Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Wilhelm Schwartz in so überzeugender Weise in allen seinen Werken darlegt,
von den einfachsten Beobachtungen und Reflexionen aus. Den Wesen und
den Geistern nnter und auf der Erde, wie später den Mächtigen "dort oben"
werden die eignen Gefühle und Beweggründe untergelegt; das Leben dort oben spielt
sich unter denselben Erscheinungen und Handlungen ab wie bei den Menschen.
Als diesen das Gold, der Schatz, zum begehrenswerter Besitz wurde, wurde er
es auch den Kobolden der Erde und den in den Wolken hausenden Wesen.

Aber sie sind glücklicher als die armen Menschen, da ihnen alles Gold
der Erde, der Gewässer und der Wolken zur Verfügung steht, das ihnen der
Mensch erst in schwerer Arbeit und nnter fortwährenden Gefahren abringen
muß. Diese beiden Lokcilisativnen des Schatzes auf der Erde und "dort oben"
sind voneinander unabhängig und der einfachen Anschauung entnommen. Das
hindert natürlich nicht, daß später Besonderheiten des Erdschatzes und des
Wolkeuschatzes ineinander übergehn. Jedenfalls ist der Goldschatz ursprünglich
nicht mythischer Natur.

Die "goldne Zeit" seiner Phantasie war dem Germanen die Zeit, wo
einst das Gold mühelos den Sterblichen zuteil wurde, wo die Gvldmühle
Grottr es mit ihrem Drehen hervorbrachte (vgl. die Sage vom Goldesel), wo
das Gold noch nicht die Quelle ewigen Haders und Kampfes war. Aber die
neidischen Niesen brachten das Unglück:

Die "stoßen die Gvldlraft" (Voluspa, Ser. 21), und "da wurde Mord in der
Welt zuerst," der sich als Fluch von Geschlecht zu Geschlecht weiter auf den
Besitzer des Goldes vererbt.

Nicht wie die Inder oder die Griechen lernten die Germanen zuerst das
Flußgott kennen, da die Flüsse der südrussischen Steppe und Germaniens wohl
früher ebensowenig goldhaltig waren wie bellte. Erst der Verkehr mit den Römern
und den Galliern öffnete ihnen den Blick dafür, welche Schätze ihre Berge bargen,
und nur allmählich gelangten sie dazu, in primitiver Weise das leicht erreich¬
bare Gold zu fördern. Die Zwerge, die in den Bergen und Hügeln Hausen,
sind die Hüter und Wächter des Schatzes; sie sind die ersten Goldschmiede und
fertigen herrliche und künstliche Geschmeide für Menschen und himmlische Wesen.
Sie unterweisen auch die Helden und die Hcldenknaben, die ihrer Pflege über¬
wiesen werden, in dieser Kunst, und so sehen wir mehrfach Necken der Sage als
kunstreiche Goldschmiede (Wieland); sie belohnen die guten Menschen mit Schätzen
(Rübezahl) und helfen aus Not und Unglück (Hauskobolde, Ackerzwerge). Aber
Strafe und Verderben trifft den Frevler, der übermütig in ihr Reich eindringt,
um ihnen den Schatz zu rauben. Einigen freilich gelingt die Bezwingung; aber
der im Kampf unterlegne Zwerg weiß sich zu rächen und belegt das Gold mit
dem Fluche, daß der Besitz dem Besitzer Verderben bringe. In der Heldensage
geht dieser Fluch in schrecklichen Kämpfen und Katastrophen in Erfüllung; in
der Ortssage ist dem Besitzer eine bestimmte Lebensfrist gesetzt, nach spätestens
sieben Jahren stirbt er.


Wilhelm Schwartz in so überzeugender Weise in allen seinen Werken darlegt,
von den einfachsten Beobachtungen und Reflexionen aus. Den Wesen und
den Geistern nnter und auf der Erde, wie später den Mächtigen „dort oben"
werden die eignen Gefühle und Beweggründe untergelegt; das Leben dort oben spielt
sich unter denselben Erscheinungen und Handlungen ab wie bei den Menschen.
Als diesen das Gold, der Schatz, zum begehrenswerter Besitz wurde, wurde er
es auch den Kobolden der Erde und den in den Wolken hausenden Wesen.

Aber sie sind glücklicher als die armen Menschen, da ihnen alles Gold
der Erde, der Gewässer und der Wolken zur Verfügung steht, das ihnen der
Mensch erst in schwerer Arbeit und nnter fortwährenden Gefahren abringen
muß. Diese beiden Lokcilisativnen des Schatzes auf der Erde und „dort oben"
sind voneinander unabhängig und der einfachen Anschauung entnommen. Das
hindert natürlich nicht, daß später Besonderheiten des Erdschatzes und des
Wolkeuschatzes ineinander übergehn. Jedenfalls ist der Goldschatz ursprünglich
nicht mythischer Natur.

