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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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uns in ein kleines niedliches Zimmer; eilf er aber Papa seinen Namen hörte, be¬
stand er darauf, daß wir ein großes beziehen sollten, welches Creuzer für uns be¬
stellt hatte. Wir wuschen uns also erstlich den Reisestaub ub und pflegten unsern
Körper und gingen dann an die Wirtstafel, wo wir meistens Studenten fanden,
die recht bescheiden waren. Noch vor Tische sagte uns Creuzer freundlich will¬
kommen und nach Tische kam gleich seine Frau zu uns, die uns sehr wohl gefällt
und führte uns in unsre Wohnung, die gewaltig geräumig und recht bequem ist.
Nur sieht sie, was die Tapeten anbetrifft, etwas zerlumpt aus. Wir haben zwei
gewaltig große Zimmer (wie viel der kleineren, das weiß ich in vollem Ernst "och
nicht, weil ich confus bin, welches verzeihlich ist!), und auch ein bischen Aussicht
in die herrlichen Berge. Hinter dem Hnuse ist ein artiger Garten, der einen Aus¬
gang auf eine Bleiche hat, über die ein Weg ins freie Feld führt, am Fuß eines
der schönsten Berge, wo schöne Spaziergänge sein sollen; dieser Berg ist ganz mit
ächten Kastanien bedeckt, die jetzt in der schönsten Blüte stehn. Unsre vier zuerst
abgesandten Kisten fanden wir schon auf einem Saale stehen und es erschreckte uns
nicht wenig, als wir den alten schwarzen Familienkoffer zerbrochen fanden; die
Stricke waren zerbrochen und er war ein paar Fingerbreit auseinander gewichen.
Doch habe ich heute, als ich ihn auspackte, uicht ein Stück beschädigt darin ge¬
funden. Alle Kupferstiche waren mit darin und Papa sein Tubus. Als wir unser
Hans besehen, gingen wir mit Creuzer zur Rudolphi, die unsre nächste Nachbarin
ist. Auch mit der Aufnahme bei ihr hatten wir Ursache zufrieden zu sein, da wir
schon vorher auf etwas Empfindsamkeit gerechnet hatten. Auch sie hat mir haus¬
mütterlichen Rat und Hilfe angeboten, und will für den Anfang borgen, was wir
nicht haben und nicht gleich kaufen können. Nach dem gestrigen Plan sollte Papa
schon heute nach Schwetzingen fahren, um deu Kurfürsten zu besuchen, es wird aber
heute keiner angenommen, da sind wir ans den Nachmittag von Crenzer auf den
Schloßberg geladen, wo er eine kleine Gesellschaft geladen hat. Gestern hat Pupa
schon die Herren Daub, Porstig und Schwarz gesehen und auch Fried hat uns
bei der Rudolphi aufgesucht. Dieser brachte uns deinen Brief, lieber Heinrich, der
uns gewaltige Freude gemacht; es war das erste Willkommen der Unsern in die
neue Heimat, die sich schon sehr bei uns einschmeichelt, weil uns die Menschen so
freundlich entgegenkommen, als es die Gegend thut. Morgen früh will die Creuzer
mit mir zu einem Tischler gehn, wo man fertige Mobilien findet, damit wir
wenigstens übermorgen die Wirtshaus-Lebensweise enden können. Kochen wolle"
wir vorerst noch nicht, weil man sich hier sehr gut bereitetes Essen kann holen
lassen. Ausgeschlafen haben wir doch nun wenigstens schon. Gestern waren wir
so müde, daß wir von allem nnr das Halbe hörten und sahen. Heute hat uns
auch der Kaufmann Fries schon besucht, ein sehr artiger "ud herzlicher Mann.
