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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

Fenstern, und der Haufen fremden Volks, der mit der großstädtischen Unternehmung
in die Stadt gekommen war, war wo anders hingeflutet. Eine Welle dieser rück-
lnufenden Flut hatte auch die Fischern mit sich genommen und ihren Wohltätern
auf immer entführt. Die alte Ruhe und Stille war wieder in die Stadt einge¬
kehrt, und rein und klar wehte die Luft über deu roten Dächern.

Es handelte sich nun zunächst darum, mich in eine tüchtige Lehre zu bringen.
Der Schlosser, bei dem ich zuerst ankommen sollte, hatte sich jedoch nach dem
Offenbarwerden meiner Talente anders besonnen und gab meinem Vater "ach
einigem Hin- und Herreden den trocknen Und, mich ja nicht in einen Beruf zu
bringen, der einem leichtsinnigen Menschen unmittelbar zum Strick und zur Ver¬
suchung werden müsse. Da außer ihm nur noch ein heruntergckommner und dem
Trunk ergebner Mann die Schlosserei verstand, sie jedoch nur noch selten betrieb,
so war nunmehr guter Rat teuer. niedergedrückt ging mein Vater mit mir nach
Hause, worauf meine Mutter zornmütig in die Stadt lief und demi Meister eine
böse Szene machte, ohne durch diesen wohlgemeinten Eifer die Sache zu verbessern.
Denn nun bekamen die Tischler, Klempner, Drechsler, und an wen wir uns sonst
noch wandten, vor meiner Mutter Temperament einen großen Schrecken, und schon
sah es so aus, als fände sich in der ganzen Stadt kein Plätzchen für mich, und
man müßte sich auswärts danach natur, als meine Mutter eines Abends freude¬
strahlend heimkehrte und sagte: Liebezeit will ihn nehmen. Liebezeit war ein
Schneider. Ein Schneider zu werden, lag nun aber gar nicht in meinem Plane.
Darum fing ich an zu heulen und zu klagen: ein Schneider wolle und könne ich
nicht werden, ich hätte nicht das geringste Vergnüge" an diesem Handwerk, worauf
meine Mutter erklärte: auf das Vergnügen käme es ganz und gar nicht an, da in
der Welt überhaupt wenig Vergnügen zu finden wäre. Wenn man es aber recht
überlege, so sei doch gewiß mehr Freude dabei, über reinlichen Stössen zu sitzen
und schöne Gewänder anzufertigen, als in einer schmutzige" und rußigen Werkstatt
ein hartem Eise" hernmzufeilen. Auch wäre ich ein Narr, wenn ich eine so schöne
Gelegenheit, es zu etwas zu bringen, ungenutzt an mir vorübergehn lasse. Liebezeit
sei ein alter Mann und ein gutmütiger alter Narr, sein Mariechen aber stünde
in einem Alter, daß an eine Heirat schwerlich mehr zu denken sei, die Männer
hätten eine heillose Angst vor ihren: bösen Mund und schneidigen Wesen, und sie
werde also ganz gewiß, wie man sagt, die Frösche nach Jerusalem treiben. Da
werde dann das Geschäft über kurz oder lang einges" oder i" andre Hände kommen
müssen. Nun müsse es niein Strebe" sein, Liebezeits Nachfolger zu werden, worauf
es nur noch an mir läge, den Leute" zu zeigen, was i" nnr stecke, und daß ein
einziger Fehler nicht über die ganze Zukunft eines Menschen entscheide, vielmehr
aus einem lümmelhaften Jungen recht gut ein artiger und verständiger Mann
