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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

gütig mit mir. Da ging mir das Herz auf, und ich erzählte ihm meine Erlebnisse,
anch meine Begegnung mit Marianne, worüber er anfänglich den Kopf schüttelte,
nachher aber ein Wort hinwarf, man müsse sich des armen Mädchens Wohl an¬
nehmen, da sie rin mir gut gewesen wäre. Daraus ist nun nichts geworden, weil
meine Mutter ein Lmneuto erhob, als sie nur von der Sache horte. Sie hatte für
solche zarten Dinge kein Verständnis, und man konnte ihr ja auch nicht Unrecht
geben, wenn sie erklärte, zunächst hätte man im eignen Hanse genug zu retten, und
die Zeit sei noch nicht gekommen, wo man die Hände für andre frei bekäme.

Mein Vater ging mit mir zunächst zu Bauers, damit ich mich verabschieden
sollte. Dort wurden wir bös aufgenommen. Die Tante war wortkarg, als müßte
sie jedes Wort mit Gold bezahlen, und Bauer hatte allerlei zu höhnen. Noch
einmal ging ich in allen Winkeln des Hauses herum und zuletzt auch in den Garten.
Dort traf ich Marthchen an, das, wie ich jetzt nach meiner längern Abwesenheit
bemerkte, ein liebes freundliches Kind geworden war. Wir saßen eine Weile verlegen
nebeneinander; sie war verlegen, weil ich aus dem Gefängnis kam, und ich, weil ich
wußte, daß sie daran dachte. Zuletzt als das Abschiedsglöckleiu läutete, wurde das
Kind, dem ich doch bisher wenig Gutes erwiesen hatte, plötzlich zärtlich und brachte
aus ihrer Tusche einen Fingerhut und ein Nadelbüchschen von alter Arbeit hervor,
womit sie mir als mit ihrem wertvollsten Besitz ein Angedenken überreichen wollte.
Auch ich mußte nun nach einem Geschenk suchen, fand jedoch nichts als ein ab¬
gegriffnes Kartenspiel. Das war nun ein wunderlicher Tausch, den wir da eingingen,
Marthn wußte ja wohl mit den Spielkarten ebensowenig umzugehn, wie ich mit
dem Nähzeug eines Mädchens. Wären wir schon älter gewesen, so hätten wir den
Vorgang wohl lediglich als eine symbolische Handlung angesehen, als ein Zeichen,
daß wir beide den guten Willen hätten und immer haben würden, einander so
viel Gutes zu erweisen, als es unsre Armut zulassen würde. Später haben wir
anch einen solchen oder ähnlichen Sinn darin gefunden und die schönsten und er¬
baulichsten Gedanken darüber geäußert, jetzt aber hielt mein Marthchen ihr Karten¬
spiel verlegen in der Hand, und ob sie nun etwas besseres erwartet hatte oder
schon das Unschickliche der Gabe begriff, sah mich mit Augen, in denen so etwas
wie ein fernes Regenwölkchen schwamm, groß und betrübt ein, sodaß ich, um das
Wölkchen fernzuhalten, versprach, ich würde, wenn ich erst die Schlosserei verstünde,
schon etwas zustande bringen, was das unglückliche Kartenspiel ersetzen werde. Ich
wollte es ihr auch sogleich wieder abnehmen, sie hielt es aber fest und sing an
zu weinen, sodnß ich es ihr lassen mußte.