Die „goldne Zeit" seiner Phantasie war dem Germanen die Zeit, wo
einst das Gold mühelos den Sterblichen zuteil wurde, wo die Gvldmühle
Grottr es mit ihrem Drehen hervorbrachte (vgl. die Sage vom Goldesel), wo
das Gold noch nicht die Quelle ewigen Haders und Kampfes war. Aber die
neidischen Niesen brachten das Unglück:

Die „stoßen die Gvldlraft" (Voluspa, Ser. 21), und „da wurde Mord in der
Welt zuerst," der sich als Fluch von Geschlecht zu Geschlecht weiter auf den
Besitzer des Goldes vererbt.

Nicht wie die Inder oder die Griechen lernten die Germanen zuerst das
Flußgott kennen, da die Flüsse der südrussischen Steppe und Germaniens wohl
früher ebensowenig goldhaltig waren wie bellte. Erst der Verkehr mit den Römern
und den Galliern öffnete ihnen den Blick dafür, welche Schätze ihre Berge bargen,
und nur allmählich gelangten sie dazu, in primitiver Weise das leicht erreich¬
bare Gold zu fördern. Die Zwerge, die in den Bergen und Hügeln Hausen,
sind die Hüter und Wächter des Schatzes; sie sind die ersten Goldschmiede und
fertigen herrliche und künstliche Geschmeide für Menschen und himmlische Wesen.
Sie unterweisen auch die Helden und die Hcldenknaben, die ihrer Pflege über¬
wiesen werden, in dieser Kunst, und so sehen wir mehrfach Necken der Sage als
kunstreiche Goldschmiede (Wieland); sie belohnen die guten Menschen mit Schätzen
(Rübezahl) und helfen aus Not und Unglück (Hauskobolde, Ackerzwerge). Aber
Strafe und Verderben trifft den Frevler, der übermütig in ihr Reich eindringt,
um ihnen den Schatz zu rauben. Einigen freilich gelingt die Bezwingung; aber
der im Kampf unterlegne Zwerg weiß sich zu rächen und belegt das Gold mit
dem Fluche, daß der Besitz dem Besitzer Verderben bringe. In der Heldensage
geht dieser Fluch in schrecklichen Kämpfen und Katastrophen in Erfüllung; in
der Ortssage ist dem Besitzer eine bestimmte Lebensfrist gesetzt, nach spätestens
sieben Jahren stirbt er.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242113"/>
          <p xml:id="ID_103" prev="#ID_102"> Wilhelm Schwartz in so überzeugender Weise in allen seinen Werken darlegt,<lb/>
von den einfachsten Beobachtungen und Reflexionen aus. Den Wesen und<lb/>
den Geistern nnter und auf der Erde, wie später den Mächtigen &#x201E;dort oben"<lb/>
werden die eignen Gefühle und Beweggründe untergelegt; das Leben dort oben spielt<lb/>
sich unter denselben Erscheinungen und Handlungen ab wie bei den Menschen.<lb/>
Als diesen das Gold, der Schatz, zum begehrenswerter Besitz wurde, wurde er<lb/>
es auch den Kobolden der Erde und den in den Wolken hausenden Wesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_104"> Aber sie sind glücklicher als die armen Menschen, da ihnen alles Gold<lb/>
der Erde, der Gewässer und der Wolken zur Verfügung steht, das ihnen der<lb/>
Mensch erst in schwerer Arbeit und nnter fortwährenden Gefahren abringen<lb/>
muß. Diese beiden Lokcilisativnen des Schatzes auf der Erde und &#x201E;dort oben"<lb/>
sind voneinander unabhängig und der einfachen Anschauung entnommen. Das<lb/>
hindert natürlich nicht, daß später Besonderheiten des Erdschatzes und des<lb/>
Wolkeuschatzes ineinander übergehn. Jedenfalls ist der Goldschatz ursprünglich<lb/>
nicht mythischer Natur.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_105" next="#ID_106"> Die &#x201E;goldne Zeit" seiner Phantasie war dem Germanen die Zeit, wo<lb/>
einst das Gold mühelos den Sterblichen zuteil wurde, wo die Gvldmühle<lb/>
Grottr es mit ihrem Drehen hervorbrachte (vgl. die Sage vom Goldesel), wo<lb/>
das Gold noch nicht die Quelle ewigen Haders und Kampfes war. Aber die<lb/>
neidischen Niesen brachten das Unglück:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_1" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_106" prev="#ID_105"> Die &#x201E;stoßen die Gvldlraft" (Voluspa, Ser. 21), und &#x201E;da wurde Mord in der<lb/>
Welt zuerst," der sich als Fluch von Geschlecht zu Geschlecht weiter auf den<lb/>
Besitzer des Goldes vererbt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_107"> Nicht wie die Inder oder die Griechen lernten die Germanen zuerst das<lb/>
Flußgott kennen, da die Flüsse der südrussischen Steppe und Germaniens wohl<lb/>
früher ebensowenig goldhaltig waren wie bellte. Erst der Verkehr mit den Römern<lb/>
und den Galliern öffnete ihnen den Blick dafür, welche Schätze ihre Berge bargen,<lb/>
