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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Lecken

fest und herzhaft drückte, auch mir mit einem freien liebreichen Blick, worin es
nichts gab. was sich verhülle" mußte, ins Auge sah, vergingen die törichten -Llasen
die in meinem Herzen aufgestiegen waren, schnell wieder, und ich ruckte beschämt
von ihr ab. So saßen wir endlich ruhig nebeneinander und fingen an, uns von
alten Zeiten zu erzählen. Der Mond ging inzwischen über den Bäumen des gegen¬
über liegenden Gartens auf und schien in unsre Lande herein. Weil er uns nun
so freundlich und ordentlich zusammen sitzen sah, zeigte er uns auch sein freund¬
lichstes Gesicht und schob die Wolken, die da und dort aufsteigen wollten, zur
Seite, sodnß bald alles um uns her, Wege und Blumenbeete und das Blätterdach
zu unsern Häupten, von seinem silbernen Glänze übergössen war. Auch die Wirtin
zeigte sich nach einiger Zeit wieder und stellte sich an den Eingang der Laube.
Als sie uns jedoch harmlos plaudern horte, holte sie sich eine Arbeit und setzte
sich zu uns. Wenn ich über mein Leben hinsehe, so ist diese Stelle ganz in Licht
getaucht, und keine Wolke wirft einen Schatten in diese Stunden.

Am andern Abend ging ich wieder in die Vorstadt hinaus, und bald wurde
dieser Weg mein täglicher Gang. Von meiner Reise war keine Rede mehr. Das
Bild des lieben Mädchens hatte mein ganzes Denken gefangen genommen, und
nicht einen Gedanken konnte ich mehr fassen, der mich nicht zu ihr hingeführt hätte.
Zwar tagsüber machte ich mir zuweilen Vorhaltungen und fragte mich, wohin das
führen sollte. Wurde es jedoch Abend, dann stieg mit dem ersten Stern auch
Marthcheus Bild strahlend vor mir auf, und ein sehnsüchtiges Verlangen ergriff
"und, wieder in ihre Nähe zu kommen, ihre süße Stimme zu hören und den Druck
'hrer Hand zu fühlen, und nach einigem Zögern und Zaudern, dessen Ursache mir
grausam in die Seele schnitt, ging ich jedesmal dahin, wo mir aus einem unschul¬
digen Herzen eine unbegreifliche und unverdiente Zärtlichkeit entgegengebracht wurde.
Mnrtha stand gewöhnlich schon an der Gartentür und hielt Ausschau. Wenn sie
mich dann erblickte, so flog ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht, und in ihren
Augen glänzte eine so helle Freude, daß ich im Handumdrehen aus meinem dunkeln
Leben in eine schöne, lichte Welt versetzt wurde. Nachher nahm sie ihren Hut,
und wir wanderten ein wenig hinaus bis zu den letzten Häusern und in die Felder
hinein. Dort sang dann vielleicht noch eine Lerche ihr Abendlied, und dann ging
i" diesen glücklichen Tagen jedesmal der Mond über der dunkeln Linie des fernen
Waldes auf und leuchtete uns fröhlich auf unserm Wege. Denn er kannte uns ,cyon,
und wir waren schon mit ihm vertraulich geworden. Wir sahen ihn als unsern
guten Freund >in, der uns das Ende jedes Tags hell und lieblich machte. Und
"och jetzt, wenn er zu mir hereinblickt durch die Eisenstäbe und auf die Dielen
seine Kreise malt, ist es mir. als wollte er mir zum Troste die ver untre ^ete
wieder aufbauen. Er malt mit leiser, zarter Hand, und sein milder Schein tut nur
wohl. Geht er dann an meinen. Fenster vorüber und schaut um durch "n andres
Fenster in ein andres Leben hinein, dann liege ich still auf meinem Bett und Traue
"M Träne quillt aus meinen Augen. Aber auch diese Tränen tun nicht weh.