In der alten Heimat fand ich nur noch die Mutter vor. Die Geschwister
hatten sich in alle Welt zerstreut, einige waren auch, ohne daß ich etwas davon
wußte, ganz still in eine bessere Welt hinaufgezogen und schauten nun wohl ans die
arme Erde getröstet herab und erfreut, sich nicht wie ihre Schwestern und Brüder
darauf abrackern zu müssen. Dagegen ging eine meiner Schwestern schon stark auf
eine Heirat ans, und da sie es sonderbarerweise auf einen Burschen abgesehen
hatte, der nicht reich, nicht schön, nicht liebenswürdig und nicht klug war, sondern
von allen Eigenschaften, die einem im Leben forthelfen, das kleinste Maß empfangen
hatte, so war begründete Aussicht vorhanden, daß der harte Kampf, von dem unsre
Familie so lange in Atem gehalten worden war, bald wieder mit frischen Kräften
aufgenommen werdeu müßte. Meine Eltern hatten indessen etwas Luft um sich
bekommen und freuten sich der leidlichen Ruhe, mit der ihr Leben abzuschließen
schien. Sie wohnten anch nicht mehr in dem öden Arbeiterviertel, das jetzt überdies
fast ein Ruinenfeld vorstellte, sondern hatten sich vor dem Tore angesiedelt im
Anblick grüner Wiesen und bewaldeter Hügel. Überhaupt sah das Städtchen jetzt
freundlicher aus, als ich es in der Erinnerung gehabt hatte. Es hatte einige
Jahre, bevor meine Eltern dort einzogen, ein unternehmender Mann versucht, das
Verlorne Ackerstädtchen in den Strudel des Lebens hineinzureißen, aber die Fabrik¬
gebäude, die er errichtet hatte, und die Arbeiterhäuser, die zu gleicher Zeit gebant
worden waren, lagen nun schon wieder verödet da, mit blinden oder zerschlagnen


Zwei Seelen

gütig mit mir. Da ging mir das Herz auf, und ich erzählte ihm meine Erlebnisse,
anch meine Begegnung mit Marianne, worüber er anfänglich den Kopf schüttelte,
nachher aber ein Wort hinwarf, man müsse sich des armen Mädchens Wohl an¬
nehmen, da sie rin mir gut gewesen wäre. Daraus ist nun nichts geworden, weil
meine Mutter ein Lmneuto erhob, als sie nur von der Sache horte. Sie hatte für
solche zarten Dinge kein Verständnis, und man konnte ihr ja auch nicht Unrecht
geben, wenn sie erklärte, zunächst hätte man im eignen Hanse genug zu retten, und
die Zeit sei noch nicht gekommen, wo man die Hände für andre frei bekäme.

Mein Vater ging mit mir zunächst zu Bauers, damit ich mich verabschieden
sollte. Dort wurden wir bös aufgenommen. Die Tante war wortkarg, als müßte
sie jedes Wort mit Gold bezahlen, und Bauer hatte allerlei zu höhnen. Noch
einmal ging ich in allen Winkeln des Hauses herum und zuletzt auch in den Garten.
Dort traf ich Marthchen an, das, wie ich jetzt nach meiner längern Abwesenheit
bemerkte, ein liebes freundliches Kind geworden war. Wir saßen eine Weile verlegen
nebeneinander; sie war verlegen, weil ich aus dem Gefängnis kam, und ich, weil ich
wußte, daß sie daran dachte. Zuletzt als das Abschiedsglöckleiu läutete, wurde das
Kind, dem ich doch bisher wenig Gutes erwiesen hatte, plötzlich zärtlich und brachte
aus ihrer Tusche einen Fingerhut und ein Nadelbüchschen von alter Arbeit hervor,
womit sie mir als mit ihrem wertvollsten Besitz ein Angedenken überreichen wollte.
Auch ich mußte nun nach einem Geschenk suchen, fand jedoch nichts als ein ab¬
gegriffnes Kartenspiel. Das war nun ein wunderlicher Tausch, den wir da eingingen,
Marthn wußte ja wohl mit den Spielkarten ebensowenig umzugehn, wie ich mit
dem Nähzeug eines Mädchens. Wären wir schon älter gewesen, so hätten wir den
Vorgang wohl lediglich als eine symbolische Handlung angesehen, als ein Zeichen,
daß wir beide den guten Willen hätten und immer haben würden, einander so
viel Gutes zu erweisen, als es unsre Armut zulassen würde. Später haben wir
anch einen solchen oder ähnlichen Sinn darin gefunden und die schönsten und er¬
baulichsten Gedanken darüber geäußert, jetzt aber hielt mein Marthchen ihr Karten¬
spiel verlegen in der Hand, und ob sie nun etwas besseres erwartet hatte oder
schon das Unschickliche der Gabe begriff, sah mich mit Augen, in denen so etwas
wie ein fernes Regenwölkchen schwamm, groß und betrübt ein, sodaß ich, um das
Wölkchen fernzuhalten, versprach, ich würde, wenn ich erst die Schlosserei verstünde,
schon etwas zustande bringen, was das unglückliche Kartenspiel ersetzen werde. Ich
wollte es ihr auch sogleich wieder abnehmen, sie hielt es aber fest und sing an
zu weinen, sodnß ich es ihr lassen mußte.