und nur allmählich gelangten sie dazu, in primitiver Weise das leicht erreich¬<lb/>
bare Gold zu fördern. Die Zwerge, die in den Bergen und Hügeln Hausen,<lb/>
sind die Hüter und Wächter des Schatzes; sie sind die ersten Goldschmiede und<lb/>
fertigen herrliche und künstliche Geschmeide für Menschen und himmlische Wesen.<lb/>
Sie unterweisen auch die Helden und die Hcldenknaben, die ihrer Pflege über¬<lb/>
wiesen werden, in dieser Kunst, und so sehen wir mehrfach Necken der Sage als<lb/>
kunstreiche Goldschmiede (Wieland); sie belohnen die guten Menschen mit Schätzen<lb/>
(Rübezahl) und helfen aus Not und Unglück (Hauskobolde, Ackerzwerge). Aber<lb/>
Strafe und Verderben trifft den Frevler, der übermütig in ihr Reich eindringt,<lb/>
um ihnen den Schatz zu rauben. Einigen freilich gelingt die Bezwingung; aber<lb/>
der im Kampf unterlegne Zwerg weiß sich zu rächen und belegt das Gold mit<lb/>
dem Fluche, daß der Besitz dem Besitzer Verderben bringe. In der Heldensage<lb/>
geht dieser Fluch in schrecklichen Kämpfen und Katastrophen in Erfüllung; in<lb/>
der Ortssage ist dem Besitzer eine bestimmte Lebensfrist gesetzt, nach spätestens<lb/>
sieben Jahren stirbt er.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] Wilhelm Schwartz in so überzeugender Weise in allen seinen Werken darlegt, von den einfachsten Beobachtungen und Reflexionen aus. Den Wesen und den Geistern nnter und auf der Erde, wie später den Mächtigen „dort oben" werden die eignen Gefühle und Beweggründe untergelegt; das Leben dort oben spielt sich unter denselben Erscheinungen und Handlungen ab wie bei den Menschen. Als diesen das Gold, der Schatz, zum begehrenswerter Besitz wurde, wurde er es auch den Kobolden der Erde und den in den Wolken hausenden Wesen. Aber sie sind glücklicher als die armen Menschen, da ihnen alles Gold der Erde, der Gewässer und der Wolken zur Verfügung steht, das ihnen der Mensch erst in schwerer Arbeit und nnter fortwährenden Gefahren abringen muß. Diese beiden Lokcilisativnen des Schatzes auf der Erde und „dort oben" sind voneinander unabhängig und der einfachen Anschauung entnommen. Das hindert natürlich nicht, daß später Besonderheiten des Erdschatzes und des Wolkeuschatzes ineinander übergehn. Jedenfalls ist der Goldschatz ursprünglich nicht mythischer Natur. Die „goldne Zeit" seiner Phantasie war dem Germanen die Zeit, wo einst das Gold mühelos den Sterblichen zuteil wurde, wo die Gvldmühle Grottr es mit ihrem Drehen hervorbrachte (vgl. die Sage vom Goldesel), wo das Gold noch nicht die Quelle ewigen Haders und Kampfes war. Aber die neidischen Niesen brachten das Unglück: Die „stoßen die Gvldlraft" (Voluspa, Ser. 21), und „da wurde Mord in der Welt zuerst," der sich als Fluch von Geschlecht zu Geschlecht weiter auf den Besitzer des Goldes vererbt. Nicht wie die Inder oder die Griechen lernten die Germanen zuerst das Flußgott kennen, da die Flüsse der südrussischen Steppe und Germaniens wohl früher ebensowenig goldhaltig waren wie bellte. Erst der Verkehr mit den Römern und den Galliern öffnete ihnen den Blick dafür, welche Schätze ihre Berge bargen, und nur allmählich gelangten sie dazu, in primitiver Weise das leicht erreich¬ bare Gold zu fördern. Die Zwerge, die in den Bergen und Hügeln Hausen, sind die Hüter und Wächter des Schatzes; sie sind die ersten Goldschmiede und fertigen herrliche und künstliche Geschmeide für Menschen und himmlische Wesen. Sie unterweisen auch die Helden und die Hcldenknaben, die ihrer Pflege über¬ wiesen werden, in dieser Kunst, und so sehen wir mehrfach Necken der Sage als kunstreiche Goldschmiede (Wieland); sie belohnen die guten Menschen mit Schätzen (Rübezahl) und helfen aus Not und Unglück (Hauskobolde, Ackerzwerge). Aber Strafe und Verderben trifft den Frevler, der übermütig in ihr Reich eindringt, um ihnen den Schatz zu rauben. Einigen freilich gelingt die Bezwingung; aber der im Kampf unterlegne Zwerg weiß sich zu rächen und belegt das Gold mit dem Fluche, daß der Besitz dem Besitzer Verderben bringe. In der Heldensage geht dieser Fluch in schrecklichen Kämpfen und Katastrophen in Erfüllung; in der Ortssage ist dem Besitzer eine bestimmte Lebensfrist gesetzt, nach spätestens sieben Jahren stirbt er.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/45>, abgerufen am 18.05.2024.