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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

einen Plan, nach dem ich die nächste Zeit mein Leben einrichten wollte, und schnitt
unbarmherzig auch das geringste Behagen heraus, sodaß meine nächste Zukunft aus¬
sah wie ein stiller, verlassener Tvteucicker. Dennoch wehte es mir daraus frisch
und klar entgegen wie ein anhebendes Frühliugslüftchen. Meine Absicht ging dahin,
wenn ich erst meiner Schulden ledig wäre und eine Kleinigkeit für die erste Not
zurückgelegt hätte, so wollte ich in die Fremde gehn und mich so unter den Meuscheu
verlieren, daß mich keiner wieder herauszufinden vermöchte.

In dieser Nacht träumte ich, ich ginge einen langen finstern Weg durch ein wink¬
liges Haus und tastete mich langsam mit deu Händen an der Mauer hin. Niemals
glaubte ich an das Ende dieses schrecklichen Wegs zu gelangen, niemals mich aus
dieser Wirrnis und Finsternis hernnsznfindcn. Da, wie ich schon verzweifelte,
rührte meine Hand plötzlich an einen Riegel. Sogleich ging eine Tür vor mir
auf, und ein lieblicher Garten mit einem hellen grünen Rasen und schönen großen
Blumen breitete sich in klarem Sonnenlichte vor mir aus. Ich wachte vor Freude
auf, da guckte der Mond zum Fenster herein, nur noch als schmale Sichel, aber
in strahlendem Glanz. sein Schein lag vor mir auf der Diele, und ein Stück
davon schimmerte auf der Bettdecke bis dicht an mein Gesicht heraus. Wie gut
ist es, daß ich soweit gekommen bin, dachte ich. Was bin ich für ein glücklicher
Mensch! Es liegt alles hinter mir, und vor mir leuchtet es hell. Der gute
Mond selber muß mir in meinen Traum hinein meine Zukunft malen.

So freundlich träumte ich auch die folgenden Tage. Ja viele Wochen ver¬
flossen in stiller Ruhe, und der Winter ging allmählich in den Frühling über.
Infolge meines Geizes, den ich mir zur Pflicht gemacht hatte, war es mir ge¬
lungen, meine Schuld abzutragen und auch schon etwas zurückzulegen, also hätte
ich recht gut meine weitem Pläne in Angriff nehmen können. Aber ich wünschte
erst über reichere Mittel zu verfügen. Es stand ja much niemand hinter mir, der
mich bedrängt hätte. Heinemann und seineu Freunden war ich einigemal begegnet.
Ostroth hatte mich vou oben her betrachtet, vor ihm war ich so klein geworden,
wie die Menschlein, wenn er sie früher vom Dachfirst herab gesehen hatte. Heiue-
mann war der alte geblieben, jovial, freundlich, herablassend, aber es war zwischen
uns kein eigentliches Gespräch mehr möglich, und wir gingen später aneinander
vorüber. Von ihnen war ich frei, warum also eilen?

Nicht lange nach dieser Begegnung erwachte ich jedoch eines Nachts mit einem
lauten Schrei, und das Herz klopfte mir heftig. Es hatte niir etwas auf der
Brust gelegen, und nnr indem ich mich gewaltig anstrengte, hatte ich es von mir
abgewälzt. Nachher, als ich mich besonnen hat^e, erkannte ich, daß ich wieder ein¬
mal geträumt hatte, aber dunkel und schwer war der Traum gewesen. Schon
hatte ich geglaubt, meiner Vergangenheit ledig geworden zu sein, ich hatte gemeint,
sie wie einen giftigen Strauch mit kräftiger Hand ans dem Boden meines Lebens
herausreißen zu können, aber der Strauch hatte Samenkörner, und die Körner
gingen auf, vorerst nur in meinen Gedanken, aber ich fürchtete sogleich, daß sie
aus meinen Gedanken heraus den Weg in mein Leben finden würden. Der andre
Morgen fand mich in einer tiefen Seelenbedrücktheit. Ich machte mir klar, daß
ich von törichten Einbildungen geplagt würde, es half nichts; ich arbeitete bis
zur äußersten Ermattung und fand dennoch keine Ruhe. Das schwerste habe ich
nachher still getragen, aber diese geringere Not, die nur erst wie eine leichte Wolke
über mir schwebte, trieb mir deu kalten Schweiß auf die Stirn. Nun war es um
meinen ruhigen Schlaf geschehn. Als die Arbeit ihn nicht mehr herbeizunötigen
vermochte, versuchte ich es mit einem starken Trunk. Der wirkte denn anch. Wenn
ich ihn genommen hatte, versank ich bald in einen tiefen Schlaf, aber kaum mochten
einige Stunden bewußtloser Ruhe vergangen sein, so saß ich plötzlich aufrecht im
Bett und lauschte angstvoll nach einem Geräusch, von dem ich aufgeschreckt worden
war. Es war immer nichts. Ein Stuhl hatte geknarrt, ein Kleidungsstück war
zur Erde nieder geglitten. Mir aber war es, als wäre jemand durch die Stube


Zwei Seelen

einen Plan, nach dem ich die nächste Zeit mein Leben einrichten wollte, und schnitt
unbarmherzig auch das geringste Behagen heraus, sodaß meine nächste Zukunft aus¬
sah wie ein stiller, verlassener Tvteucicker. Dennoch wehte es mir daraus frisch
und klar entgegen wie ein anhebendes Frühliugslüftchen. Meine Absicht ging dahin,
wenn ich erst meiner Schulden ledig wäre und eine Kleinigkeit für die erste Not
zurückgelegt hätte, so wollte ich in die Fremde gehn und mich so unter den Meuscheu
verlieren, daß mich keiner wieder herauszufinden vermöchte.

