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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

sinnung zu. Deshalb habe er sich nach langem Überlegen entschlossen, mich in ein
Geheimnis einzuweihen. Da jedoch mit diesem Geheimnis eine Gescchr verbunden
sei, so wünsche er vorher, ehe er sich offenbare, meine Einwilligung zu haben.
Wenn ich also einverstanden sei, so möge ich ihm ein bestimmtes Zeichen geben, im
andern Falle schweigen und den Zettel vernichten.

Ich geriet in eine unbeschreibliche Aufregung. Es war etwas in mir, was
mir abriet. Die warnende Stimme hatte in mir noch nie gefehlt, und so erhob
sie sich auch jetzt, aber durch die übrigen Stimmen, die nun auch laut wurden,
konnte sie nicht durchdringen. Nach kurzem Überlegen entschied ich mich dahin,
daß man recht gut vou etwas wissen könne, ohne sich daran zu beteiligen, und
gab das Zeichen. Es begann nun ein lebhafter Verkehr zwischen uns, und aus dem
Mitwisser wurde bald ein Mitverschworner. Es gibt kein Stillstehn. Hat man
sich auf die gleitende Bahn einmal hinausbegeben, so wird man weiter gedrängt,
als man ursprünglich wollte. Selten kann einer den Fuß noch in der letzten
Stunde zurückziehn.

Das Wort, das plötzlich mein Leben in Wallung brachte, hieß Flucht. Flucht
aus diesem Grabe heraus, irgendwohin, vielleicht ins Verderben hinein, aber doch
aus dem Grabe heraus. Roter hatte schon seit langer Zeit an den Borbereitungen
dazu gearbeitet. In einer Ecke unter den Dielen lag schon einiges bereit. Ich
untersuchte den Fußboden und fand denn auch einen langen mit Knoten versehenen
Strick, auch eine Sage zum Durchschneiden der Eisenstäbe lag in dem Versteck. Den
hohlen Raum herzustellen, hatte er viele Monate gebraucht, da er an jedem Tage nur
etwas von dem Sand uuter deu Dielen mit dem Kehricht abzuliefern gewagt hatte.
Und ebenso war die Anfertigung des Strickes, deu er aus Zwirn und Garn¬
abfällen gewunden hatte, ein langwieriges Stück gewesen. Nach seinem Plane sollte
die Flucht am Weihnachtsabend vor sich gehn, weil er annahm, daß die Beamten
dann von der Freude des anbrechenden Festes in Anspruch genommen und zerstreut
wären. Seine Versetzung in die obere Station hatte nun seine Vorbereitungen
mit einem Schlage zu nichte gemacht. Zuerst hatte er geglaubt, sein Anschlag sei
entdeckt worden. Als er dann aber sah, daß ihm nur ein Zufall das mühevolle
und angstvolle Werk gestört hatte, war er verzweifelt gewesen. Von dem obern
Stockwerk war die Flucht noch viel schwerer durchzuführen, und wie lange dauerte
es, bis er wieder so weit war, wie er schon gewesen war, und dann konnte wieder
etwas dazwischen kommen.

Seine Frage ging nun dahin, ob ich mit ihm flüchten wolle. Ich sollte dann
die Zurüstungen vollenden, und er würde von oben her in meine Zelle durchzubrechen
suchen und von da mit mir durch das durchgesägte Gitter fliehen.

Ich war tief erschrocken. Was sollte ich nun antworten, was beginnen? Ich
trat ans Fenster. Den ganzen Tag hatte es gestürmt, schwarzes Gewölk hatte den
Himmel bedeckt. Jetzt war es dem Mond gelungen, eine Bresche in die finstere
Wand zu schlagen, und ein sanfter Schein floß durch die Wolken. Ich sah hinunter
und malte mir in Gedanken jeden Augenblick der Flucht aus, und das Herz schlug
so heftig, als wäre ich schon mitten in dem Unternehmen. Doch plötzlich wich alle
Aufregung von mir, und ein ruhiges, starkes Gefühl kam über mich. Das Dunkle,
wovon ich zu Boden gedrückt worden war, riß auseinander und klärte sich auf wie
die Wolken, die vom Winde und dem gewaltsam hervorbrechenden Licht in Fetzen
zerrissen nur noch als zarte schillernde Schleier über den Himmel trieben.

Noch einmal redete mein Verstand dazwischen und sprach von ruhelosein
Wandern, von Herumgehetztwerden. Ja stünden uns Freunde zur Seite, und ver¬
fügten wir über Geldmittel, so könnte man eher darüber reden. Als ich Roter
mein neues Bedenken hören ließ, antwortete er: Dann ist die Sache entschieden.
An Geld wird es uns nicht fehlen. Es ist jemand draußen, der uns damit ver¬
sehen wird. Und Freunde brauchen !wir nicht. Wir müssen uns selbst helfen,
unser bester Freund ist die Not, die uns Kraft geben wird.