Martha hatte das Putzmachen gelernt und trug sich nun mit der Absicht, sich
selbständig zu machen Ans diese Aussicht hiu holte sie mit ihrer Mutter viele
Jahre gespart, das Haus war frisch gemalt, und der Laden fertig hergerichtet. Da
w"r die Tante plötzlich gestorben. Martha hatte nun ihre" Wunsch. mit dem sie
sich, solange die Mutter lebte, uicht hervorgewngt hatte, erfüllt und war iwch een-
"ni in ein größeres Geschäft eingetreten, um noch etwas hinzuzulernen. Daß >up
Muter diesem Wunsche noch eine andre Absicht verbarg, war leicht zu erkennen.
Denn Martha war nicht imstande, etwas, was sie beglückte, verborgen S" lM-em
^ schimmerte, so sehr sie sich auch bemühte, es vorläufig zu verhülle", dennoch
hervor und fiel mir mit blendenden. Schein in die Angen. So erfuhr ,es also, daß
"'eine Eltern in Marthas Haus ziehn würden, und daß sie die Hoffnung hegten,
"h würde mich zu der Familie zurückbringen lassen. woran man an dem Hanse
"°es ein zweites Schild, unter den. ich -"einen Schneidertisch aufschlagen könne,


Grenzboten IV 1908
Zwei Lecken

fest und herzhaft drückte, auch mir mit einem freien liebreichen Blick, worin es
nichts gab. was sich verhülle» mußte, ins Auge sah, vergingen die törichten -Llasen
die in meinem Herzen aufgestiegen waren, schnell wieder, und ich ruckte beschämt
von ihr ab. So saßen wir endlich ruhig nebeneinander und fingen an, uns von
alten Zeiten zu erzählen. Der Mond ging inzwischen über den Bäumen des gegen¬
über liegenden Gartens auf und schien in unsre Lande herein. Weil er uns nun
so freundlich und ordentlich zusammen sitzen sah, zeigte er uns auch sein freund¬
lichstes Gesicht und schob die Wolken, die da und dort aufsteigen wollten, zur
Seite, sodnß bald alles um uns her, Wege und Blumenbeete und das Blätterdach
zu unsern Häupten, von seinem silbernen Glänze übergössen war. Auch die Wirtin
zeigte sich nach einiger Zeit wieder und stellte sich an den Eingang der Laube.
Als sie uns jedoch harmlos plaudern horte, holte sie sich eine Arbeit und setzte
sich zu uns. Wenn ich über mein Leben hinsehe, so ist diese Stelle ganz in Licht
getaucht, und keine Wolke wirft einen Schatten in diese Stunden.