In dieser Nacht träumte ich, ich ginge einen langen finstern Weg durch ein wink¬
liges Haus und tastete mich langsam mit deu Händen an der Mauer hin. Niemals
glaubte ich an das Ende dieses schrecklichen Wegs zu gelangen, niemals mich aus
dieser Wirrnis und Finsternis hernnsznfindcn. Da, wie ich schon verzweifelte,
rührte meine Hand plötzlich an einen Riegel. Sogleich ging eine Tür vor mir
auf, und ein lieblicher Garten mit einem hellen grünen Rasen und schönen großen
Blumen breitete sich in klarem Sonnenlichte vor mir aus. Ich wachte vor Freude
auf, da guckte der Mond zum Fenster herein, nur noch als schmale Sichel, aber
in strahlendem Glanz. sein Schein lag vor mir auf der Diele, und ein Stück
davon schimmerte auf der Bettdecke bis dicht an mein Gesicht heraus. Wie gut
ist es, daß ich soweit gekommen bin, dachte ich. Was bin ich für ein glücklicher
Mensch! Es liegt alles hinter mir, und vor mir leuchtet es hell. Der gute
Mond selber muß mir in meinen Traum hinein meine Zukunft malen.

So freundlich träumte ich auch die folgenden Tage. Ja viele Wochen ver¬
flossen in stiller Ruhe, und der Winter ging allmählich in den Frühling über.
Infolge meines Geizes, den ich mir zur Pflicht gemacht hatte, war es mir ge¬
lungen, meine Schuld abzutragen und auch schon etwas zurückzulegen, also hätte
ich recht gut meine weitem Pläne in Angriff nehmen können. Aber ich wünschte
erst über reichere Mittel zu verfügen. Es stand ja much niemand hinter mir, der
mich bedrängt hätte. Heinemann und seineu Freunden war ich einigemal begegnet.
Ostroth hatte mich vou oben her betrachtet, vor ihm war ich so klein geworden,
wie die Menschlein, wenn er sie früher vom Dachfirst herab gesehen hatte. Heiue-
mann war der alte geblieben, jovial, freundlich, herablassend, aber es war zwischen
uns kein eigentliches Gespräch mehr möglich, und wir gingen später aneinander
vorüber. Von ihnen war ich frei, warum also eilen?

Nicht lange nach dieser Begegnung erwachte ich jedoch eines Nachts mit einem
lauten Schrei, und das Herz klopfte mir heftig. Es hatte niir etwas auf der
Brust gelegen, und nnr indem ich mich gewaltig anstrengte, hatte ich es von mir
abgewälzt. Nachher, als ich mich besonnen hat^e, erkannte ich, daß ich wieder ein¬
mal geträumt hatte, aber dunkel und schwer war der Traum gewesen. Schon
hatte ich geglaubt, meiner Vergangenheit ledig geworden zu sein, ich hatte gemeint,
sie wie einen giftigen Strauch mit kräftiger Hand ans dem Boden meines Lebens
herausreißen zu können, aber der Strauch hatte Samenkörner, und die Körner
gingen auf, vorerst nur in meinen Gedanken, aber ich fürchtete sogleich, daß sie
aus meinen Gedanken heraus den Weg in mein Leben finden würden. Der andre
Morgen fand mich in einer tiefen Seelenbedrücktheit. Ich machte mir klar, daß
ich von törichten Einbildungen geplagt würde, es half nichts; ich arbeitete bis
zur äußersten Ermattung und fand dennoch keine Ruhe. Das schwerste habe ich
nachher still getragen, aber diese geringere Not, die nur erst wie eine leichte Wolke
über mir schwebte, trieb mir deu kalten Schweiß auf die Stirn. Nun war es um
meinen ruhigen Schlaf geschehn. Als die Arbeit ihn nicht mehr herbeizunötigen
vermochte, versuchte ich es mit einem starken Trunk. Der wirkte denn anch. Wenn
ich ihn genommen hatte, versank ich bald in einen tiefen Schlaf, aber kaum mochten
einige Stunden bewußtloser Ruhe vergangen sein, so saß ich plötzlich aufrecht im
Bett und lauschte angstvoll nach einem Geräusch, von dem ich aufgeschreckt worden
war. Es war immer nichts. Ein Stuhl hatte geknarrt, ein Kleidungsstück war
zur Erde nieder geglitten. Mir aber war es, als wäre jemand durch die Stube