Zwei Seelen

sinnung zu. Deshalb habe er sich nach langem Überlegen entschlossen, mich in ein
Geheimnis einzuweihen. Da jedoch mit diesem Geheimnis eine Gescchr verbunden
sei, so wünsche er vorher, ehe er sich offenbare, meine Einwilligung zu haben.
Wenn ich also einverstanden sei, so möge ich ihm ein bestimmtes Zeichen geben, im
andern Falle schweigen und den Zettel vernichten.

Ich geriet in eine unbeschreibliche Aufregung. Es war etwas in mir, was
mir abriet. Die warnende Stimme hatte in mir noch nie gefehlt, und so erhob
sie sich auch jetzt, aber durch die übrigen Stimmen, die nun auch laut wurden,
konnte sie nicht durchdringen. Nach kurzem Überlegen entschied ich mich dahin,
daß man recht gut vou etwas wissen könne, ohne sich daran zu beteiligen, und
gab das Zeichen. Es begann nun ein lebhafter Verkehr zwischen uns, und aus dem
Mitwisser wurde bald ein Mitverschworner. Es gibt kein Stillstehn. Hat man
sich auf die gleitende Bahn einmal hinausbegeben, so wird man weiter gedrängt,
als man ursprünglich wollte. Selten kann einer den Fuß noch in der letzten
Stunde zurückziehn.

Das Wort, das plötzlich mein Leben in Wallung brachte, hieß Flucht. Flucht
aus diesem Grabe heraus, irgendwohin, vielleicht ins Verderben hinein, aber doch
aus dem Grabe heraus. Roter hatte schon seit langer Zeit an den Borbereitungen
dazu gearbeitet. In einer Ecke unter den Dielen lag schon einiges bereit. Ich
untersuchte den Fußboden und fand denn auch einen langen mit Knoten versehenen
Strick, auch eine Sage zum Durchschneiden der Eisenstäbe lag in dem Versteck. Den
hohlen Raum herzustellen, hatte er viele Monate gebraucht, da er an jedem Tage nur
etwas von dem Sand uuter deu Dielen mit dem Kehricht abzuliefern gewagt hatte.
Und ebenso war die Anfertigung des Strickes, deu er aus Zwirn und Garn¬
abfällen gewunden hatte, ein langwieriges Stück gewesen. Nach seinem Plane sollte
die Flucht am Weihnachtsabend vor sich gehn, weil er annahm, daß die Beamten
dann von der Freude des anbrechenden Festes in Anspruch genommen und zerstreut
wären. Seine Versetzung in die obere Station hatte nun seine Vorbereitungen
mit einem Schlage zu nichte gemacht. Zuerst hatte er geglaubt, sein Anschlag sei
entdeckt worden. Als er dann aber sah, daß ihm nur ein Zufall das mühevolle
und angstvolle Werk gestört hatte, war er verzweifelt gewesen. Von dem obern
Stockwerk war die Flucht noch viel schwerer durchzuführen, und wie lange dauerte
es, bis er wieder so weit war, wie er schon gewesen war, und dann konnte wieder
etwas dazwischen kommen.

Seine Frage ging nun dahin, ob ich mit ihm flüchten wolle. Ich sollte dann
die Zurüstungen vollenden, und er würde von oben her in meine Zelle durchzubrechen
suchen und von da mit mir durch das durchgesägte Gitter fliehen.

Ich war tief erschrocken. Was sollte ich nun antworten, was beginnen? Ich
trat ans Fenster. Den ganzen Tag hatte es gestürmt, schwarzes Gewölk hatte den
Himmel bedeckt. Jetzt war es dem Mond gelungen, eine Bresche in die finstere
Wand zu schlagen, und ein sanfter Schein floß durch die Wolken. Ich sah hinunter
und malte mir in Gedanken jeden Augenblick der Flucht aus, und das Herz schlug
so heftig, als wäre ich schon mitten in dem Unternehmen. Doch plötzlich wich alle
Aufregung von mir, und ein ruhiges, starkes Gefühl kam über mich. Das Dunkle,
wovon ich zu Boden gedrückt worden war, riß auseinander und klärte sich auf wie
die Wolken, die vom Winde und dem gewaltsam hervorbrechenden Licht in Fetzen
zerrissen nur noch als zarte schillernde Schleier über den Himmel trieben.

Noch einmal redete mein Verstand dazwischen und sprach von ruhelosein
Wandern, von Herumgehetztwerden. Ja stünden uns Freunde zur Seite, und ver¬
fügten wir über Geldmittel, so könnte man eher darüber reden. Als ich Roter
mein neues Bedenken hören ließ, antwortete er: Dann ist die Sache entschieden.
An Geld wird es uns nicht fehlen. Es ist jemand draußen, der uns damit ver¬
sehen wird. Und Freunde brauchen !wir nicht. Wir müssen uns selbst helfen,
unser bester Freund ist die Not, die uns Kraft geben wird.