Am andern Abend ging ich wieder in die Vorstadt hinaus, und bald wurde
dieser Weg mein täglicher Gang. Von meiner Reise war keine Rede mehr. Das
Bild des lieben Mädchens hatte mein ganzes Denken gefangen genommen, und
nicht einen Gedanken konnte ich mehr fassen, der mich nicht zu ihr hingeführt hätte.
Zwar tagsüber machte ich mir zuweilen Vorhaltungen und fragte mich, wohin das
führen sollte. Wurde es jedoch Abend, dann stieg mit dem ersten Stern auch
Marthcheus Bild strahlend vor mir auf, und ein sehnsüchtiges Verlangen ergriff
"und, wieder in ihre Nähe zu kommen, ihre süße Stimme zu hören und den Druck
'hrer Hand zu fühlen, und nach einigem Zögern und Zaudern, dessen Ursache mir
grausam in die Seele schnitt, ging ich jedesmal dahin, wo mir aus einem unschul¬
digen Herzen eine unbegreifliche und unverdiente Zärtlichkeit entgegengebracht wurde.
Mnrtha stand gewöhnlich schon an der Gartentür und hielt Ausschau. Wenn sie
mich dann erblickte, so flog ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht, und in ihren
Augen glänzte eine so helle Freude, daß ich im Handumdrehen aus meinem dunkeln
Leben in eine schöne, lichte Welt versetzt wurde. Nachher nahm sie ihren Hut,
und wir wanderten ein wenig hinaus bis zu den letzten Häusern und in die Felder
hinein. Dort sang dann vielleicht noch eine Lerche ihr Abendlied, und dann ging
i" diesen glücklichen Tagen jedesmal der Mond über der dunkeln Linie des fernen
Waldes auf und leuchtete uns fröhlich auf unserm Wege. Denn er kannte uns ,cyon,
und wir waren schon mit ihm vertraulich geworden. Wir sahen ihn als unsern
guten Freund >in, der uns das Ende jedes Tags hell und lieblich machte. Und
«och jetzt, wenn er zu mir hereinblickt durch die Eisenstäbe und auf die Dielen
seine Kreise malt, ist es mir. als wollte er mir zum Troste die ver untre ^ete
wieder aufbauen. Er malt mit leiser, zarter Hand, und sein milder Schein tut nur
wohl. Geht er dann an meinen. Fenster vorüber und schaut um durch «n andres
Fenster in ein andres Leben hinein, dann liege ich still auf meinem Bett und Traue
"M Träne quillt aus meinen Augen. Aber auch diese Tränen tun nicht weh.

Martha hatte das Putzmachen gelernt und trug sich nun mit der Absicht, sich
selbständig zu machen Ans diese Aussicht hiu holte sie mit ihrer Mutter viele
Jahre gespart, das Haus war frisch gemalt, und der Laden fertig hergerichtet. Da
w"r die Tante plötzlich gestorben. Martha hatte nun ihre« Wunsch. mit dem sie
sich, solange die Mutter lebte, uicht hervorgewngt hatte, erfüllt und war iwch een-
"ni in ein größeres Geschäft eingetreten, um noch etwas hinzuzulernen. Daß >up
Muter diesem Wunsche noch eine andre Absicht verbarg, war leicht zu erkennen.
Denn Martha war nicht imstande, etwas, was sie beglückte, verborgen S« lM-em
^ schimmerte, so sehr sie sich auch bemühte, es vorläufig zu verhülle», dennoch
hervor und fiel mir mit blendenden. Schein in die Angen. So erfuhr ,es also, daß
"'eine Eltern in Marthas Haus ziehn würden, und daß sie die Hoffnung hegten,
"h würde mich zu der Familie zurückbringen lassen. woran man an dem Hanse
"°es ein zweites Schild, unter den. ich -»einen Schneidertisch aufschlagen könne,