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[0464] Zwei Seelen einen Plan, nach dem ich die nächste Zeit mein Leben einrichten wollte, und schnitt unbarmherzig auch das geringste Behagen heraus, sodaß meine nächste Zukunft aus¬ sah wie ein stiller, verlassener Tvteucicker. Dennoch wehte es mir daraus frisch und klar entgegen wie ein anhebendes Frühliugslüftchen. Meine Absicht ging dahin, wenn ich erst meiner Schulden ledig wäre und eine Kleinigkeit für die erste Not zurückgelegt hätte, so wollte ich in die Fremde gehn und mich so unter den Meuscheu verlieren, daß mich keiner wieder herauszufinden vermöchte. In dieser Nacht träumte ich, ich ginge einen langen finstern Weg durch ein wink¬ liges Haus und tastete mich langsam mit deu Händen an der Mauer hin. Niemals glaubte ich an das Ende dieses schrecklichen Wegs zu gelangen, niemals mich aus dieser Wirrnis und Finsternis hernnsznfindcn. Da, wie ich schon verzweifelte, rührte meine Hand plötzlich an einen Riegel. Sogleich ging eine Tür vor mir auf, und ein lieblicher Garten mit einem hellen grünen Rasen und schönen großen Blumen breitete sich in klarem Sonnenlichte vor mir aus. Ich wachte vor Freude auf, da guckte der Mond zum Fenster herein, nur noch als schmale Sichel, aber in strahlendem Glanz. sein Schein lag vor mir auf der Diele, und ein Stück davon schimmerte auf der Bettdecke bis dicht an mein Gesicht heraus. Wie gut ist es, daß ich soweit gekommen bin, dachte ich. Was bin ich für ein glücklicher Mensch! Es liegt alles hinter mir, und vor mir leuchtet es hell. Der gute Mond selber muß mir in meinen Traum hinein meine Zukunft malen. So freundlich träumte ich auch die folgenden Tage. Ja viele Wochen ver¬ flossen in stiller Ruhe, und der Winter ging allmählich in den Frühling über. Infolge meines Geizes, den ich mir zur Pflicht gemacht hatte, war es mir ge¬ lungen, meine Schuld abzutragen und auch schon etwas zurückzulegen, also hätte ich recht gut meine weitem Pläne in Angriff nehmen können. Aber ich wünschte erst über reichere Mittel zu verfügen. Es stand ja much niemand hinter mir, der mich bedrängt hätte. Heinemann und seineu Freunden war ich einigemal begegnet. Ostroth hatte mich vou oben her betrachtet, vor ihm war ich so klein geworden, wie die Menschlein, wenn er sie früher vom Dachfirst herab gesehen hatte. Heiue- mann war der alte geblieben, jovial, freundlich, herablassend, aber es war zwischen uns kein eigentliches Gespräch mehr möglich, und wir gingen später aneinander vorüber. Von ihnen war ich frei, warum also eilen? Nicht lange nach dieser Begegnung erwachte ich jedoch eines Nachts mit einem lauten Schrei, und das Herz klopfte mir heftig. Es hatte niir etwas auf der Brust gelegen, und nnr indem ich mich gewaltig anstrengte, hatte ich es von mir abgewälzt. Nachher, als ich mich besonnen hat^e, erkannte ich, daß ich wieder ein¬ mal geträumt hatte, aber dunkel und schwer war der Traum gewesen. Schon hatte ich geglaubt, meiner Vergangenheit ledig geworden zu sein, ich hatte gemeint, sie wie einen giftigen Strauch mit kräftiger Hand ans dem Boden meines Lebens herausreißen zu können, aber der Strauch hatte Samenkörner, und die Körner gingen auf, vorerst nur in meinen Gedanken, aber ich fürchtete sogleich, daß sie aus meinen Gedanken heraus den Weg in mein Leben finden würden. Der andre Morgen fand mich in einer tiefen Seelenbedrücktheit. Ich machte mir klar, daß ich von törichten Einbildungen geplagt würde, es half nichts; ich arbeitete bis zur äußersten Ermattung und fand dennoch keine Ruhe. Das schwerste habe ich nachher still getragen, aber diese geringere Not, die nur erst wie eine leichte Wolke über mir schwebte, trieb mir deu kalten Schweiß auf die Stirn. Nun war es um meinen ruhigen Schlaf geschehn. Als die Arbeit ihn nicht mehr herbeizunötigen vermochte, versuchte ich es mit einem starken Trunk. Der wirkte denn anch. Wenn ich ihn genommen hatte, versank ich bald in einen tiefen Schlaf, aber kaum mochten einige Stunden bewußtloser Ruhe vergangen sein, so saß ich plötzlich aufrecht im Bett und lauschte angstvoll nach einem Geräusch, von dem ich aufgeschreckt worden war. Es war immer nichts. Ein Stuhl hatte geknarrt, ein Kleidungsstück war zur Erde nieder geglitten. Mir aber war es, als wäre jemand durch die Stube

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/464>, abgerufen am 17.06.2024.