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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

die Hälfte, die sich durch Bier ihr Leiden zugezogen hatten. Die spezifischen Wir¬
kungen des Bieres sind somit nebensächlich gegenüber der Bedeutung, die dem
Alkohol zukommt. Die Gefahren des Bierkonsums sind verschleierter, die des
Branntweins offenbarer. Wahrend das Branntweintrinken nicht gern allzu öffentlich
betrieben wird, preist man das Biertnnken als nationale Tugend; am Biertrinken
haftet zumeist die akademische Trinksitte, die Landrichter Popert (Hamburg) als
das böse Beispiel, das die akademischen Kreise den andern geben, bezeichnete.

Die Gefahren des mittelmäßigen und regelmäßigen Alkoholgenusses zeigten die
Referate von Dr. Ploetz (Berlin) und Dr. Rubin (Berlin). Ihre Argumentation
knüpfte an die Darwinschen Theorien vom Kampf ums Dasein und der Auslese
der Tüchtigen an. Die prinzipiell übereinstimmenden Ausführungen der beiden
Vortragenden über die komplizierten Zusammenhänge, die hier in Betracht kommen,
lassen sich dahin zusammenfassen, daß alle, die zu Säufern werden, im großen und
ganzen schon von vornherein als belastete Menschen zu betrachten sind, daß deren
Nachkommenschaft gering zu sein Pflegt und so eine Ausmerzung von selbst vor
sich geht. Das mittelmäßige Trinken erzeugt dagegen nur leichte Schädigungen
bei der Nachkommenschaft und vermindert, je verbreiteter es ist, umsomehr den
durchschnittlichen Gesundheitszustand des Volks, die körperliche Widerstandsfähigkeit,
die geistige Tatkraft, den Mut, die Erfindungsgabe, die Unternehmungslust, kurz
die eigentliche kulturtragende und tulturschäffende Tätigkeit, die Gesamttüchtigkeit
der Rasse.

Dr. Rubin knüpfte an diese Aufstellungen die Forderung ärztlicher Er¬
laubnis vor Eingehung einer Ehe. Herr Smith (Niendorf) lenkte die Auf¬
merksamkeit darauf, daß dank den Hochzeitsgebräuchen erstgeborne Kinder oft an
Defekten leiden.

Eine teilweise in leidenschaftliche Töne überschlagende Auseinandersetzung zwischen
der mäßigen und der radikalen Gruppe der Alkoholgegner knüpfte sich an diese Referate,
wobei sowohl Oberbürgermeister Struckmann (Hildesheim), I)r. Waldschmidt
(Berlin) wie die Führer der Abstinenzbewegnng Professor Forel (Morges) und
Oberingenieur Asmnsseu (Hamburg) das Wort ergriffen. Bei diesen Debatten
wurde in der Regel das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung mit dem, was praktisch
zu tun sei, vermengt. Feinheiten wissenschaftlicher Feststellung sind häusig gnr nicht
entscheidend für die bloß an gröbere Forschungsergebnisse anknüpfende praktische
Tätigkeit. Die Komplikationen, die der Wissenschafter sieht, sind ganz andrer Art
"is die, die dem im Kampfe des Tages stehenden Agitator entgegentreten. Nicht
mit Unrecht wurde von Asmussen der andern Gruppe zugerufen: Zeigt uns, wo
der Alkohol wirklich nützt.

Gewiß müssen wir uns vor Übertreibungen hüten, und auch ich glaube, daß
Übertreibungen nicht immer nützlich sind. Aber wenn es bloß wirklich "mäßige"
Trinker gäbe, wäre auch eine Abstinenzbewegung nie möglich gewesen. Die Stellung
des Einzelnen zu dieser Frage wird häufig vom Temperament, noch häufiger aber
Wohl von persönlichen Erlebnissen an sich oder an nahestehenden Personen und nicht
zuletzt durch den Grad von Gemeinsinn, ja durch alles, was einer von der Zukunft
erhofft und wünscht, bestimmt. Im allgemeinen kann man sagen, daß die "Absti¬
nenten" mehr die Aufklärungsarbeit, die "Mäßigen" mehr die Beeinflussung der
Gesetzgebung auf ihr Programm geschrieben haben. Bei der Bekämpfung des Alko¬
holismus reichen nicht, wie bei den Vorkehrungen gegen die Tuberkulose, sanitäre
Bestimmungen, die Absonderung der Kranken usw. ans. Die bloße Versorgung der
Trunksüchtigen und die sogenannte Trinkerrettnng, wie auf der Versammlung der
Vorstände der Trinkerheilanstalten an einem der Kongreßtage zugestanden wurde,
reicht keineswegs zur Bekämpfung des Übels hin. Aber wenn auch die Staats¬
gewalt in weiterin Maße als bisher der Trunksucht vorbeugen will, bedarf sie der
Iustimmnug weitester Kreise. Solange die Kenntnis der Eigenschaften und die
Ansicht in die Schädigungen des Alkohols mangeln, werden alle wohlgemeinten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

die Hälfte, die sich durch Bier ihr Leiden zugezogen hatten. Die spezifischen Wir¬
kungen des Bieres sind somit nebensächlich gegenüber der Bedeutung, die dem
Alkohol zukommt. Die Gefahren des Bierkonsums sind verschleierter, die des
Branntweins offenbarer. Wahrend das Branntweintrinken nicht gern allzu öffentlich
betrieben wird, preist man das Biertnnken als nationale Tugend; am Biertrinken
haftet zumeist die akademische Trinksitte, die Landrichter Popert (Hamburg) als
das böse Beispiel, das die akademischen Kreise den andern geben, bezeichnete.