Dieser hat auch schon von der Wohnung geredet, von der Weinbrenner schrieb, und
sie uns sehr angenehm geschildert, aber uns auch geraten, vor der Hand mit keinem
davon zu reden. --

Soweit kam ich gestern, als uns Creuzer abholte. Ackermann kam vorher zu
uns, von dem wir hörten, daß er für Kestnern viel Hoffnung habe ihn anzustellen;
doch laßt Kestneru dies lieber von Ackermann selbst zuerst erfahren. Fries führte
mich und Julchen den Berg herauf, Crenzer den Papa, dem diese Parthie zwar
etwas sauer ward, aber das Gefühl der Behaglichkeit verließ ihn doch nicht dabei.
Hier fanden wir eine große Gesellschaft, Herren und Damen; nennen kann ich sie
nicht alle. Der Kirchenrat Mich (Mieg) und seine Frau zogen uns vorzüglich an.
Professor Gatterer hat den Schloßgarten in ein wahres Paradies umgewandelt;
es ist rein unmöglich, nur etwas von dem Eindruck wieder zu geben, den das
Ganze macht. Man glaubt sich wirklich in eine neue Welt gesetzt, so groß und
doch dem innersten Herzen so nahe scheint alles. Papa war auch so fröhlich, wie
er nachher versicherte, mich gefunden zu haben, obgleich es mir schien, als wäre
ich ganz kalt und stumm. Wir saßen nun lange Zeit auf der Hohe und tranken
hernach Thee in einem kühlen Gartensnal. Dann gingen wir wieder auf Ent-


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uns in ein kleines niedliches Zimmer; eilf er aber Papa seinen Namen hörte, be¬
stand er darauf, daß wir ein großes beziehen sollten, welches Creuzer für uns be¬
stellt hatte. Wir wuschen uns also erstlich den Reisestaub ub und pflegten unsern
Körper und gingen dann an die Wirtstafel, wo wir meistens Studenten fanden,
die recht bescheiden waren. Noch vor Tische sagte uns Creuzer freundlich will¬
kommen und nach Tische kam gleich seine Frau zu uns, die uns sehr wohl gefällt
und führte uns in unsre Wohnung, die gewaltig geräumig und recht bequem ist.
Nur sieht sie, was die Tapeten anbetrifft, etwas zerlumpt aus. Wir haben zwei
gewaltig große Zimmer (wie viel der kleineren, das weiß ich in vollem Ernst »och
nicht, weil ich confus bin, welches verzeihlich ist!), und auch ein bischen Aussicht
in die herrlichen Berge. Hinter dem Hnuse ist ein artiger Garten, der einen Aus¬
gang auf eine Bleiche hat, über die ein Weg ins freie Feld führt, am Fuß eines
der schönsten Berge, wo schöne Spaziergänge sein sollen; dieser Berg ist ganz mit
ächten Kastanien bedeckt, die jetzt in der schönsten Blüte stehn. Unsre vier zuerst
abgesandten Kisten fanden wir schon auf einem Saale stehen und es erschreckte uns
nicht wenig, als wir den alten schwarzen Familienkoffer zerbrochen fanden; die
Stricke waren zerbrochen und er war ein paar Fingerbreit auseinander gewichen.