In der alten Heimat fand ich nur noch die Mutter vor. Die Geschwister
hatten sich in alle Welt zerstreut, einige waren auch, ohne daß ich etwas davon
wußte, ganz still in eine bessere Welt hinaufgezogen und schauten nun wohl ans die
arme Erde getröstet herab und erfreut, sich nicht wie ihre Schwestern und Brüder
darauf abrackern zu müssen. Dagegen ging eine meiner Schwestern schon stark auf
eine Heirat ans, und da sie es sonderbarerweise auf einen Burschen abgesehen
hatte, der nicht reich, nicht schön, nicht liebenswürdig und nicht klug war, sondern
von allen Eigenschaften, die einem im Leben forthelfen, das kleinste Maß empfangen
hatte, so war begründete Aussicht vorhanden, daß der harte Kampf, von dem unsre
Familie so lange in Atem gehalten worden war, bald wieder mit frischen Kräften
aufgenommen werdeu müßte. Meine Eltern hatten indessen etwas Luft um sich
bekommen und freuten sich der leidlichen Ruhe, mit der ihr Leben abzuschließen
schien. Sie wohnten anch nicht mehr in dem öden Arbeiterviertel, das jetzt überdies
fast ein Ruinenfeld vorstellte, sondern hatten sich vor dem Tore angesiedelt im
Anblick grüner Wiesen und bewaldeter Hügel. Überhaupt sah das Städtchen jetzt
freundlicher aus, als ich es in der Erinnerung gehabt hatte. Es hatte einige
Jahre, bevor meine Eltern dort einzogen, ein unternehmender Mann versucht, das
Verlorne Ackerstädtchen in den Strudel des Lebens hineinzureißen, aber die Fabrik¬
gebäude, die er errichtet hatte, und die Arbeiterhäuser, die zu gleicher Zeit gebant
worden waren, lagen nun schon wieder verödet da, mit blinden oder zerschlagnen