Die Gefahren des mittelmäßigen und regelmäßigen Alkoholgenusses zeigten die
Referate von Dr. Ploetz (Berlin) und Dr. Rubin (Berlin). Ihre Argumentation
knüpfte an die Darwinschen Theorien vom Kampf ums Dasein und der Auslese
der Tüchtigen an. Die prinzipiell übereinstimmenden Ausführungen der beiden
Vortragenden über die komplizierten Zusammenhänge, die hier in Betracht kommen,
lassen sich dahin zusammenfassen, daß alle, die zu Säufern werden, im großen und
ganzen schon von vornherein als belastete Menschen zu betrachten sind, daß deren
Nachkommenschaft gering zu sein Pflegt und so eine Ausmerzung von selbst vor
sich geht. Das mittelmäßige Trinken erzeugt dagegen nur leichte Schädigungen
bei der Nachkommenschaft und vermindert, je verbreiteter es ist, umsomehr den
durchschnittlichen Gesundheitszustand des Volks, die körperliche Widerstandsfähigkeit,
die geistige Tatkraft, den Mut, die Erfindungsgabe, die Unternehmungslust, kurz
die eigentliche kulturtragende und tulturschäffende Tätigkeit, die Gesamttüchtigkeit
der Rasse.

Dr. Rubin knüpfte an diese Aufstellungen die Forderung ärztlicher Er¬
laubnis vor Eingehung einer Ehe. Herr Smith (Niendorf) lenkte die Auf¬
merksamkeit darauf, daß dank den Hochzeitsgebräuchen erstgeborne Kinder oft an
Defekten leiden.

Eine teilweise in leidenschaftliche Töne überschlagende Auseinandersetzung zwischen
der mäßigen und der radikalen Gruppe der Alkoholgegner knüpfte sich an diese Referate,
wobei sowohl Oberbürgermeister Struckmann (Hildesheim), I)r. Waldschmidt
(Berlin) wie die Führer der Abstinenzbewegnng Professor Forel (Morges) und
Oberingenieur Asmnsseu (Hamburg) das Wort ergriffen. Bei diesen Debatten
wurde in der Regel das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung mit dem, was praktisch
zu tun sei, vermengt. Feinheiten wissenschaftlicher Feststellung sind häusig gnr nicht
entscheidend für die bloß an gröbere Forschungsergebnisse anknüpfende praktische
Tätigkeit. Die Komplikationen, die der Wissenschafter sieht, sind ganz andrer Art
"is die, die dem im Kampfe des Tages stehenden Agitator entgegentreten. Nicht
mit Unrecht wurde von Asmussen der andern Gruppe zugerufen: Zeigt uns, wo
der Alkohol wirklich nützt.

Gewiß müssen wir uns vor Übertreibungen hüten, und auch ich glaube, daß
Übertreibungen nicht immer nützlich sind. Aber wenn es bloß wirklich „mäßige"
Trinker gäbe, wäre auch eine Abstinenzbewegung nie möglich gewesen. Die Stellung
des Einzelnen zu dieser Frage wird häufig vom Temperament, noch häufiger aber
Wohl von persönlichen Erlebnissen an sich oder an nahestehenden Personen und nicht
zuletzt durch den Grad von Gemeinsinn, ja durch alles, was einer von der Zukunft
erhofft und wünscht, bestimmt. Im allgemeinen kann man sagen, daß die „Absti¬
nenten" mehr die Aufklärungsarbeit, die „Mäßigen" mehr die Beeinflussung der
Gesetzgebung auf ihr Programm geschrieben haben. Bei der Bekämpfung des Alko¬
holismus reichen nicht, wie bei den Vorkehrungen gegen die Tuberkulose, sanitäre
Bestimmungen, die Absonderung der Kranken usw. ans. Die bloße Versorgung der
Trunksüchtigen und die sogenannte Trinkerrettnng, wie auf der Versammlung der
Vorstände der Trinkerheilanstalten an einem der Kongreßtage zugestanden wurde,
reicht keineswegs zur Bekämpfung des Übels hin. Aber wenn auch die Staats¬
gewalt in weiterin Maße als bisher der Trunksucht vorbeugen will, bedarf sie der
Iustimmnug weitester Kreise. Solange die Kenntnis der Eigenschaften und die
Ansicht in die Schädigungen des Alkohols mangeln, werden alle wohlgemeinten