Doch habe ich heute, als ich ihn auspackte, uicht ein Stück beschädigt darin ge¬
funden. Alle Kupferstiche waren mit darin und Papa sein Tubus. Als wir unser
Hans besehen, gingen wir mit Creuzer zur Rudolphi, die unsre nächste Nachbarin
ist. Auch mit der Aufnahme bei ihr hatten wir Ursache zufrieden zu sein, da wir
schon vorher auf etwas Empfindsamkeit gerechnet hatten. Auch sie hat mir haus¬
mütterlichen Rat und Hilfe angeboten, und will für den Anfang borgen, was wir
nicht haben und nicht gleich kaufen können. Nach dem gestrigen Plan sollte Papa
schon heute nach Schwetzingen fahren, um deu Kurfürsten zu besuchen, es wird aber
heute keiner angenommen, da sind wir ans den Nachmittag von Crenzer auf den
Schloßberg geladen, wo er eine kleine Gesellschaft geladen hat. Gestern hat Pupa
schon die Herren Daub, Porstig und Schwarz gesehen und auch Fried hat uns
bei der Rudolphi aufgesucht. Dieser brachte uns deinen Brief, lieber Heinrich, der
uns gewaltige Freude gemacht; es war das erste Willkommen der Unsern in die
neue Heimat, die sich schon sehr bei uns einschmeichelt, weil uns die Menschen so
freundlich entgegenkommen, als es die Gegend thut. Morgen früh will die Creuzer
mit mir zu einem Tischler gehn, wo man fertige Mobilien findet, damit wir
wenigstens übermorgen die Wirtshaus-Lebensweise enden können. Kochen wolle»
wir vorerst noch nicht, weil man sich hier sehr gut bereitetes Essen kann holen
lassen. Ausgeschlafen haben wir doch nun wenigstens schon. Gestern waren wir
so müde, daß wir von allem nnr das Halbe hörten und sahen. Heute hat uns
auch der Kaufmann Fries schon besucht, ein sehr artiger »ud herzlicher Mann.
Dieser hat auch schon von der Wohnung geredet, von der Weinbrenner schrieb, und
sie uns sehr angenehm geschildert, aber uns auch geraten, vor der Hand mit keinem
davon zu reden. —

Soweit kam ich gestern, als uns Creuzer abholte. Ackermann kam vorher zu
uns, von dem wir hörten, daß er für Kestnern viel Hoffnung habe ihn anzustellen;
doch laßt Kestneru dies lieber von Ackermann selbst zuerst erfahren. Fries führte
mich und Julchen den Berg herauf, Crenzer den Papa, dem diese Parthie zwar
etwas sauer ward, aber das Gefühl der Behaglichkeit verließ ihn doch nicht dabei.
Hier fanden wir eine große Gesellschaft, Herren und Damen; nennen kann ich sie
nicht alle. Der Kirchenrat Mich (Mieg) und seine Frau zogen uns vorzüglich an.
Professor Gatterer hat den Schloßgarten in ein wahres Paradies umgewandelt;
es ist rein unmöglich, nur etwas von dem Eindruck wieder zu geben, den das
Ganze macht. Man glaubt sich wirklich in eine neue Welt gesetzt, so groß und
doch dem innersten Herzen so nahe scheint alles. Papa war auch so fröhlich, wie
er nachher versicherte, mich gefunden zu haben, obgleich es mir schien, als wäre
ich ganz kalt und stumm. Wir saßen nun lange Zeit auf der Hohe und tranken
hernach Thee in einem kühlen Gartensnal. Dann gingen wir wieder auf Ent-


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[0675] Line Übersiedlung vor hundert Jahren uns in ein kleines niedliches Zimmer; eilf er aber Papa seinen Namen hörte, be¬ stand er darauf, daß wir ein großes beziehen sollten, welches Creuzer für uns be¬ stellt hatte. Wir wuschen uns also erstlich den Reisestaub ub und pflegten unsern Körper und gingen dann an die Wirtstafel, wo wir meistens Studenten fanden, die recht bescheiden waren. Noch vor Tische sagte uns Creuzer freundlich will¬ kommen und nach Tische kam gleich seine Frau zu uns, die uns sehr wohl gefällt und führte uns in unsre Wohnung, die gewaltig geräumig und recht bequem ist. Nur sieht sie, was die Tapeten anbetrifft, etwas zerlumpt aus. Wir haben zwei gewaltig große Zimmer (wie viel der