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[0139] Zwei Seelen gütig mit mir. Da ging mir das Herz auf, und ich erzählte ihm meine Erlebnisse, anch meine Begegnung mit Marianne, worüber er anfänglich den Kopf schüttelte, nachher aber ein Wort hinwarf, man müsse sich des armen Mädchens Wohl an¬ nehmen, da sie rin mir gut gewesen wäre. Daraus ist nun nichts geworden, weil meine Mutter ein Lmneuto erhob, als sie nur von der Sache horte. Sie hatte für solche zarten Dinge kein Verständnis, und man konnte ihr ja auch nicht Unrecht geben, wenn sie erklärte, zunächst hätte man im eignen Hanse genug zu retten, und die Zeit sei noch nicht gekommen, wo man die Hände für andre frei bekäme. Mein Vater ging mit mir zunächst zu Bauers, damit ich mich verabschieden sollte. Dort wurden wir bös aufgenommen. Die Tante war wortkarg, als müßte sie jedes Wort mit Gold bezahlen, und Bauer hatte allerlei zu höhnen. Noch einmal ging ich in allen Winkeln des Hauses herum und zuletzt auch in den Garten. Dort traf ich Marthchen an, das, wie ich jetzt nach meiner längern Abwesenheit bemerkte, ein liebes freundliches Kind geworden war. Wir saßen eine Weile verlegen nebeneinander; sie war verlegen, weil ich aus dem Gefängnis kam, und ich, weil ich wußte, daß sie daran dachte. Zuletzt als das Abschiedsglöckleiu läutete, wurde das Kind, dem ich doch bisher wenig Gutes erwiesen hatte, plötzlich zärtlich und brachte aus ihrer Tusche einen Fingerhut und ein Nadelbüchschen von alter Arbeit hervor, womit sie mir als mit ihrem wertvollsten Besitz ein Angedenken überreichen wollte. Auch ich mußte nun nach einem Geschenk suchen, fand jedoch nichts als ein ab¬ gegriffnes Kartenspiel. Das war nun ein wunderlicher Tausch, den wir da eingingen, Marthn wußte ja wohl mit den Spielkarten ebensowenig umzugehn, wie ich mit dem Nähzeug eines Mädchens. Wären wir schon älter gewesen, so hätten wir den Vorgang wohl lediglich als eine symbolische Handlung angesehen, als ein Zeichen, daß wir beide den guten Willen hätten und immer haben würden, einander so viel Gutes zu erweisen, als es unsre Armut zulassen würde. Später haben wir anch einen solchen oder ähnlichen Sinn darin gefunden und die schönsten und er¬ baulichsten Gedanken darüber geäußert, jetzt aber hielt mein Marthchen ihr Karten¬ spiel verlegen in der Hand, und ob sie nun etwas besseres erwartet hatte oder schon das Unschickliche der Gabe begriff, sah mich mit Augen, in denen so etwas wie ein fernes Regenwölkchen schwamm, groß und betrübt ein, sodaß ich, um das Wölkchen fernzuhalten, versprach, ich würde, wenn ich erst die Schlosserei verstünde, schon etwas zustande bringen, was das unglückliche Kartenspiel ersetzen werde. Ich wollte es ihr auch sogleich wieder abnehmen, sie hielt es aber fest und sing an zu weinen, sodnß ich es ihr lassen mußte. In der alten Heimat fand ich nur noch die Mutter vor. Die Geschwister hatten sich in alle Welt zerstreut, einige waren auch, ohne daß ich etwas davon wußte, ganz still in eine bessere Welt hinaufgezogen und schauten nun wohl ans die arme Erde getröstet herab und erfreut, sich nicht wie ihre Schwestern und Brüder darauf abrackern zu müssen. Dagegen ging eine meiner Schwestern schon stark auf eine Heirat ans, und da sie es sonderbarerweise auf einen Burschen abgesehen hatte, der nicht reich, nicht schön, nicht liebenswürdig und nicht klug war, sondern von allen Eigenschaften, die einem im Leben forthelfen, das kleinste Maß empfangen hatte, so war begründete Aussicht vorhanden, daß der harte Kampf, von dem unsre Familie so lange in Atem gehalten worden war, bald wieder mit frischen Kräften aufgenommen werdeu müßte. Meine Eltern hatten indessen etwas Luft um sich bekommen und freuten sich der leidlichen Ruhe, mit der ihr Leben abzuschließen schien. Sie wohnten anch nicht mehr in dem öden Arbeiterviertel, das jetzt überdies fast ein Ruinenfeld vorstellte, sondern hatten sich vor dem Tore angesiedelt im Anblick grüner Wiesen und bewaldeter Hügel. Überhaupt sah das Städtchen jetzt freundlicher aus, als ich es in der Erinnerung gehabt hatte. Es hatte einige Jahre, bevor meine Eltern dort einzogen, ein unternehmender Mann versucht, das Verlorne Ackerstädtchen in den Strudel des Lebens hineinzureißen, aber die Fabrik¬ gebäude, die er errichtet hatte, und die Arbeiterhäuser, die zu gleicher Zeit gebant worden waren, lagen nun schon wieder verödet da, mit blinden oder zerschlagnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/139>, abgerufen am 26.05.2024.