"'erden könne. In diesem Tone ging es noch eine Weile weiter, und als sie nun
gar Marthcheus Nadelbüchse und Fingerhut entdeckte und erfuhr, welche Bewandtnis
es damit hatte, wurde sie vollends Feuer und Flamme, denn nnn erkannte sie in
dem Verlegenheitsstückchen eine himmlische Fügung und einen göttlichen Orakelspruch,
durch deu ich mit unzweifelhafter Sicherheit in den Schneiderbernf hineingcwiesen
werde. Ich war ohnehin von den vielen vergeblichen Wegen viel zu mürbe geworden,
als daß ich mich hätte ernstlich zur Wehr setzen mögen, nun aber wirkte der Mutter
Aberglaube" auch auf mich ein und bewog mich, die Segel zu streichen und nach
dem Willen der Vorsehung in einer Schneiderwerkstatt vor Anker zu gehn. Sogleich
aber beschloß ich ein Schneider ganz andrer Art zu werden, als sie sonst in der
Stadt herumliefen, kein gedrücktes Menschenwesen, sondern ein galantes Herrchen
mit einer goldnen Uhrkette und einer ebensolchen Brille, und ein Mann von
Ansehen und Verstand, dessen Wort sowohl in? Rat der Stadt wie am Honoratioren-
tisch der Krone "ut Achtung angehört werde. Dieser kindische Hochmut regierte hinfort
mein ganzes Verhalten und brachte es denn auch glücklich dahin, daß ich, anstatt
meine Jugend harmlos hinzunehmen, in ihr fröhlich zum Manne heranzureifen und
der Zukunft auch noch etwas zu überlassen, mein junges Leben mit altklugen An-


Zwei Seelen

Fenstern, und der Haufen fremden Volks, der mit der großstädtischen Unternehmung
in die Stadt gekommen war, war wo anders hingeflutet. Eine Welle dieser rück-
lnufenden Flut hatte auch die Fischern mit sich genommen und ihren Wohltätern
auf immer entführt. Die alte Ruhe und Stille war wieder in die Stadt einge¬
kehrt, und rein und klar wehte die Luft über deu roten Dächern.

Es handelte sich nun zunächst darum, mich in eine tüchtige Lehre zu bringen.
Der Schlosser, bei dem ich zuerst ankommen sollte, hatte sich jedoch nach dem
Offenbarwerden meiner Talente anders besonnen und gab meinem Vater »ach
einigem Hin- und Herreden den trocknen Und, mich ja nicht in einen Beruf zu
bringen, der einem leichtsinnigen Menschen unmittelbar zum Strick und zur Ver¬
suchung werden müsse. Da außer ihm nur noch ein heruntergckommner und dem
Trunk ergebner Mann die Schlosserei verstand, sie jedoch nur noch selten betrieb,
so war nunmehr guter Rat teuer. niedergedrückt ging mein Vater mit mir nach
Hause, worauf meine Mutter zornmütig in die Stadt lief und demi Meister eine
böse Szene machte, ohne durch diesen wohlgemeinten Eifer die Sache zu verbessern.
Denn nun bekamen die Tischler, Klempner, Drechsler, und an wen wir uns sonst
noch wandten, vor meiner Mutter Temperament einen großen Schrecken, und schon
sah es so aus, als fände sich in der ganzen Stadt kein Plätzchen für mich, und
man müßte sich auswärts danach natur, als meine Mutter eines Abends freude¬
strahlend heimkehrte und sagte: Liebezeit will ihn nehmen. Liebezeit war ein
Schneider. Ein Schneider zu werden, lag nun aber gar nicht in meinem Plane.