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[0602] Zwei Seelen sinnung zu. Deshalb habe er sich nach langem Überlegen entschlossen, mich in ein Geheimnis einzuweihen. Da jedoch mit diesem Geheimnis eine Gescchr verbunden sei, so wünsche er vorher, ehe er sich offenbare, meine Einwilligung zu haben. Wenn ich also einverstanden sei, so möge ich ihm ein bestimmtes Zeichen geben, im andern Falle schweigen und den Zettel vernichten. Ich geriet in eine unbeschreibliche Aufregung. Es war etwas in mir, was mir abriet. Die warnende Stimme hatte in mir noch nie gefehlt, und so erhob sie sich auch jetzt, aber durch die übrigen Stimmen, die nun auch laut wurden, konnte sie nicht durchdringen. Nach kurzem Überlegen entschied ich mich dahin, daß man recht gut vou etwas wissen könne, ohne sich daran zu beteiligen, und gab das Zeichen. Es begann nun ein lebhafter Verkehr zwischen uns, und aus dem Mitwisser wurde bald ein Mitverschworner. Es gibt kein Stillstehn. Hat man sich auf die gleitende Bahn einmal hinausbegeben, so wird man weiter gedrängt, als man ursprünglich wollte. Selten kann einer den Fuß noch in der letzten Stunde zurückziehn. Das Wort, das plötzlich mein Leben in Wallung brachte, hieß Flucht. Flucht aus diesem Grabe heraus, irgendwohin, vielleicht ins Verderben hinein, aber doch aus dem Grabe heraus. Roter hatte schon seit langer Zeit an den Borbereitungen dazu gearbeitet. In einer Ecke unter den Dielen lag schon einiges bereit. Ich untersuchte den Fußboden und fand denn auch einen langen mit Knoten versehenen Strick, auch eine Sage zum Durchschneiden der Eisenstäbe lag in dem Versteck. Den hohlen Raum herzustellen, hatte er viele Monate gebraucht, da er an jedem Tage nur etwas von dem Sand uuter deu Dielen mit dem Kehricht abzuliefern gewagt hatte. Und ebenso war die Anfertigung des Strickes, deu er aus Zwirn und Garn¬ abfällen gewunden hatte, ein langwieriges Stück gewesen. Nach seinem Plane sollte die Flucht am Weihnachtsabend vor sich gehn, weil er annahm, daß die Beamten dann von der Freude des anbrechenden Festes in Anspruch genommen und zerstreut wären. Seine Versetzung in die obere Station hatte nun seine Vorbereitungen mit einem Schlage zu nichte gemacht. Zuerst hatte er geglaubt, sein Anschlag sei entdeckt worden. Als er dann aber sah, daß ihm nur ein Zufall das mühevolle und angstvolle Werk gestört hatte, war er verzweifelt gewesen. Von dem obern Stockwerk war die Flucht noch viel schwerer durchzuführen, und wie lange dauerte es, bis er wieder so weit war, wie er schon gewesen war, und dann konnte wieder etwas dazwischen kommen. Seine Frage ging nun dahin, ob ich mit ihm flüchten wolle. Ich sollte dann die Zurüstungen vollenden, und er würde von oben her in meine Zelle durchzubrechen suchen und von da mit mir durch das durchgesägte Gitter fliehen. Ich war tief erschrocken. Was sollte ich nun antworten, was beginnen? Ich trat ans Fenster. Den ganzen Tag hatte es gestürmt, schwarzes Gewölk hatte den Himmel bedeckt. Jetzt war es dem Mond gelungen, eine Bresche in die finstere Wand zu schlagen, und ein sanfter Schein floß durch die Wolken. Ich sah hinunter und malte mir in Gedanken jeden Augenblick der Flucht aus, und das Herz schlug so heftig, als wäre ich schon mitten in dem Unternehmen. Doch plötzlich wich alle Aufregung von mir, und ein ruhiges, starkes Gefühl kam über mich. Das Dunkle, wovon ich zu Boden gedrückt worden war, riß auseinander und klärte sich auf wie die Wolken, die vom Winde und dem gewaltsam hervorbrechenden Licht in Fetzen zerrissen nur noch als zarte schillernde Schleier über den Himmel trieben. Noch einmal redete mein Verstand dazwischen und sprach von ruhelosein Wandern, von Herumgehetztwerden. Ja stünden uns Freunde zur Seite, und ver¬ fügten wir über Geldmittel, so könnte man eher darüber reden. Als ich Roter mein neues Bedenken hören ließ, antwortete er: Dann ist die Sache entschieden. An Geld wird es uns nicht fehlen. Es ist jemand draußen, der uns damit ver¬ sehen wird. Und Freunde brauchen !wir nicht. Wir müssen uns selbst helfen, unser bester Freund ist die Not, die uns Kraft geben wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/602>, abgerufen am 17.06.2024.