnigen und gemütvollen Deußen als die weibliche Seele des heutigen Pessimismus bezeichnen gegenüber dem Verstandesschärfe», abstrakten und, wo er praktisch wird, hnsarcnmäßigen Hartmann. Darin stimmt jener mit diesem überein, dnß er ebenfalls weder zum Selbstmord noch zum Quietismus oder zur indischen Askese verführen will, sondern in der leidbringcnden Erfüllung der Berufspflichten die Selbstsucht überwinde» lehrt. — Dnß Tapferkeit und Pflicht¬ erfüllung oft zur Selbstvernichtung führen, ist richtig, dnß sie der Sclbstverueinung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 61, 1902, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341875_238787/118>, abgerufen am 15.06.2024.