Darum fing ich an zu heulen und zu klagen: ein Schneider wolle und könne ich
nicht werden, ich hätte nicht das geringste Vergnüge» an diesem Handwerk, worauf
meine Mutter erklärte: auf das Vergnügen käme es ganz und gar nicht an, da in
der Welt überhaupt wenig Vergnügen zu finden wäre. Wenn man es aber recht
überlege, so sei doch gewiß mehr Freude dabei, über reinlichen Stössen zu sitzen
und schöne Gewänder anzufertigen, als in einer schmutzige» und rußigen Werkstatt
ein hartem Eise» hernmzufeilen. Auch wäre ich ein Narr, wenn ich eine so schöne
Gelegenheit, es zu etwas zu bringen, ungenutzt an mir vorübergehn lasse. Liebezeit
sei ein alter Mann und ein gutmütiger alter Narr, sein Mariechen aber stünde
in einem Alter, daß an eine Heirat schwerlich mehr zu denken sei, die Männer
hätten eine heillose Angst vor ihren: bösen Mund und schneidigen Wesen, und sie
werde also ganz gewiß, wie man sagt, die Frösche nach Jerusalem treiben. Da
werde dann das Geschäft über kurz oder lang einges» oder i» andre Hände kommen
müssen. Nun müsse es niein Strebe» sein, Liebezeits Nachfolger zu werden, worauf
es nur noch an mir läge, den Leute» zu zeigen, was i» nnr stecke, und daß ein
einziger Fehler nicht über die ganze Zukunft eines Menschen entscheide, vielmehr
aus einem lümmelhaften Jungen recht gut ein artiger und verständiger Mann
»'erden könne. In diesem Tone ging es noch eine Weile weiter, und als sie nun
gar Marthcheus Nadelbüchse und Fingerhut entdeckte und erfuhr, welche Bewandtnis
es damit hatte, wurde sie vollends Feuer und Flamme, denn nnn erkannte sie in
dem Verlegenheitsstückchen eine himmlische Fügung und einen göttlichen Orakelspruch,
durch deu ich mit unzweifelhafter Sicherheit in den Schneiderbernf hineingcwiesen
werde. Ich war ohnehin von den vielen vergeblichen Wegen viel zu mürbe geworden,
als daß ich mich hätte ernstlich zur Wehr setzen mögen, nun aber wirkte der Mutter
Aberglaube« auch auf mich ein und bewog mich, die Segel zu streichen und nach
dem Willen der Vorsehung in einer Schneiderwerkstatt vor Anker zu gehn. Sogleich
aber beschloß ich ein Schneider ganz andrer Art zu werden, als sie sonst in der
Stadt herumliefen, kein gedrücktes Menschenwesen, sondern ein galantes Herrchen
mit einer goldnen Uhrkette und einer ebensolchen Brille, und ein Mann von
Ansehen und Verstand, dessen Wort sowohl in? Rat der Stadt wie am Honoratioren-
tisch der Krone »ut Achtung angehört werde. Dieser kindische Hochmut regierte hinfort
mein ganzes Verhalten und brachte es denn auch glücklich dahin, daß ich, anstatt
meine Jugend harmlos hinzunehmen, in ihr fröhlich zum Manne heranzureifen und
der Zukunft auch noch etwas zu überlassen, mein junges Leben mit altklugen An-


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[0140] Zwei Seelen Fenstern, und der Haufen fremden Volks, der mit der großstädtischen Unternehmung in die Stadt gekommen war, war wo anders hingeflutet. Eine Welle dieser rück- lnufenden Flut hatte auch die Fischern mit sich genommen und ihren Wohltätern auf immer entführt. Die alte Ruhe und Stille war wieder in die Stadt einge¬ kehrt, und rein und klar wehte die Luft über deu roten Dächern. Es handelte sich nun zunächst darum, mich in eine tüchtige Lehre zu bringen. Der Schlosser, bei dem ich zuerst ankommen sollte, hatte sich jedoch nach dem Offenbarwerden meiner Talente anders besonnen und gab meinem Vater »ach einigem Hin- und Herreden den trocknen Und, mich ja nicht in einen Beruf zu bringen, der einem leichtsinnigen Menschen unmittelbar zum Strick und zur Ver¬ suchung werden müsse. Da außer ihm nur noch ein