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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

gar viel verlautete. Wer ihr in die Heerde gefallen war, hatte genug davon, daß
er gerupft und geplündert worden war, und ertrug sein Los mit Ergebung und
Schweigen, Es war jedoch einigemal nicht bei bloßen Vermögensverlusten geblieben,
sondern die Ehre und der Bestand ganzer Familien waren ins Wanken geraten.
Die Frau Leopold konnte, wenn sie wollte, den Schleier von mancher verworrnen
Geschichte aufheben und die verborgne Urheberin so schmerzlicher Schicksale ans
Licht ziehn, und sie hatte hierbei nicht einmal nötig, ihre Phantasie anzustrengen,
sondern konnte diesesmal bei der Wahrheit bleiben. Was sie von der Laurette zu
erzählen wußte, genügte vollkommen, diese trügerische Erscheinung in all ihrer List
und in der ganzen verführerischen Gewalt ihrer Schönheit zu zeigen und es be¬
greiflich z" machen, daß wo so mancher verständige Manu gefallen war, ihr Simpel
von Sohn unmöglich seine Vernunft und Ehre hätte retten können.

Wenn sie jedoch wähnte, die Laurette wäre schon über die Grenze gegangen
und sähe sich die Dinge aus einer ruhigen Entfernung an, so war sie in einem
Irrtum. Das Mädchen war vielmehr, als sie dem verliebten Manne sein Geld
abgenommen hatte, selber närrisch geworden und hatte sich vor allem vorgenommen,
jetzt erst einmal die vornehme Dame zu spielen. Hierzu schien ihr nun als wesent¬
liches Stück zu gehören, daß sie auf weichen Polstern sitzend in der Welt herum¬
fahren und das Geld mit vollen Händen ausstreuen müsse. Ohnehin hatte sie nur
deshalb das gewohnte Pflaster, auf dem sie sich sonst herzlich wohl fühlte, verlassen,
um der Mutter, die nach ihres Mannes Tode ein andres Regiment einführen wollte,
ans den Augen zu kommen und aus den trübseligen Trauerfähucheu, wo hinein
man ihre hübsche Person gesteckt hatte, wieder herauszuschlüpfen. Sie versah sich
also zu allererst mit einem Prachtgewand und rutschte darin auf der Eisenbahn
hin und her, immerfort um den bisherigen Schauplatz ihrer Taten herum, als
würde sie wie die Planeten am Himmel von einer unsichtbaren Kraft gehalten und
könne sich mir noch in einer Kreislinie bewegen. Deshalb dauerte es auch nicht
lange, so war der bunte Sonnenvogel allenthalben aufgefallen und wurde überall
mit Erstannen und Vergnügen betrachtet, und als man den Wunsch äußerte, seiner
habhaft zu werden, da konnte dies auf die leichteste nud bequemste Weise geschehn.
Ich weiß uicht, war ihr der unglückliche Ausging ihres verflossenen Liebhabers
schon vorher bekannt geworden, und fuhr sie deshalb so unbekümmert und sorglos
ihre Straße, weil sie wußte, daß aus einem Grabe keine Anklage mehr laut werdeu
kann, oder wurde sie davon erst bei ihrer Festnahme unterrichtet, aber als sie sich
nun verantworten sollte, ging sie denselben Weg wie die Fran Leopold und be¬
lastete also ebenfalls einen Toten, um die Lebende" zu retten. So spannen die
beiden Frauen ihr Lügengewebe, und es war nur schade, daß sie nach demselben
Faden griffen und sich also schließlich in die Haare geraten mußten.

Als der Richter das Mädchen anhörte und beim Betrachten der wundersam
lieblichen Gestalt, der hohen freien Stirn, der feingeschnittnen Züge und des tiefen
glänzenden Auges bei sich bedenken mochte, daß etwas dazu gehöre, vor so vielen
Reizen ein gepanzertes Herz und einen kühlen Kopf zu bewahren, fiel ihm das
goldne Bröschchen, das sie einst von mir erhalten, und für das sie wohl eine
Schwache hatte, in die Augen, und der eigentümliche Schmuck erregte seine Auf¬
merksamkeit in einem Grade, daß er sich ihn zur nähern Besichtigung erbat.

Die Laurette wird wohl, als dieser sonderbare Wunsch, der das Gespräch ans
ein erquicklicheres Gebiet hinüberzuleiten schien, ausgesprochen wurde, aufgeatmet
und ein strahlendes Lächeln hervorgeholt haben. Als der Mann jedoch das Schmuck¬
stück vor sich auf den Tisch legte, sich nachsinnend über seine Glatze fuhr und endlich
Bücher aufschlagen und Boden aussenden hieß, gingen ihr die Augen weit auf, und
ste erkannte, daß sie in eine Falle geraten war. Sofort suchte sie sich den Um¬
ständen anzupassen und soviel zu retten, als sich noch retten ließ, indem sie aus
freien Stücke" gestnud, was nun doch offenbar werden "uißte. Wie ihr nun uoch
zu Ohren kam, was die Frau Leopold geplaudert hatte, verwandelte sich ihre Be-