kleineren, das weiß ich in vollem Ernst »och nicht, weil ich confus bin, welches verzeihlich ist!), und auch ein bischen Aussicht in die herrlichen Berge. Hinter dem Hnuse ist ein artiger Garten, der einen Aus¬ gang auf eine Bleiche hat, über die ein Weg ins freie Feld führt, am Fuß eines der schönsten Berge, wo schöne Spaziergänge sein sollen; dieser Berg ist ganz mit ächten Kastanien bedeckt, die jetzt in der schönsten Blüte stehn. Unsre vier zuerst abgesandten Kisten fanden wir schon auf einem Saale stehen und es erschreckte uns nicht wenig, als wir den alten schwarzen Familienkoffer zerbrochen fanden; die Stricke waren zerbrochen und er war ein paar Fingerbreit auseinander gewichen. Doch habe ich heute, als ich ihn auspackte, uicht ein Stück beschädigt darin ge¬ funden. Alle Kupferstiche waren mit darin und Papa sein Tubus. Als wir unser Hans besehen, gingen wir mit Creuzer zur Rudolphi, die unsre nächste Nachbarin ist. Auch mit der Aufnahme bei ihr hatten wir Ursache zufrieden zu sein, da wir schon vorher auf etwas Empfindsamkeit gerechnet hatten. Auch sie hat mir haus¬ mütterlichen Rat und Hilfe angeboten, und will für den Anfang borgen, was wir nicht haben und nicht gleich kaufen können. Nach dem gestrigen Plan sollte Papa schon heute nach Schwetzingen fahren, um deu Kurfürsten zu besuchen, es wird aber heute keiner angenommen, da sind wir ans den Nachmittag von Crenzer auf den Schloßberg geladen, wo er eine kleine Gesellschaft geladen hat. Gestern hat Pupa schon die Herren Daub, Porstig und Schwarz gesehen und auch Fried hat uns bei der Rudolphi aufgesucht. Dieser brachte uns deinen Brief, lieber Heinrich, der uns gewaltige Freude gemacht; es war das erste Willkommen der Unsern in die neue Heimat, die sich schon sehr bei uns einschmeichelt, weil uns die Menschen so freundlich entgegenkommen, als es die Gegend thut. Morgen früh will die Creuzer mit mir zu einem Tischler gehn, wo man fertige Mobilien findet, damit wir wenigstens übermorgen die Wirtshaus-Lebensweise enden können. Kochen wolle» wir vorerst noch nicht, weil man sich hier sehr gut bereitetes Essen kann holen lassen. Ausgeschlafen haben wir doch nun wenigstens schon. Gestern waren wir so müde, daß wir von allem nnr das Halbe hörten und sahen. Heute hat uns auch der Kaufmann Fries schon besucht, ein sehr artiger »ud herzlicher Mann. Dieser hat auch schon von der Wohnung geredet, von der Weinbrenner schrieb, und sie uns sehr angenehm geschildert, aber uns auch geraten, vor der Hand mit keinem davon zu reden. — Soweit kam ich gestern, als uns Creuzer abholte. Ackermann kam vorher zu uns, von dem wir hörten, daß er für Kestnern viel Hoffnung habe ihn anzustellen; doch laßt Kestneru dies lieber von Ackermann selbst zuerst erfahren. Fries führte mich und Julchen den Berg herauf, Crenzer den Papa, dem diese Parthie zwar etwas sauer ward, aber das Gefühl der Behaglichkeit verließ ihn doch nicht dabei. Hier fanden wir eine große Gesellschaft, Herren und Damen; nennen kann ich sie nicht alle. Der Kirchenrat Mich (Mieg) und seine Frau zogen uns vorzüglich an. Professor Gatterer hat den Schloßgarten in ein wahres Paradies umgewandelt; es ist rein unmöglich, nur etwas von dem Eindruck wieder zu geben, den das Ganze macht. Man glaubt sich wirklich in eine neue Welt gesetzt, so groß und doch dem innersten Herzen so nahe scheint alles. Papa war auch so fröhlich, wie er nachher versicherte, mich gefunden zu haben, obgleich es mir schien, als wäre ich ganz kalt und stumm. Wir saßen nun lange Zeit auf der Hohe und tranken hernach Thee in einem kühlen Gartensnal. Dann gingen wir wieder auf Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/675>, abgerufen am 15.06.2024.