heruntergckommner und dem Trunk ergebner Mann die Schlosserei verstand, sie jedoch nur noch selten betrieb, so war nunmehr guter Rat teuer. niedergedrückt ging mein Vater mit mir nach Hause, worauf meine Mutter zornmütig in die Stadt lief und demi Meister eine böse Szene machte, ohne durch diesen wohlgemeinten Eifer die Sache zu verbessern. Denn nun bekamen die Tischler, Klempner, Drechsler, und an wen wir uns sonst noch wandten, vor meiner Mutter Temperament einen großen Schrecken, und schon sah es so aus, als fände sich in der ganzen Stadt kein Plätzchen für mich, und man müßte sich auswärts danach natur, als meine Mutter eines Abends freude¬ strahlend heimkehrte und sagte: Liebezeit will ihn nehmen. Liebezeit war ein Schneider. Ein Schneider zu werden, lag nun aber gar nicht in meinem Plane. Darum fing ich an zu heulen und zu klagen: ein Schneider wolle und könne ich nicht werden, ich hätte nicht das geringste Vergnüge» an diesem Handwerk, worauf meine Mutter erklärte: auf das Vergnügen käme es ganz und gar nicht an, da in der Welt überhaupt wenig Vergnügen zu finden wäre. Wenn man es aber recht überlege, so sei doch gewiß mehr Freude dabei, über reinlichen Stössen zu sitzen und schöne Gewänder anzufertigen, als in einer schmutzige» und rußigen Werkstatt ein hartem Eise» hernmzufeilen. Auch wäre ich ein Narr, wenn ich eine so schöne Gelegenheit, es zu etwas zu bringen, ungenutzt an mir vorübergehn lasse. Liebezeit sei ein alter Mann und ein gutmütiger alter Narr, sein Mariechen aber stünde in einem Alter, daß an eine Heirat schwerlich mehr zu denken sei, die Männer hätten eine heillose Angst vor ihren: bösen Mund und schneidigen Wesen, und sie werde also ganz gewiß, wie man sagt, die Frösche nach Jerusalem treiben. Da werde dann das Geschäft über kurz oder lang einges» oder i» andre Hände kommen müssen. Nun müsse es niein Strebe» sein, Liebezeits Nachfolger zu werden, worauf es nur noch an mir läge, den Leute» zu zeigen, was i» nnr stecke, und daß ein einziger Fehler nicht über die ganze Zukunft eines Menschen entscheide, vielmehr aus einem lümmelhaften Jungen recht gut ein artiger und verständiger Mann »'erden könne. In diesem Tone ging es noch eine Weile weiter, und als sie nun gar Marthcheus Nadelbüchse und Fingerhut entdeckte und erfuhr, welche Bewandtnis es damit hatte, wurde sie vollends Feuer und Flamme, denn nnn erkannte sie in dem Verlegenheitsstückchen eine himmlische Fügung und einen göttlichen Orakelspruch, durch deu ich mit unzweifelhafter Sicherheit in den Schneiderbernf hineingcwiesen werde. Ich war ohnehin von den vielen vergeblichen Wegen viel zu mürbe geworden, als daß ich mich hätte ernstlich zur Wehr setzen mögen, nun aber wirkte der Mutter Aberglaube« auch auf mich ein und bewog mich, die Segel zu streichen und nach dem Willen der Vorsehung in einer Schneiderwerkstatt vor Anker zu gehn. Sogleich aber beschloß ich ein Schneider ganz andrer Art zu werden, als sie sonst in der Stadt herumliefen, kein gedrücktes Menschenwesen, sondern ein galantes Herrchen mit einer goldnen Uhrkette und einer ebensolchen Brille, und ein Mann von Ansehen und Verstand, dessen Wort sowohl in? Rat der Stadt wie am Honoratioren- tisch der Krone »ut Achtung angehört werde. Dieser kindische Hochmut regierte hinfort mein ganzes Verhalten und brachte es denn auch glücklich dahin, daß ich, anstatt meine Jugend harmlos hinzunehmen, in ihr fröhlich zum Manne heranzureifen und der Zukunft auch noch etwas zu überlassen, mein junges Leben mit altklugen An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/140>, abgerufen am 17.06.2024.