Zwei Seelen

gar viel verlautete. Wer ihr in die Heerde gefallen war, hatte genug davon, daß
er gerupft und geplündert worden war, und ertrug sein Los mit Ergebung und
Schweigen, Es war jedoch einigemal nicht bei bloßen Vermögensverlusten geblieben,
sondern die Ehre und der Bestand ganzer Familien waren ins Wanken geraten.
Die Frau Leopold konnte, wenn sie wollte, den Schleier von mancher verworrnen
Geschichte aufheben und die verborgne Urheberin so schmerzlicher Schicksale ans
Licht ziehn, und sie hatte hierbei nicht einmal nötig, ihre Phantasie anzustrengen,
sondern konnte diesesmal bei der Wahrheit bleiben. Was sie von der Laurette zu
erzählen wußte, genügte vollkommen, diese trügerische Erscheinung in all ihrer List
und in der ganzen verführerischen Gewalt ihrer Schönheit zu zeigen und es be¬
greiflich z» machen, daß wo so mancher verständige Manu gefallen war, ihr Simpel
von Sohn unmöglich seine Vernunft und Ehre hätte retten können.

Wenn sie jedoch wähnte, die Laurette wäre schon über die Grenze gegangen
und sähe sich die Dinge aus einer ruhigen Entfernung an, so war sie in einem
Irrtum. Das Mädchen war vielmehr, als sie dem verliebten Manne sein Geld
abgenommen hatte, selber närrisch geworden und hatte sich vor allem vorgenommen,
jetzt erst einmal die vornehme Dame zu spielen. Hierzu schien ihr nun als wesent¬
liches Stück zu gehören, daß sie auf weichen Polstern sitzend in der Welt herum¬
fahren und das Geld mit vollen Händen ausstreuen müsse. Ohnehin hatte sie nur
deshalb das gewohnte Pflaster, auf dem sie sich sonst herzlich wohl fühlte, verlassen,
um der Mutter, die nach ihres Mannes Tode ein andres Regiment einführen wollte,
ans den Augen zu kommen und aus den trübseligen Trauerfähucheu, wo hinein
man ihre hübsche Person gesteckt hatte, wieder herauszuschlüpfen. Sie versah sich
also zu allererst mit einem Prachtgewand und rutschte darin auf der Eisenbahn
hin und her, immerfort um den bisherigen Schauplatz ihrer Taten herum, als
würde sie wie die Planeten am Himmel von einer unsichtbaren Kraft gehalten und
könne sich mir noch in einer Kreislinie bewegen. Deshalb dauerte es auch nicht
lange, so war der bunte Sonnenvogel allenthalben aufgefallen und wurde überall
mit Erstannen und Vergnügen betrachtet, und als man den Wunsch äußerte, seiner
habhaft zu werden, da konnte dies auf die leichteste nud bequemste Weise geschehn.
Ich weiß uicht, war ihr der unglückliche Ausging ihres verflossenen Liebhabers
schon vorher bekannt geworden, und fuhr sie deshalb so unbekümmert und sorglos
ihre Straße, weil sie wußte, daß aus einem Grabe keine Anklage mehr laut werdeu
kann, oder wurde sie davon erst bei ihrer Festnahme unterrichtet, aber als sie sich
nun verantworten sollte, ging sie denselben Weg wie die Fran Leopold und be¬
lastete also ebenfalls einen Toten, um die Lebende» zu retten. So spannen die
beiden Frauen ihr Lügengewebe, und es war nur schade, daß sie nach demselben
Faden griffen und sich also schließlich in die Haare geraten mußten.

Als der Richter das Mädchen anhörte und beim Betrachten der wundersam
lieblichen Gestalt, der hohen freien Stirn, der feingeschnittnen Züge und des tiefen
glänzenden Auges bei sich bedenken mochte, daß etwas dazu gehöre, vor so vielen
Reizen ein gepanzertes Herz und einen kühlen Kopf zu bewahren, fiel ihm das
goldne Bröschchen, das sie einst von mir erhalten, und für das sie wohl eine
Schwache hatte, in die Augen, und der eigentümliche Schmuck erregte seine Auf¬
merksamkeit in einem Grade, daß er sich ihn zur nähern Besichtigung erbat.

Die Laurette wird wohl, als dieser sonderbare Wunsch, der das Gespräch ans
ein erquicklicheres Gebiet hinüberzuleiten schien, ausgesprochen wurde, aufgeatmet
und ein strahlendes Lächeln hervorgeholt haben. Als der Mann jedoch das Schmuck¬
stück vor sich auf den Tisch legte, sich nachsinnend über seine Glatze fuhr und endlich
Bücher aufschlagen und Boden aussenden hieß, gingen ihr die Augen weit auf, und
ste erkannte, daß sie in eine Falle geraten war. Sofort suchte sie sich den Um¬
ständen anzupassen und soviel zu retten, als sich noch retten ließ, indem sie aus
freien Stücke» gestnud, was nun doch offenbar werden »uißte. Wie ihr nun uoch
zu Ohren kam, was die Frau Leopold geplaudert hatte, verwandelte sich ihre Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/597>, abgerufen am 16.06.2024.