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[0691] Maßgebliches und Unmaßgebliches die Hälfte, die sich durch Bier ihr Leiden zugezogen hatten. Die spezifischen Wir¬ kungen des Bieres sind somit nebensächlich gegenüber der Bedeutung, die dem Alkohol zukommt. Die Gefahren des Bierkonsums sind verschleierter, die des Branntweins offenbarer. Wahrend das Branntweintrinken nicht gern allzu öffentlich betrieben wird, preist man das Biertnnken als nationale Tugend; am Biertrinken haftet zumeist die akademische Trinksitte, die Landrichter Popert (Hamburg) als das böse Beispiel, das die akademischen Kreise den andern geben, bezeichnete. Die Gefahren des mittelmäßigen und regelmäßigen Alkoholgenusses zeigten die Referate von Dr. Ploetz (Berlin) und Dr. Rubin (Berlin). Ihre Argumentation knüpfte an die Darwinschen Theorien vom Kampf ums Dasein und der Auslese der Tüchtigen an. Die prinzipiell übereinstimmenden Ausführungen der beiden Vortragenden über die komplizierten Zusammenhänge, die hier in Betracht kommen, lassen sich dahin zusammenfassen, daß alle, die zu Säufern werden, im großen und ganzen schon von vornherein als belastete Menschen zu betrachten sind, daß deren Nachkommenschaft gering zu sein Pflegt und so eine Ausmerzung von selbst vor sich geht. Das mittelmäßige Trinken erzeugt dagegen nur leichte Schädigungen bei der Nachkommenschaft und vermindert, je verbreiteter es ist, umsomehr den durchschnittlichen Gesundheitszustand des Volks, die körperliche Widerstandsfähigkeit, die geistige Tatkraft, den Mut, die Erfindungsgabe, die Unternehmungslust, kurz die eigentliche kulturtragende und tulturschäffende Tätigkeit, die Gesamttüchtigkeit der Rasse. Dr. Rubin knüpfte an diese Aufstellungen die Forderung ärztlicher Er¬ laubnis vor Eingehung einer Ehe. Herr Smith (Niendorf) lenkte die Auf¬ merksamkeit darauf, daß dank den Hochzeitsgebräuchen erstgeborne Kinder oft an Defekten leiden. Eine teilweise in leidenschaftliche Töne überschlagende Auseinandersetzung zwischen der mäßigen und der radikalen Gruppe der Alkoholgegner knüpfte sich an diese Referate, wobei sowohl Oberbürgermeister Struckmann (Hildesheim), I)r. Waldschmidt (Berlin) wie die Führer der Abstinenzbewegnng Professor Forel (Morges) und Oberingenieur Asmnsseu (Hamburg) das Wort ergriffen. Bei diesen Debatten wurde in der Regel das Ergebnis wissenschaftlicher Forschung mit dem, was praktisch zu tun sei, vermengt. Feinheiten wissenschaftlicher Feststellung sind häusig gnr nicht entscheidend für die bloß an gröbere Forschungsergebnisse anknüpfende praktische Tätigkeit. Die Komplikationen, die der Wissenschafter sieht, sind ganz andrer Art "is die, die dem im Kampfe des Tages stehenden Agitator entgegentreten. Nicht mit Unrecht wurde von Asmussen der andern Gruppe zugerufen: Zeigt uns, wo der Alkohol wirklich nützt. Gewiß müssen wir uns vor Übertreibungen hüten, und auch ich glaube, daß Übertreibungen nicht immer nützlich sind. Aber wenn es bloß wirklich „mäßige" Trinker gäbe, wäre auch eine Abstinenzbewegung nie möglich gewesen. Die Stellung des Einzelnen zu dieser Frage wird häufig vom Temperament, noch häufiger aber Wohl von persönlichen Erlebnissen an sich oder an nahestehenden Personen und nicht zuletzt durch den Grad von Gemeinsinn, ja durch alles, was einer von der Zukunft erhofft und wünscht, bestimmt. Im allgemeinen kann man sagen, daß die „Absti¬ nenten" mehr die Aufklärungsarbeit, die „Mäßigen" mehr die Beeinflussung der Gesetzgebung auf ihr Programm geschrieben haben. Bei der Bekämpfung des Alko¬ holismus reichen nicht, wie bei den Vorkehrungen gegen die Tuberkulose, sanitäre Bestimmungen, die Absonderung der Kranken usw. ans. Die bloße Versorgung der Trunksüchtigen und die sogenannte Trinkerrettnng, wie auf der Versammlung der Vorstände der Trinkerheilanstalten an einem der Kongreßtage zugestanden wurde, reicht keineswegs zur Bekämpfung des Übels hin. Aber wenn auch die Staats¬ gewalt in weiterin Maße als bisher der Trunksucht vorbeugen will, bedarf sie der Iustimmnug weitester Kreise. Solange die Kenntnis der Eigenschaften und die Ansicht in die Schädigungen des Alkohols mangeln, werden alle wohlgemeinten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/691>, abgerufen am 15.06.2024.