Grenzboten IV 1908
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[0529] Zwei Lecken fest und herzhaft drückte, auch mir mit einem freien liebreichen Blick, worin es nichts gab. was sich verhülle» mußte, ins Auge sah, vergingen die törichten -Llasen die in meinem Herzen aufgestiegen waren, schnell wieder, und ich ruckte beschämt von ihr ab. So saßen wir endlich ruhig nebeneinander und fingen an, uns von alten Zeiten zu erzählen. Der Mond ging inzwischen über den Bäumen des gegen¬ über liegenden Gartens auf und schien in unsre Lande herein. Weil er uns nun so freundlich und ordentlich zusammen sitzen sah, zeigte er uns auch sein freund¬ lichstes Gesicht und schob die Wolken, die da und dort aufsteigen wollten, zur Seite, sodnß bald alles um uns her, Wege und Blumenbeete und das Blätterdach zu unsern Häupten, von seinem silbernen Glänze übergössen war. Auch die Wirtin zeigte sich nach einiger Zeit wieder und stellte sich an den Eingang der Laube. Als sie uns jedoch harmlos plaudern horte, holte sie sich eine Arbeit und setzte sich zu uns. Wenn ich über mein Leben hinsehe, so ist diese Stelle ganz in Licht getaucht, und keine Wolke wirft einen Schatten in diese Stunden. Am andern Abend ging ich wieder in die Vorstadt hinaus, und bald wurde dieser Weg mein täglicher Gang. Von meiner Reise war keine Rede mehr. Das Bild des lieben Mädchens hatte mein ganzes Denken gefangen genommen, und nicht einen Gedanken konnte ich mehr fassen, der mich nicht zu ihr hingeführt hätte. Zwar tagsüber machte ich mir zuweilen Vorhaltungen und fragte mich, wohin das führen sollte. Wurde es jedoch Abend, dann stieg mit dem ersten Stern auch Marthcheus Bild strahlend vor mir auf, und ein sehnsüchtiges Verlangen ergriff "und, wieder in ihre Nähe zu kommen, ihre süße Stimme zu hören und den Druck 'hrer Hand zu fühlen, und nach einigem Zögern und Zaudern, dessen Ursache mir grausam in die Seele schnitt, ging ich jedesmal dahin, wo mir aus einem unschul¬ digen Herzen eine unbegreifliche und unverdiente Zärtlichkeit entgegengebracht wurde. Mnrtha stand gewöhnlich schon an der Gartentür und hielt Ausschau. Wenn sie mich dann erblickte, so flog ein glückliches Lächeln über ihr Gesicht, und in ihren Augen glänzte eine so helle Freude, daß ich im Handumdrehen aus meinem dunkeln Leben in eine schöne, lichte Welt versetzt wurde. Nachher nahm sie ihren Hut, und wir wanderten ein wenig hinaus bis zu den letzten Häusern und in die Felder hinein. Dort sang dann vielleicht noch eine Lerche ihr Abendlied, und dann ging i" diesen glücklichen Tagen jedesmal der Mond über der dunkeln Linie des fernen Waldes auf und leuchtete uns fröhlich auf unserm Wege. Denn er kannte uns ,cyon, und wir waren schon mit ihm vertraulich geworden. Wir sahen ihn als unsern guten Freund >in, der uns das Ende jedes Tags hell und lieblich machte. Und «och jetzt, wenn er zu mir hereinblickt durch die Eisenstäbe und auf die Dielen seine Kreise malt, ist es mir. als wollte er mir zum Troste die ver untre ^ete wieder aufbauen. Er malt mit leiser, zarter Hand, und sein milder Schein tut nur wohl. Geht er dann an meinen. Fenster vorüber und schaut um durch «n andres Fenster in ein andres Leben hinein, dann liege ich still auf meinem Bett und Traue "M Träne quillt aus meinen Augen. Aber auch diese Tränen tun nicht weh. Martha hatte das Putzmachen gelernt und trug sich nun mit der Absicht, sich selbständig zu machen Ans diese Aussicht hiu holte sie mit ihrer Mutter viele Jahre gespart, das Haus war frisch gemalt, und der Laden fertig hergerichtet. Da w"r die Tante plötzlich gestorben. Martha hatte nun ihre« Wunsch. mit dem sie sich, solange die Mutter lebte, uicht hervorgewngt hatte, erfüllt und war iwch een- "ni in ein größeres Geschäft eingetreten, um noch etwas hinzuzulernen. Daß >up Muter diesem Wunsche noch eine andre Absicht verbarg, war leicht zu erkennen. Denn Martha war nicht imstande, etwas, was sie beglückte, verborgen S« lM-em ^ schimmerte, so sehr sie sich auch bemühte, es vorläufig zu verhülle», dennoch hervor und fiel mir mit blendenden. Schein in die Angen. So erfuhr ,es also, daß "'eine Eltern in Marthas Haus ziehn würden, und daß sie die Hoffnung hegten, "h würde mich zu der Familie zurückbringen lassen. woran man an dem Hanse "°es ein zweites Schild, unter den. ich -»einen Schneidertisch aufschlagen könne, Grenzboten IV 1908

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/529>, abgerufen am 17.06.2024.